BT-Drucksache 16/2177

Evaluation zu den Auswirkungen des Terrorismusbekämpfungsgesetzes und seine Novellierung

Vom 30. Juni 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/2177
16. Wahlperiode 30. 06. 2006

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Petra Pau, Jan Korte und der Fraktion DIE LINKE.

Evaluation zu den Auswirkungen des Terrorismusbekämpfungsgesetzes
und seine Novellierung

Mehrfach hat der Bundesminister des Innern Dr. Wofgang Schäuble abgekün-
digt, noch in diesem Jahr eine Novellierung des Terrorismusbekämpfungsgeset-
zes auf den Weg bringen zu wollen. Dem Innenausschuss des Deutschen Bundes-
tages liegt ein „Bericht der Bundesregierung zu den Auswirkungen der nach
Artikel 22 Abs. 2 des Terrorismusbekämpfungsgesetzes befristeten Änderungen
des Bundesverfassungsschutzgesetzes, des MAD-Gesetzes, des BND-Gesetzes,
des Artikel 10-Gesetzes, des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes und des § 7 Abs. 2
des BKA-Gesetzes“ (Ausschussdrucksache 15(4)218) vor. Der Bericht stellt die
Anwendung und die Auswirkungen der genannten Gesetzesteile für den Zeit-
raum 2002 bis 2004 dar. Er konnte allerdings noch nicht beraten werden. Weiter
liegen Berichte des Parlamentarischen Kontrollgremiums des Deutschen Bun-
destages zur gleichen Thematik vor (Bundestagsdrucksachen 15/981, Mai 2003
und 15/3391, Juni 2004), die jedoch lediglich darstellen, dass entsprechende
Maßnahmen angewendet wurden, sie nehmen keinerlei Wertung vor.

Die Bundesregierung schlägt in dem o. g. Bericht verschiedene Maßnahmen vor.
Bei fast allen neuen nachrichtendienstlichen Befugnissen und Zuständigkeiten
sollen die Befristungen aufgehoben werden, einzelne Befugnisse ausgeweitet
und Verfahrenssicherungen – d. h., datenschutzrechtliche und rechtsstaatliche
Schutzmechanismen für die Betroffenen – eingeschränkt werden. Verstörend
wirkt, dass dem Bericht keinerlei empirisches Material zugrunde liegt, das einen
Vergleich mit der Situation vor Geltung des Terrorismusbekämpfungsgesetzes
zuließe. Allerdings finden sich an einigen Stellen Hinweise, dass mittels neuer
Befugnisse bereits vorhandene Erkenntnisse gestützt wurden; zur Gewinnung
dieser Erkenntnisse selbst konnten die betreffenden Behörden also scheinbar auf
bereits vorhandene Instrumentarien zurückgreifen. An einzelnen Punkten ist das
Festhalten an den neuen Befugnissen gleich in mehrfacher Hinsicht fragwürdig.
So wurden so genannte IMSI-Catcher eingesetzt, um die Mobilfunkdaten von
Zielpersonen zu ermitteln. Der Einsatz von IMSI-Catchern ist mit einem hohen
technischen Aufwand verbunden und macht in diesem Falle die massenhafte Er-
fassung von Mobilfunkdaten unbeteiligter Dritter notwendig. Im Ergebnis wurde
in 16 von 19 Fällen des Einsatzes eines IMSI-Catchers durch das Bundesamt für
Verfassungsschutz festgestellt, dass die Zielperson kein Mobiltelefon besitzt.
Da der vorliegende Bericht nun schon eineinhalb Jahre alt ist und noch von der
Vorgängerregierung vorgelegt wurde, ist vielleicht in einigen Punkten eine ande-
re Wertung der Fakten des Berichts eingetreten. Auch hieraus ergibt sich Frage-
bedarf.

Drucksache 16/2177 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Behörden und Ministerien waren an der Erstellung des Berichts be-
teiligt?

2. Wird es neben der vom Bundesministerium des Innern verfassten Evaluie-
rung noch eine unabhängige wissenschaftliche (juristische, kriminologische,
datenschutzrechtliche, bürgerrechtliche) Begutachtung der befristeten Rege-
lungen des Terrorismusbekämpfungsgesetzes geben, und wenn nein, warum
nicht?

