BT-Drucksache 16/2053

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktionen der CDU/CSU und SPD -16/813, 16/2010 - Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 22, 23, 33, 52, 72, 73, 74, 74a, 75, 84, 85, 87c, 91a, 91b, 93, 98, 104a, 104b, 105, 107, 109, 125a, 125b, 125c, 143c)

Vom 28. Juni 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/2053
16. Wahlperiode 28. 06. 2006

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Ernst Burgbacher, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger,
Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktionen der CDU/CSU und SPD
– Drucksachen 16/813, 16/2010, 16/2069 –

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes
(Artikel 22, 23, 33, 52, 72, 73, 74, 74a, 75, 84, 85, 87c, 91a, 91b, 93, 98, 104a, 104b,
105, 107, 109, 125a, 125b, 125c, 143c)

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. a) Der föderale Bundesstaat Bundesrepublik Deutschland bedarf der grund-
legenden Reform. Eine Föderalismusreform ist seit Jahren das wichtigste
und umfassendste Projekt zur Umgestaltung unserer Verfassungsstruktu-
ren, damit sie einerseits den Anforderungen an die Handlungsfähigkeit
der Bundesregierung in der Europäischen Union gerecht werden und an-
dererseits den Grundsätzen der Subsidiarität, Effizienz und Transparenz
bei der Kompetenzverteilung besser Rechnung tragen. Die geltenden Ver-
fassungsbestimmungen haben zu einem Anstieg der Zustimmungsbedürf-
tigkeit von Bundesgesetzen durch den Bundesrat geführt, die Verantwort-
lichkeit für gesetzliche Bestimmungen und ihre Ausführung vermischt
und Politik für den Bürger zunehmend unverständlich und schwer nach-
vollziehbar erscheinen lassen.

b) Die von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD vorgelegten Gesetzent-
würfe zur Änderung des Grundgesetzes enthalten einige richtige Ansätze
zur Modernisierung der föderalen Ordnung der Bundesrepublik Deutsch-
land. In einigen Bereichen ist die Weichenstellung falsch und bedarf der
Korrektur. Einige wichtige Elemente einer Föderalismusreform fehlen
wie die Neuordnung der Finanzbeziehungen und die Neugliederung des
Bundesgebietes.

c) Der Deutsche Bundestag hatte nach einer umfassenden Anhörung nicht

ausreichend Zeit, sich insgesamt mit der Föderalismusreform und dem
Begleitgesetz zu befassen. Beratungen fanden überwiegend außerhalb der
parlamentarischen Gremien und ohne Beteiligung von Vertretern der
Oppositionsfraktionen statt. Dies entspricht nicht der Bedeutung einer
umfassenden Verfassungsreform, die die Weichen für die nächsten Jahr-
zehnte stellen soll. Der Deutsche Bundestag hält Korrekturen an den

Drucksache 16/2053 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

vorgelegten Gesetzentwürfen der CDU/CSU und SPD für dringend not-
wendig, damit die Reform auch gelingen kann.

d) Der Deutsche Bundestag begrüßt, dass die Rahmengesetzgebung im
Grundgesetz abgeschafft werden soll. Er hält die Änderung des Artikels 84
des Grundgesetzes (GG) für richtig, um die Zustimmungsbedürftigkeit
von Bundesgesetzen durch den Bundesrat deutlich zurückzuführen, und
unterstützt auch die Einführung einer allgemeinen Haftungsregelung zwi-
schen Bund und Ländern bei Verletzung supranationaler Verpflichtungen
durch Ergänzungen des Artikels 104a GG. Die erstmalige Einführung
eines nationalen Stabilitätspakts zur Erfüllung von Verpflichtungen der
Bundesrepublik Deutschland aus Entscheidungen der Europäischen Ge-
meinschaft durch Ergänzung von Artikel 109 Abs. 5 GG trägt der Stel-
lung der Bundesrepublik Deutschland in der Europäischen Union als
föderaler Bundesstaat endlich Rechnung. Auch die Bestimmung des
Steuersatzes bei der Grunderwerbssteuer durch die Länder in Artikel 105
Abs. 2a Satz 2 GG ist richtig, auch wenn es sich nur um einen kleinen
Baustein einer Neuordnung der Finanzverfassung des Grundgesetzes
handelt.

