Vom 30. August 2006
Deutscher Bundestag Drucksache 16/2489
16. Wahlperiode 30. 08. 2006
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Jan Korte, Petra Pau, Ulla Jelpke, Sevim Dagdelen,
Kersten Naumann und der Fraktion DIE LINKE.
Aufarbeitung der Geschichte des Bundes der Vertriebenen (BdV)
Oft waren die Geschichte der Vertriebenenverbände und die Geschichte ihrer
Funktionsträger Gegenstand journalistischer und publizistischer Debatten und
Veröffentlichungen. Besonderes Augenmerk wurde dabei immer auf die Ver-
wicklungen von BdV-Funktionsträgern in das menschenverachtende faschisti-
sche Unrechtsregime der Nationalsozialisten zwischen 1933 und 1945, so wie
die Affinitäten mancher Funktionsträger zur extremen Rechten der Bundes-
republik Deutschland gelegt. „DER SPIEGEL“ hat nun erneut das Thema auf-
gegriffen und neue Erkenntnisse die Geschichte des BdV betreffend veröffent-
licht. In einem Artikel heißt es: „Ein Blick in die Archive zeigt tatsächlich, dass
die Vertriebenenführungsspitze der ersten drei Jahrzehnte noch stärker mit
Ex-Nazis durchsetzt war als vermutet.“ (DER SPIEGEL 33/2006, S. 46).
Verschlimmert wird die Situation dadurch, dass die ehemaligen NSDAP-Mit-
glieder auch das entsprechende geistige Rüstzeug mit in den BdV und seine
Landsmannschaften brachten. Der BdV wurde auch inhaltlich und programma-
tisch rechtsextrem durchsetzt: Der „SPIEGEL“-Artikel weiß von knapp 200
hochrangigen Funktionsträgern des BdV zu berichten, die sich in der Mitglie-
derkartei der NSDAP wieder finden lassen oder durch andere Quellen belastet
sind.
Das Bundesministerium des Innern (BMI) unterstützt den BdV Jahr für Jahr
finanziell. Diese Finanzierung setzt eine politische und inhaltliche Auseinan-
dersetzung seitens des BMI mit den Zielen, den Programmen und auch der Ver-
gangenheit des BdV voraus.
Wir fragen die Bundesregierung:
1. Liegen dem BMI die Namen der knapp 200 Personen, ihre Funktionen im
BdV und Informationen über deren Verbindung zum NS-Regime vor, wenn
ja, bitte einzeln nach Funktion im BdV und im NS-Regime auflisten, mit
Quellenangabe?
2. Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, dass sich in den Reihen der
BdV-Funktionäre viele Personen befanden, die bereits vor der Machtüber-
nahme Hitlers 1 933 Mitglieder der NSDAP waren?
3. Wie bewertet die Bundesregierung angesichts der finanziellen Förderung
des BdV durch das BMI (2005: ca. 1,8 Mio. Euro) – plus der kulturellen
Förderung – die Aussage der BdV-Vorsitzenden Erika Steinbach, dem Bund
der Vertriebenen würde das Geld zur Aufarbeitung der eigenen Geschichte
fehlen?
Drucksache 16/2489 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
4. Wird das BMI die nun durch Erika Steinbach in Aussicht gestellte „wissen-
schaftliche“ Aufarbeitung der Geschichte des BdV unterstützen?
a) Wenn ja, in welcher Form?
b) Wenn nein, welche Gründe sprechen aus Sicht der Bundesregierung ge-
gen eine Unterstützung?
5. Gab es in der Vergangenheit durch den BdV an das BMI Anfragen bezüglich
einer materiellen, personellen oder wissenschaftlichen Unterstützung zur
Aufarbeitung der Geschichte des BdV?
a) Wenn ja, welchen konkreten Inhalts waren diese Anfragen?
b) In welcher Form wurde abgefragte Hilfe seitens des BMI geleistet?
6. Hat das BMI in der Vergangenheit davon Gebrauch gemacht, die Archive
des BdV – welche laut Aussage von Erika Steinbach (PE, 20. August 2006)
offen zugänglich seien – zu sichten und ein Meinungsbild der Bundesregie-
rung zur Geschichte des BdV und dessen Funktionsträger zu erstellen?
a) Wenn ja, wie sieht das Ergebnis der Untersuchungen aus?
b) Wenn nein, warum wurde von diesem Angebot kein Gebrauch gemacht?
c) Wenn nein, wird die Bundesregierung zukünftig das Angebot von Erika
Steinbach annehmen?
d) War der Bundesregierung das Angebot von Erika Steinbach vor dem
20. August 2006 bekannt?
Wenn ja, seit welchem Datum?
7. Aufgrund welcher Richtlinien wird der BdV vom BMI seit wann finanziell
gefördert?
8. Ist der Bundesregierung bekannt, ob und ggf. wann der BdV bei der
Stasiunterlagenbehörde Auskunft beantragt hat?
a) Wenn ja, welchen konkreten Inhalts waren diese Anträge (bitte einzeln
auflisten)?
b) Wenn ja, wann wurden die Anträge durch den BdV gestellt (bitte nach
Datum einzeln auflisten)?
Berlin, den 24. August 2006
Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion