BT-Drucksache 16/154

Situation von in der Bundesrepublik Deutschland geduldeten Personen

Vom 7. Dezember 2005


Deutscher Bundestag Drucksache 16/154
16. Wahlperiode 07. 12. 2005

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Sevim Dagdelen, Kersten Naumann, Petra Pau und
der Fraktion DIE LINKE.

Situation von in der Bundesrepublik Deutschland geduldeten Personen

Seit der Änderung des Asylrechts 1993 hat die Zahl der in der Bundesrepublik
Deutschland geduldeten Personen stetig zugenommen. Gleichzeitig befindet
sich unter den geduldeten Personen bzw. solchen, die aus rechtlichen oder tat-
sächlichen Gründen nicht abgeschoben werden können, eine beträchtliche
Anzahl Personen, deren Duldung immer wieder verlängert wird, die aber keinen
Aufenthaltstitel erhalten („Kettenduldung“). Nach Angaben von Pro Asyl leben
von Menschen mit einer Duldung schätzungsweise 150 000 länger als fünf
Jahre in der Bundesrepublik Deutschland (www.pro-asyl.de). Mit dem Zuwan-
derungsgesetz sollten diese „Kettenduldungen“ etwa für Flüchtlinge aus
Kriegs- und Bürgerkriegsregionen zugunsten einer humaneren Lösung abge-
schafft werden. Entsprechende Vorschläge werden auf den Innenministerkonfe-
renzen regelmäßig vorgebracht und diskutiert, um eine bundesweit einheitliche
Bleiberechtsregelung für zumindest bestimmte Flüchtlingsgruppen herbeizu-
führen. Bisher zielen die Lösungsvorschläge auf eine Bleiberechtsregelung,
deren Bedingungen zum einen nur wenige geduldete oder nicht abschiebbare
Personen erfüllen können und die zum anderen nicht den Schutz des Flüchtlings
und seiner Menschenwürde, sondern seine ökonomische Unabhängigkeit von
Leistungen der sozialen Sicherungssysteme in den Mittelpunkt der Überlegun-
gen stellen. Als Beispiel sei hier der Vorschlag des nordrhein-westfälischen
Innenministers Dr. Ingo Wolf genannt. Dabei gibt es im Rahmen der derzeitigen
Gesetzeslage Möglichkeiten für humane Bleiberechtsregelungen und die Ertei-
lung von Aufenthaltserlaubnissen anstelle von „Kettenduldungen“, wie ein
Gutachten des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN im Landtag Nordrhein-Westfalen zeigt (http://www.jesuiten-fluecht-
lingsdienst.de/JRS/files/GA_AufenthG_25_IV_u_V.pdf). In diesem Gutachten
wird, abstellend auf die Handlungsmöglichkeiten nach § 25 Abs. 4 und 5
Aufenthaltsgesetz, allerdings auch darauf hingewiesen, dass in diesem Fall das
Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen in seinem Erlass vom
28. Februar 2005 von der vom Gesetz intendierten Aufhebung von Ketten-
duldungen abweicht und unterhalb des rechtlich möglichen Flüchtlingsschutzes
bleibt. Dies gilt dem ersten Anschein nach auch für viele andere Bundesländer.
Wie Kleine Anfragen der Vergangenheit gezeigt haben, gibt es daneben eine

ganze Reihe anderer Flüchtlinge, die sich seit langer Zeit in der Bundesrepublik
Deutschland aufhalten, insbesondere Asylbewerberinnen und -bewerber (u. a.
Bundestagsdrucksache 14/9926).

Verschärft wird die Situation der betroffenen Menschen mit unsicherem Aufent-
haltsstatus durch verschiedene Beschränkungen im alltäglichen Leben, wie der
geltenden Residenzpflicht und der nach dem Asylbewerberleistungsgesetz ge-
genüber der Sozialhilfe deutlich niedrigeren Hilfe zum Lebensunterhalt. Hinzu

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kommen weitere Beschränkungen zumindest für jene, die keinen gültigen Pass
oder Passersatzpapiere besitzen, also ihre Identität nicht zweifelsfrei nachwei-
sen können. In der Folge können diese nicht standesamtlich heiraten. Des Wei-
teren gelten Beschränkungen für die Aufnahme einer regulären Beschäftigung,
der Zugang zu Ausbildung und Studium ist den Betroffenen gänzlich verwehrt.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele Personen halten sich aktuell mindestens seit dem 1. Januar 1995 in
den einzelnen Bundesländern auf,

a) die eine Aufenthaltsgestattung nach dem Asylverfahrensgesetz besitzen,

b) die eine Duldung besitzen,

c) die keine Duldung oder Aufenthaltstitel besitzen, deren Abschiebung aber
ausgesetzt ist,

d) die eine Grenzübertrittsbescheinigung oder ein vergleichbares Dokument
besitzen?

