BT-Drucksache 16/1813

zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Reinhard Loske, Hans Josef Fell, Sylvia Kotting-Uhl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN -16/860- Nie wieder Tschernobyl - Zukunftssichere Energieversorgung ohne Atomkraft

Vom 14. Juni 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/1813
16. Wahlperiode 14. 06. 2006

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
(16. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Reinhard Loske, Hans Josef Fell, Sylvia
Kotting-Uhl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
– Drucksache 16/860 –

Nie wieder Tschernobyl – Zukunftssichere Energieversorgung ohne Atomkraft

A. Problem

Neben der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl sind weltweit zahlreiche Störfälle
bei Atomanlagen zu verzeichnen. Ihre Folgen können zu unkalkulierbaren Schä-
den für ganze Regionen führen. Mit dem Antrag soll die Bundesregierung ins-
besondere aufgefordert werden:

– die seit 1998 eingeleitete Modernisierung der Energiepolitik (Energiewende)
in Richtung einer nachhaltigen Energieversorgung fortzusetzen und durch
den Ausbau der erneuerbaren Energien, der Förderung der Energieeffizenz
und des Energiesparens zu forcieren,

– den im Jahr 2000 vereinbarten Ausstieg aus der Atomenergie ohne Ein-
schränkungen umzusetzen und

– einen Gesetzentwurf für die ergebnisoffene Suche eines Endlagers für Atom-
müll in Deutschland vorzulegen, der wissenschaftliche Kriterien bei der Aus-
wahl für den sichersten und nachvollziehbar am besten geeigneten Standort
zu Grunde legt.

B. Lösung

Ablehnung des Antrags mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU,
SPD und FDP gegen die Stimmen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
bei Stimmenthaltung der Fraktion DIE LINKE.
C. Alternativen

Keine

D. Kosten

Wurden nicht erörtert.

Drucksache 16/1813 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Beschlussempfehlung

Der Bundestag wolle beschließen,

den Antrag – Drucksache 16/860 – abzulehnen.

Berlin, den 23. Mai 2006

Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

Petra Bierwirth
Vorsitzende

Dr. Maria Flachsbarth
Berichterstatterin

Christoph Pries
Berichterstatter

Angelika Brunkhorst
Berichterstatterin

Eva Bulling-Schröter
Berichterstatterin

Sylvia Kotting-Uhl
Berichterstatterin

sicherheit hat den Antrag – Drucksache 16/860 – in seiner
westeuropäischer Technologie und den hier geltenden Sicher-
heitsstandards vergleichbar. Dies gelte auch für Kernkraft-
Sitzung am 17. Mai 2006 beraten.

Die Fraktion der CDU/CSU hat die Auffassung vertreten,
der Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN trage
der Situation in Tschernobyl und dem Leid der Opfer in keiner

werke in Russland und Litauen, wenngleich diese sicherheits-
technisch erheblich verbessert worden seien. Die Sicherheit
der Atomkraftwerke in Deutschland habe höchste Priorität.
Durch den von der alten Bundesregierung beschlossenen
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/1813

Bericht der Abgeordneten Dr. Maria Flachsbarth, Christoph Pries, Angelika
Brunkhorst, Eva Bulling-Schröter und Sylvia Kotting-Uhl

I.

Der Antrag – Drucksache 16/860 – wurde in der 32. Sitzung
des Deutschen Bundestages am 6. April 2006 zur federfüh-
renden Beratung an den Ausschuss für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit und zur Mitberatung an den Aus-
schuss für Wirtschaft und Technologie, den Ausschuss für
Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung sowie
an den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union überwiesen.

Der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfol-
genabschätzung und der Ausschuss für die Angelegenhei-
ten der Europäischen Union haben mit den Stimmen der
Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stim-
men der Fraktionen DIE LINKE. sowie BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN empfohlen, den Antrag abzulehnen. Der Aus-
schuss für Wirtschaft und Technologie hat mit den Stim-
men der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP gegen die
Stimmen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei
Stimmenthaltung der Fraktion DIE LINKE. empfohlen, den
Antrag abzulehnen.

II.

Mit dem Antrag soll die Bundesregierung insbesondere auf-
gefordert werden:

– die seit 1998 eingeleitete Modernisierung der Energie-
politik (Energiewende) in Richtung einer nachhaltigen
Energieversorgung fortzusetzen und durch den Ausbau
der erneuerbaren Energien, der Förderung der Energie-
effizenz und des Energiesparens zu forcieren,

– den im Jahr 2000 vereinbarten Ausstieg aus der Atom-
energie ohne Einschränkungen umzusetzen und

– einen Gesetzentwurf für die ergebnisoffene Suche eines
Endlagers für Atommüll in Deutschland vorzulegen, der
wissenschaftliche Kriterien bei der Auswahl für den si-
chersten und nachvollziehbar am besten geeigneten
Standort zu Grunde legt,

– direkte und indirekte Subventionstatbestände zur Be-
günstigung der Erzeugung von Atomstrom zu erfassen
und abzubauen und

– eine regelmäßige Überprüfung der Sicherheit von insbe-
sondere älteren AKW gegenüber terroristischen Angrif-
fen wie zum Beispiel Angriffe mit einem Passagierflug-
zeug vorzunehmen.

III.

Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-

grüne Positionen hinsichtlich der Nutzung der Kernenergie.
Dem erforderlichen Respekt gegenüber den Opfern werde
nicht Genüge getan. Die Hilfen für die Menschen in den ver-
strahlten Gebieten seien zu koordinieren und zu intensivieren.
Die Bundesregierung müsse sich international mit Nachdruck
für die Sanierung des Sarkophags einsetzen, der derzeit
wegen seiner Baufälligkeit eine akute Gefahr darstelle. Die
Sitzung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit am 5. April 2006 anlässlich des 20. Jahres-
tages der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl habe gezeigt,
dass es trotz unterschiedlicher Auffassung über die Zukunft
der Atomkraft möglich sei, angemessen und sachlich über die
Folgen des Unglücks, das sich nirgendwo auf der Welt wie-
derholen dürfe, zu diskutieren. Eingefordert werden müsse
eine weltweite unabhängige und rechtsstaatliche Aufsicht
aller Kernanlagen. Auch die Sicherheitsforschung sei zu
intensivieren. Darüber hinaus müsse der Ausbildungsstand
der mit kerntechnischen Aufgaben betrauten Berufsgruppen
höchsten Standards genügen. Jedenfalls sei es angesichts
bestehender Kernkraftwerke weltweit keine Lösung, auf
technischen Fortschritt zu verzichten. Der in Rede stehende
Antrag sei daher abzulehnen.

Die Fraktion der SPD erklärte, Kernenergie sei ihrer Auf-
fassung nach aus ökologischen, ökonomischen, sicherheits-
technischen und sicherheitspolitischen Erwägungen nicht
verantwortbar. Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD hätten
vereinbart, an der geltenden Gesetzeslage festzuhalten. Damit
werde der Situation Rechnung getragen, dass es derzeit
in Deutschland weder gesellschaftlich noch parlamentarisch
eine Mehrheit für die Nutzung der Atomenergie gebe. Auch
die FDP habe in ihrem Leitantrag zu ihrem Bundesparteitag
in Rostock die Atomenergie erstmals als Übergangtechnolo-
gie bezeichnet. Der Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN unterstelle Stillstand bei der Energiepolitik der
Bundesregierung. Auch wenn Abgeordnete Sylvia Kotting-
Uhl dies mündlich zurückgenommen habe, blieben die Pas-
sagen in dem in Rede stehenden Antrag unzutreffend. Mit dem
Energiegipfel am 3. April 2006 sei die Ausarbeitung einer
energiepolitischen Gesamtstrategie eingeleitet worden. Gera-
de dem Ausbau der erneuerbaren Energien und der Energie-
effizienz messe die Bundesregierung allergrößte Bedeutung
zu. Sie setze sich ferner national und international für die In-
tensivierung der Sicherheitsforschung ein. Eine Vermengung
der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl mit der Endlager-
frage in Deutschland – wie sie im Antrag erfolgt sei – sei nicht
sachgerecht. Der Antrag sei nach alledem abzulehnen.

Die Fraktion der FDP legte dar, auch sie lehne den Antrag
ab. Das Kernkraftwerk in Tschernobyl sei in keiner Weise mit
Weise Rechnung. Er beschreibe nur in wenigen Sätzen die
Katastrophe und wiederhole schwerpunktmäßig bekannte

Ausstieg aus der Kernkraft stehe man nun vor der Tatsache,
dass Experten wie Kernphysiker aus Deutschland abwander-

Kernenergie. Hinzu komme, dass gerade Atomkraftwerke fehlen, den Antrag – Drucksache 16/860 – abzulehnen.

