BT-Drucksache 16/13378

Internationale Kreditfinanzierung in der Entwicklungspolitik auf eine neue Grundlage stellen

Vom 17. Juni 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/13378
16. Wahlperiode 17. 06. 2009

Antrag
der Abgeordneten Jürgen Klimke, Dr. Christian Ruck, Dr. Wolf Bauer, Hartwig
Fischer (Göttingen), Norbert Geis, Manfred Grund, Anette Hübinger, Hartmut
Koschyk, Sibylle Pfeiffer, Dr. Norbert Röttgen, Volker Kauder, Dr. Peter Ramsauer
und der Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Stephan Hilsberg, Dr. Sascha Raabe, Gregor Amann,
Elvira Drobinski-Weiß, Detlef Dzembritzki, Gabriele Groneberg, Rolf Hempelmann,
Iris Hoffmann (Wismar), Dr. Bärbel Kofler, Walter Kolbow, Ute Kumpf, Lothar Mark,
Thomas Oppermann, Christel Riemann-Hanewinckel, Walter Riester, Frank
Schwabe, Hedi Wegener, Dr. Wolfgang Wodarg, Dr. Peter Struck und der Fraktion
der SPD

Internationale Kreditfinanzierung in der Entwicklungspolitik auf eine neue
Grundlage stellen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Seit Verabschiedung der Entschuldungsinitiative für hoch verschuldete arme
Länder (HIPC) 1996 und der Kölner Schuldeninitiative HIPC II 1999 wurde
mehr als 30 Staaten ein Schuldenerlass von circa 80 Mrd. US-Dollar gewährt.
Daran anknüpfend wurde auf dem 31. Gipfeltreffen der G8-Staaten in Glen-
eagles im Juni 2005 die Multilaterale Entschuldungsinitiative (MDRI) be-
schlossen, mit der bis April 2009 24 Nationen ihre internationalen Schulden
beim Internationalen Währungsfonds (IWF), der Weltbank und der Afrikani-
schen Entwicklungsbank (ADB) erlassen wurden. Die Bundesregierung hatte
dabei oftmals eine tragende Rolle und hat die Umsetzung intensiv begleitet.
Die durch die Entschuldung frei gewordenen Mittel versetzten die Regierun-
gen der betroffenen Länder grundsätzlich in die Lage, Investitionen zu Guns-
ten der Armutsbekämpfung, der Infrastruktur und der Energieversorgung so-
wie der Reform der Sozial- und Finanzsysteme zu finanzieren.

2. Die Niedrigeinkommensländer werden vielfach nicht in der Lage sein, genü-
gend eigene finanzielle Ressourcen bereitstellen zu können, um die Ziele der
UN-Millenniumserklärung bis 2015 zu erreichen. Sie sind weiterhin auf Kre-
dite und Zuschüsse der Geber angewiesen. Die Gefahr einer weiteren Ver-

schuldung von Entwicklungsländern bleibt real, daher ist die langfristige
Absicherung einer Schuldentragfähigkeit in den ärmsten Ländern eine ge-
meinsame Herausforderung für Schuldner und Gläubiger. Der IWF und die
Weltbank haben dazu das Rahmenwerk zur Schuldentragfähigkeit von Nied-
rigeinkommensländern (debt sustainability framework, DSF) geschaffen.
Das Kernziel dieses Rahmenwerks besteht darin, dass sich die zukünftige
Vergabe von neuen Mitteln an Niedrigeinkommensländer an der landesspezi-

Drucksache 16/13378 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

fisch festzustellenden Schuldensituation orientieren muss. Das DSF wirkt als
zentraler Orientierungsrahmen für die gesamte internationale Kreditauf-
nahme und -vergabe. Dieser Orientierungsrahmen fordert zum einen den
Gläubiger zu einer verantwortungsbewussten Kreditvergabe nach einheitli-
chen Kriterien auf und verlangt zum anderen vom Schuldner eine genauso
verantwortungsvolle Kreditaufnahmepolitik. Der Handel mit Staatsschuld-
titeln hat jedoch in der Vergangenheit das Ziel der Wiederherstellung der
Schuldentragfähigkeit der Entwicklungsländer konterkariert. Zudem oblie-
gen die Sanktionsmöglichkeiten bei nicht verantwortungsvoller Kreditauf-
nahme grundsätzlich nur den internationalen Finanzinstitutionen.