(Bitte jeweils nach den einzelnen Bundesländern und nach den Herkunfts-
staaten, gegebenenfalls auch Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe, getrennt
aufführen.)

2. Wie viele Personen halten sich aktuell mindestens seit dem 1. Januar 1998 in
den einzelnen Bundesländern auf,

a) die eine Aufenthaltsgestattung nach dem Asylverfahrensgesetz besitzen,

b) die eine Duldung besitzen,

c) die keine Duldung oder Aufenthaltstitel besitzen, deren Abschiebung aber
ausgesetzt ist,

d) die eine Grenzübertrittsbescheinigung oder ein vergleichbares Dokument
besitzen?

(Bitte jeweils nach den einzelnen Bundesländern und nach den Herkunfts-
staaten, gegebenenfalls auch Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe, getrennt
aufführen.)

3. Wie viele Personen hielten sich aktuell mindestens seit dem 1. Januar 2001 in
den einzelnen Bundesländern auf,

a) die eine Aufenthaltsgestattung nach dem Asylverfahrensgesetz besitzen,

b) die eine Duldung besitzen,

c) die keine Duldung oder Aufenthaltstitel besitzen, deren Abschiebung aber
ausgesetzt ist,

d) die eine Grenzübertrittsbescheinigung oder ein vergleichbares Dokument
besitzen?

(Bitte jeweils nach den einzelnen Bundesländern und nach den Herkunfts-
staaten, gegebenenfalls auch Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe, getrennt
aufführen.)

4. Wie viele Personen hielten sich aktuell mindestens seit dem 1. Januar 2003 in
den einzelnen Bundesländern auf,

a) die eine Aufenthaltsgestattung nach dem Asylverfahrensgesetz besitzen,

b) die eine Duldung besitzen,

c) die keine Duldung oder Aufenthaltstitel besitzen, deren Abschiebung aber

ausgesetzt ist,

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/154

d) die eine Grenzübertrittsbescheinigung oder ein vergleichbares Doku-
ment besitzen?

(Bitte jeweils nach den einzelnen Bundesländern und nach den Herkunfts-
staaten, gegebenenfalls auch Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe, getrennt
aufführen.)

5. Wie viele Personen hielten sich aktuell mindestens seit dem 1. Januar 2004
in den einzelnen Bundesländern auf,

a) die eine Aufenthaltsgestattung nach dem Asylverfahrensgesetz besitzen,

b) die eine Duldung besitzen,

c) die keine Duldung oder Aufenthaltstitel besitzen, deren Abschiebung
aber ausgesetzt ist,

d) die eine Grenzübertrittsbescheinigung oder ein vergleichbares Doku-
ment besitzen?

(Bitte jeweils nach den einzelnen Bundesländern und nach den Herkunfts-
staaten, gegebenenfalls auch Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe, getrennt
aufführen.)

6. Wie viele unbegleitete Minderjährige bis zum Alter von 18 Jahren befinden
sich in den in Frage 1. bis 5. benannten Gruppen (bitte jeweils nach einzel-
nen Bundesländern und nach den Herkunftsstaaten, gegebenenfalls auch
Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe, getrennt aufführen)?

7. Wie viele Familien mit minderjährigen Kindern bis zum Alter von 18 Jahren
befinden sich in den in Frage 1. bis 5. benannten Gruppen (bitte jeweils nach
einzelnen Bundesländern und nach den Herkunftsstaaten, gegebenenfalls
auch Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe, getrennt aufführen)?

8. Wie viele Opfer rassistischer bzw. fremdenfeindlicher Übergriffe befinden
sich in den in Frage 1. bis 5. benannten Gruppen (bitte nach Bundesländern
getrennt aufführen)?

