BT-Drucksache 16/13318

Unterstützung deutscher Polizei- und Militärbehörden für den G8-Gipfel 2009 in Italien

Vom 8. Juni 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/13318
16. Wahlperiode 08. 06. 2009

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Heike Hänsel, Inge Höger, Jan Korte, Petra Pau
und der Fraktion DIE LINKE.

Unterstützung deutscher Polizei- und Militärbehörden für den G8-Gipfel 2009
in Italien

Der diesjährige G8-Gipfel wird im Juli in L’Aquila/Italien stattfinden. Die re-
pressiven Maßnahmen, die seitens der G8-Staaten ohnehin schon gegen globa-
lisierungskritische Bewegungen ergriffen werden, sind erfahrungsgemäß in Ita-
lien besonders drastisch. Das wurde deutlich, als italienische Carabinieri – ein
militärisches Polizeikorps – im Juli 2001 während des G8-Gipfels in Genua einen
21-jährigen Demonstranten erschossen. Daran anschließend führten Polizeikräfte
regelrechte Prügelorgien und Folterungen bei einem Überfall auf die Diaz-Schu-
len durch, in denen mehrere Globalisierungsgegnerinnen und Globalisierungs-
gegner übernachtet hatten. Auch in einer Haftanstalt kam es zu Folterungen und
Körperverletzungen durch Polizisten. Mehrere Polizeibeamte sind deswegen be-
reits zu Freiheitsstrafen von bis zu vier Jahren verurteilt worden. Die strafrecht-
liche Aufarbeitung dieser Überfälle geht jedoch extrem langsam vor sich.

Zu Befürchtungen, dass es auch beim bevorstehenden G8-Gipfel erhebliche
Verletzungen demokratischer Grundrechte geben wird, gibt es angesichts der
aktuellen Umstände in der vorgesehenen Tagungsregion erhöhten Anlass. Nach
dem Erdbeben in den Abruzzen ist die Region in einer Art Ausnahmezustand,
Polizei und Armee sind allgegenwärtig. Die Region ist hochmilitarisiert, die Be-
völkerung klagt bereits jetzt über erhebliche Bevormundung und Freiheits-
einschränkungen seitens des Staates. Die ökologische Tageszeitung „Terra!“
fasst zusammen: „Ständige Ausweiskontrollen, Polizeisperren, faktische, wenn
auch nicht erklärte Ausgangssperren nach 20 Uhr im gesamten Territorium, Ent-
zug jeder Entscheidungsmacht und jeden Mitsprachrechts für die örtlich ge-
wählten Volksvertreter, Identifikationsarmbänder in einigen Camps und Passier-
scheine in den übrigen, Kontrollen auf Schritt und Tritt.“ (Terra!, 6. Mai 2009,
Übersetzung nach http://www.gipfelsoli.org/Home/L_Aquila_2009/6976.html)

Bei der deutschen Unterstützung für die italienische Polizei ist daher starke Zu-
rückhaltung geboten. Die Bereitstellung von Einsatzkräften oder Einsatzgerät
wie etwa Wasserwerfern droht bei einer Unterstellung unter italienisches Kom-
mando zur Beihilfe zur Körperverletzung zu geraten. Die Weitergabe von Per-
sonendaten von (tatsächlichen oder angeblichen) Globalisierungsgegnern an
italienische Behörden droht die betroffenen Personen zur Zielscheibe weiterer

staatlicher Gewaltausübung zu machen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Formen der Unterstützung will die Bundesregierung den italie-
nischen Behörden in Zusammenhang mit dem G8-Gipfel sowie dem polizei-
lichen Vorgehen gegen Globalisierungsgegnerinnen und -gegner gewähren?

Drucksache 16/13318 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

2. Beabsichtigt die Bundesregierung, deutsche Staatsbürger an der Ausreise
nach Italien im Zusammenhang mit dem G8-Gipfel zu hindern, und wenn ja,

a) nach welchen Kriterien will sie dabei verfahren,

b) welche Dateien will sie dabei heranziehen?

3. Beabsichtigt die Bundesregierung, den zuständigen Behörden der Bundes-
länder zu empfehlen, bestimmten Personen Meldeauflagen zu erteilen oder
andere Maßnahmen gegen sie zu ergreifen, um sie an der Ausreise nach Ita-
lien im Zusammenhang mit dem G8-Gipfel zu hindern?