Berlin, den 23. Mai 2006

Dr. Maria Flachsbarth
Berichterstatterin

Christoph Pries
Berichterstatter

Angelika Brunkhorst
Berichterstatterin

Eva Bulling-Schröter
Berichterstatterin

Sylvia Kotting-Uhl
Berichterstatterin
Drucksache 16/1813 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

ten. Fachkraftverluste seien nachteilig für die Konkurrenzfä-
higkeit der deutschen Wirtschaft und deren Chancen, auch
weiterhin kerntechnische Anlagen ins Ausland zu liefern. Die
kerntechnische Sicherheitsforschung sei weiter zu intensivie-
ren. Die Fraktion der FDP unterstütze darüber hinaus deut-
sche Forschungsprojekte sowie solche unter deutscher Betei-
ligung. Hervorzuheben sei in diesem Zusammenhang die
Fusionsforschung in Frankreich, aber auch ein angestrebtes
Projekt in Greifswald. Begrüßt werde, dass die Bundesregie-
rung ein Forschungszentrum in Karlsruhe eingerichtet habe.
Schließlich seien auch in der Endlagerfrage Fortschritte er-
forderlich. Gorleben müsse weiter erforscht werden. Das
Moratorium sei aufzuheben.

Die Fraktion DIE LINKE. vertrat die Ansicht, der in Rede
stehende Antrag enthalte detailliert alle zentralen Fragen der
Kernenergieproblematik. Insbesondere der Aspekt, wie lan-
ge die Ressourcen reichten, komme in der politischen Ausei-
nandersetzung häufig zu kurz. Die Auflistung aller bekannt
gewordenen Schadensfälle in Atomkraftwerken stelle eine
Bilanz dar, die nachdenklich stimme. Die vorgenommene
Gefahrenanalyse stoße bei der Fraktion DIE LINKE. auf Zu-
stimmung. Wenn sie sich gleichwohl bei der Abstimmung
über den Antrag enthalte, sei dies darauf zurückzuführen,
dass sie einen zügigeren Atomausstieg als den von der alten
Bundesregierung eingeleiteten für erforderlich halte.

Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erklärte, das
nach wie vor bestehende Unfallrisiko in Atomkraftwerken
sei für sie das zentrale Argument für den Ausstieg aus der

ohne Kuppelüberbau – wie sie in Deutschland üblich seien –
zu gefährlichen Zielen terroristischer Aktivitäten werden
könnten. Die vielfältigen Belastungen für Gesundheit und
Umwelt durchzögen die gesamte Technologiekette – an-
gefangen vom Uranabbau bis zur Wiederaufbereitung und
Endlagerung. Außerdem lasse sich in Staaten, die über keine
demokratischen Strukturen verfügten, die zivile Nutzung der
Kernkraft nicht von der militärischen trennen. Gegen den
Atomausstieg werde häufig angeführt, Atomkraft werde in
vielen Ländern der Welt genutzt, so dass sich Deutschland
einen Ausstieg nicht leisten könne. Diese Argumentation
ignoriere sämtliche im Antrag aufgeführten Sachgründe für
den Atomausstieg und stehe nicht mit der immer wieder
eingeforderten Wertedebatte im Einklang. Von einem Aus-
stieg aus der Kernkraft gehe eine Vorbildfunktion aus, die
gerade vor dem aktuellen Hintergrund Iran wünschenswert
sei. Längere Laufzeiten für veraltete Atomkraftwerke be-
deuteten ein gesteigertes Sicherheitsrisiko für die Bevöl-
kerung und gingen zudem zu Lasten von Investitionen in
innovative Energietechnologien. Die Fraktion BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN halte an ihrem im Antrag aufgelisteten
Forderungskatalog fest. Lediglich die Passage hinsichtlich
des kritisierten Stillstands in der Energiepolitik sei mittler-
weile überholt.

Der Ausschuss beschloss mit den Stimmen der Fraktionen
der CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei Stimmenthaltung der
Fraktion DIE LINKE., dem Deutschen Bundestag zu emp-

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.