BT-Drucksache 16/1776

Einreiseverweigerung für irakische Gewerkschafter

Vom 2. Juni 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/1776
16. Wahlperiode 02. 06. 2006

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Petra Pau, Jan Korte, Heike Hänsel und der Fraktion
DIE LINKE.

Einreiseverweigerung für irakische Gewerkschafter

Am 21. Oktober 2005 sollte in Berlin eine bundesweite Reihe von Veranstaltun-
gen mit zwei Vertretern der „Federation of Oil Unions in Iraq“ (FOUI, früher:
„General Union of Oil Employees“), Frau B. A. A. und Herrn T. A. I. B., ihren
Auftakt nehmen. Die Gewerkschaft ist ein Zusammenschluss aus verschiedenen
Betriebsgewerkschaften und hat über 23 000 Mitglieder. Sie wendet sich in ihrer
Praxis vor allem gegen eine Privatisierung der Ölförderung und den Verkauf von
Öl-Unternehmen an US-amerikanische Firmen. Sie lehnt die Besatzung des Irak
durch die USA und ihre Verbündeten ab und kritisiert die massiven Menschen-
rechtsverletzungen. Sie sieht mit Bezug auf das Völkerrecht den Widerstand ge-
gen die Besatzung als legitim an, lehnt aber Terror gegen Zivilisten als Mittel des
Widerstands entschieden ab. Die Gewerkschaft ist allerdings selbst parteipoli-
tisch und weltanschaulich neutral, der Schwerpunkt ihrer Tätigkeit liegt im Füh-
ren von Arbeitskämpfen und Tarifverhandlungen für die Arbeitnehmer im Öl-
sektor im Süden des Irak und hat dabei einige Anerkennung erworben. Im
Gegensatz zur einzigen von den Besatzungsmächten offiziell anerkannten Ge-
werkschaft „Irakischer Gewerkschaftsbund“ IFTU hat die FOUI eine Satzung
und dieser entsprechend Wahlen zu ihren Leitungsgremien durchgeführt.

Der Vorsitzende der Gewerkschaft hatte bereits im Frühjahr eine ähnliche Rund-
reise durch die USA und Großbritannien absolviert, ohne Schwierigkeiten bei
der Einreise hinnehmen zu müssen. Die von Gewerkschaftern und Friedensak-
tivisten initiierte Vortragsreise in Deutschland kam jedoch nicht zustande, da
den beiden Gästen aus dem Irak das Visum verweigert wurde. Die Ablehnung
erfolgte nach monatelangen Vorbereitungen und rechtzeitiger Antragstellung
mit den erforderlichen Unterlagen, Erklärungen, Versicherungsnachweisen etc.
kurz vor Beginn der Reise. Eine Begründung erfuhren die Betroffenen nicht.
Auch der Versuch der Einladenden, etwas über die Gründe der Ablehnung zu er-
fahren, scheiterte ebenso wie ein Eilantrag der Rechtsanwälte. Wie die Rechts-
anwälte erfuhren, war dies auf „Sicherheitsbedenken“ zurückzuführen, die das
Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) wegen des vermeintlich „linksextre-
mistischen Hintergrundes“ der Betroffenen geltend gemacht habe. Damit ist das
Ziel der Einladenden aus Gewerkschafts- und Friedensbewegung, in einen Dia-
log mit denjenigen Irakern einzutreten, die sich weder am Besatzungsregime be-

teiligen noch den Terror gegen Zivilisten mittragen, zum Scheitern gebracht
worden.

