BT-Drucksache 16/2171

Überwachung des Bundesausschusses Friedensratschlag und möglicherweise anderer antimilitaristischer Organisationen durch das Bundesamt für Verfassungsschutz

Vom 30. Juni 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/2171
16. Wahlperiode 30. 06. 2006

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Kersten Naumann und der Fraktion
DIE LINKE.

Überwachung des Bundesausschusses Friedensratschlag und möglicherweise
anderer antimilitaristischer Organisationen durch das Bundesamt für
Verfassungsschutz

Im Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2005 ist unter der Rubrik „Links-
extremistische Bestrebungen und Verdachtsfälle“ unter anderem der Bundes-
ausschuss Friedensratschlag aufgeführt. Es heißt darin, dieser sei linksextre-
mistisch beeinflusst und verfolge eine „leninistische Kriegsursachenanalyse“.
Im Versuch, dies zu belegen, wird aus der Erklärung des Bundesausschusses
Friedensratschlag, der am 2. Dezember 2005 in Kassel tagte, folgender Satz
zitiert:

„Der ausgeweitete ‚Anti-Terrorkampf‘ ist selbst Terror und steigert die Spirale
der Gewalt. Innenpolitisch wird dieser Kampf zunehmend in den Dienst des
Abbaus demokratischer Grundrechte gestellt.“

Nach Ansicht der Fragesteller sind solche Äußerungen vom Grundrecht auf freie
Meinungsäußerung gedeckt. Die Sorge, dass aktuelle Entwicklungen, die als
„Kampf gegen Terror“ deklariert werden, zu Lasten der Grund- und Freiheits-
rechte gehen, wird von zahlreichen Menschen geteilt und auch in den Medien
immer wieder aufgegriffen. So hat der Vizepräsident des Bundesverfassungsge-
richts in seiner Rede auf dem Strafverteidigertag in Frankfurt am Main ausge-
führt (Frankfurter Rundschau vom 27. März 2006), der aktuelle kriminalpoliti-
sche Diskurs neige dazu, „im Spannungsverhältnis von Freiheit und Sicherheit
die Sicherheit stark zu machen […] die Grundrechte zu verschatten“. Er warnte
vor Szenarien, die „Freiheitsrechten keine Chance“ ließen. „Freiheitsrechte und
strafrechtliche Traditionen schonender Eingriffe werden in Bedrohungsszena-
rien zerrieben.“

Die Fragesteller haben den Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichts bis-
lang nicht dem linksextremistischen Spektrum zugeordnet.

Inwiefern die Aktivitäten des Bundesausschusses Friedensratschlag geeignet
sein sollten, die Verfassung auszuhöhlen, entzieht sich der Kenntnis der Frage-
steller. Der Friedensratschlag ruft zu Protestaktionen gegen Kriege und Bundes-

wehreinsätze im Ausland auf, beteiligt sich an den Ostermärschen, organisiert
Unterschriftensammlungen und trifft sich regelmäßig zu Sitzungen und Aktions-
konferenzen. Die Fragesteller halten dies nicht für eine Gefährdung, sondern für
eine Wahrnehmung der Verfassung.

Wie berechtigt die Warnung vor Grundrechtsabbau im Namen des Anti-Terror-
Kampfes ist, zeigen unter anderem die Berichte über Geheimgefängnisse in Ost-

Drucksache 16/2171 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

europa und die Entführung einer bislang unbekannten Anzahl von Menschen
durch die CIA. Aber auch die Bundesregierung selbst hat mehrere Gesetze ver-
abschiedet, die dem Anti-Terror-Kampf dienen sollten, tatsächlich aber verfas-
sungswidrige Eingriffe in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger darstell-
ten. Deutlich wurde dies zuletzt am Beispiel des Luftsicherheitsgesetzes und der
Rasterfahndung.

Für die Analyse, dass der militärisch geführte Anti-Terror-Kampf selbst Terror
sei und die Spirale der Gewalt steigere, liefert der Irak-Krieg immer wieder
neue, grausame Belege, etwa in Form von völkerrechtswidrigen Massakern,
welche die Besatzungstruppen dort begehen, aber auch Hunderten von Anschlä-
gen, die verübt werden. Auch im Rahmen des ISAF- bzw. OEF-Einsatzes in
Afghanistan kommt es immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen durch
Besatzungstruppen, wobei aufgrund der Geheimhaltung der Einsätze des Kom-
mandos Spezialkräfte nicht gesagt werden kann, ob bzw. inwiefern deutsche
Einheiten an diesen Menschenrechtsverletzungen beteiligt sind.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie begründet die Bundesregierung die Analyse, die beiden vom Verfas-
sungsschutz aufgegriffenen und in der Vorbemerkung zitierten Sätze aus der
Erklärung des Bundesausschusses Friedensratschlag belegten eine links-
extremistische bzw. verfassungsgefährdende Ausrichtung des Friedensrat-
schlags?

2. Ist der Bundesregierung bekannt, dass entsprechende Warnungen nicht nur
der Bundesausschuss Friedensratschlag, sondern auch der Vizepräsident des
Bundesverfassungsgerichts sowie eine Vielzahl weiterer Bürgerinnen und
Bürger aussprechen, und stehen alle diese unter Beobachtung des Verfas-
sungsschutzes?

3. Ist der Bundesregierung bekannt, dass zahlreiche Menschen in der Bundesre-
publik wie auch wissenschaftliche Institutionen, wie zuletzt im Friedensgut-
achten mehrerer Friedensforschungsinstitute und -stiftungen dokumentiert,
die Auffassung teilen, der Anti-Terror-Kampf steigere die Spirale der Gewalt,
und wenn ja, hält sie all diese Menschen für linksextremistisch oder teilt sie
die Auffassung der Fragesteller, es handele sich um legitime Meinungen, die
verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sind, und wie begründet sie ihre
Auffassung?

4. Hält die Bundesregierung den Protest gegen Auslandseinsätze der Bundes-
wehr für verfassungswidrig oder linksextremistisch oder schließt sie sich der
Auffassung der Fragesteller an, es handele sich um legitime Meinungen, die
(verfassungs-)rechtlich nicht zu beanstanden sind, und wie begründet sie ihre
Auffassung?

5. Gehen von den Aktivitäten des Bundesausschusses Friedensratschlag nach
Ansicht der Bundesregierung Gefahren für den Bestand der freiheitlich-de-
mokratischen Grundordnung aus, und wenn ja, wie begründet die Bundes-
regierung ihre Ansicht?

6. In welcher Form und mit welchen Methoden werden der Bundesausschuss
Friedensratschlag sowie darin engagierte Personen beobachtet?

7. Stehen weitere Organisationen der Friedensbewegung oder von ihnen unter-
nommene Aktivitäten unter Beobachtung des Verfassungsschutzes, und
wenn ja, welche und warum?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/2171

8. Was versteht die Bundesregierung unter einer „leninistischen Kriegsursa-
chenanalyse“?

a) Was sind die wesentlichen Aussagen der leninistischen Kriegsursachen-
analyse?

b) Wie bewertet die Bundesregierung die Erklärungsmächtigkeit der leninis-
tischen Kriegsursachenanalyse in Vergangenheit und Gegenwart?

Berlin, den 28. Juni 2006

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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