BT-Drucksache 16/1387

Kasernennamen und das Traditionsverständnis der Bundeswehr

Vom 4. Mai 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/1387
16. Wahlperiode 04. 05. 2006

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Paul Schäfer (Köln), Ulla Jelpke, Katrin Kunert,
Dr. Kirsten Tackmann und der Fraktion DIE LINKE.

Kasernennamen und das Traditionsverständnis der Bundeswehr

Traditionspflege ist Geschichtspolitik. In den Richtlinien des Bundesministeri-
ums der Verteidigung (BMVg) zum Traditionsverständnis und der Traditions-
pflege von 1982 heißt es dazu unter II.12 „Traditionspflege ist Teil der soldati-
schen Ausbildung. Sie soll die geistige und politische Mündigkeit des Soldaten
und die Einbindung der Bundeswehr in Staat und Gesellschaft fördern. Die Pfle-
ge von Traditionen soll der Möglichkeit entgegenwirken, sich wertneutral auf
das militärische Handwerk zu beschränken.“ Und weiter in II.13: „Traditionsbe-
wusstsein und Traditionspflege sollen dazu beitragen, die ethischen Grundlagen
des soldatischen Dienstes in der heutigen Zeit zu verdeutlichen.“

Ein Instrument der Traditionspflege ist die öffentliche Ehrung historischer Per-
sonen und Ereignisse als Namensgeber von Kasernen, anderen Liegenschaften
und Straßen innerhalb dieser Liegenschaften. Welche Personen auf diese Weise
geehrt werden, entscheiden sowohl die Soldaten und Soldatinnen in den jewei-
ligen Kasernen wie auch das BMVg. Im Traditionserlass heißt es in Abschnitt
III.29: „Kasernen und andere Einrichtungen der Bundeswehr können mit Zu-
stimmung des Bundesministers der Verteidigung nach Persönlichkeiten benannt
werden, die sich durch ihr gesamtes Wirken oder eine herausragende Tat um
Freiheit und Recht verdient gemacht haben.“ Die Namensgebung von Kasernen
ist daher auch ein Indikator für das vorhandene historische und politische Be-
wusstsein in der Bundeswehr und dem BMVg.

Deswegen muss diskutiert werden – auch im Sinne der Vorgaben des Traditions-
erlasses –, aus welchen Gründen einige Kasernen weiterhin nach Angehörigen
der kaiserlichen Heere in den Kolonialkriegen sowie der Wehrmacht benannt
sind und ob die Planer und Teilnehmer an brutalen Angriffskriegen dafür geeig-
net sind, „die ethischen Grundlagen des soldatischen Dienstes in der heutigen
Zeit zu verdeutlichen“.

Da das BMVg maßgeblich für die Umsetzung des Traditionserlasses und die
Förderung des Traditionsbewusstseins in der Bundeswehr verantwortlich ist,
stellt sich auch die Frage, wie energisch und aus welchen Gründen sich das Ver-
teidigungsministerium für die Beibehaltung oder die Umbenennung von Kaser-
nen einsetzt und den Soldaten und Soldatinnen an den Bundeswehrstandorten –

aber auch der Öffentlichkeit – eine historiographisch fundierte und staatsbürger-
lich Richtungsweisende Hilfestellung gibt, die Vorbildfähigkeit von Namenspa-
tronen zu bewerten.

Drucksache 16/1387 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Namenspatrone von Kasernen erfüllen nach derzeitigem Stand der
historischen Forschung das Anforderungsprofil in Abschnitt III.29 des Tra-
ditionserlasses, welche nicht?

2. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die in Frage 1 genannten
Kriterien bei sämtlichen Kasernennamen erfüllt sein sollten?

3. Aus welcher Zeit datieren die derzeit gültigen Benennungen von Kasernen
und anderen Liegenschaften der Bundeswehr, aufgeschlüsselt in folgende
Zeitperioden: vor 1933, 1933 bis 1945, 1955 bis 1972, 1973 bis 1989 und
1990 bis heute (bitte nach Möglichkeit im Einzelnen auflisten)?

4. Wie viele Kasernen und andere Liegenschaften tragen heute noch Namen
von Angehörigen der Wehrmacht (bitte namentlich anführen)?

5. Aus welchen Gründen erkennt die Bundesregierung darin keinen Wider-
spruch gegen das Postulat in den Traditionsrichtlinien von 1982, dass das
Unrechtsregime des Dritten Reichs keine Tradition begründen kann?

6. Unter welchen Bedingungen kann die Wehrmacht bzw. können deren Be-
fehlshaber nach Auffassung der Bundesregierung ein demokratisch legiti-
miertes Traditionsbewusstsein im Sinne der Werte des Grundgesetzes in der
Bundeswehr fördern?

7. Inwiefern spiegelt sich nach Auffassung der Bundesregierung in der Weiter-
führung von Kasernennamen von Wehrmachtsangehörigen, die nicht im
Widerstand gegen die nationalsozialistische Diktatur engagiert waren oder
selber den brutalen Angriffskrieg mitgeplant und durchgeführt haben, das
Traditionsverständnis in der Bundeswehr?