e) Diesen positiven Veränderungen stehen deutliche Nachteile gegenüber.
Anstelle der bisherigen Rahmengesetzgebung wird eine konkurrierende
Gesetzgebungskompetenz mit komplizierten Abweichungsrechten der
Länder und Rückholrechten des Bundes (so genannte Ping-Pong-Gesetz-
gebung) eingeführt. Dadurch gibt es nicht mehr Entflechtung, sondern
mehr Unübersichtlichkeit. Hinzu kommt eine Sechsmonatsklausel für das
Inkrafttreten von Bundesgesetzen in diesem Bereich. Das entwertet jeg-
liches Bundesgesetz, schwächt den Deutschen Bundestag und führt zu
Rechtsunsicherheit. Diese Ausgestaltung der Abweichungsgesetzgebungs-
kompetenz, die besonders die Bereiche Umwelt, Raumordnung und
Hochschule betrifft, führt zur Rechtsunsicherheit, unübersichtlichen Rah-
menbedingungen und damit zur Verunsicherung von Investoren.

f) Die Europatauglichkeit des Grundgesetzes wird nicht ausreichend her-
gestellt. Der in den 90er Jahren eingeführte Artikel 23 Abs. 6 GG hat sich
als nicht sehr europatauglich erwiesen und schwächt die Wahrnehmung
der Interessen der Bundesrepublik Deutschland in den Gremien der Euro-
päischen Union. Aus diesen Erfahrungen muss die Konsequenz gezogen
werden, diese Bestimmung des Grundgesetzes aufzuheben und nicht, wie
im Gesetzentwurf vorgesehen, etwas einzuschränken. Das alleinige Ver-
tretungsrecht der Länder in der Europäischen Union auf den Gebieten
Kultur, schulische Bildung und Rundfunk ist keine Verbesserung der der-
zeitigen Rechtslage und tatsächlichen Situation. Die meisten Experten
waren in der Anhörung der Auffassung, dass die Bundesrepublik
Deutschland in der Europäischen Union ihre Interessen am besten wahr-
nehmen kann, wenn dies kontinuierlich mit einer Stimme für die ganze
Bundesrepublik Deutschland erfolgt und nicht ständige Rotation unter
den Ländervertretungen eine kontinuierliche Wahrnehmung der Interes-
sen der Bundesrepublik Deutschland stark erschwert.

g) In einigen Bereichen wird zu Recht die Gesetzgebungskompetenz auf die
Länder übertragen. Für den Strafvollzug und das öffentliche Dienstrecht
hält der Deutsche Bundestag dies für falsch. Mehr als 100 Jahre musste
Deutschland nach seinem Strafgesetzbuch und der Strafprozessordnung
auf ein einheitliches Strafvollzugsgesetz warten, das 1976 mit den Stim-
men aller Parteien nach jahrzehntelanger Diskussion verabschiedet
wurde. Diese Rechtseinheit innerhalb Deutschlands, aber auch die syste-

matische sachlich gebotene Einheit von materiellem Recht, Verfahrens-
und Vollzugsrecht soll nun aufgelöst werden. Für die Verwirklichung des

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/2053

Vollzugsziels der Resozialisierung und damit des Rückfallrisikos ist eine
bundeseinheitliche Durchsetzung wichtig.