4. Zieht die Bundesregierung aus den Polizeiüberfällen auf Globalisierungs-
gegner im Jahr 2001 die Konsequenz, keine deutschen Sicherheitskräfte zur
Unterstützung der italienischen Behörden im Zusammenhang mit dem G8-
Gipfel zu entsenden, und falls nein,

a) wie viele Vertreter welcher Sicherheitsbehörden sollen entsandt werden,

b) für welchen Zeitraum soll die Entsendung erfolgen,

c) welche Aufgaben sollen diese wahrnehmen (bitte detailliert angeben und
nach Bundeskriminalamt – BKA, Bundespolizei, Länderpolizeien und
ggf. anderen Behörden aufgliedern),

d) sollen deutsche Polizisten unter italienischem Kommando eingesetzt
werden ähnlich wie zuletzt in Strasbourg, als deutsche Polizisten unter
französischem Kommando standen, und wenn ja, wie viele und wer ge-
nau hat das Kommando,

e) wie will die Bundesregierung angesichts der bis heute nicht abschließend
aufgearbeiteten Überfälle der italienischen Polizei auf Globalisierungs-
gegner im Jahr 2001 sicherstellen, dass deutsche Polizisten ähnliche
rechtswidrige Maßnahmen nicht unterstützen, auch nicht indirekt?

5. Welche Polizeifahrzeuge und welches andere Polizeigerät sollen in Italien
eingesetzt werden?

a) Wie viele Wasserwerfer sind hierunter?

b) Falls die Bundesregierung noch keine genauen Angaben hierzu machen
kann, ist sie bereit, die Bereitstellung von Wasserwerfern und den Be-
schuss von Demonstranten mit Tränengas durch deutsche Polizeikräfte
auszuschließen?

6. Ist seitens der Bundesregierung beabsichtigt, das Schengener Abkommen zu
suspendieren und Grenzkontrollen an den deutschen Außengrenzen einzu-
führen, und wenn ja, sollen diese Grenzkontrollen nur an den deutsch-fran-
zösischen, deutsch-österreichischen und deutsch-schweizerischen Grenz-
übergängen sowie an Flughäfen bei Direktflügen nach Italien erfolgen oder
auch an anderen Grenzübergängen, und ab welchem Zeitpunkt?

7. Beabsichtigt die Bundesregierung, den italienischen Behörden in Zusam-
menhang mit dem G8-Gipfel Datensätze über angebliche Störer oder andere
Personen zu übermitteln oder hat sie dies bereits getan, und wenn ja,

a) aus welchen Dateien stammen die betreffenden Datensätze, und über wie
viele Personen wurden jeweils (pro Datei) Informationen übermittelt,

b) nach welchen Kriterien wurden die von der Datenweitergabe betroffenen
Personen ausgewählt,

c) welche italienische Behörde war Empfängerin dieser Daten,

d) auf welcher Rechtsgrundlage erfolgte der Datenaustausch,

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/13318

e) wie viele der Personen, deren Daten übermittelt wurden, sind rechts-
kräftig wegen einer Gewalttat vorbestraft, und wie viele von ihnen sind
bislang überhaupt nicht vorbestraft,

f) erfolgte die Datenübermittlung auf eigene Initiative der deutschen Be-
hörden oder auf Nachfrage von Seiten der italienischen Behörden,

g) welche Speicherfristen sind den italienischen Behörden genannt wor-
den?

8. Haben deutsche Sicherheitsbehörden von italienischen Behörden personen-
gebundene Daten im Zusammenhang mit dem G8-Gipfel entgegengenom-
men, und wenn ja,

a) um wie viele Personen handelt es sich dabei,

b) was ist Zweck der Datenweitergabe,

c) wer hat die Daten auf deutscher Seite entgegengenommen,

d) an welche anderen Behörden wurden oder werden sie noch weitergelei-
tet,

e) auf welcher Rechtsgrundlage wurde hierbei gehandelt?

9. Sind bislang mit italienischen Sicherheitsbehörden Informationen über glo-
balisierungskritische Organisationen, Medien oder Einzelpersonen ausge-
tauscht worden, und wenn ja, welche Behörden waren dabei sowohl auf
deutscher als auch italienischer Seite beteiligt, und welche Informationen
sind ausgetauscht worden?

10. Wie viele derjenigen deutschen Staatsangehörigen, die im Rahmen des G8-
Gipfels in Genua 2001 fest- oder in Gewahrsam genommen worden sind,
sind weiterhin in den Dateien „Landfriedensbruch“, „APIS“ bzw. „Innere
Sicherheit“, „Gewalttäter links“ oder „International agierende gewaltbe-
reite Störer“ gespeichert (vgl. Bundestagsdrucksache 14/6960, Antwort zu
Frage 12)?

