BT-Drucksache 16/2369

Verdacht der so genannten Scheinvaterschaft gegenüber binationalen Familien

Vom 4. August 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/2369
16. Wahlperiode 04. 08. 2006

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sevim Dagdelen, Ulla Jelpke, Petra Pau, Jörn Wunderlich
und der Fraktion DIE LINKE.

Verdacht der so genannten Scheinvaterschaft gegenüber binationalen Familien

Seit 1998 ist für die Vaterschaftsanerkennung eines unehelichen Kindes die Zu-
stimmung des Jugendamtes als dessen Amtspfleger nicht mehr erforderlich. Das
Ziel der Kindschaftsrechtsreform der damaligen Koalition von CDU/CSU und
FDP war es, die Elternautonomie bei der Vaterschaftsanerkennung zu stärken.
Die Bundesregierung plant nun, einem Träger öffentlicher Belange ein befriste-
tes Anfechtungsrecht bei Vaterschaftsanerkennungen zu gewähren, um so ge-
nannte Scheinvaterschaften zu bekämpfen (Gesetzentwurf zur Ergänzung des
Rechts zur Anfechtung der Vaterschaft vom 3. April 2006, S. 1).

Den Regelungsbedarf begründet die Bundesregierung mit dem Ergebnis einer
Erhebung der Konferenz der Innenminister von Bund und Länder (IMK): Da-
nach haben 1 694 unverheiratete ausländische Mütter eines deutschen Kindes
vom 1. April 2003 bis zum 31. April 2004 aufgrund einer Vaterschaftsanerken-
nung einen Aufenthaltstitel erlangt, die zu diesem Zeitpunkt der Anerkennung
ausreisepflichtig waren (Presseerklärung des Bundesministeriums der Justiz,
3. April 2006). In dem Abschlussbericht der IMK heiße es weiterhin, dass die
Zahlen nicht belegen könnten, in wie vielen Fällen es sich tatsächlich um zweck-
widrige Vaterschaftsanerkennungen handele, d. h. ohne dass eine leibliche oder
soziale Beziehung zum Kind gegeben sei. Sie könnten jedoch als starkes Indiz
dafür herangezogen werden, dass es in nicht unerheblicher Zahl zu Vater-
schaftsanerkennungen komme, die primär der Vermittlung eines ausländerrecht-
lichen Bleiberechts dienten (Gesetzentwurf, S. 2). Auch das Bundesministerium
der Justiz (BMJ) schlussfolgert, dass darunter Fälle von Vaterschaft ohne Ver-
antwortungsübernahme zu finden seien (Presseerklärung des BMJ vom 3. April
2006). Zudem bestehe die Gefahr, dass sich organisierte Strukturen für solche
Vaterschaftsanerkennungen entwickelten (Gesetzentwurf, S. 2).

Mehrere Verbände lehnen eine solche Regelung ab, da sie eine spezielle Perso-
nengruppe unter den Generalverdacht des Missbrauchs von Rechten stelle (Stel-
lungnahme des Verbands binationaler Familien und Partnerschaften, iaf e. V.,
26. Juni 2006, S. 8). Die Tatsachen, die zu einer Anfechtung führen könnten,
seien nicht eindeutig festzulegen (Stellungnahme iaf e. V., S. 4). Außerdem fehl-
ten bislang detaillierte Daten über den Sachverhalt (Stellungnahme des Republi-
kanischen Anwältinnen- und Anwältevereins e. V., 13. Juni 2006, S. 1). Auch
die IMK hatte in ihrem Zwischenbericht den Mangel an empirischen Erkennt-
nissen kritisiert (Gesetzentwurf, S. 15).

Drucksache 16/2369 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Aufgrund welcher Kriterien kommt die Bundesregierung zu der Schluss-
folgerung, dass unter den 1 694 Fällen von unverheirateten Müttern eines
deutschen Kindes viele Fälle von Vaterschaften ohne Verantwortungsüber-
nahme zu finden seien, außer dem Kriterium, dass diese Mütter zum Zeit-
punkt der Vaterschaftsanerkennung ausreisepflichtig waren, d. h. in der
Regel vermutlich über eine Duldung verfügten?

2. Besitzt die Bundesregierung außer den Ergebnissen der Erhebung der IMK
weitere empirische Erkenntnisse über den Umfang so genannter Scheinvater-
schaften?

Wenn ja, auf welche Untersuchungen stützt sie sich?

Wenn nein, warum hält die Bundesregierung die mangelhafte Datenlage für
ausreichend, obwohl bereits der IMK-Zwischenbericht den Mangel an empi-
rischen Erkenntnissen kritisiert hatte?

3. Warum begründet die Bundesregierung in ihrem Gesetzentwurf den Rege-
lungsbedarf mit Zahlenangaben über Väter ausländischer Staatsangehörig-
keit, die aufgrund einer Vaterschaftsanerkennung einen Aufenthaltstitel oder
Duldung erlangt haben (S. 15), wenn schon nach jetziger Rechtslage die Aus-
länderbehörden einen Aufenthaltstitel nur gewähren, wenn ausreisepflichtige
Väter die Personensorge über das uneheliche Kind besitzen und auch aus-
üben?

4. Aufgrund welcher Erkenntnisse kommt die Bundesregierung zu der Schluss-
folgerung, es bestehe die Gefahr, dass sich organisierte Strukturen der
Scheinvaterschaftsanerkennung entwickeln?