h) Der Deutsche Bundestag hält auch die Verlagerung der Gesetzgebungs-
kompetenz in den Bereichen von Besoldung, Versorgung und Laufbahn-
wesen der Landes- und Gemeindebeamten auf die Länder für falsch und
plädiert für eine Beibehaltung des derzeitigen Rechtszustands. Das beste-
hende verfassungsrechtliche Kompetenzgefüge, insbesondere die mit der
Einführung der konkurrierenden Gesetzgebung in das Grundgesetz 1971
geschaffene Rechtseinheit zwischen Bund und Ländern im Bereich der
Besoldung und Versorgung der Beamten hat sich bewährt. Eine Re-
föderalisierung birgt die Gefahr eines erneuten Auseinanderfallens der
Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen mit negativen Folgen für die
Motivation und Leistungsbereitschaft des beamteten Personals und die
bundesweit einheitliche Gewährleistung der Erfüllung öffentlicher Auf-
gaben, insbesondere von Pflichtaufgaben. Eine solche Zersplitterung
liegt weder im Interesse des Bürgers noch des Zusammenhalts in der
Gesellschaft. Das Grundgesetz eröffnet Bund, Ländern und Gemeinden
schon heute erhebliche Gestaltungsmöglichkeiten bei den Arbeits- und
Bezahlungsbedingungen ihres beamteten Personals.

i) Der Deutsche Bundestag kritisiert die Verlagerung der Gesetzgebungs-
kompetenz für das Heimrecht auf die Länder. Der Bereich des Heim-
rechts bedarf aufgrund des Bezugs zu zahlreichen zivilrechtlichen Be-
stimmungen einer bundeseinheitlichen Regelung. Die Verlagerung auf
die Länder würde ein Mehr an Bürokratie mit sich bringen, da die Träger
von Einrichtungen in verschiedenen Bundesländern nach dem jeweiligen
Landesrecht zu verfahren hätten.

j) Der Deutsche Bundestag fordert als einen Schritt zur Konsolidierung der
Staatsfinanzen die Verankerung eines echten Konnexitätsprinzips im
Grundgesetz nach dem Prinzip: „wer bestellt, muss auch bezahlen“. Bund
und Länder dürfen die Gemeinden per Gesetz nur zu Ausgaben verpflich-
ten, wenn auch die entsprechende Finanzierung durch den Gesetzgeber
sichergestellt ist.

k) Der Deutsche Bundestag fordert, dass das Kooperationsverbot im Be-
reich Bildung und Hochschule stärker gelockert wird und die Koopera-
tion nicht von der Zustimmung aller Länder abhängig gemacht wird. Er
bekräftigt die Autonomie der Hochschulen. Der Deutsche Bundestag hält
die gegenseitige Anerkennung schulischer, akademischer und beruflicher
Abschlüsse für notwendig.

l) Der Deutsche Bundestag setzt sich auch für eine Korrektur der Abwei-
chungsgesetzgebung in den Bereichen Naturschutz und Wasserhaushalt
ein. Zumindest die für die im Rahmen eines Umweltgesetzbuches vorge-
sehene integrierte Vorhabensgenehmigung muss von einer Abweichungs-
möglichkeit der Länder ausgenommen werden.

m)Der Bund leistet einen wichtigen Beitrag zur Kulturförderung in
Deutschland. In vielen Bereichen trägt der Bund – unter Beachtung der
Kompetenzen der Länder und der Kommunen – Verantwortung. Die För-
derbereiche reichen von der Hauptstadtkulturförderung über die Kultur-
förderung in den neuen Ländern, die Gedenkstättenförderung, die Finan-
zierung von Kunstpreisen und Festsspielen bis hin zur Kulturstiftung des
Bundes. Die gemeinsame Kulturförderung hat sich bewährt. Der Deut-
sche Bundestag spricht sich dafür aus, dass die gemeinsame Kulturförde-
rung von Bund und Ländern erhalten bleibt.

Drucksache 16/2053 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

2. a) Die öffentlichen Haushalte stecken in einer tiefen Krise. Eine Föderalis-
musreform verdient den Namen nur, wenn auch eine Reform der Finanz-
verfassung erfolgt. Der Beschluss der Bundeskanzlerin und der Regie-
rungschefs der Länder „Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung 2“
geht über eine unverbindliche Absichtserklärung nicht hinaus, bei der
zudem weder Beratungsgegenstände, Beratungsabläufe noch die beab-
sichtigten Ergebnisse ausreichend konkretisiert sind.

