BT-Drucksache 16/1557

Umsetzung der Wehrpflicht (Nachfrage zu Bundestagsdrucksache 16/760)

Vom 19. Mai 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/1557
16. Wahlperiode 19. 05. 2006

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Paul Schäfer (Köln), Diana Golze, Katrin Kunert, Elke Reinke,
Volker Schneider (Saarbrücken), Dr. Kirsten Tackmann, Jörn Wunderlich und der
Fraktion DIE LINKE.

Umsetzung der Wehrpflicht
(Nachfrage zu Bundestagsdrucksache 16/760)

Die Wehrpflicht ist – neben dem Strafvollzug – der massivste Eingriff in die
staatlich zu schützenden und zu achtenden Grundrechte der Staatsbürger. Nicht
weniger als vier Grundrechte (Recht auf körperliche Unversehrtheit, Freiheit der
Person, Freizügigkeit und die Unverletzlichkeit der Wohnung) werden durch das
Wehrpflichtgesetz eingeschränkt; das Grundrecht auf körperliche Unversehrt-
heit ist im Krieg de facto aufgehoben.

Bei der Diskussion um die Wehrpflicht wird dieser Aspekt nur unzureichend
thematisiert. Auch führen wehrpflichtbedingte Eingriffe in die individuelle Le-
bensrealität junger Bürger zwangsläufig zu tiefen Einschnitten in Ausbildungs-
und Berufschancen.

Die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Bundestagsfrak-
tion DIE LINKE. zur Wehrpflicht (Bundestagsdrucksache 16/760) verweist auf
Kenntnisdefizite über die Wehrpflichtrealität. Fragen nach wehrpflichtbedingter
Arbeitslosigkeit, nach Widerspruchsgründen gegenüber Einberufungsbeschei-
den und nach Gründen, die zur vorzeitigen Entlassung aus dem Grundwehr-
dienst führen, können nicht beantwortet werden, da keine entsprechenden Er-
hebungen geführt werden würden. Das Bundesministerium der Verteidigung
differenziert auch nicht zwischen Grundwehrdienstleistenden (GWDL) und
„Freiwilligen zusätzlich Wehrdienst Leistenden“ (FWDL), die bis zu 23 Monate
in der Bundeswehr dienen und deutlich höher besoldet werden. FWDL sind von
ihrem de-facto-Status den Zeitsoldaten wesentlich näher als den Grundwehr-
dienstleistenden (freiwillige Verpflichtung, Sold, Auslandseinsätze). Es ist wün-
schenswert, eine solche Differenzierung vorzunehmen.

Aus der Antwort der Bundesregierung haben sich Nachfragen ergeben – auch,
um Widersprüche gegenüber Angaben aus anderen Quellen zu klären.

Wir fragen die Bundesregierung:
I. Grundwehrdienst im Jahr 2005

1. Wie viele zum Wehrdienst einberufene Wehrpflichtige haben gegen ihre Ein-
berufung im Jahr 2005 Widerspruch eingelegt?

2. Wie vielen Widersprüchen gegen Einberufungsbescheide wurde stattgegeben
bzw. wie viele wurden abgelehnt?

Drucksache 16/1557 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

3. Welche Erklärung hat die Bundesregierung für das Abweichen ihrer Anga-
be, dass im Jahr 2005 65 024 Wehrpflichtige nach Ablauf eines Monats
noch ihren Wehrdienst geleistet haben (Antwort der Bundesregierung, Bun-
destagsdrucksache 16/760, S. 5 f.) von der Angabe des Wehrbeauftragten
des Deutschen Bundestages, wonach 63 674 Wehrpflichtige im Jahr 2005
ihren Wehrdienst in der Bundeswehr geleistet haben (Wehrbeauftragter des
Deutschen Bundestages, Jahresbericht 2005, S. 32)?

4. Welche Erklärung hat die Bundesregierung dafür, dass ihren Angaben zu-
folge (Bundestagsdrucksache 16/760, S. 5 f.) die Ausfallquote von Wehr-
pflichtigen, die im Jahr 2005 ihren Dienst antraten, bei 5 Prozent lag, ohne
dass – mangels Auswertung – Gründe hierfür angeführt werden konnten,
laut Jahresbericht 2005 des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages
(S. 33) aber 8,6 Prozent derjenigen, die im Jahr 2005 den Wehrdienst antra-
ten, aus gesundheitlichen Gründen innerhalb der ersten Wochen vorzeitig
entlassen wurden, und auf welches Zahlenmaterial kann sich der Wehr-
beauftragte stützen, wenn laut Antwort der Bundesregierung (Bundestags-
drucksache 16/760, S. 6) keine Auswertung der Ausfallgründe geführt
wird?

II. Einberufungsreserve der Bundeswehr

5. Wie viele tauglich gemusterte Wehrpflichtige ohne gesetzliche Wehr-
dienstausnahme oder dauerhafte Befreiung bzw. Zurückstellung sind mit
Stand 31. Dezember 2005 noch nicht einberufen (bitte aufgeschlüsselt nach
den Geburtsjahrgängen 1981 bis 1987)?

6. Wie viele zum Wehrdienst heranziehbare Wehrpflichtige des Geburtsjahr-
gangs 1981 wurden bis zum 31. Dezember 2005 zum Grundwehrdienst ein-
berufen?

7. Wie viele zum Wehrdienst heranziehbare Wehrpflichtige des Geburtsjahr-
gangs 1981 wurden bisher im Jahr 2006 einberufen?

8. Wie viele der zum Wehrdienst heranziehbaren Wehrpflichtigen des Geburts-
jahrgangs 1981 sollen noch bis zum 31. Dezember 2006 einberufen wer-
den?

III. Einberufungsreserve Zivildienst

9. Welche Erklärung hat die Bundesregierung für die hohe Differenz zwischen
der Anzahl registrierter KDV-Anträge (139 536) und tatsächlicher KDV-
Anerkennungen (97 321) im Jahr 2005?

10. Wie viele tauglich gemusterte Wehrpflichtige mit einer Anerkennung als
Kriegsdienstverweigerer ohne gesetzliche Wehrdienstausnahme oder dauer-
hafte Befreiung bzw. Zurückstellung sind mit Stand 31. Dezember 2005
noch nicht zum Zivildienst einberufen (bitte aufgeschlüsselt nach den Ge-
burtsjährgängen 1981 bis 1987)?

11. Wie viele zum Zivildienst heranziehbare Wehrpflichtige des Geburtsjahr-
ganges 1981 wurden bisher im Jahr 2006 einberufen?

12. Wie viele der zum Zivildienst heranziehbaren Wehrpflichtigen des Geburts-
jahrgangs 1981 sollen noch bis zum 31. Dezember 2006 einberufen wer-
den?

13. Wie viele Zwangseinberufungen von Amts wegen zum Zivildienst wurden
seit dem 1. Januar 2003 vorgenommen (bitte aufgeschlüsselt nach Jahren)?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/1557

IV. Musterungen

14. Wie viele Wehrpflichtige wurden aus welchen Gründen in den Jahren 2003
bis 2005 von der Musterungspflicht befreit (aufgeschlüsselt nach Grund und
Kalenderjahr)?

15. Welche Erklärung hat die Bundesregierung für die hohe Differenz zwischen
der Anzahl der erfassten und den tatsächlich durchgeführten Musterungen?

16. Nach welchen Kriterien werden Wehrpflichtige nicht zur Musterung auf-
gefordert, obwohl sie keine Befreiung von der Musterungspflicht geltend
gemacht haben?

17. Wie viele Wehrpflichtige blieben bundesweit im Jahr 2005 der Musterung
entschuldigt bzw. unentschuldigt fern (bitte aufgeschlüsselt nach „entschul-
digt/unentschuldigt“ und erster, zweiter und weiterer Ladung zur Muste-
rung)?

18. Wie viele polizeiliche Vorführungen zur Musterung wurden im Jahr 2005
bundesweit angeordnet?

19. In wie vielen Fällen wurden bundesweit Bußgelder verhängt?

20. Mit welchen Tauglichkeitsergebnissen endeten die Musterungen nach Ak-
tenlage, die seit dem Inkrafttreten des „Streitkräftereserve-Neuordnungsge-
setzes“ am 30. April 2005 in den Fällen möglich sind, wenn der Wehrpflich-
tige „der Musterung unentschuldigt fern (bleibt) und eine polizeiliche
Vorführung (scheitert) oder diese keinen Erfolg verspricht“ (§ 17 Abs. 10
Wehrpflichtgesetz)?

a) Wie viele der im Jahr 2005 nach Aktenlage tauglich gemusterten Wehr-
pflichtigen wurden zum Wehrdienst einberufen?

b) Wie viele Wehrpflichtige wurden im Jahr 2006 bisher nach Aktenlage
gemustert?

c) Mit welchen Tauglichkeitsergebnissen endeten diese Musterungen?

d) Wie viele der nach Aktenlage tauglich gemusterten Wehrpflichtigen wur-
den zum Wehrdienst einberufen?

