BT-Drucksache 16/1787

Ermittlungen zu angeblich gefälschten Herkunftsangaben von ausländischen Staatsangehörigen bzw. Eingebürgerten

Vom 8. Juni 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/1787
16. Wahlperiode 08. 06. 2006

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sevim Dagdelen, Kersten Naumann, Ulla Jelpke
und der Fraktion DIE LINKE.

Ermittlungen zu angeblich gefälschten Herkunftsangaben von ausländischen
Staatsangehörigen bzw. Eingebürgerten

In Berlin besteht seit dem Jahr 2000 eine „Gemeinsame Ermittlungsgruppe
ident“ von Landeskriminalamt und Ausländerbehörde, die angeblich gefälschte
Herkunftslandsangaben von in Deutschland lebenden ausländischen Staatsan-
gehörigen und Eingebürgerten untersucht (Berliner Morgenpost vom 26. April
2004). Die Berliner Ausländerbehörde vermutet, dass manche der mehrere
tausend libanesischen Flüchtlinge in Wahrheit aus der Türkei stammen und sich
angeblich als staatenlose Libanesen ausgeben, da eine Abschiebung in den
Libanon kaum möglich ist. Die Behörden beziehen sich dabei auf Auskünfte
türkischer Behörden, die aufgrund von Registerauszügen eine türkische Staats-
angehörigkeit der Betroffenen behaupten (DER TAGESSPIEGEL vom
3. Januar 2006).

Bereits 2001 hatten die Caritas, die Diakonie Hannover und Pro Asyl die pau-
schalen Verdächtigungen gegenüber tausenden staatenlosen Kurden aus dem
Libanon für nicht haltbar erklärt: Ergebnisse einer Recherchereise in den Liba-
non und in die Türkei hätten gezeigt, dass allein die Tatsache, dass eine Person
bzw. eine Familie in einem türkischen Register aufgeführt ist, das Vorliegen
einer türkischen Staatsangehörigkeit zwar als wahrscheinlich, aufgrund der
Fortschreibung der Register auch für vor 1930 Ausgereiste jedoch nicht als
sicher erscheinen lässt. Diese Register würden fortgeschrieben, und zwar ohne
Kenntnisse der Betroffenen, auch wenn diese im Libanon oder in Deutschland
leben. Oft seien Angaben über Kinder, Geburtsdaten und -orte falsch. Außer-
dem käme türkischen Registrierangaben im Falle der arabisch sprechenden
Kurdinnen und Kurden aus dem Libanon weniger Beweiswert zu als Register-
unterlagen und anderen Bescheinigungen aus dem Libanon (Pressekonferenz
vom 8. Mai 2001).

Die Berliner Beratungsstelle „reach out“ für Opfer von Rechtsextremismus und
Rassismus berichtet, dass sich ausländische Staatsangehörige bzw. Eingebür-
gerte aus dem Libanon mit der Bitte um Unterstützung an sie gewandt hätten,
da diese als überaus gewalttätig erlebte Hausdurchsuchungen durch die Ermitt-
lungsgruppe „ident“ und Ermittlungsverfahren wegen falscher Herkunftsan-
gaben ausgesetzt seien (Brief Nabila I. an den Bürgermeister von Berlin).
Wir fragen die Bundesregierung:

1. In welchen Bundesländern bestehen nach Erkenntnissen oder mit Wissen
der Bundesregierung Ermittlungsgruppen wie in Berlin, die sich mit angeb-
lich gefälschten Angaben über das Herkunftsland von Drittstaatsangehöri-
gen bzw. Eingebürgerten und ihren Familien befassen?

Drucksache 16/1787 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

2. Wurden seit dem Jahr 2000 im Rahmen der Ständigen Konferenz der
Innenminister und -senatoren der Länder (IMK) diese Ermittlungsgruppen
und ihre Arbeit behandelt, und wenn ja, mit welchen Inhalten, Zielen und
Ergebnissen?

3. Auf welcher rechtlichen Grundlage nutzen deutsche Behörden die türki-
schen Register bzw. wird der Austausch der Angaben aus den türkischen
Registern an die betreffenden Behörden in Deutschland ermöglicht, und
welche Vereinbarungen diesbezüglich bestehen zwischen der Bundesrepu-
blik und der Türkei?

4. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die rechtlichen Grund-
lagen, auf denen diese Ermittlungsgruppen in den einzelnen Bundesländern
arbeiten?

5. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die finanzielle und
personelle Ausstattung der einzelnen Ermittlungsgruppen in den Bundes-
ländern?

6. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass allein die Tatsache, dass
eine Person bzw. Familie in einem türkischen Register aufgeführt ist, das
Vorliegen der türkischen Staatsangehörigkeit zwar als wahrscheinlich, auf-
grund der Fortschreibung der Register für die vor 1930 Ausgereisten
jedoch nicht als sicher erscheinen lässt?

Wenn nein, warum nicht?

7. Inwieweit hat die Bundesregierung Kenntnis davon, dass türkische Regis-
ter ohne Wissen der Betroffenen fortgeschrieben wurden, gleich ob diese
im Libanon, in der Bundesrepublik Deutschland oder anderswo auf der
Welt leben und auf diese Weise in diesen Registern eine Familie mit mal
mehr, mit mal weniger Kindern auftauchen, Geburtsdaten und -orte häufig
falsch sind?

8. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass Kinder und Kindeskinder,
die im Libanon geboren wurden bzw. im Kleinstkinderalter waren, als die
Eltern in die Bundesrepublik einreisten, ggf. gar keine Kenntnis von einer
eventuellen türkischen Staatsangehörigkeit, türkischen Namen oder Fort-
führung der Familienverhältnisse in türkischen Registern haben können?

9. Inwieweit kommt nach Auffassung der Bundesregierung den türkischen
Registerangaben im Falle der arabisch sprechenden Kurden, die sich im
Libanon aufhielten, mehr Beweiswert zu als Registerunterlagen oder auch
nur Bürgermeister- oder Hebammenbescheinigungen aus dem Libanon?

10. Hat die Bundesregierung Kenntnis davon, wie viele polizeiliche Ermitt-
lungsverfahren durch die Ermittlungsgruppen wegen des Verdachts auf
falsche Identitätsangaben eingeleitet wurden, wie viele Personen hiervon
betroffen waren und wie viele abgeschlossen wurden (wenn ja, bitte nach
Bundesland, Alter und – ursprüngliche und jetzige – Nationalität der be-
troffenen Personen auflisten)?

11. Hat die Bundesregierung Kenntnis davon, wie viele der abgeschlossenen
Verfahren zur Feststellung einer aus polizeilicher Sicht falschen Identitäts-
bzw. Herkunftsangabe der Betroffenen führten (wenn ja, bitte nach Bundes-
land, Alter und – ursprüngliche und jetzige – Nationalität der betroffenen
Personen auflisten)?

12. Hat die Bundesregierung Kenntnis davon, in wie vielen Fällen die abge-
schlossenen polizeilichen Ermittlungsverfahren zur Rücknahme der Ein-
bürgerung der Betroffenen führten, und wie viele Personen davon betrof-

fen führten (wenn ja, bitte nach Bundesland, Alter und – ursprüngliche und
jetzige – Nationalitäten auflisten)?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/1787

13. Hat die Bundesregierung Kenntnis davon, in wie vielen Fällen die abge-
schlossenen polizeilichen Ermittlungsverfahren zum Widerruf einer Auf-
enthaltserlaubnis, zu einer Ausweisung bzw. zur Abschiebung der Betrof-
fenen führten, wie viele Personen davon betroffen waren und wohin diese
abgeschoben wurden (wenn ja, bitte nach Bundesland, Alter und Nationali-
täten auflisten)?

14. Welchen Straftatbestand würden nach Auffassung der Bundesregierung ge-
gebenenfalls ausländische Staatsangehörige bzw. Eingebürgerte erfüllen,
deren Eltern eine oft über zehn Jahre zurückliegende falsche Angabe zum
Herkunftsland machten, von der die betroffene Person jedoch keine Kennt-
nis hat?

15. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass der Entzug der deutschen
Staatsangehörigkeit im Fall von Angehörigen von Personen, die eine oft
über zehn Jahre zurückliegende falsche Angabe zum Herkunftsland mach-
ten, von der die Angehörigen jedoch keine Kenntnis hatten, gegen den
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstößt?

Wenn nein, warum nicht?

Berlin, den 7. Juni 2006

Sevim Dagdelen
Kersten Naumann
Ulla Jelpke
Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.