9. Aus welchen Gründen wurde den Personen, die eine Duldung besitzen, die-
se erteilt (bitte mit Angabe der Zahl der Betroffenen aufführen)?

10. Aus welchen Gründen wurde die Abschiebung von Personen, die sich
aktuell in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten und die keine Duldung
oder einen anderen Aufenthaltsstatus/-titel besitzen, ausgesetzt (bitte mit
Angabe der Zahl der Betroffenen aufführen)?

11. Wie viele der Personen, die sich aktuell in der Bundesrepublik Deutschland
mit einer Duldung aufhalten, befinden sich wegen der Folge von Trauma-
tisierungen in Behandlung?

12. Wie viele der Personen, die sich aktuell in der Bundesrepublik Deutschland
mit einer Duldung aufhalten oder absehbar aus tatsächlichen oder recht-
lichen Gründen nicht abgeschoben werden können, besitzen eine Arbeitser-
laubnis und was ist die rechtliche Basis der Erteilung bzw. Verweigerung ei-
ner Arbeitserlaubnis für diesen Personenkreis?

13. Wie viele Personen haben nach dem 1. Januar 2005 eine Aufenthaltserlaub-
nis erhalten, die zuvor keinen Aufenthaltstitel (nach altem oder neuem
Recht) oder eine Duldung besaßen, und was war die Rechtsgrundlage zur
Erteilung der Aufenthaltserlaubnis (bitte nach Rechtsgrundlagen getrennt
aufführen)?

14. Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung zur Durchsetzung des im
Zuwanderungsgesetz (u. a. § 25 Abs. 4 und 5 AufenthG) und der entspre-

chenden Begründung (Bundestagsdrucksache 15/420, S. 79) avisierten Zie-

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les, der Erteilung von Duldungen („Kettenduldungen“) als „zweitklassigem
Aufenthaltstitel“ entgegenzuwirken?

15. Ist primäres Mittel in Zusammenhang mit der Abschaffung der Kettendul-
dungen

a) die Etablierung eines weitergehenden Flüchtlingsschutzes und regelmä-
ßige Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen oder

b) die Erleichterung der Abschiebung ausreisepflichtiger Ausländer, die
bisher geduldet sind oder die aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen
nicht abgeschoben werden können?

16. Inwieweit spielen anerkannte Asylbewerber, Konventions-Flüchtlinge und
seit langem in Deutschland lebende, geduldete Personen eine Rolle in den
integrationspolitischen Überlegungen der Bundesregierung, und wenn ja,
welche spezifischen Integrationsmaßnahmen (beispielsweise psychosoziale
Betreuung von Kriegstraumatisierten u. a.) sind für diese Gruppen vorgese-
hen?

17. Plant die Bundesregierung innerhalb des angekündigten zweiten Ände-
rungsgesetzes zum Aufenthaltsgesetz, den Rechtsstatus von Personen, die
geduldet sind oder für die ein Verbot der Abschiebung besteht, betreffend
Arbeitserlaubnis, Erlaubnis zur Aufnahme einer Ausbildung oder eines Stu-
diums mit der Zeit ihres Aufenthaltes zu verbessern und ihnen regelmäßig
zunächst eine Aufenthaltserlaubnis und schließlich eine Niederlassungs-
erlaubnis zu erteilen?

a) Ist in diesem Zusammenhang an eine Aufgabe der „Residenzpflicht“ ge-
dacht, und wenn nein, welche Argumente wiegen an dieser Stelle in der
Abwägung stärker als der durch die „Residenzpflicht“ erwirkte Eingriff
in die Freiheitsrechte und die Menschenwürde der Betroffenen?

b) Ist in diesem Zusammenhang an die generelle Anhebung des Niveaus der
Leistungen des Asylbewerberleistungsgesetzes auf die Leistungen nach
SGB XII gedacht, um auch geduldeten Ausländern, Flüchtlingen und
Asylbewerbern die Teilnahme am politischen, kulturellen und gesell-
schaftlichen Leben zu ermöglichen?

Berlin, den 7. Dezember 2005

Ulla Jelpke
Sevim Dagdelen
Kersten Naumann
Petra Pau
Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion
Kleine Anfrage
Situation von in der Bundesrepublik Deutschland geduldeten Personen

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