3. Auf der Ebene der G8-Länder wurde eine Initiative zum Schwerpunkt Schul-
dentragfähigkeit und zur verantwortungsvollen Kreditvergabe gestartet, in
die allerdings auch sog. neue Geber der G20 (u. a. VR China) mit eingebun-
den werden müssen. Eine entsprechende Arbeitsgruppe wurde dazu einge-
richtet. Auch die OECD-Mitgliedstaaten haben sich im Januar 2008 auf Leit-
linien zur nachhaltigen Kreditvergabe bei der Übernahme von staatlichen
Exportkrediten und -bürgschaften für die ärmsten Länder geeinigt. Die Leit-
linien verfolgen das Ziel, Aspekte der Schuldentragfähigkeit systematisch in
den Entscheidungsprozessen zu berücksichtigen.

4. Die erweiterte HIPC-Entschuldungsinitiative und die MDRI, aber auch ein-
zelne länderspezifische Entschuldungsmaßnahmen, wie im Fall von Nigeria
und Irak, haben gezeigt, dass die bilateralen Gläubiger in der Lage und wil-
lens sind, in enger Zusammenarbeit mit den Schuldnern zu verantwortungs-
bewussten Lösungswegen für die Bewältigung nicht nachhaltiger Schulden-
lasten in den Entwicklungs- und Schwellenländern beizutragen. Neben den
hochverschuldeten Ländern gibt es auch in ausgewählten anderen Ländern
gravierende Schuldenprobleme, die angesichts der dortigen wirtschafts-, um-
welt- und sozialpolitischen Rahmenbedingungen ein signifikantes Hindernis
für die weitere Entwicklung insbesondere der Armutsbekämpfung und der
guten Regierungsführung darstellen.

5. Eine Reihe dieser Entwicklungsländer leidet unter stark eingeschränkten
Handlungspotentialen aufgrund einer hohen Verschuldung, die unter schlech-
ter Regierungsführung autoritärer Vorgängerregierungen angehäuft wurde.
Teilweise ist sie auch Folge einer Destabilisierungspolitik durch solche
Regime in ihren Nachbarländern. Die von diesen Regimen aufgenommenen
Kredite wurden vielfach nicht für die Entwicklung des Landes verwendet,
sondern haben vielmehr der Finanzierung anderer Zwecke wie der Ausstat-
tung der Sicherheitskräfte gedient.

In den Fällen von signifikanten innerstaatlichen Systemwechseln und der
Staatensukzession wird daher über die Lehre der sogenannten ‚illegitimen
Schulden‘ (‚odious debts‘) diskutiert. Danach werden bestimmte Regierun-
gen nicht als legitime Vertreter eines Staates eingeordnet, die so den Staat
auch finanziell nicht binden können. Hinsichtlich der Kategorisierung von
Schulden und der juristischen Präzisierung ‚illegitimer Schulden‘ wurden vor
allem von der Weltbank, der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel
und Entwicklung (UNCTAD) und renommierter Völkerrechtler Studienbei-
träge erarbeitet, die dieses Thema beleuchten. Weiterhin offen ist die Frage,
ab wann eine staatliche Struktur als nicht legitim betrachtet werden muss und
wie mit Krediten verfahren werden soll, die vor der Einigung auf ein entspre-
chendes Regelwerk vergeben worden sind.

Bereits im April 2008 hatte das US-Repräsentantenhaus einen Gesetzentwurf
vorgelegt, der die dringende Notwendigkeit für einen Schuldenerlass für die
Entwicklung- und Schwellenländer unterstrich. Darin wird sowohl die Ein-

richtung verantwortlicher internationaler Finanzstandards, um die Entstehung
„of new odious debts“ zu vermeiden, gefordert als auch eine Überprüfung

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/13378

von alten Verbindlichkeiten, die auf geleistete „odious loans“ (illegitime Kre-
dite) evident hindeuten. Der neue US-Präsident Barack Obama kündigte eine
multilaterale Abstimmung und internationale Untersuchungen an, wie durch
Kreditsanktionen Anreize geschaffen werden können, die beispielsweise
private Kreditgeber davon abhalten, repressiven und autoritären Regimen
Geld zu leihen. Die künftige Haltung der USA wird daher bei der weiteren
Ausgestaltung des Regelwerks zur Verschuldung und Entschuldung einen
wichtigen Eckpunkt darstellen.

