BT-Drucksache 16/13319

Beim Bundeskriminalamt geführte "Gewalttäter"- und andere Dateien

Vom 8. Juni 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/13319
16. Wahlperiode 08. 06. 2009

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Sevim Dag˘delen, Kersten Naumann und der
Fraktion DIE LINKE.

Beim Bundeskriminalamt geführte „Gewalttäter“- und andere Dateien

Im Zuge der Repression gegen Antimilitaristinnen und Antimilitaristen, die im
April 2009 gegen den NATO-Gipfel in Strasbourg/Baden-Baden protestierten,
sind erneut die so genannten Gewalttäter-Dateien „Gewalttäter links“ und
„International agierende gewalttätige Störer“ (IgaSt) benutzt worden.

Der Zugriff auf die Dateien ist unterschiedlich organisiert, so ist IgaSt eine
Zentraldatei, in die das Bundeskriminalamt (BKA) selbst Daten einpflegt,
während bei der Verbunddatei „Gewalttäter links“ auch die Länderpolizeien
eingabe- und abrufberechtigt sind. Die Daten stehen demzufolge auch für Maß-
nahmen wie Gefährderansprachen, Meldeauflagen und Ausreiseverbote zur
Verfügung.

Anders als ihre Bezeichnungen suggerieren, enthalten die Dateien keineswegs
nur Angaben über Gewalttäter. Vielmehr finden sich darin auch Personen, ge-
gen die lediglich Platzverweise ausgesprochen worden sind. Als „Gewalttäter
links“ kann man auch dann registriert werden, wenn die Polizei wegen „Nöti-
gung“ ermittelt oder wegen eines Vergehens nach dem Versammlungsgesetz.
Das Mitführen eines Halstuches, das theoretisch als Vermummungsgegenstand
genutzt werden könnte, kann für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens
und damit zur Aufnahme in die Gewalttäter-Datei genügen. In die Datei
„IgaSt“ können selbst „Kontakt- und Begleitpersonen“ angeblicher Gewalttäter
aufgenommen werden.

Noch fragwürdiger ist die Praxis des BKA, die einmal gespeicherten Datensätze
auch dann nicht zwingend zu löschen, wenn das Ermittlungsverfahren eingestellt
worden ist oder ein gerichtlicher Freispruch erfolgt ist. Die Speicherfrist beträgt
fünf Jahre und kann verlängert werden. Ein Rechtsschutz existiert nur theo-
retisch, weil die Betroffenen nicht von Amts wegen über ihre Speicherung infor-
miert werden.

Für die Betroffenen hat die – zu Recht oder Unrecht – unterstellte Gewaltbereit-
schaft gravierende Folgen. Eine Demonstrantin, die drei Jahre nach Einstellung
eines Ermittlungsverfahrens wegen Nötigung in die polizeiliche Vorkontrolle
einer Demonstration gerät, muss eher als andere Demonstranten damit rechnen,

dass eine mitgeführte Sonnenbrille als Vermummungsgegenstand interpretiert
wird und die Polizei sie in Gewahrsam nimmt. Dadurch droht umgehend ein wei-
terer Eintrag in die Datei – ohne dass es jemals zu einer Gewalttat gekommen ist.
Nicht nur das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit ist damit auf eine unabseh-
bar lange Zeit massiv eingeschränkt, sondern – angesichts Meldeauflagen und
Ausreiseverboten – auch das Grundrecht auf Freizügigkeit. Bei Weitergabe der
Daten an ausländische Polizeien drohen weitere Grundrechtseinschränkungen

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im Ausland. Angesichts solch massiver Verletzungen der Freiheitsrechte sind die
weichen Kriterien, die derzeit zur Aufnahme in die Gewalttäterdateien führen,
weder grundrechtskonform noch verhältnismäßig.