5. Reicht es nach Auffassung der Bundesregierung für die Mitteilungspflicht
der beurkundenden Stelle an die anfechtungsberechtigte Stelle bereits aus,
dass ersterer bekannt wird, dass durch die Vaterschaftsanerkennung aufent-
haltsrechtliche Vorteile für das Kind und/oder für ein Elternteil geschaffen
werden?

6. Wird die Bundesregierung den beurkundenden und den anfechtungsberech-
tigten Stellen per Gesetz bzw. untergesetzliche Maßnahmen die Kriterien
vorschreiben, anhand derer festgestellt werden soll, ob eine sog. Scheinvater-
schaft vorliegt?

Wenn ja, welche Kriterien wird die Bundesregierung festlegen?

7. Wie will die Bundesregierung gewährleisten, dass Betroffene nicht miss-
bräuchlichen Unterstellungen und Spekulationen von Seiten der Mitarbeite-
rinnen und Mitarbeiter der beurkundenden und anfechtungsberechtigten Stel-
len ausgesetzt sind, da auch vorgegebene Kriterien einer Interpretation durch
Behördenmitarbeiterinnen und -mitarbeiter bedürfen?

8. Nach welchen objektiven Kriterien ist nach Auffassung der Bundesregierung
die Qualität der sozial-familiären Beziehung einer Vaterschaft zu definieren?

Liegt nach Auffassung der Bundesregierung auch dann eine sozial-familiäre
Beziehung vor, wenn

a) der nicht sorgeberechtigte, die Vaterschaft anerkennende Elternteil keine
Unterhaltsleistungen zahlt?

oder

b) der Vater und das Kind nicht in einer häuslichen Gemeinschaft über län-
gere Zeit zusammenleben oder zusammengelebt haben?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/2369

9. Welche Kriterien müssen nach Auffassung der Bundesregierung erfüllt sein,
damit die beurkundende bzw. anfechtungsberechtigte Stelle zu dem Schluss
kommt, dass eine sozial-familiäre Beziehung zwischen Vater und Kind
nicht vorliegt?

10. Wie will die Bundesregierung verhindern, dass nachträglich Vaterschaften
angefochten werden, wenn zum Zeitpunkt der Anerkennung eine sozial-
familiäre Beziehung bestanden hat, die später beendet worden ist?

11. Ist es nach Auffassung der Bundesregierung verfassungskonform, dass es
auch bei solchen Familien, bei denen die Anfechtung der Vaterschaft letzt-
endlich erfolglos bleibt, bereits durch die Infragestellung der Vaterschaft,
der Verpflichtung zur Mitwirkung und der Verzögerung der Anerkennung
von Rechten, die mit der Vaterschaft verbunden sind, zu einer erheblichen
Beeinträchtigung der Rechte aus Artikel 6 des Grundgesetzes (GG) kommt
(bitte begründen)?

12. Warum liegt nach Auffassung der Bundesregierung das vorgesehene An-
fechtungsrecht im Interesse des Kindes (Gesetzentwurf, S. 2), wenn da-
durch lediglich die rechtliche Vaterschaft beseitigt werden würde und das
Kind selbst ein eigenständiges Anfechtungsrecht besitzt?

13. Ist es nach Auffassung der Bundesregierung vereinbar mit Artikel 16 Abs. 1
GG, dass ein Kind, das seine deutsche Staatsangehörigkeit aufgrund einer
Vaterschaftsanerkennung erhalten hat, noch eine unbestimmte Zeit später
durch eine erfolgreiche Anfechtungsklage seine Staatsbürgerschaft wieder
verliert, obwohl es an dem Fehlverhalten seiner Eltern nicht beteiligt war
(bitte begründen)?

14. Hält es die Bundesregierung zum Schutz des Kindeswohls für notwendig,
die Anfechtbarkeit einer Vaterschaft ab dem Zeitpunkt der Anerkennung zu
befristen, da sonst die durch eine erfolgreiche Anfechtungsklage entstehen-
de Ausreisepflicht eines hier aufgewachsenen und integrierten Kindes un-
verhältnismäßig und ein Verstoß gegen das Kindeswohl und gegen die
Rechtssicherheit wäre?

Wenn nein, warum nicht?

15. Wie erklärt die Bundesregierung den Widerspruch zwischen ihrem im Ge-
setzentwurf genannten Anliegen, mit einem Anfechtungsrecht „der Entste-
hung eines ‚Generalverdachts‘ gegen bi-nationale Familien vorzubeugen“
(S. 2), und der Einschätzung des Verbands binationaler Familien und Part-
nerschaften, iaf e. V , dass genau dieses Anfechtungsrecht einem „General-
verdacht“ gegen binationale Paare Vorschub leiste (Stellungnahme, 26. Juli
2006, S. 1) und der „Missbrauchsgedanke … eine schlechte Ausgangsposi-
tion für die Gestaltung von Gesetzen“ sei (ebd., S. 8)?

16. Aus welchen Gründen hält die Bundesregierung eine Gesetzesänderung mit
einschneidenden Folgen für die Betroffenen in einem sensiblen, besonders
schutzbedürftigen privaten Bereich für erforderlich, wenn die Bundesrepu-
blik Deutschland schon nach geltendem Recht gegen die massenhaften
Vaterschaftsanerkennungen des Deutschen J. H. geklagt und in erster In-
stanz gewonnen hat (Frankfurter Rundschau, 9. Mai 2006)?

Auf welcher Rechtsgrundlage erfolgte diese Klage und mit welchen Argu-
menten erhielt die Bundesregierung Recht?

Berlin, den 4. August 2006

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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