BT-Drucksache 16/2339

Nachfolgeverordnung der Verordnung 1191/69/EWG

Vom 31. Juli 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/2339
16. Wahlperiode 31. 07. 2006

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Anton Hofreiter, Winfried Hermann, Peter Hettlich und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Nachfolgeverordnung der Verordnung 1191/69/EWG

Der Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Wolfgang Tiefen-
see, reklamiert für sich in einer Pressemitteilung vom 9. Juni 2006, beim Treffen
der EU-Verkehrsminister in Luxemburg umfangreiche Verbesserungen für
Deutschland bei der EU-ÖPNV-Regelung durchgesetzt zu haben. Dazu gehören
die Existenzsicherung deutscher Verkehrsverbünde, der weitgehende Schutz so
genannter kleiner Omnibusunternehmen vor dem Ausschreibungswettbewerb
und die Schaffung notweniger Rechtssicherheit. Gleichzeitig wird davon ge-
sprochen, dass mehr Wettbewerb gewollt sei. Darüber hinaus gäbe es bereits
einen funktionierenden Wettbewerb im deutschen öffentlichen Personennahver-
kehr (ÖPNV).

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Regelungen des ursprünglichen Verordnungsentwurfs der Kommission
vom 20. Juli 2005 hätten vor dem Hintergrund, dass Verkehrsverbünde als
wettbewerbsneutrale Regieorganisationen agieren und im bereits heute funk-
tionierenden Wettbewerb betreiberübergreifend für eine Integration der Ver-
kehrsbedienung sorgen, nach Ansicht des Bundesministers für Verkehr, Bau
und Stadtentwicklung, Wolfgang Tiefensee, (vgl. Pressemitteilung des Bun-
desministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung – BMVBS – Nr. 198/
2006 vom 9. Juni 2006) die Zerschlagung von Verkehrsverbünden bewirkt?

2. Welche Verbünde wurden vor dem Hintergrund, dass die meisten Verkehrs-
verbünde bisher die Durchführung von Wettbewerbsverfahren im Schienen-
und Busverkehr ohne Schaden überstanden haben, konkret vor der Zerschla-
gung gerettet?

3. Welche Regelung des Verordnungsentwurfs hätte speziell auf der Relation
zwischen Dortmund und Düsseldorf (vgl. Pressemitteilung des BMVBS
Nr. 198/2006 vom 9. Juni 2006) dazu geführt, dass zukünftig nicht mehr mit
einem Fahrschein hätte gefahren werden können?

4. Wie begründet die Bundesregierung ihre Zustimmung zu einem Verordnungs-
entwurf, der den Parlamentsbeschluss in erster Lesung vom 14. November
2001 (Änderungsantrag 68 zu Artikel 7 Abs. 6b (neu) des Verordnungsvor-
schlags), nach dem „Betreiber, an die … ein öffentlicher Dienstleistungsver-
trag direkt vergeben wurde und denen ein finanzieller Ausgleich für Aufwen-
dungen zur Erfüllung von Anforderungen des öffentlichen Dienstes gewährt
wird, nicht an wettbewerblichen Vergabeverfahren … teilnehmen dürfen“
negiert und nun vorsieht, dass Eisenbahnunternehmen an wettbewerblichen
Vergaben in Deutschland auch dann teilnehmen können, wenn deren Heimat-
markt nicht für Wettbewerber geöffnet ist?

Drucksache 16/2339 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

5. Wie ist es mit dem vom Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwick-
lung, Wolfgang Tiefensee, propagiertem funktionierenden Wettbewerb (vgl.
Pressemitteilung des BMVBS Nr. 198/2006 vom 9. Juni 2006) vereinbar,
wenn die Aufgabenträger des ÖPNV auf der Basis der Verordnung im Wege
der Direktvergabe zukünftig Aufträge mit Auftragssummen von bis zu
17 Mio. Euro ohne jedes Auswahlverfahren an ein vorab bestimmtes Unter-
nehmen vergeben dürfen, im Schienenverkehr ohne weitere Voraussetzun-
gen alle Verkehre direkt vergeben werden dürfen und kommunale Unterneh-
men direkt beauftragt werden dürfen?

6. Welche Mechanismen werden seitens des Bundesministers für erforderlich
erachtet, um bei der nun beschlossenen Einführung von Direktvergaben
(Schiene allgemein, Straße unterhalb Schwellenwert) zu verhindern, dass
Ineffizienz und letztlich auch korruptionsanfällige Strukturen begünstigt
werden?

7. Welcher prozentuale Anteil der Verkehrsleistung im straßengebundenen
ÖPNV ausschließlich der von kommunalen Betrieben erbrachten wird nach
Auffassung der Bundesregierung nicht auf Basis von Direktvergaben son-
dern auch nach Einführung des Verordnungsentwurfs in transparenten, nicht
diskriminierenden und allen interessierten Unternehmen zugänglichen Ver-
fahren erbracht werden?