Abgesehen davon ergibt sich aus einem Urteil des Oberverwaltungsgerichts
Lüneburg die Rechtswidrigkeit der Verbunddateien. Das Gericht hat im Dezem-
ber 2008 bezüglich der „Gewalttäterdatei Sport“ festgestellt, dass es zu deren
Betrieb einer Rechtsverordnung durch das Bundesministerium des Innern (BMI)
mit Zustimmung des Bundesrates bedürfe. Weil beides nicht erfolgt ist, wurde
der Klage einer Person auf Löschung aus dieser Datei stattgegeben. Da zumin-
dest die Dateien „Gewalttäter links“ und „Politisch motivierte Ausländerkrimi-
nalität“ gleichartig strukturiert sind, dürften auch diese illegal sein.

Der Bundesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit mahnt in sei-
nem 22. Tätigkeitsbericht erneut eine Rechtsverordnung zum Führen der Ver-
bunddateien an. Die entgegenstehende Rechtsauffassung des BMI sei „weder
durch den Wortlaut der einschlägigen Regelungen noch durch die Gesetzes-
materialen zum BKA-Gesetz gestützt“. Sollte das BMI an seiner Rechtsauffas-
sung festhalten, riskiere es, dass die Gesamtheit der in Verbunddateien erfol-
genden polizeilichen Datenverarbeitung für rechtswidrig erklärt werde.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wird derzeit an einer Rechtsverordnung gearbeitet, die den genannten For-
derungen des Bundesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit
gerecht wird?

a) Wenn ja, soll diese Verordnung alle Verbunddateien betreffen oder nur
einige (bitte gegebenenfalls einzeln nennen)?

b) Wenn nein, warum nicht?

2. Wie viele Personen sind derzeit in der Datei „Gewalttäter links“ gespei-
chert?

a) Wie viele dieser Personen sind rechtskräftig wegen einer Gewalttat verur-
teilt?

b) Gegen wie viele dieser Personen läuft derzeit ein Ermittlungsverfahren
wegen einer Gewalttat?

c) Welche Dienststellen (Abteilungen) sind auf Seiten der Länderpolizeien
zur Einspeisung und zum Abruf von Daten berechtigt?

d) Wie beurteilt die Bundesregierung die Wirksamkeit dieser Datei, und
welche Kriterien legt sie dieser Beurteilung zugrunde?

e) Wie häufig, und bei welchen Gelegenheiten sind ausländischen Polizei-
behörden (diese bitte genau bezeichnen) seit Einrichtung der Datei Da-
tensätze hieraus übermittelt worden (soweit möglich bitte auch die über-
mittelnde Polizeibehörde angeben), und auf welcher Rechtsgrundlage?

3. Wie viele Personen sind derzeit in der Datei „IgaSt“ gespeichert?

a) Wie viele dieser Personen sind rechtskräftig wegen einer Gewalttat verur-
teilt worden?

b) Gegen wie viele dieser Personen läuft derzeit ein Ermittlungsverfahren
wegen einer Gewalttat?

c) Wie viele Kontakt- und Begleitpersonen sind in dieser Datei gespeichert?

d) Wie beurteilt die Bundesregierung die Wirksamkeit dieser Datei, und
welche Kriterien legt sie dieser Beurteilung zugrunde?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/13319

e) Wie häufig, und bei welchen Gelegenheiten sind ausländischen Polizei-
behörden (diese bitte genau bezeichnen) seit Einrichtung der Datei Daten-
sätze hieraus übermittelt worden (soweit möglich bitte auch die übermit-
telnde Polizeibehörde angeben), und auf welcher Rechtsgrundlage?

