BT-Drucksache 16/2518

Forderung der EU nach Transparenz bei Subventionen im Agrarbereich vollständig umsetzen und die Neuausrichtung der Förderung vorbereiten

Vom 5. September 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/2518
16. Wahlperiode 05. 09. 2006

Antrag
der Abgeordneten Ulrike Höfken, Rainder Steenblock,
Matthias Berninger, Marieluise Beck (Bremen), Cornelia Behm, Bärbel Höhn,
Thilo Hoppe und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Forderung der EU nach Transparenz bei Subventionen im Agrarbereich
vollständig umsetzen und die Neuausrichtung der Förderung vorbereiten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die EU-Kommission hat mit ihrer im November 2005 ins Leben gerufenen
Transparenzinitiative einen wichtigen Schritt zur Stärkung des Vertrauens der
Bürgerinnen und Bürger in die Institutionen der Europäischen Union unternom-
men. Als eine Sofortmaßnahme hat die Europäische Kommission die Verwen-
dung der von der Kommission zentral verwalteten EU-Gelder im Internet der
Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Eine Vielzahl der EU-Mitgliedstaaten stellt ihren Bürgerinnen und Bürgern auf
freiwilliger Basis Informationen über die Empfänger von im Rahmen der geteil-
ten Mittelverwaltung gewährten Subventionen zur Verfügung. Dies sind bereits
13 Länder: Belgien, Dänemark, Estland, Frankreich, Irland, Niederlande, Portu-
gal, Spanien, Schweden, Slowenien, Slowakei, Tschechische Republik und
Großbritannien.

Deutschland gehört zu den Ländern, die bisher ihrer Bevölkerung detaillierte
Informationen über die Verteilung der Mittel vorenthalten. Mit dem im Mai
2006 vorgelegten „Grünbuch Europäische Transparenzinitiative“ hat die EU-
Kommission ihre Vorstellungen weiter konkretisiert und den Druck auf die Mit-
gliedstaaten verstärkt. Jetzt möchte die EU die Mitgliedstaaten gesetzlich ver-
pflichten, die Empfänger von EU-Geldern offenzulegen. Diese Frage wird
voraussichtlich innerhalb der nächsten Monate auf EU-Ebene zwischen den
Mitgliedstaaten entschieden.

Die Agrarausgaben machen den mit Abstand größten Anteil am EU-Haushalt
aus. In Deutschland liegen bisher keinerlei Veröffentlichungen über die Empfän-
ger dieser Gelder vor. Positiv ist, dass die unter der rot-grünen Bundesregierung
umgesetzte Agrarreform eine bessere Nachvollziehbarkeit der staatlichen Trans-
ferleistungen ermöglicht. Öffentlich zugängliche Informationen über die Ver-

wendung der Mittel gibt es aber lediglich in aggregierter Form.

Die Agrarausgaben lassen sich unterteilen in drei Bereiche: Direktzahlungen an
landwirtschaftliche Betriebe, Marktordnungsmaßnahmen und Maßnahmen zur
Förderung der ländlichen Entwicklung. Die beiden ersten Maßnahmengruppen
werden als erste Säule der EU-Agrarförderung bezeichnet, die Maßnahmen zur
Förderung der ländlichen Entwicklung als die zweite Säule. Auf die zweite

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Säule entfallen EU-weit ca. 20 Prozent der Agrarausgaben, auf die erste Säule
ca. 80 Prozent.

Die EU-Agrarausgaben stehen seit längerem stark im Zentrum der öffentlichen
Kritik. Von einigen Kritikern wird in Frage gestellt, ob der hohe Anteil der
Agrarausgaben insgesamt noch zu rechtfertigen sei. Infolge der auf Initiative
von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel getroffenen Beschlüsse des Europäi-
schen Rates zur finanziellen Vorausschau im Dezember 2005 gibt es ab 2007 be-
reits drastische Einschnitte im Bereich der Förderung der ländlichen Entwick-
lung, vor allem bei den Agrarumweltmaßnahmen. Gerade diese Kürzungen im
Agrarbudget haben schwerwiegende Folgen für die Wirtschaftskraft und die
nachhaltige Entwicklung ländlicher Räume. Die unzureichende Ausstattung der
zweiten Säule ist daher verstärkt in der Diskussion.