6. Zur Lösung von Schuldenkrisen ist das kollaborative Zusammenwirken von
souveränen Staaten, Emissionsbanken und Investoren erforderlich. Wegen der
Notwendigkeit, verschiedene Gläubigergruppen von verschiedenen Schuld-
nerklassen vor und während einer Verschuldungskrise zu koordinieren, wäre
zu prüfen, ob ein internationales Insolvenzverfahren für Staaten ein geeignetes
und konsensfähiges Instrument dazu sein könnte. Die Bundesregierung und
der Deutsche Bundestag hatten sich zu einem entsprechenden Vorschlag des
IWF aus dem Jahr 2002 bereits positiv geäußert.

7. Die G20 haben sich am 2. April 2009 dafür ausgesprochen, die Überwa-
chung, Regulierung und Registrierung der Ratingagenturen (Credit Rating
Agencies – CRA) auszudehnen sowie den Ratingprozess transparenter zu
machen. Das ist auch wichtig im Hinblick auf die für die Schuldenfrage ein-
zelner Staaten problematische Bewertung strukturierter Produkte durch inter-
nationale Ratingagenturen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert vor diesem Hintergrund die Bundesregie-
rung auf,

1. darauf hinzuwirken, dass das Rahmenwerk zur Schuldentragfähigkeit von
Niedrigeinkommensländern (DSF) über die internationalen Finanzinstitutio-
nen hinaus für weitere potenzielle Geber- und Nehmergruppen Anwendung
findet und die jeweiligen politischen Verhältnisse in den Entwicklungs- und
Schwellenländern dabei besondere Berücksichtigung finden. Die Handlungs-
kompetenzen und -kapazitäten der Entwicklungsländer sollen durch Intensi-
vierung der technischen Zusammenarbeit (capacity building) weiter ausge-
baut werden;

2. zu prüfen, ob und wie auf eine koordinierte Initiative des von den G20 ein-
gerichteten Financial Stability Board zur Ausarbeitung von Prinzipien und
Regeln für die Schaffung eines internationalen Insolvenzrechts für Staaten
auf Grundlage der „12 Key Standards for Sound Financial Systems“ des
Financial Stability Forum hingewirkt werden kann;

3. zu prüfen, wie die bestehenden Strukturen und Mechanismen zur Regelung
von internationalen Insolvenzverfahren verbessert werden können, um staat-
liche und/oder private Gläubiger und staatliche Schuldner in einer Verschul-
dungskrise zu koordinieren und um die Gleichbehandlung der Gläubiger
sicherzustellen. Dabei soll ebenfalls geprüft werden, ob ein internationales
Insolvenzstreitbeilegungsorgan, wie jüngst im März 2009 von der UN-Com-
mission of Experts on Reforms of the International Monetary and Financial
System (sog. Stiglitz-Kommission) gefordert, zielführend erscheint;

4. die Beschlüsse des Londoner G20-Gipfels hinsichtlich der Kredithilfen für
Entwicklungs- und Schwellenländer zügig umzusetzen;

5. darauf hinzuwirken, dass die Maßgabe der G20 umgesetzt wird, die politi-
sche Aufsicht gegenüber strukturierten Finanzprodukten zu intensivieren, die
im Zusammenhang mit der Verschuldungssituation von Entwicklungs- und
Schwellenländern stehen können;

Drucksache 16/13378 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
6. wie bereits in der EU auch in internationalen Verhandlungen mit anderen
wichtigen Partnern darauf hinzuwirken, dass gemäß den Forderungen des
G20-Gipfels Ratingagenturen einer Aufsichts- und Registrierungspflicht be-
ziehungsweise einem Verfahren unterstellt werden, aus dem ersichtlich wird,
auf welcher Grundlage die Ratingagenturen die Bonität ihrer Kunden ein-
schließlich der Entwicklungs- und Schwellenländer beurteilen.

Berlin, den 17. Juni 2009

Volker Kauder, Dr. Peter Ramsauer und Fraktion
Dr. Peter Struck und Fraktion

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