4. Wie viele Personen sind derzeit in der Datei „Gewalttäter politisch motivier-
ter Ausländerkriminalität“ gespeichert?

a) Wie viele dieser Personen sind rechtskräftig wegen einer Gewalttat verur-
teilt worden?

b) Gegen wie viele dieser Personen läuft derzeit ein Ermittlungsverfahren
wegen einer Gewalttat?

c) Wie viele Kontakt- und Begleitpersonen sind in dieser Datei gespeichert?

d) Welche Dienststellen (Abteilungen) sind auf Seiten der Länderpolizeien
zur Einspeisung und zum Abruf von Daten berechtigt?

e) Wie häufig, und bei welchen Gelegenheiten sind ausländischen Polizei-
behörden (diese bitte genau bezeichnen) seit Einrichtung der Datei Daten-
sätze hieraus übermittelt worden (soweit möglich bitte auch die übermit-
telnde Polizeibehörde angeben), und auf welcher Rechtsgrundlage?

f) Wie beurteilt die Bundesregierung die Wirksamkeit dieser Datei, und
welche Kriterien legt sie dieser Beurteilung zugrunde?

5. Wie viele Personen sind derzeit in der Datei „Gewalttäter Sport“ gespeichert?

a) Wie viele dieser Personen sind rechtskräftig wegen einer Gewalttat verur-
teilt worden?

b) Gegen wie viele dieser Personen läuft derzeit ein Ermittlungsverfahren
wegen einer Gewalttat?

c) Wie viele Kontakt- und Begleitpersonen sind in dieser Datei gespeichert?

d) Wer genau ist auf Seiten der Länderpolizeien zur Einspeisung und zum
Abruf von Daten berechtigt?

e) Wie häufig, und bei welchen Gelegenheiten sind ausländischen Polizei-
behörden (diese bitte genau bezeichnen) seit Einrichtung der Datei Daten-
sätze hieraus übermittelt worden (soweit möglich bitte auch die übermit-
telnde Polizeibehörde angeben), und auf welcher Rechtsgrundlage?

f) Wie beurteilt die Bundesregierung die Wirksamkeit dieser Datei, und
welche Kriterien legt sie dieser Beurteilung zugrunde?

6. Welche Bedingungen knüpft die Bundesregierung an die Übermittlung von
Daten an ausländische Sicherheitsbehörden, insbesondere hinsichtlich Spei-
cherfrist und Zweckbindung, und welche Möglichkeit hat die Bundesregie-
rung nachzuprüfen, ob die ausländischen Sicherheitsbehörden diese Bedin-
gungen einhalten?

Welche konkreten Erfahrungen sind dabei gemacht worden?

7. Wie viele der in den Dateien „IgaSt“, „Gewalttäter links“, „Gewalttäter
politisch motivierter Ausländerkriminalität“ und „Gewalttäter Sport“ ge-
speicherten Personen sind aufgrund von Hinweisen ausländischer Sicher-
heitsbehörden (welcher?) gespeichert worden?

a) Welche Möglichkeit hat die Bundesregierung nachzuprüfen, ob die Infor-
mationen dieser Sicherheitsbehörden zutreffend sind?

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b) Nimmt das BKA bei aus dem Ausland zufließenden Informationen, die
zur Aufnahme oder zum Verbleib einer Person in die bezeichneten
Dateien führen, stets eine Überprüfung der inhaltlichen Richtigkeit der
übermittelten Informationen sowie der Zulässigkeit der angewandten
Ermittlungsmethoden vor, und wenn nein, warum nicht?

8. Auf welchen Informationen beruht die Einstufung von Personen als Be-
schuldigten bzw. Verdächtigten, und worauf gründet das BKA seine
Einschätzung, diese Personen könnten künftig „Straftaten von erheblicher
Bedeutung begehen“?

9. Sind die in der nach Angaben der Bundesregierung mittlerweile gelöschten
Datei „G8“ enthalten gewesenen Daten ebenfalls sämtlich gelöscht worden
oder (teilweise) in andere Dateien übertragen worden, und wenn ja, wie
viele und welche Daten in welche Dateien?