3. Welche Kriterien gelten allgemein als hinreichend, um zur Beobachtung ei-
ner Organisation wegen „völkerverständigungswidriger Bestrebungen“ zu
führen, angesichts des Umstandes, dass die Grenzen dieses Begriffs umstrit-
ten sind (vgl. Grundgesetz Kommentar, Hg. M. Sachs, München 2003)?

4. Wie verhält sich die Bundesregierung insbesondere zur Schlussfolgerung des
Berichts im Bereich „Löschung von Daten“, eine gesetzlich festgesetzte Frist
zur Prüfung, ob Datensätze gelöscht oder weitergeführt werden sollen, abzu-
schaffen und stattdessen lediglich auf administrativem Wege bei Einrichtung
der Datei eine Prüffrist zu bestimmen?

5. Welche Gründe genau liegen der Forderung im Bericht zugrunde, bei Aus-
kunftseinholung von Fluggesellschaften und Banken die Mitteilungspflicht
an die Betroffenen abzuschaffen bzw. stark zu beschränken (s. S. 27 des Be-
richts)?

6. Teilt die Bundesregierung die Befürchtung, bei einer sukzessiven Beschrän-
kung der Verfahrenssicherungen (Auskunftsregelungen, Löschung, Kenn-
zeichnung, Übermittlungseinschränkung) könnte es zu einer Senkung der
Hemmschwelle kommen, in die Grundrechte von Betroffenen einzugreifen,
weil Sammlung und Speicherung von Daten dann mit weniger Verwaltungs-
aufwand verbunden sind, wenn nein, warum nicht?

7. Welche Einschätzung hat die Bundesregierung zur Verhältnismäßigkeit des
Einsatzes von IMSI-Catchern, bei denen u. U. massenhaft Daten von Unbe-
teiligten zumindest kurzzeitig registriert und gespeichert werden?

8. Welche Erkenntnisse bzw. tatsächlichen Anhaltspunkte zur Realitätsnähe der
im Bericht entwickelten Szenarien, die eine Verlängerung der Regellö-
schungsfrist beim Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) von zehn auf 15
Jahre begründen sollen, liegen der Bundesregierung vor?

9. a) Wie begründet die Bundesregierung, dass im Berichtsteil zur Datenüber-
mittlung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) an das
BfV schon die Steigerung der Zahl der Übermittlungen an sich als „Er-
folg“ gewertet wird?

b) Welche qualitativen Untersuchungen gibt es seitens des BAMF, wie sich
die neue Funktion der Einzelentscheider, Asylantragsteller bei Vorliegen
„tatsächlicher Anhaltspunkte für extremistische Bestrebungen“ dem BfV
zu melden, auf ihre gesamte Tätigkeit auswirkt, und wie schätzt die Bun-
desregierung diese Auswirkung ein?

c) Bleiben die Daten auch dann beim BfV gespeichert, wenn betroffene Per-
sonen ausgereist sind oder abgeschoben wurden, und wenn ja, wie lange
bleiben die Daten in der Regel gespeichert?

d) Welche Fälle aus der Bundesrepublik Deutschland und anderen Staaten
sind der Bundesregierung bekannt, in denen anerkannte Asylbewerber
bzw. Flüchtlinge sich an terroristischen Aktionen beteiligt haben, und
wenn ja, an welchen?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/2177

e) Wenn keine oder wenige solcher Fälle aus Deutschland bekannt sind,
inwiefern hält die Bundesregierung angesichts dessen den mit der Daten-
übermittlung verbundenen Eingriff in die informationelle Selbstbestim-
mung und den zusätzlichen Verwaltungsaufwand für die Mitarbeiterin-
nen und Mitarbeiter des BAMF für gerechtfertigt?

10. a) Was ist unter „sicherheitsrelevanten Informationen“ zu verstehen, die bei
„einfachen“ Sicherheitsüberprüfungen gewonnen werden, aber nicht zur
Feststellung eines Sicherheitsrisikos führen, und wie wird mit diesen In-
formationen verfahren?

b) Werden die Personen, zu denen „sicherheitsrelevante Informationen“ an-
fallen, zu Beobachtungsobjekten des BfV oder anderer Behörden, und
wenn ja, welcher Behörden und mit welchen Mitteln findet eine solche
Beobachtung ggf. statt?

Berlin, den 28. Juni 2006

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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