BT-Drucksache 16/13843

Aktuelle Situation der Müllverbrennung und Ersatzbrennstoffnutzung

Vom 27. Juli 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/13843
16. Wahlperiode 27. 07. 2009

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Jan Korte, Eva Bulling-Schröter, Hans-Kurt Hill
und der Fraktion DIE LINKE.

Aktuelle Situation der Müllverbrennung und Ersatzbrennstoffnutzung

Laut einer am 3. März 2009 veröffentlichten Studie des Marktforschungs-
institutes Prognos für den Naturschutzbund Deutschland (NABU) wird es in
Deutschland mittelfristig zu erheblichen Überkapazitäten für die thermische
Behandlung von Abfällen und für die energetische Verwertung von heiz-
wertreichen Abfällen kommen. Es könnten bis 2020 Überkapazitäten von deut-
lich mehr als sieben Millionen Tonnen pro Jahr entstehen. Schon heute würden
rund zwei Millionen Tonnen mehr Abfall verbrannt als im Inland anfallen, so
das Gutachten.

Trotz des Deponieverbots aus dem Jahr 2005 wurden bereits 2006 mehr heiz-
wertreiche Abfälle (sog. Ersatzbrennstoffe) importiert als exportiert (2006:
Export – 1 166 527 Tonnen, Import – 1 655 736 Tonnen). Dennoch befinden
sich aktuell immense Kapazitäten für die thermische Verwertung in Planung, im
Genehmigungsverfahren oder bereits im Bau (Müllverbrennungsanlage – MVA:
weitere 7 043 000 Tonnen; Ersatzbrennstoff-Anlage – EBS: weitere 12 155 000
Tonnen; Stand 6/2008; Quelle: Remondis).

Verschiedene Gründe führen andererseits zu einem Rückgang von thermisch
verwertbaren Mengen beim Abfallaufkommen: Die weitere Verbreitung der
„Bio-Tonne“, der Rückgang an Gewerbeabfällen durch den Trend zur Verlage-
rung industrieller Produktion ins Ausland, Veränderungen in der Abfallsamm-
lung (Ausdifferenzierung bei der Mülltrennung), demografische Entwicklung,
Preisentwicklungen auf Rohstoffmärkten, die zu besserer Rentabilität bei der
werkstofflichen Verwertung (Recycling) führen.

Hinzu kommt, dass die zur Genehmigung beantragten Anlagen (insbesondere
die EBS-Anlagen) tendenziell trotz technischer Fortschritte eine deutlich ineffi-
zientere Filtertechnik aufweisen, als viele Anlagen, die sich bereits seit den
Neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts in Betrieb befinden. Während die auf-
wändige und bewährte Filtertechnik bestehender Anlagen (acht- bis neun-
stufige Rauchgasreinigungstechnik) eine Unterschreitung von 80 bis 90 Pro-
zent der gesetzlich vorgeschriebenen Emissionsgrenzwerte erlauben, sind die
derzeit in Genehmigung und Bau befindlichen Anlagen mit billiger Filtertech-
nik und lediglich zwei bis drei Reinigungsstufen ausgestattet; diese Anlagen
benötigen die volle Ausschöpfung der Grenzwerte bei entsprechender Immis-
sionsbelastung des räumlichen Umfelds.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Hält die Bundesregierung es für sinnvoll, bei Genehmigungsverfahren für
Anlagen zur thermischen Verwertung von Abfällen nach dem Bundesimmis-

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sionsschutzgesetz eine Bedarfsprüfung im Bezug auf die räumliche Verfüg-
barkeit der benötigten Abfallmengen durchzuführen?

Wenn nein, wie gedenkt die Bundesregierung angesichts bereits in großem
Umfang stattfindender Abfallimporte, dem europäischen Prinzip der Ver-
wertung von Abfällen in räumlicher Nähe zu ihrer Entstehung gerecht zu
werden?

Wenn ja, plant die Bundesregierung eine entsprechende Änderung des Bun-
desimmissionsschutzgesetzes?

2. Plant die Bundesregierung eine angemessene Anpassung der Grenzwerte
von Schadstoffausstößen, die durch MVA verursacht werden und deren Dy-
namisierung in Anlehnung an die fortschreitende technische Entwicklung
(zum Beispiel durch Verwendung und Kombination moderner Filtertechni-
ken)?

Wenn nein, warum nicht?

3. Beabsichtigt die Bundesregierung, den Einsatz effizienterer Technik bei der
Rauchgasreinigung von MVA angemessen zu fördern und so zu einer Regu-
lierung des Abfallmarktes beizutragen, um einem Anstieg kommunaler Ab-
fallgebühren bei weiter steigenden Müllimporten entgegenzuwirken?

4. Plant die Bundesregierung die Einführung einer Steuer (ähnlich der Mineral-
ölsteuer) für Kunststoffe, die in EBS-Anlagen hauptsächlich zum Einsatz
kommen, um so einen Beitrag zur Steuergerechtigkeit zu leisten?

Wenn nein, warum nicht?

5. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass überdimensionierte MVA
die Herausbildung von Strukturen organisierter Kriminalität innerhalb der
europäischen Abfallwirtschaft (vgl. Müllskandal in Neapel oder die illegale
Müllablagerung in ostdeutschen Tongruben) fördern und eine Marktverzer-
rung im Inland bewirken (bitte erläutern)?

Wie gedenkt die Bundesregierung gegebenenfalls, solchen Entwicklungen
entgegenzuwirken?

6. Hält die Bundesregierung die Tatsache, das EBS-Kraftwerke nicht dem eu-
ropäischen Emissionshandelssystem unterliegen, für sachgemäß im Sinne
des Klimaschutzes?

7. Wie hoch waren die absoluten CO2-Emissionen der in Betrieb befindlichen
EBS-Anlagen in der Bundesrepublik Deutschland in den Jahren 2006, 2007
und 2008, welche Strom- und Wärmemenge (Bruttoerzeugung) gaben sie in
den Jahren 2006, 2007 und 2008 ins Netz ab, und welche zusätzlichen CO2-
sowie Strom- und Wärmemengen erwartet die Bundesregierung durch den
Zubau weiterer Anlagen bis 2020?

8. Wie soll nach Auffassung der Bundesregierung verhindert werden, dass zur
Auslastung der jetzt entstehenden Überkapazitäten in der Müllverbrennung
Abfälle verbrannt werden, die eigentlich stofflich verwertbar sind (insbeson-
dere Kunststoffe), also im Sinne der Abfallhierarchie der EU-Abfallrahmen-
richtlinie recycelt werden müssten?

Berlin, den 21. Juli 2009

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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