b) In diesem Jahr können bis zu elf der 16 Länder ihre Haushalte nicht mehr
verfassungskonform abschließen. Der bis 2019 festgeschriebene Länder-
finanzausgleich dürfte hier keine Verbesserungen bringen. Die Reform
muss eine grundlegende Neuordnung der Finanzbeziehungen der Ge-
bietskörperschaften untereinander beinhalten und eine Umwandlung des
„kooperativen Föderalismus“ in einen modernen Wettbewerbsföderalis-
mus sowie Begrenzungen von Beistandsgarantien und der Verschuldung
einschließen.

c) Im Grundgesetz ist ein Neuverschuldungsverbot für alle Gebietskörper-
schaften zu verankern. Dieser Schritt ist notwendig, um eine zukünftige
Konsolidierung der Bundesfinanzen zu erreichen, nachdem sich die Lage
der öffentlichen Haushalte in Deutschland zunehmend verschlechtert.
Nur mit einem kontrollierbaren Stand der Staatsverschuldung bleiben zu-
künftige Generationen handlungsfähig. Ein Fortschritt ist die Einführung
eines „nationalen Stabilitätspakts“ für die Aufteilung von Verpflichtun-
gen aus EU-Rechtsakten zur Einhaltung der Haushaltsdisziplin zwischen
Bund und Ländern. Durch die Festschreibung des Neuverschuldungsver-
bots im Grundgesetz werden der Spardruck auf Bund, Länder und Ge-
meinden deutlich erhöht und die Haushaltsdisziplin nachhaltig verbessert.

d) Bis zur Durchsetzung des Neuverschuldungsverbots muss eine Haftungs-
beschränkung des Bundesstaats eingeführt werden. Die bundesstaatliche
Solidarität darf in Zukunft nur noch innerhalb bestimmter vereinbarter
Grenzen und für objektiv unvorhersehbare Notlagen gelten. Eine Vollver-
sicherung wird ausgeschlossen. Wer den Anspruch erhebt, ein eigenstän-
diges Bundesland zu sein, von dem kann erwartet werden, für seine
Haushaltswirtschaft selbst verantwortlich zu sein. Der „Föderalismus mit
beschränkter Haftung“ bietet entscheidende Vorteile: Es werden durch
den Wegfall der Vollversicherung Fehlanreize beseitigt, die die Länder
und den Bund in die Schuldenfalle getrieben haben. Die Haftungsbe-
schränkung schafft den Anreiz, Ausgaben sorgsamer zu überdenken und
seine Steuerhoheit auszuweiten. Der Kreditmarkt würde die Kreditfähig-
keit der Bundesländer und deren jeweilige Zinshöhe bestimmen. Durch
die unterschiedliche Bewertung der Kreditfähigkeit einzelner Bundes-
länder würden zusätzlicher Spardruck auf die Länder ausgeübt und der
Anreiz zu weiterer Verschuldung begrenzt.

e) Die Länder müssen eine weitgehende Steuerautonomie bekommen. Die
Gebietskörperschaft, der das Steueraufkommen zusteht, muss auch die
Gesetzgebungskompetenz über diese Steuern erhalten. Mehr Autonomie
muss ferner durch ein eigenes Zu- oder Abschlagsrecht auf die Einkom-
men- und Körperschaftsteuer geschaffen werden. Steuerwettbewerb führt
zu mehr Effizienz bei den öffentlichen Leistungen, zu Kostenersparnis
und Innovation.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/2053

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

eine wirkliche Föderalismusreform muss das Ziel der Entflechtung von Kom-
petenzen verfolgen, klare Verantwortlichkeit für Gesetzgebung regeln und zu
mehr Wettbewerb zwischen den Ländern führen, um unter Berücksichtigung
regionaler Unterschiede zu besten Ergebnissen für die Bürgerinnen und Bürger
zu gelangen. Diesem wird die vorgelegte Föderalismusreform nicht gerecht.

Der Deutsche Bundestag lehnt deshalb die von den Koalitionsfraktionen der
CDU/CSU und SPD eingebrachten Gesetzentwürfe ab und fordert eine Ver-
änderung der bisher vorgelegten Föderalismusreform unter den oben genannten
Kriterien.

Berlin, den 28. Juni 2006

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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