8. Wird die am 27. Juni 2006 presseöffentlich gewordene Einigung im aktuel-
len Vertragsverletzungsverfahren zur Vergabe von Verkehrsverträgen im
Schienenpersonennahverkehr (SPNV) (Beschwerde von VEOLIA; vormals
Connex) mit Inkrafttreten der neuen Verordnung dergestalt hinfällig, als vo-
raussetzungslos von der Möglichkeit der Direktvergabe Gebrauch gemacht
werden kann, oder zwingt die „außergerichtliche“ Einigung im aktuellen
Vertragsverletzungsverfahren dazu, dass die Verkehrsverträge des SPNV
dauerhaft in fairen und transparenten Verfahren vergeben werden müssen?

9. Welche Gefahren der Marktverdrängung durch europäische Mobilitätskon-
zerne bestehen nach Einschätzung der Bundesregierung in den Fällen, wo
die Vergabe eigenwirtschaftlicher Liniengenehmigungen mit einem Res-
sourceneinsatz von drei Fahrzeugen europaweit bekannt gemacht wird?

10. Welche Fälle sind der Bundesregierung bekannt, wo sich europäische Mo-
bilitätskonzerne auf Leistungsvolumina von drei Fahrzeugen beworben
haben?

11. Warum führen die von dem Verordnungsentwurf geforderten transparenten
und nichtdiskriminierenden Auswahlverfahren nach Ansicht des Bundes-
ministers zu einer Ausschreibungsbürokratie und welche Alternative sieht
der Bundesminister um den von ihm gewollten Wettbewerb ohne derartige
Verfahren zu etablieren (vgl. Pressemitteilung des BMVBS Nr. 198/2006
vom 9. Juni 2006)?

12. Wenn es stimmt, dass entsprechend der Ansicht des Bundesministers für
Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Wolfgang Tiefensee, die mehr als
1 000 mittelständischen Unternehmen gut aufgestellt sind, warum ist den-
noch keines dieser Unternehmen bislang derart wettbewerbsfähig gewor-
den, dass es mit Erfolg im Ausland Marktanteile gewonnen hat?

13. Wie ist die Ansicht des Bundesministers für Verkehr, Bau und Stadtentwick-
lung, Wolfgang Tiefensee, (vgl. Pressemitteilung des BMVBS Nr. 198/2006
vom 9. Juni 2006), dass die neuen Vergabebestimmungen ihre Wirkung
frühestens im Jahr 2022 erlangen werden, damit vereinbar, dass gemäß
Artikel 8 Abs. 2 Satz 2 des Verordnungsvorschlages die Mitgliedstaaten die
Verordnung bereits während der Übergangszeit schrittweise anwenden sol-
len und sechseinhalb Jahre nach Inkrafttreten der Verordnung auch der
Kommission dazu Fortschrittsbericht vorlegen sollen?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/2339

14. Welche gesetzlichen Vorsorgemaßnahmen sollen nach den Vorstellungen
des Bundesministers auf nationaler Ebene ergriffen werden, um zu verhin-
dern, dass bei Geltung der Verordnung in Zukunft jede einen Verkehrsver-
bund tragende Kommune ein fremdes verbundangehöriges kommunales
Unternehmen direkt beauftragen darf, auch wenn auf diese Weise eigenwirt-
schaftlich agierende private Verkehrsunternehmen verdrängt und in ihrer
Existenz gefährdet werden?

15. Welche Vorteile sieht die Bundesregierung darin, dass auf Basis des Verord-
nungsentwurfs nun eine Direktvergabe an ein mehrheitlich kommunales
Unternehmen auch dann zulässig sein soll, wenn dieses einen privaten Min-
derheitsgesellschafter hat?

16. Welche Mechanismen sind vorgesehen, um zu verhindern, dass derartige
öffentlich-private Partnerschaften (vgl. Frage Nr. 15) die erweiterten Direkt-
vergabeoption dergestalt nutzen, dass sie ganze Verbundräume monopoli-
sieren und keinen Platz für den Genehmigungswettbewerb lassen?

17. Ist seitens der Bundesregierung geplant, dass das nationale Recht im Sinne
des seitens des Verordnungsvorschlags nicht umgesetzten 4. EuGH Kriteri-
ums derart umgestaltet wird, dass im Rahmen von Direktvergaben nur die
Kosten in Ansatz gebracht werden dürfen, die den Kosten eines durch-
schnittlich gut geführten Unternehmens entsprechen?

18. Wie viele Fälle von konkurrierenden Anträgen um Genehmigungen (Ge-
nehmigungswettbewerb) nach dem Personenbeförderungsgesetz (PBefG)
sind der Bundesregierung bekannt?

19. Welchen Anteil an der Gesamtzahl der Genehmigungen nach PBefG
machen diese Fälle aus, und kann nach Ansicht der Bundesregierung von
einem funktionierenden Genehmigungswettbewerb gesprochen werden?

20. Welche Mechanismen sorgen nach Ansicht der Bundesregierung im Bereich
des ÖPNV in Zukunft dafür, dass Finanzmittel der öffentlichen Hand effi-
zienter verwendet werden und die Verkehrsleistungen zu den geringsten
Kosten für die Allgemeinheit erbracht werden?

Berlin, den 31. Juli 2006

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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