BT-Drucksache 16/2173

Einschätzung rechter und rechtsextremer Gewalt im Verfassungsschutzbericht 2005

Vom 6. Juli 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/2173
16. Wahlperiode 06. 07. 2006

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Petra Pau, Jan Korte und der Fraktion DIE LINKE.

Einschätzung rechter und rechtsextremer Gewalt im Verfassungs-
schutzbericht 2005

Der Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz und die Rede, die der Bun-
desminister des Innern, Dr. Wolfgang Schäuble, anlässlich der Vorstellung des
Berichts am 22. Mai 2006 hielt, erwecken in vielfacher Hinsicht Nachfrage-
bedarf. Dies betrifft unter anderem die Einschätzung der politisch motivierten
Kriminalität. Im Bericht selbst heißt es auf Seite 21, eine „differenzierte Darstel-
lung“ ermögliche „eine konkret bedarfsorientierte Auswertung der Daten und
bildet damit die Grundlage für den zielgerichteten Einsatz geeigneter repressiver
und präventiver Bekämpfungsmaßnahmen.“ Dem selbst gesetzten Anspruch auf
Differenzierung wird der Bericht aber nicht gerecht.

Dies gilt vor allem für die vom Bericht beschriebene Beziehung zwischen sog.
linker und rechter Gewalt. Sowohl der Bericht als auch die Rede des Bundes-
ministers des Innern legen nahe, dass neofaschistische Gewalttaten durch Ge-
walttaten von sog. Linksextremisten ausgelöst würden. So heißt es im Bericht
auf Seite 55: „Häufig geben Aktionen der linksextremistischen Szene den
Impuls zur Gewalt. So forderte ein Nutzer eines rechtsextremistischen Internet-
forums in persönlichen mails dazu auf, sich offensiv auf gewaltsame Auseinan-
dersetzungen mit politischen Gegnern, der Polizei und allen, die dem deutschen
Volk Schaden zufügten, einzustellen.“

Praktische Relevanz entfaltet eine solche Sicht der Dinge vor allem dann,
wenn sich antifaschistische Bürgerinnen und Bürger Nazi-Demonstrationen
entgegenstellen und dabei erleben müssen, dass die Polizei diese Demonstrati-
onen oft in einer Art und Weise durchsetzt, die von den Bürgerinnen und Bür-
gern als unverhältnismäßig empfunden wird. Wenn der Bundesinnenminister
des Innern zu diesem Komplex äußert: „Eine Ursache für die Zunahme an
Gewalttaten könnte die gestiegene Zahl von Auseinandersetzungen mit links-
extremistischen Gegendemonstranten [sein…]“, dann erweckt er den Eindruck
einer Kausalkette, die er nicht belegt. Zugleich wird antifaschistisches Enga-
gement diskreditiert.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie bewertet die Bundesregierung die Aussage des Bundesministers des
Innern, die Zahl der links motivierten Gewalttaten übertreffe „auch in abso-
luten Zahlen die politisch rechts motivierten Gewalttaten“ angesichts der Tat-
sache, dass der Bericht ein Verhältnis von 958 sog. rechten Gewalttaten (von
15 361 Straftaten insgesamt) zu 896 linken Gewalttaten ausweist (von 2 305
Straftaten insgesamt)?

Drucksache 16/2173 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

2. Wie bewertet die Bundesregierung die Darstellung des Berichts, häufig gebe
„die linksextremistische Szene den Impuls zur Gewalt“ angesichts der Anga-
ben im gleichen Bericht, dass die Schwerpunkte im Bereich der sog. politisch
motivierten Kriminalität – links gerade nicht in den Ländern mit höchsten
Anteilen der sog. politisch motivierten Kriminalität – rechts liegen?

3. Welche Bedeutung für die differenzierte Analyse rechtsextremer fremden-
feindlicher und antisemitischer Gewalt hat die Aussage bei besagter Rede des
Bundesministers des Innern, die Gewalttaten würden meist „unter Alkohol-
einfluss“ begangen?

4. Fürchtet die Bundesregierung eine Relativierung oder Bagatellisierung von
rechten Gewalttaten durch den Hinweis auf den alkoholisierten Zustand der
Täter?

a) Ist die Bundesregierung der Ansicht, der Blutalkoholgehalt der Täter sei
ursächlich für die begangenen Gewalttaten, und wenn nein, wie bewertet
sie dann die zitierte Aussage des Bundesministers des Innern?

b) Ist der Bundesregierung bekannt, ob das Bundesamt für Verfassungs-
schutz eine differenzierte, kriminalsoziologisch und -psychologisch ge-
stützte Analyse über den Zusammenhang von Alkoholkonsum und
Bereitschaft zu rechtsextremen Gewalttaten vornimmt oder seinem Be-
richt zu Grunde legt, und wenn ja, um welche Analysen handelt es sich
dabei?

c) Ist die Bundesregierung der Ansicht, ein Rechtsextremist, der in alkoholi-
siertem Zustand eine rechtsextreme Gewalttat begeht, sei eine geringere
Gefahr als ein nüchtern handelnder Rechtsextremist?

d) Wie bewertet die Bundesregierung den Zusammenhang von rechten Ge-
walttaten und Alkholkonsum vor dem historischen Hintergrund der SA-
Kneipen, von denen aus in der Weimarer Republik regelmäßig Gewalt-
taten und Überfälle von SA-Trupps auf Juden, Homosexuelle, politische
Gegner usw. ausgingen, auch in Hinsicht auf heutige Zusammenkünfte
von Rechtsextremisten?

5. Wie beurteilt die Bundesregierung die Anzahl und Bedeutung von Propa-
gandadelikten mit rechtsextremem Hintergrund im Zusammenhang mit der
gezielten Rekrutierung von jugendlichem Nachwuchs durch die extreme
Rechte?

6. Welche Zielrichtung (im Hinblick auf Opfer oder Geschädigte) hatten die ge-
nannten 191 Straftaten, bei denen die Tatumstände auf einen extremistischen
Hintergrund hindeuten, die allerdings ohne Zuordnung zu einem Phänomen-
bereich gemeldet wurden?

7. Soll an der Kategorie „politisch motivierte Ausländerkriminalität“ festgehal-
ten werden, auch wenn eine jeweilige Zuordnung zu den Phänomenbereichen
„links-“ bzw. „rechtsextremistische Bestrebungen“ und einem Bereich „reli-
giös-politischer Extremismus“ möglich und nahe liegend wäre, und wie be-
gründet die Bundesregierung ihre Meinung?

8. Rechnet die Bundesregierung angesichts der Tatsache, dass zwei Urteile
gegen Rechtsextremisten wegen Gründung einer terroristischen Vereinigung
ergingen, „Sicherheitsbehörden wiederholt Waffen und Sprengstoff“ (S. 47)
beschlagnahmten, sich Rechtsextremisten „vielfach fasziniert von Waffen
und Sprengstoff“ zeigen (S. 54) und „Paramilitärische Wehrsportübungen
[…] für einen Teil der Szene zur politischen Arbeit [gehören]“ (S. 65) für die
nächsten Jahre mit einer weiteren Zunahme rechts motivierter Gewalt, und
wie begründet sie ihre Meinung?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/2173

9. Welche weiteren Maßnahmen neben den bereits bestehenden zur präventiven
und repressiven Bekämpfung rechts und rechtsextremistisch motivierter Ge-
walt sind geplant, auch im Hinblick auf die Erstellung des Haushaltsentwurfs
2007?

Berlin, den 28. Juni 2006

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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