BT-Drucksache 16/2311

Einschränkungen der Grundrechte und Einsatz der Bundeswehr während des Besuchs des Präsidenten der USA in der Bundesrepublik Deutschland

Vom 25. Juli 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/2311
16. Wahlperiode 25. 07. 2006

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Sevim Dagdelen und der Fraktion DIE LINKE.

Einschränkungen der Grundrechte und Einsatz der Bundeswehr während
des Besuchs des Präsidenten der USA in der Bundesrepublik Deutschland

Der Besuch des US-Präsidenten George W. Bush am 13. Juli 2006 in Stralsund
war mit erheblichen Einschränkungen der Grundrechte verbunden. So wurde
den Einwohnerinnen und Einwohnern der Altstadt Stralsunds verboten, am
Tage des Besuchs ab 9.30 Uhr die Fenster zu öffnen. Außerdem wurden sie in
ihrer Freiheit behindert, das Haus zu verlassen. So heißt es in einer Information
der Polizei Mecklenburg-Vorpommern: „Wenn Sie sich entschieden haben am
Besuchstag in Ihrer Wohnung zu verbleiben, bedeutet dies, dass sie die Woh-
nung nicht zu jeder Zeit verlassen dürfen. Die Fenster müssen verschlossen
bleiben.“

Behördlich vorgegeben wurde aber nicht nur, wer wann in der Wohnung zu
bleiben bzw. diese zu verlassen hatte, vorgeschrieben wurden nicht nur die
Fensteröffnungs- bzw. Schließzeiten. Noch nicht einmal in den Höfen durften
sich die Menschen aufhalten, selbst dann, wenn die Höfe keine Sicht auf den
Alten Markt erlauben. Nahezu sämtlichen Bürgerinnen und Bürgern wurde
untersagt, die Altstadt zu betreten. Ausdrücklich erklärte die Polizei auf die
Frage, ob privater Besuch erlaubt sei: „Spontanbesuch nein“. Darüber hinaus
kündigte die Polizei an, sämtliche Garagen zu inspizieren.

Ebenso wurde der Zugang zur Berufsschule und den Geschäften rigiden Be-
schränkungen unterworfen.

Diese Regelungen stellen gravierende Eingriffe in die Grundrechte der Bürge-
rinnen und Bürger dar. Betroffen sind vor allem die Grundrechte auf Unverletz-
lichkeit der Wohnung, Freizügigkeit, Bildung, freie Wahl des Arbeitsplatzes
und die Versammlungsfreiheit.

Beim Besuch des US-Präsidenten George W. Bush kamen auch Bundeswehr-
soldaten zum Einsatz. Einem Redakteur des „Neues Deutschland“ verweigerte
der zuständige Bundeswehrsprecher jedoch nähere Angaben hierzu (Neues
Deutschland vom 12. Juli 2006).

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Hält es die Bundesregierung für angemessen, dass die Bürgerinnen und Bür-
ger Stralsunds die Einschränkung bzw. Außerkraftsetzung der Grundrechte

auf Unverletzlichkeit der Wohnung, Freizügigkeit und freie Wahl des
Arbeitsplatzes hinnehmen mussten, nur damit das Treffen zwischen der
Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel und dem US-Präsidenten George W.
Bush möglichst unbeeinträchtigt vom öffentlichen Leben bleiben konnte,
und warum hat das Treffen nicht an einem Ort stattgefunden, an dem erheb-
lich geringere Auswirkungen auf die Grundrechtssituation zu erwarten ge-
wesen wären?

Drucksache 16/2311 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
2. Auf welcher Rechtsgrundlage erfolgten die in der Vorbemerkung genann-
ten Einschränkungen?

3. Warum war es den Anwohnerinnen und Anwohnern des Alten Marktes
nicht gestattet, Webcams auf die Fensterbänke zu stellen?

4. Welchen Einfluss hat die Bundesregierung auf die Behörden des Landes
Mecklenburg-Vorpommern und der Stadt Stralsund ausgeübt, um die vor-
genannten Einschränkungen aufzuerlegen?

a) Welche sicherheitsrelevanten Behörden des Bundes, des Landes und der
Stadt waren an der Erstellung des Sicherheitskonzepts beteiligt?

b) Welche Gefahrenanalysen und Einsatzszenarien wurden dabei erstellt?

5. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung darüber, wie vielen Perso-
nen die Berechtigung zum Betreten der „roten Zone“ trotz Antrags verwei-
gert wurde, und aus welchen Gründen erfolgte die Ablehnung?

a) Wie vielen Schülerinnen und Schülern der Berufsschule wurde der Zu-
gang zur Berufsschule verwehrt?

b) Wie vielen Eigentümern oder Angestellten der anliegenden Geschäfte
wurde der Zugang verwehrt?

6. Hat sich die Bundesregierung nach der Höhe des Verdienstausfalls erkun-
digt, den Gewerbetreibende aufgrund der zwangsweisen Schließung bzw.
des Aussperrens von Kundschaft zu beklagen hatten, wenn nein, warum
nicht, wenn ja, welche Kenntnisse hat sie dabei erlangt und welche Konse-
quenzen zieht sie daraus?

7. Wie viele Bundeswehrsoldaten waren anlässlich des Besuchs des US-Prä-
sidenten George W. Bush im Einsatz?

8. Auf welcher Rechtsgrundlage und auf wessen Ersuchen bzw. Anordnung
erfolgte der Einsatz der Bundeswehr?

9. Mit welchen Aufgaben waren die Bundeswehrsoldaten im Einzelnen be-
traut (bitte detailliert nach Zeitpunkt, Ort, Anzahl und Aufgabe darlegen),
und mit welchen Waffen waren die Soldaten ausgestattet bzw. welche Waf-
fen und Waffensysteme wurden in Reserve gehalten?

10. Wurden Winkelemente mit Nationalflaggen an die Soldaten verteilt, um
den Effekt einer breiten Zustimmung zum Besuch des US-Präsidenten
George W. Bush zu erzeugen?

11. Falls solche Winkelemente verteilt worden sind, handelt es sich dabei nach
Ansicht der Bundesregierung um eine politische Meinungsbekundung, und
wieso wurde zugelassen, dass die Soldaten dabei in Uniform antreten, ob-
wohl dies nach dem Versammlungsgesetz unzulässig ist?

12. Warum hat der in „Neues Deutschland“ vom 12. Juli 2006 erwähnte Spre-
cher der Bundeswehr sich geweigert, nähere Angaben darüber zu machen,
„wer die Truppen angefordert hat, wer wen wo unterbringt und verpflegt,
welche Einheit wie viel Polizisten transportiert“, und wie verträgt sich das
aus Sicht der Bundesregierung mit der Verpflichtung der Behörden, mit der
Presse zu kooperieren?

13. Trifft es zu, dass Bundeswehrsoldaten Nato-Draht ausgerollt haben, ob-
wohl dies auch die Polizei hätte machen können, und wenn ja, warum
wurde diese Aufgabe von der Bundeswehr übernommen?

14. Inwiefern hat die Bundesregierung Alternativen zum Einsatz der Bundeswehr
geprüft, insbesondere um den Effekt des Lohndumpings auszuschließen?

Berlin, den 19. Juli 2006

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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