V. Verwendungen von Grundwehrdienstleistenden

21. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass es für die Bewertung des
Beitrags, den die Grundwehrdienstleistenden zur Landesverteidigung leis-
ten sollen, wichtig ist zu wissen, wo und in welchem Umfang jeweils die
Grundwehrdienstleistenden eingesetzt werden?

22. Wie viele Dienstposten für die jeweiligen Erstverwendungen der Grund-
wehrdienstleistenden standen im Anschluss an die Grundausbildung 2005
zur Verfügung (bitte nach Erstverwendungen und Jahren aufschlüsseln)?

23. Für welche Erstverwendungen wurden auf Grundlage des Bedarfs und unter
Berücksichtigung der psychologischen Verwendungsvorschläge Grund-
wehrdienstleistende im Jahr 2005 angefordert, eingeplant und eingesetzt
(bitte jeweils mit Angabe der Zahlen)?

24. Wie viele Grundwehrdienstleistende waren im protokollarischen Dienst im
Wachbataillon im Jahr 2005 eingesetzt?

25. Wie viele Grundwehrdienstleistende waren als Ordonanzen im Jahr 2005
eingesetzt?

Drucksache 16/1557 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
VI. Wehrpflicht und Arbeitslosigkeit

26. Aus welchem Grund hat die Bundesregierung bislang (Bundestagsdruck-
sache 16/760, S. 12) keine Erhebung über die Auswirkungen der Wehr-
pflicht auf die Erwerbstätigkeit der einberufenen Grundwehrdienstleisten-
den vorgenommen?

27. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die Wehrpflicht einen tiefen
Eingriff in die Lebensplanung junger Männer darstellt und es deshalb not-
wendig ist, eine Beurteilungskompetenz der Arbeitsmarktchancen junger
Wehrpflichtiger Männer zu erlangen, um die Wehrpflicht verantwortungs-
voller umzusetzen?

28. Aus welchem Grund nimmt die Wehrverwaltung keine Erhebungen über
Gründe von Widersprüchen gegen Einberufungsbescheide vor?

29. Besteht ein Interesse der Bundesregierung, zukünftig feststellen zu können,
wie viele Wehrpflichtige aufgrund des Wehrpflichtdienstes arbeitslos wer-
den?

30. Warum kann die Bundesagentur für Arbeit nicht feststellen, wie viele
Wehrpflichtdienstleistende sich innerhalb von drei Monaten nach Dienst-
ende arbeitslos gemeldet haben?

31. Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Wehrverwaltung und des
Bundesamtes für den Zivildienst, dass die Einberufung eines Wehrpflichti-
gen aus einem befristeten Arbeitsverhältnis und der damit üblicherweise
verbundene Vereitelung einer Übernahme in ein unbefristetes Arbeitsver-
hältnis keine Dienstausnahme begründet?

32. Sieht die Bundesregierung Handlungsbedarf, um Wehrpflichtige, die sich in
befristeten Anstellungsverhältnissen oder in einer Probearbeitszeit befin-
den, vor einer Einberufung zu schützen?

Wenn nein, warum nicht?

VII. Wehrdienstausnahmen

33. Welche per Erlass geregelten Wehr- und Zivildienstausnahmen bestehen
aktuell (so genannte administrative Ausnahmen)?

34. Welche dieser administrativen Ausnahmen führen zu einer zeitlich befriste-
ten und welche führen zu einer unbefristeten Nichtheranziehung?

35. Welche administrative Ausnahmeregelung kommt dann nicht zur Anwen-
dung, wenn dadurch die maßgebliche Altersgrenze zur Heranziehung zum
Wehr- bzw. Zivildienst überschritten werden würde?

Berlin, den 19. Mai 2006

Paul Schäfer (Köln)
Diana Golze
Katrin Kunert
Elke Reinke
Volker Schneider (Saarbrücken)
Dr. Kirsten Tackmann
Jörn Wunderlich
Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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