Dieser Vorgang, so könnte argumentiert werden, bedeutet faktisch einen zumin-
dest mittelbaren Eingriff des BfV in das Recht auf freie Meinungsäußerung,
wenn diese freie Meinungsäußerung beinhaltet, ausländische Experten oder
Zeitzeugen hinzuzuziehen. Die Durchführung der Veranstaltungen selbst ist das

Drucksache 16/1776 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Äußern einer Meinung – in dem Sinne, dass jedenfalls der vorgebrachten Posi-
tion Beachtung geschenkt werden solle. Dazu ist zweitens zu bemerken, dass
durch die Meinungsfreiheit nicht nur das Äußern einer Meinung geschützt ist,
sondern auch das Anhören einer Meinung, mithin die Informationsfreiheit. Die
Verweigerung der Einreisegenehmigung stellt also – folgt man dieser Argumen-
tation – mittelbar einen schweren Eingriff in die Meinungsfreiheit (Artikel 5 des
Grundgesetzes – GG) durch einen oder mehrere Geheimdienste dar.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Auf welcher Rechtsgrundlage erfolgte die Einreiseverweigerung im vorlie-
genden Fall?

2. Unterstellt, dass den Betroffenen das Visum ohne Anhörung zu evtl. beste-
henden Bedenken und ohne Begründung verweigert wurde, würde die Bun-
desregierung dies für rechtsstaatlich und demokratisch angemessen halten?

3. War den beteiligten Behörden bekannt, dass der Vorsitzende der Gewerk-
schaft „Federation of Oil Unions in Iraq“ Vorträge in London und den USA
gehalten hatte, und lagen ihr andere Informationen als den entsprechenden
Behörden dort vor, die zur Ablehnung der Visaanträge geführt haben?

4. Sind die Rechtsgrundlagen in Großbritannien und den USA, wo diese Vor-
tragsreisen jeweils ohne Einschränkung durchgeführt werden konnten, ver-
gleichbar, und was ist der Bundesregierung bezüglich der Erteilung von Ein-
reiseverweigerungen für „Extremisten“ durch beide Staaten bekannt?

5. Sind konkret die beiden betroffenen Visumantragsteller als linksextrem ein-
gestuft oder die gesamte Organisation „Federation of Oil Unions in Iraq“
(FOUI)?

6. Spielt bei der Einschätzung der FOUI eine Rolle, dass sie nicht offiziell als
Gewerkschaft anerkannt ist?

7. Nach welchen Kriterien entscheidet das BfV über die Einstufung von
Visumantragstellern als „linksextrem“, und wie gelangt es als Inlands-
geheimdienst überhaupt an die entsprechenden Informationen?

8. Und wenn ja, ist insbesondere die Forderung nach staatlicher Kontrolle über
die Schlüsselindustrien im Heimatland ein Kriterium zur Einstufung eines
Ausländers als „linksextrem“, und wie begründet die Bundesregierung die-
ses Kriterium vor dem Hintergrund der wirtschaftspolitischen Neutralität
des Grundgesetzes?

9. Welche konkreten Gefährdungen erwartet das BfV bei einer Vortragsreise
von irakischen Gewerkschaftsvertretern?

10. Inwieweit wird sich die Einreiseverweigerung auf weitere Visaanträge der
beiden Betroffenen in der Zukunft auswirken, wenn diese einen anderen
Aufenthaltszweck als den hier behandelten zum Gegenstand haben (z. B.
Urlaub, Verwandtschaftsbesuche etc.)?

11. Sind der Bundesregierung weitere Fälle bekannt, in denen Ausländern auf
Anraten des BfV oder eines entsprechenden Landesamts oder eines anderen
Geheimdienstes oder einer Sicherheitsbehörde die Erteilung eines Visums
verweigert wurde?

12. Teilt die Bundesregierung die Feststellung, dass in einem solchen Fall durch
das BfV mittelbar in das Grundrecht auf Meinungsfreiheit eingegriffen
wird, wenn nein, warum nicht?

13. Welche Einschätzung hat die Bundesregierung zu den in der Vorbemerkung
genannten möglichen verfassungsrechtlichen Bedenken in Bezug auf einen

Eingriff in die Meinungsfreiheit im genannten umfassenden Sinne?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/1776

14. Plant die Bundesregierung, in der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum
Aufenthaltsgesetz eine Klarstellung aufzunehmen, die solche Fälle von
Grundrechtsverletzungen für die Zukunft ausschließen?

Berlin, den 1. Juni 2006

Ulla Jelpke
Petra Pau
Jan Korte
Heike Hänsel
Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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