BT-Drucksache 16/166

Auswirkungen der so genannten Fiktionsbescheinigung auf Integrationsprozesse von Migrantinnen und Migranten

Vom 7. Dezember 2005


Deutscher Bundestag Drucksache 16/166
16. Wahlperiode 07. 12. 2005

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Sevim Dagdelen, Dr. Hakki Keskin, Petra Pau
und der Fraktion DIE LINKE.

Auswirkungen der so genannten Fiktionsbescheinigung auf Integrationsprozesse
von Migrantinnen und Migranten

Seit dem Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes am 1. Januar 2005 ist vorge-
sehen, dass spätestens nach drei Jahren eine Überprüfung der Asylberechtigung
von anerkannten Asylbewerbern durch entsprechende Verfahren beim Bundes-
amt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) durchgeführt wird. Das Verfahren
kann den Widerruf oder die Rücknahme der Anerkennung als Asylberechtigter
zur Folge haben. Diese Verfahren können außerdem jederzeit zu einem späteren
Zeitpunkt nach Ermessen der Ausländerbehörden eingeleitet werden. Nach Er-
fahrungen von Flüchtlingsberatungsstellen machen die Ausländerbehörden von
diesem Ermessen immer dann Gebrauch, wenn ein Antrag auf Verlängerung
der Aufenthaltserlaubnis, auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis und auf
Einbürgerung gestellt wird. Durch Ausstellung einer so genannten Fiktionsbe-
scheinigung (§ 81 des Aufenthaltsgesetzes) für den Zeitraum der Prüfung durch
die Ausländerbehörden werden insbesondere anerkannte Flüchtlinge besonders
verunsichert. Dabei wird ihnen der Flüchtlingspass abgenommen und ein Pa-
pier mit der Aufschrift „Fiktionsbescheinigung“ ausgehändigt. Die betreffen-
den Personen assoziieren nach Angaben von Flüchtlingsberatungsstellen dieses
Papier mit einer Grenzübertrittsbescheinigung oder Anordnung einer Auswei-
sung. Nach Erkenntnissen der Flüchtlingsberatungsstellen und -gruppen löst
eine „Fiktionsbescheinigung“ schon allein aufgrund des Begriffs „Fiktion“ bei
den Betroffenen, und zwar nicht nur bei anerkannten Flüchtlingen, große Sorge
und Ängste aus.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele Überprüfungsverfahren wurden bis zum 30. Juni 2005 eingeleitet

a) bei Asylberechtigten innerhalb der ersten drei Jahre,

b) bei Asylberechtigten, die einen Niederlassungsantrag gestellt haben,

c) bei Asylberechtigten, die einen Einbürgerungsantrag gestellt haben

(bitte nach Herkunftsländern getrennt aufführen)?
2. Wie viele der Überprüfungsverfahren hatten den Widerruf oder die Rück-
nahme der Asylberechtigung zur Folge?

3. Was genau wird überprüft, und welches sind die Kriterien, die zu einem
Widerruf oder einer Rücknahme der Asylberechtigung führen?

Drucksache 16/166 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
4. Wie vielen Betroffenen wurde eine „Fiktionsbescheinigung“ bis zum
30. Juni 2005 ausgestellt,

a) die sich mit einer Duldung in der Bundesrepublik aufhalten und eine
Verlängerung beantragen,

b) die sich als Asylbewerberinnen/Asylbewerber mit einer Aufenthaltsge-
stattung in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten,

c) die eine Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis beantragt hatten,

d) die eine Niederlassungserlaubnis beantragt haben,

e) die eine Einbürgerung beantragt haben?

f) Wie vielen Personen wurden im Rahmen der Erteilung einer „Fiktions-
bescheinigung“ Aufenthaltspapiere, Pass oder Passersatzpapiere abge-
nommen?

Wenn dies nicht in allen Fällen getan wurde, was sind entscheidende
Kriterien, die zum Einzug genannter Papiere führen?

5. Wird in jedem der unter Frage 4 genannten Fälle eine „Fiktionsbescheini-
gung“ ausgestellt?

a) Was ist hierfür die rechtliche Grundlage, insbesondere in den Fällen, bei
denen es um die Erteilung bzw. Verlängerung eines Aufenthaltstitels
geht und die in § 81 AufenthG nicht ausdrücklich geregelt sind?

b) Wenn nicht in jedem Fall eine „Fiktionsbescheinigung“ ausgestellt
wird, welches sind die Kriterien, nach denen eine „Fiktionsbescheini-
gung“ erteilt wird?

6. Ist der Bundesregierung bekannt, dass keine einheitliche Form der „Fik-
tionsbescheinigungen“, sondern unterschiedliche Formen (als Klebeetikett
im Pass, als eigenständiges Dokument oder ein Papier in Form eines DIN-A4-
Blattes mit und ohne Passfoto) ausgegeben werden?

7. Nach welchen Kriterien bekommen Personen eine „Fiktionsbescheini-
gung“ in Form eines Klebeetiketts im Pass, als eigenständiges Dokument
oder als DIN-A4-Blatt?

8. Ist den Ausländerbehörden bekannt, dass beispielsweise die oben genann-
ten Bescheinigungen ohne Passfoto zu erheblichen Komplikationen im
Alltag führen (wie zum Beispiel bei Abholen von Postpaketen oder Ein-
schreiben, Polizeikontrollen oder bei anderen Behörden)?

9. Gibt es in der Handhabung Unterschiede in den Bundesländern, und wenn
ja, welche?

10. Fürchtet die Bundesregierung, dass der Integrationsprozess der Betroffe-
nen durch diese „Fiktionsbescheinigungen“ gefährdet wird, und welche
Maßnahmen werden ergriffen, um die bereits erreichte Integration zu
sichern und fortzuführen?

11. Sind diese Verunsicherungen und Ängste bei betroffenen Migrantinnen
und Migranten Gegenstand der Evaluation des Zuwanderungsgesetzes, die
im Koalitionsvertrag angekündigt wurde?

Berlin, den 7. Dezember 2005

Oskar Lafontaine, Dr. Gregor Gysi und Fraktion
Kleine Anfrage
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