8. Können das Deutsche Heer und die Marine vor 1918 sowie die 1921 ge-
gründete – und 1935 in Wehrmacht umbenannte – Reichswehr für die Bun-
deswehr ein Sinn stiftendes Leitbild sein?

Und wenn ja, unter welchen Bedingungen?

9. Welche Kasernen und anderen Liegenschaften tragen heute Namen von An-
gehörigen der kaiserlichen Armee, die in den deutschen Kolonien an militä-
rischen Maßnahmen gegen die dortige Bevölkerung beteiligt waren (bitte
namentlich aufführen)?

10. Welche konkreten Verdienste um Freiheit und Recht haben sich diese Per-
sonen erworben, und welche Vorbildfunktion erfüllen diese Namenspatrone
nach Auffassung der Bundesregierung?

11. Wie viele Liegenschaften der Bundeswehr und darin befindlicher Straßen
und Plätze sind nach Ortschaften und Gebieten aus früheren deutschen Ko-
lonien oder Ostgebieten benannt?

12. Was spricht aus Sicht der Bundesregierung für die Beibehaltung solcher Be-
nennungen?

13. Ist es nach Auffassung der Bundesregierung wünschenswert, eine breite ge-
sellschaftliche Diskussion über die Vorbildfähigkeit von Soldaten der
Reichswehr und Wehrmacht für die Bundeswehr zu führen, und wenn ja,
wie wird diese geführt?

14. Wie bewertet die Bundesregierung die bisherige Zusammenarbeit des
BMVg und der Standortverwaltung mit zivilgesellschaftlichen Initiativen
bei der Umbenennung von Kasernennamen?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/1387
15. Werden nach Kenntnis der Bundesregierung alle bestehenden Erlasse zu
Fragen des Traditionsverständnisses den Soldaten und Soldatinnen verfüg-
bar gemacht und vor allem von ihren Vorgesetzten ausreichend vermittelt,
und wenn ja, wie?

16. Wie viele Unterrichtseinheiten sind im Rahmen der politischen Bildung und
der Einführungskurse an den jeweiligen Standorten für die Vermittlung des
Lebens und Wirkens des Namenspatrons eingeplant?

17. Zu welchen Namenspatronen von Kasernen hat das BMVg Gutachten,
Studien oder biographische Skizzen beim Militärgeschichtlichen For-
schungsamt (MGFA) oder anderen Einrichtungen in Auftrag gegeben (bitte
mit Angabe des Anlasses zur Prüfung, dem Zeitpunkt und dem Ergebnis der
Prüfung für jeden Namenspatronen)?

18. Beabsichtigt die Bundesregierung, dafür zu sorgen, dass diese Gutachten
vom MGFA soweit aufbereitet werden – ggf. mit ergänzender Expertise an-
derer Historiker –, dass sie den wissenschaftlichen Ansprüchen für eine Ver-
öffentlichung genügen und danach der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt
werden?

Wenn ja, in welcher Form, und wenn nicht, warum nicht?

19. Welche Rolle spielen die Gutachten, die vom BMVg beim MGFA in Pots-
dam in Auftrag gegeben wurden, bei der Überprüfung der Vorbildfunktion
der Namenspatrone von Kasernen?

20. Welche Namenspatrone wurden seit 1956 aufgrund neuer historischer Er-
kenntnisse oder neuer Interpretationen derselben geändert (bitte einzeln auf-
listen)?

21. Wie gestaltet sich das Verfahren zur (Um-)Benennung von Liegenschaften
in der Bundeswehr?

22. Auf wessen Betreiben und Initiative hin wurden die seit 1955 erfolgten Um-
benennungen heute noch benutzter Standorte vorgenommen, und welche
Kasernennamen wurden dabei geändert bzw. eingeführt (bitte einzeln auf-
führen)?

23. In welchen Kasernen hat das dort stationierte Personal seit 1955 Änderun-
gen des Kasernennamens beantragt und mit welchem Ergebnis?

24. Plant das BMVg, demnächst weitere Namenspatronen von Kasernen zu
untersuchen, und wenn ja welche?

25. Wurden an einigen Standorten Namen von Gebäuden und Straßenschildern
getilgt und an anderen Standorten die gleichen Namen nicht?

26. Wenn ja, wie erklärt sich die Bundesregierung diese Sachverhalte?

27. Trifft es zu, dass dem damaligen Bundesminister der Verteidigung, Dr. Peter
Struck, eine Auflistung historisch belasteter Kasernennamen vorlag und der
Bundesminister für das Jahr 2005 die Umbenennung dieser Kasernen ge-
plant hatte?

28. Wenn ja, aus welchen Gründen unterblieben die geplanten Umbenennun-
gen?

29. Wie viele Umbenennungen sind für das Jahr 2006 geplant (bitte einzeln auf-
führen)?

Drucksache 16/1387 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
30. Kann Deserteuren, Kriegsdienstverweigerern und Fahnenflüchtigen nach
Auffassung der Bundesregierung Vorbildfunktion für die Bundeswehr zu-
kommen?

Wenn ja, unter welchen Umständen, wenn nein, warum nicht?

Berlin, den 3. Mai 2006

Paul Schäfer (Köln)
Ulla Jelpke
Katrin Kunert
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und die Fraktion

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