In Frage gestellt wird auch die Verteilung der Gelder auf die Empfänger. In
Deutschland erhalten nur 0,5 Prozent der Betriebe rund 20 Prozent aller Direkt-
zahlungen. Die große Mehrheit der Betriebe erhält aber nur vergleichsweise
geringe Zahlungen und fühlt sich doch öffentlich als Subventionsempfänger
hingestellt. Das jetzige System der Agrarförderung führt trotz der deutlichen
Verbesserungen durch die Agrarreform zu einer Wettbewerbsverzerrung zu
Ungunsten arbeitsintensiver, tiergerechter und umweltgerechter Formen der
Landwirtschaft und ermöglicht zum Teil den Erhalt von erheblichen Finanzmit-
teln bei minimalem Arbeitseinsatz auf großer Fläche.

Besonders gravierend wiegt auch im internationalen Zusammenhang die Kritik
an der handelsverzerrenden Wirkung bestimmter Subventionen mit äußert
schädlichen Auswirkungen besonders für wenig entwickelte Länder. Sie sind
Gegenstand zahlreicher Handelskonflikte und haben wesentlich zum Scheitern
der Verhandlungen mit der Welthandelsorganisation (WTO) beigetragen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

– nach dem Vorbild der Niederlande, Dänemarks und weiterer Länder um-
gehend und unabhängig vom Ausgang der Abstimmung auf EU-Ebene die
Transparenz bei Agrarsubventionen auch in Deutschland einschließlich aller
nationalen Fördermittel zu verwirklichen;

– die Transparenzinitiative der EU-Kommission bei den Abstimmungspro-
zessen auf EU-Ebene zu unterstützen;

– in einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe mit den Ländern unter Einbeziehung
der Vertreter der Zahlstellen der Länder einen Vorschlag für eine möglichst
bundesweit einheitliche und verständliche Form der Veröffentlichung zu er-
arbeiten, welche eine Vergleichbarkeit zwischen den Ländern gewährleistet;

– einen rechtlichen Rahmen zu schaffen, der die Bundesländer zur Veröffent-
lichung über die Verteilung der von den Ländern verwalteten Gelder ver-
pflichtet;

– die Verteilung der von der Bundesregierung und den nachgeordneten Behör-
den des Bundes verwalteten Gelder in jährlichen Übersichten nach Empfän-
gern aufgeschlüsselt zu veröffentlichen;

– darauf hinzuwirken, dass mit der Veröffentlichung der Daten kein unnötiger
bürokratischer Aufwand verbunden ist;

– darauf hinzuwirken, dass die Daten der Empfänger von Marktordnungsmaß-
nahmen (wie z. B. Exportsubventionen, Verarbeitungs- und Vermarktungs-
beihilfen) nach Empfängern und Maßnahmengruppen aufgeschlüsselt bereit-
gestellt werden;
– darauf hinzuwirken, dass die Daten zur Verteilung der Direktzahlungen an
landwirtschaftliche Betriebe nach Empfängern und Maßnahmengruppen auf-

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geschlüsselt dargestellt werden; dabei sollte die Summe der Direktzahlungen
je Betrieb ins Verhältnis gesetzt werden zu den auf dem Betrieb vorhandenen
Arbeitskräften (einschließlich der Familienarbeitskräfte);

– darauf hinzuwirken, dass die Daten zur Verteilung der Fördergelder im Be-
reich der ländlichen Entwicklung nach Empfängern und Maßnahmengruppen
aufgeschlüsselt dargestellt werden;

– mit den Ländern gemeinsam ein Konzept zur verbesserten Information der
Öffentlichkeit über die Ziele und den Zweck der Agrarförderung zu entwi-
ckeln;

– eine Analyse der Förderdaten hinsichtlich der Wirksamkeit der Agrarförde-
rung vorzunehmen und Konzepte für eine Umgestaltung des Systems der
Agrarförderung zu prüfen und weiterzuentwickeln, welche den Faktor
Arbeitskraft als Grundlage mit einbeziehen.

