BT-Drucksache 16/2365

Das Gemeinsame Analyse- und Abwehrzentrum illegale Migration in Berlin-Treptow

Vom 3. August 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/2365
16. Wahlperiode 03. 08. 2006

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Sevim Dagdelen und der Fraktion DIE LINKE.

Das Gemeinsame Analyse- und Abwehrzentrum illegale Migration
in Berlin-Treptow

Mit dem am 17. Juli 2006 vorgestellten „Gemeinsamen Analyse- und Strategie-
zentrum illegale Migration“ (GASiM) soll, so die Bundesregierung, ein „ganz-
heitlicher Bekämpfungsansatz“ der illegalen Migration ausgebaut werden. Der
Staatssekretär im Bundesministerium des Innern, Dr. August Hanning, bewertet
den Kampf gegen die illegale Migration als die „gegenwärtig größte Heraus-
forderung für unsere Gesellschaft“, da sie Auswirkungen auf die Kriminalitäts-
lage, den Arbeitsmarkt und die Sozialsysteme in Deutschland habe (Presserklä-
rung des Bundesministeriums des Innern vom 17. Juli 2006).

Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen haben allerdings wiederholt
und nachdrücklich darauf hingewiesen, dass die illegale Einreise und die In-
anspruchnahme von Schleuserdiensten bzw. die starke Abhängigkeit von
Schleusern mit dem Aufrüsten der Grenzen und der Verhinderung legaler Ein-
wanderungsmöglichkeiten zunehme.

Das GASiM bietet, so das Bundesministerium des Innern, einen Rahmen, um
die Erkenntnisse der beteiligten Behörden zur illegalen Migration (auch) mittels
Visummissbrauchs besser zusammenzuführen und in geeigneter Weise den
betroffenen Ressorts, Behörden und Stellen zur Verfügung zu stellen. Mit der
Einrichtung des Zentrums ziehe die Bundesregierung eine Konsequenz aus den
Erkenntnissen des Visa-Untersuchungsausschusses.

Nach Expertenmeinungen sind die von der Bundesregierung geäußerten Sorgen
jedoch unbegründet. Studien und Expertisen z. B. des von der Bundesregierung
eingesetzten „Sachverständigenrat für Zuwanderung und Integration“ zufolge
handelt es sich bei Geschleusten vielfach nicht um „Elendsflüchtlinge“, son-
dern um junge, qualifizierte Männer der Mittelschicht (Forum für Migrations-
studien, Bamberg, 2005). Verbindungen zu Drogen- und Waffenhandel sollen
dieser Expertise zufolge sehr selten sein, mafiaähnliche Strukturen fehlen. Da-
her sei die öffentliche Sicherheit und Ordnung durch Schleuser nicht gefährdet.

Ohnehin ist die Zahl der illegalen Einreisen seit Jahren rückläufig. Unmittelbar
nach dem Zusammenbruch der RGW-Staaten und der Öffnung der Grenzen
wurden vom Bundeskriminalamt (BKA) 50 000 illegale Einreisen (im Jahr 1993)

registriert. Derzeit sollen es nach BKA-Schätzungen noch 20 000 im Jahr sein.
Rückläufig sind auch die Zahlen der erfolgten Festnahmen: von 12 000 im Jahr
1998 auf 4 500 im vergangenen Jahr.

Der Visa-Untersuchungsausschuss hat in seinem Bewertungsteil seines Berichts
(S. 285 f. auf Bundestagsdrucksache 15/5975) zur Visumproblematik unter
anderem konstatiert, die historisch beispiellose Situation Anfang der 1990er
Jahre habe die Visumsachbearbeitung vor einmalige Probleme gestellt. Es sei

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der Botschaft nicht gelungen, „(…) stets die erforderliche Prüfdichte bei der Er-
teilung von Visa aufrechtzuerhalten“ (S. 286). Diese historisch einmalige Situa-
tion ist aber mittlerweile vorüber, so dass nicht zu erkennen ist, inwiefern hier-
aus noch Konsequenzen abzuleiten wären.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Auf welcher Rechtsgrundlage wurde das GASiM gegründet?

2. Wie hoch ist der Etat für das GASiM für die Jahre 2006 und 2007 (bitte
aufschlüsseln nach Personal-, Verwaltungs-, Infrastrukturaufwendungen
und Kosten für operative Maßnahmen)?

3. Welche Bereiche der illegalen Einwanderung sollen in dem Zentrum analy-
siert werden?

Welche Aufgaben werden von welchen der vertretenen Institutionen feder-
führend betreut?

4. Wie viele Menschen kommen nach Erkenntnissen der Bundesregierung
seit 2000 illegal nach Deutschland bzw. von welchen Schätzungen geht die
Bundesregierung aus?

Wie viele davon gelangen mit Hilfe von gewerbsmäßig handelnden
Schleusern nach Deutschland (bitte nach Jahren getrennt auflisten)?

5. Treffen nach Einschätzung der Bundesregierung die in der Vorbemerkung
erwähnten Statistiken zur rückläufigen Entwicklung der illegalen Einreisen
zu, und warum hält sie vor dem Hintergrund sinkender Fallzahlen die Ein-
richtung des GASiM für notwendig?

Auf welche konkreten Daten und Erkenntnisse stützt sie sich bei ihrer
Ansicht?

6. Hält die Bundesregierung trotz der zeitgeschichtlich bedingten und ganz
singulären Visumprobleme von Anfang der 1990er Jahre ihre Behauptung
aufrecht, die Erkenntnisse des Visauntersuchungsausschusses seien ein
Motiv zur Gründung des „Zentrums zur Bekämpfung der illegalen Migra-
tion“ (GASiM), und welche Konsequenzen und Erkenntnisse sind genau
gemeint?

7. In wie vielen Fällen haben seit 2000 Ermittlungen gegen Schleuser auch zu
Ermittlungen wegen anderer Straftaten geführt und in wie vielen Fällen
führten Ermittlungen auch zu einer Verurteilung (bitte getrennt nach Jahr
und Straftaten auflisten)?

8. Sind der Bundesregierung die in der Vorbemerkung erwähnten Studien zur
Struktur von „Geschleusten“ und der fehlenden Verbindungen zu Waffen-
und Drogenhandel bekannt, und wenn ja, hält sie dennoch an ihrer Bedro-
hungsfiktion als Motiv zur Gründung des „Zentrums zur Bekämpfung der
illegalen Migration“ (GASiM) fest, und auf welchen Daten und Erkennt-
nissen gründet sie ihre Auffassung (bitte detailliert darlegen)?

9. Liegen der Bundesregierung wissenschaftliche Untersuchungen zu der von
ihr behaupteten Verbindung bzw. Identität zwischen/von Schleusern und
dem organisierten Verbrechen vor, und wenn ja, welche?

Wenn nein, beabsichtigt die Bundesregierung entsprechende Untersuchun-
gen in Auftrag zu geben, und wenn ja, bei wem?

10. Welche operativen Maßnahmen werden

a) vom GASiM ausgehen,
b) vom GASiM koordiniert?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/2365

11. Welche Informationen müssen für die Auslösung operativer Maßnahmen
vorliegen, und wie erfolgt die konkrete Umsetzung dieser Maßnahmen?

Berlin, den 31. Juli 2006

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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