BT-Drucksache 16/2593

Jugend und Mobilität

Vom 15. September 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/2593
16. Wahlperiode 15. 09. 2006

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Anton Hofreiter, Kai Boris Gehring, Winfried Hermann,
Peter Hettlich und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Jugend und Mobilität

Mobilität hat für Jugendliche einen hohen Stellenwert.

Von einer selbst bestimmten automobilen Mobilität sind Kinder und Jugendliche
weitestgehend ausgeschlossen. Sie gehören zu den hauptsächlich unmotorisier-
ten Verkehrsteilnehmern (z. B. als Fahrradfahrer, Fußgänger, ÖPNV-Nutzer),
deren Aktionsradius sich aber mit zunehmendem Alter ausweitet. Dabei sind
Kinder und Jugendliche von den negativen Begleiterscheinungen unserer Mobi-
litätsentwicklung besonders betroffen. Umweltbelastungen, Flächenverbrauch,
Verkehrsunsicherheit und Unfälle sowie Lärm betreffen insbesondere junge Ge-
nerationen und wirken sich negativ auf ihre Gesundheit und Entwicklung aus.

Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung stellt sich insbesondere
für Kinder und Jugendliche in ländlichen Regionen die Frage, wie ihr Zugang
zum öffentlichen Personen-Nahverkehr und damit die Erreichbarkeit von öffent-
lichen Einrichtungen und Angeboten der Bildung und Betreuung, der Kultur und
der Freizeitangebote gesichert bleibt. Auch wenn bekannt ist, dass Mobilität im
Alltag von Kindern und Jugendlichen eine hohe Dringlichkeit und Präsenz be-
sitzt, gibt es über die Probleme, die sich für sie daraus ergeben kaum öffentliches
Bewusstsein.

Viele Familien mit Kindern ziehen gerne „ins Grüne“. Dort ermöglicht das
ÖPNV-Angebot aber oft keine ausreichende Teilhabe der Kinder und Jugend-
lichen am gesellschaftlichen Leben. Gründe dafür sind das unzureichende
Streckennetz oder die geringe Taktung an den Haltestellen. Während der
Anschluss an das öffentliche Straßennetz gesetzlich geregelt ist, gibt es für den
Anschluss an den ÖPNV keine derartigen Zielformulierungen. Als Schülerinnen
und Schüler oder als Auszubildende machen Kinder und Jugendliche die Erfah-
rung, dass für sie schlechtere Standards gelten als für normale Fahrgäste. Und
das, obwohl an ihnen dank des Ausgleichstatbestands des § 45a des Personen-
beförderungsgesetzes mehr als an Erwachsenen verdient wird. Die Freistel-
lungsverordnung führt dazu, dass für freigestellte Schülerverkehre geringere
Standards gelten als im normalen Personenverkehr.

Auf Grund der mangelnden Angebotstruktur des Schienen- und Personen-
nahverkehrs vor allem in den ländlichen Räumen ist es nicht verwunderlich,
dass Jugendliche danach streben, möglichst schnell einen Führerschein zu er-
werben, um vermeintlich attraktivere Verkehrsmittel wie Mofa, Motorrad oder
Auto nutzen zu können. Per Auto mobil zu sein bedeutet für Heranwachsende
ein Gewinn an Freiheit, Selbständigkeit, und Unabhängigkeit. Diese Mobili-
tätsbedürfnisse werden durch das als unzulänglich empfundene Bus- und
Bahnangebot verstärkt. Über Verkehrsalternativen wird im Rahmen der Führer-

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scheinausbildungen allerdings nicht informiert. Das automobile Mobilitäts-
verhalten wird daher unter anderem auch durch die Art unserer Führerscheinaus-
bildung begünstigt.

Wir fragen daher die Bundesregierung:

1. Welchen Handlungsbedarf sieht die Bundesregierung vor dem Hintergrund
der demografischen Entwicklung hinsichtlich der Mobilität von Kindern
und Jugendlichen insbesondere auch in ländlichen Regionen?

2. Wie wirkt sich die Kürzung der ÖPNV-Regionalisierungsmittel um 106
Mio. Euro im Bundeshaushalt 2006 sowie insgesamt um 3,3 Mrd. Euro für
die Jahre 2003 bis 2010 auf die Mobilitätsmöglichkeiten von Kindern und
Jugendlichen, Schülerinnen und Schülern sowie Auszubildenden aus?

Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung darüber, in welchem Umfang
das ÖPNV-Angebot im ländlichen Raum infolge dessen ausgedünnt bzw.
reduziert wird?

3. Plant die Bundesregierung zielgruppenspezifische Maßnahmen zur Be-
wusstseinsbildung und Öffentlichkeitsarbeit für nachhaltige Mobilität von
Jugendlichen?

4. Wie steht die Bundesregierung zur Umsetzung einer offensiven und intelli-
genten Kampagne für mehr Verkehrssicherheit für Kinder und zur Bewer-
bung des ÖPNV für Jugendliche?

5. Denkt die Bundesregierung über alternative Mobilitäts- und Beförderungs-
möglichkeiten im Alltag der Kinder und Jugendlichen nach, die auch durch
bürgerschaftliches Engagement unterstützt werden können?

6. Ist es aus Sicht der Bundesregierung vertretbar, bürgerschaftliche Initiativen
wie beispielsweise eingetragene Vereine, die im Bereich der Kinder- und
Jugendarbeit tätig sind, bei Reisen kommerziellen Reiseunternehmen
gleichzustellen (§1 PBefG)?

a) Wenn ja, plant die Bundesregierung dazu konkrete Initiativen und wie se-
hen die zeitlichen Planungen dieser Initiativen aus?

b) Wenn nein, warum nicht?

7. Wie viele Kinder und Jugendliche sterben jährlich durch Verkehrsunfälle?

Wie verhält sich diese Zahl prozentual zu anderen Todesursachen von Kin-
dern und Jugendlichen?

8. Wie viele Kinder und Jugendliche sind seit Bestehen der Bundesrepublik
Deutschland durch Verkehrsunfälle gestorben?

Wie viele Kinder und Jugendliche erleiden jährlich seit 1949 durch Ver-
kehrsunfälle bleibende körperliche und/oder seelische Schäden?

9. Welche Unfallursachen spielen bei Unfällen mit Personenschaden von Kin-
dern und Jugendlichen unterschieden nach Verkehrsmitteln welche Rolle?

10. Welche konkreten Abhilfemöglichkeiten und Maßnahmen zur Verringerung
der Verkehrsunfälle von Kindern und Jugendlichen ergreift die Bundesre-
gierung?

a) Liegen der Bundesregierung Ergebnisse darüber vor, ob Geschwindig-
keitsbegrenzungen zur Verringerung der Verkehrsunfälle mit Kindern
und Jugendlichen geführt haben?

b) Hält die Bundesregierung die Regelungen zur technischen Sicherheit von
Fahrrädern und Kleinkrafträdern als Hauptverkehrsmittel von Kindern
und Jugendlichen für ausreichend?

c) Falls nicht, welchen Optimierungsbedarf sieht die Bundesregierung und
welche Konsequenzen zieht sie daraus?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/2593

11. Wie beurteilt die Bundesregierung das Begleitete Fahren („Führerschein mit
17“)?

12. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung bezüglich der Senkung von
Unfallzahlen durch das Begleitete Fahren?

13. Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, die Führerscheinausbil-
dung zu einer umfassenden Mobilitätsausbildung aufzuwerten?

14. Will die Bundesregierung am § 45a des Personenbeförderungsgesetzes
(Ausgleichspflicht) festhalten?

a) Wenn ja, warum?

b) Wenn nein, wann und in welcher Form will die Bundesregierung hierzu
initiativ werden?

15. Wie steht die Bundesregierung zur Abschaffung der Freistellungsverord-
nung im Bereich der Schülerbeförderung?

16. Wie beurteilt die Bundesregierung die Möglichkeit einer Umstellung der
Förderung von Schülerverkehren von der Objekt- auf die Subjektförderung,
etwa in Form von Mobilitätsgutscheinen?

17. Wie beurteilt die Bundesregierung eine gesetzliche Koppelung der Erschlie-
ßung an eine ÖPNV-Anbindung zu koppeln, damit neu erschlossene Flä-
chen nicht nur an das öffentliche Straßennetz sondern auch an den ÖPNV
angebunden sind?

Berlin, den 14. September 2006

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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