Berlin, den 5. September 2006

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

Begründung

Die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf, zu erfahren, wofür die Steuergelder ein-
gesetzt werden. Daher ist die Offenlegung der Subventionen eine demokratische
Verpflichtung. Darüber hinaus ist Transparenz als Entscheidungsgrundlage für
die zukünftige Neuausrichtung der Agrarförderung unentbehrlich. Sie liefert die
Grundlage für eine eingehende Analyse und Bewertung. Die EU-Kommission
bezeichnet dies als „Gesundheitscheck“. Dieser „Gesundheitscheck“ steht für
2008 auf der EU-Agenda. Daher ist nicht nur eine Veröffentlichung der Empfän-
ger und der Zahlungen, sondern die Analyse der Wirksamkeit des Einsatzes
staatlicher Finanzmittel auf gesamtgesellschaftliche Zielsetzungen notwendig.
Die weiterhin bestehenden Schwachstellen des Systems der Agrarförderung
müssen aufgedeckt und die Verteilung der Mittel daraufhin überprüft werden, ob
sie den sozial- und beschäftigungspolitischen sowie umweltpolitischen Zielen
der Gesellschaft dienlich sind und wirklich zu einer nachhaltigen umwelt-, ver-
braucher- und tiergerechten Form der Landwirtschaft in Europa beitragen. Wo
dies nicht der Fall ist, muss das System weiter umgestaltet werden, um zu einem
System der Agrarförderung zu gelangen, welches von einem gesamtgesell-
schaftlichen Konsens getragen wird.

Bei Maßnahmen der zweiten Säule (z. B. bei den Agrarumweltmaßnahmen und
dem Ausgleich von Belastungen in FFH-Gebieten) stellt die Förderung einen
Ausgleich für gesellschaftlich erwünschte und von den Betrieben erbrachte
Leistungen dar. Die Berechtigung für die Direktzahlungen ist weniger offen-
sichtlich. Es handelt sich um staatliche Transferleistungen, die der Einkom-
menssicherung der in der Landwirtschaft tätigen Bevölkerung und damit auch
der Stärkung des ländlichen Raums insgesamt dienen sollen. Sie wurden als Er-
satz für marktregulierende und preisstützende Maßnahmen eingeführt, da
direkte Transfers wesentlich effizienter hinsichtlich der Einkommenswirkung
sind als Marktordnungsmaßnahmen.

Um zu beurteilen, ob die Zahlungen diesen Zielsetzungen gerecht werden, muss
die Anzahl der in der Landwirtschaft Beschäftigten und vom landwirtschaft-

lichen Einkommen Abhängigen berücksichtigt werden. Bezogen auf die Arbeits-
kraft erhalten die Betriebe in Deutschland im Durchschnitt rund 8 000 Euro an

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Direktzahlungen jährlich. Es gibt aber auch Betriebe, die weit über 100 000 Euro
jährlich pro Arbeitskraft erhalten. Diese Zahlen bilden die ungleiche Verteilung
der Mittel weit besser ab als die Vergleiche der Zahlen pro Betrieb. Für eine nach-
haltige Entwicklung ländlicher Räume sind der Erhalt und die Schaffung von
Arbeitsplätzen sowie die Erhöhung der regionalen Wertschöpfung durch Diver-
sifizierung wichtige Schlüssel.

Daher ist die Schaffung von Transparenz eine wichtige Voraussetzung zur künf-
tigen Neuausrichtung der Agrarförderung. Dies gilt gleichermaßen für die Sub-
ventionen im Bereich der Wirtschaft.

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