11. Welche Initiativen wird die Bundesregierung in diesem Zusammenhang er-
greifen (oder sind in Planung), um zu einer systematischen Informations-
sammlung über „gewaltbereite Störer“ zu kommen, auf die die Mitglied-
staaten im Rahmen solcher Ereignisse zugreifen können?

Welche Dateien bestehen ggf. bereits beim Europäischen Polizeiamt (Euro-
pol)?

12. Wird die Bundeswehr in Zusammenhang mit dem G8-Gipfel Unterstüt-
zungsleistungen erbringen, und wenn ja, welcher Art oder sind entspre-
chende Anfragen italienischer Behörden eingegangen oder angekündigt
worden (bitte detailliert nennen)?

13. Werden andere deutsche Behörden in Zusammenhang mit dem G8-Gipfel
Unterstützungsleistungen erbringen, und wenn ja, welcher Art oder sind
entsprechende Anfragen italienischer Behörden eingegangen oder ange-
kündigt worden (bitte detailliert nennen)?

14. Welche Formen der Sicherheitskooperation gibt es im Vorfeld des G8-Gip-
fels, und welche sollen noch hinzu kommen?

15. Haben sich italienische Behörden mit einem Fragenkatalog an deutsche
Sicherheitsbehörden in Zusammenhang mit dem G8-Gipfel gewandt, und
wenn ja,

a) welche Fragen sind gestellt worden,

b) wie wurden diese Fragen beantwortet (bitte jeweils den Wortlaut mittei-
len),
c) welche deutsche Behörde hat die Fragen beantwortet,

Drucksache 16/13318 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
d) welche italienischen Behörden haben die Antworten erhalten?

16. Welche Planungs- und Kooperationstreffen hat es im Rahmen der Zusam-
menarbeit gemäß EU-SEC – „Coordinating National Research Programs
on Security during Major Events in Europe“ (European House of Security
at Major Events – EU-SEC II) gegeben, wer war daran beteiligt (bitte ein-
zelne Behörden nennen), und was war Gegenstand der Gespräche?

17. In welche Vorbereitungs-, Planungs-, Koordinierungs- und Leitungsgre-
mien werden deutsche Behörden in Zusammenhang mit dem G8-Gipfel
eingesetzt werden?

a) Wie viele deutsche Verbindungs- oder anderen Kräfte werden dabei ein-
gesetzt, und aus welchen Behörden stammen diese?

b) Wie viele Kräfte anderer Staaten werden in diesen Gremien und Stäben
eingesetzt?

c) Was sind Funktion und Aufgabe dieser Stäbe und Gremien?

d) Inwiefern ist beabsichtigt, den deutschen Verbindungskräften Einblick
in die beabsichtigte Polizeistrategie zu gewähren, sowohl im Vorfeld des
Gipfels als auch während stattfindender Demonstrationen?

e) Inwieweit kommt den eingesetzten deutschen Verbindungskräften eine
beratende Funktion bei Planung und Umsetzung der Polizeistrategie zu?

18. Inwieweit wird sich die Europäische Grenzschutzagentur FRONTEX nach
Kenntnissen der Bundesregierung an einem G8-Einsatzzentrum (analog
zum SICC während der Europameisterschaft in Österreich und der Schweiz)
beteiligen, und mit wie vielen Beamten?

19. Welche Planungen sind der Bundesregierung bekannt, analog zu einem
Einsatz von FRONTEX im Rahmen der EM 2008 mit damals 140 Beamten
an Flughäfen und Außengrenzen einen ähnlichen Einsatz im Rahmen des
G8-Gipfels durchzuführen, und wie viele Beamte sollen daran insgesamt
und aus Deutschland beteiligt sein?

20. Welche Vorfeldanalysen nimmt FRONTEX in diesem Zusammenhang
nach Kenntnis der Bundesregierung vor?

21. Inwieweit wurden oder werden nach Kenntnis der Bundesregierung in die
Planungen der Polizeieinsatzstrategien zum G8-Gipfel in L’Aquila Exper-
tinnen und Experten der Europäischen Grundrechteagentur einbezogen, um
die italienischen Behörden bei einer Grundrechte schützenden Durchfüh-
rung der Einsätze zum Schutz des Gipfels und der Proteste zu unterstützen?

22. Ist der Bundesregierung bekannt, ob die italienische Regierung bzw. italie-
nische Polizeibehörden mutmaßliche bzw. mutmaßlich potentielle Teilneh-
merinnen und Teilnehmer an einem bestimmten „Block“ der geplanten
Demonstrationszüge wegen „Mitwirkung an einer bewaffneten Vereini-
gung“ strafverfolgen will oder wird, und wenn ja, um welche Vereini-
gungen handelt es sich dabei?

Berlin, den 3. Juni 2009

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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