10. Wie oft ist seit Beginn des Jahres 2001 deutschen Staatsbürgern die Aus-
reise insgesamt untersagt worden?

a) Wie oft waren hiervon Personen betroffen, die in der Datei „Gewalttäter
links“ gespeichert waren?

b) Wie oft waren hiervon Personen betroffen, die in der Datei „IgaSt“ ge-
speichert waren?

c) Wie oft waren hiervon Personen betroffen, die in der Datei „Gewalttäter
Sport“ gespeichert waren?

d) Wie oft waren hiervon Personen betroffen, die in der Datei „Gewalttäter
politisch motivierter Ausländerkriminalität“ gespeichert waren?

e) Welche Bedeutung haben die vorgenannten Dateien für Erlass und
Durchsetzung von Ausreiseuntersagungen?

11. Welche Bedeutung haben die vorgenannten Dateien nach Kenntnis der
Bundesregierung für Anordnung sowie Umsetzung von Meldeauflagen,
Aufenthaltsverboten und Gefährderansprachen, und in welchem Umfang
wird hiervon Gebrauch gemacht?

12. Kann die Bundesregierung nachvollziehen, wie oft seit Einrichtung der
Dateien insgesamt auf diese zugegriffen wurde bzw. Daten aus diesen Da-
teien abgefragt worden sind (bitte ggf. auch Angaben zu den abfragenden
Stellen machen und nach den vorgenannten Dateien differenzieren)?

13. Wie viele Anträge auf Löschung oder Berichtigung aus den genannten
Dateien sind seit ihrer Einrichtung gestellt worden, und wie wurden diese
beschieden (bitte für jede Datei einzeln angeben und nach einzelnen Jahren
untergliedern)?

14. Welche Anstrengungen hat die Bundesregierung unternommen, um das
Ausmaß an Grundrechtseinschränkungen zu untersuchen, denen in den
genannten Gewalttäterdateien gespeicherte Personen unterworfen sind
(insbesondere wiederholte Ingewahrsamnahme, Aufenthaltsverbote, Mel-
deauflagen), und zu welchem Ergebnis ist sie dabei gekommen, und wie
beurteilt sie diese Grundrechtseinschränkungen unter dem Gesichtspunkt,
dass längst nicht alle der in den Dateien erfassten Personen tatsächlich Ge-
walttäter sind?

15. Beabsichtigt die Bundesregierung, zur Vermeidung von Grundrechts-
einschränkungen für Bürgerinnen und Bürger die Handhabung der genann-
ten Dateien dahingehend zu ändern, dass auf das bisherige Verdachts- und
Anschuldigungsprinzip verzichtet wird und nur noch solche Personen darin

gespeichert werden, die nachweisbar und tatsächlich Gewalttaten begangen
haben?

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16. Wie viele Datensätze enthalten die übrigen, in der Antwort der Bundesre-
gierung auf die Kleine Anfrage „Möglichkeiten der Zusammenarbeit der
Sicherheitsbehörden des Bundes“ (Bundestagsdrucksache16/2875) aufge-
führten Dateien zum gegenwärtigen Zeitpunkt (bitte die Dateien einzeln
anführen und ebenfalls die Zahl der Personen angeben, nach Verbund-,
Zentral- und Amtsdateien unterscheiden und die jeweilige Rechtsgrundlage
angeben)?

17. Welchem Zweck dient die Datei „Innere Sicherheit“, und welchen Umfang
hat sie derzeit?

a) Welche Kriterien gelten für die Aufnahme von Datensätzen in diese
Datei?

b) In welchem Verhältnis steht diese Datei zur früheren Datei APIS (Ar-
beitsdatei PIOS – Innere Sicherheit)?

18. Welche weiteren Dateien führen das BKA sowie die Bundespolizei zum
Zweck der Unterstützung der Prävention, der Gefahrenabwehr oder der
Strafverfolgung (bitte das Datum der Einrichtung der Dateien nennen, die
Rechtsgrundlage, Zahl der Datensätze sowie die Zahl der Personen, die
Speicherfrist sowie Charakter der Datei)?

19. Welche Stelle, Gruppe bzw. Abteilung innerhalb des BKA ist für die Ver-
waltung der genannten „Gewalttäter“-Dateien sowie die Datenweitergabe
verantwortlich?

Berlin, den 3. Juni 2009

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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