BT-Drucksache 16/12992

Die Situation von Frauenhäusern verbessern

Vom 13. Mai 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/12992
16. Wahlperiode 13. 05. 2009

Antrag
der Abgeordneten Michaela Noll, Antje Blumenthal, Maria Eichhorn, Ingrid
Fischbach, Dr. Maria Flachsbarth, Markus Grübel, Uda Carmen Freia Heller,
Hartmut Koschyk, Katharina Landgraf, Paul Lehrieder, Thomas Mahlberg,
Dr. Eva Möllring, Dr. Norbert Röttgen, Johannes Singhammer, Elisabeth
Winkelmeier-Becker, Volker Kauder, Dr. Peter Ramsauer und der Fraktion
der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Renate Gradistanac, Edelgard Bulmahn, Petra Ernstberger,
Iris Gleicke, Angelika Graf (Rosenheim), Kerstin Griese, Jürgen Kucharczyk,
Ute Kumpf, Helga Lopez, Caren Marks, Thomas Oppermann, Sönke Rix,
Marlene Rupprecht (Tuchenbach), Wolfgang Spanier, Dieter Steinecke,
Lydia Westrich, Dr. Peter Struck und der Fraktion der SPD

Die Situation von Frauenhäusern verbessern

Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Gewalt gegen Frauen ist eine besonders schwere Form der Diskriminierung.
Sie wird auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene immer wieder
angeprangert. Dieser Menschenrechtsverletzung entgegenzuwirken und den
betroffenen Frauen den notwendigen Schutz zu gewähren, ist unser Auftrag.

Im deutschen Recht existieren konkrete gesetzliche Regelungen, die präventiv
vor Gewalt schützen bzw. repressiv die Anwendung von Gewalt mit Strafe
bedrohen. Dennoch ist körperliche sowie sexuelle Gewalt gegen Frauen keine
Ausnahme. Einer Studie zufolge haben in Deutschland etwa 40 Prozent der
befragten Frauen Gewalterfahrungen gemacht. Jede vierte Frau hat Gewalt im
häuslichen Umfeld durch den Partner erlebt, wobei kein Zusammenhang zwi-
schen Gewalt und Bildungsstand bzw. Schichtzugehörigkeit feststellbar war.

Für von häuslicher Gewalt bedrohte Frauen besteht in Deutschland die Mög-
lichkeit, in akuten Gefahrensituationen Hilfe durch Wohnungswegweisung des
Mannes nach dem Gewaltschutzgesetz durch die Polizei und später durch das
Gericht zu erhalten.

Dennoch kann mithilfe dieser Maßnahme nicht in allen Fällen ein ausreichen-
der Schutz für die Betroffenen erreicht werden. Steht zu befürchten, dass der
Gewalt ausübende Mann sich nicht an das Verbot halten wird, ist es für die be-
troffenen Frauen und ihre Kinder häufig sicherer, erst einmal die gemeinsame
Wohnung zu verlassen. Gerade für diese besonders gravierenden Fälle sind
Frauenhäuser oder andere Schutzeinrichtungen als Zufluchtsort ein unverzicht-
bares Hilfsangebot.

Frauenhäuser sind daher für die betroffenen Frauen und ihre Kinder die zentrale
Anlaufstelle. Opfer häuslicher Gewalt finden dort Schutz vor weiteren Miss-
handlungen sowie Unterstützung dabei, Gewalterfahrung zu überwinden und
ein selbstbestimmtes Leben aufzubauen. Frauenhäuser sind seit mehr als
30 Jahren unverzichtbare Einrichtungen für Opfer von häuslicher Gewalt und

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haben als solche unbestritten einen hohen gesellschaftlichen Stellenwert. Der
Bedarf an Frauenhausplätzen ist nach wie vor unvermindert hoch.

Nach den Erkenntnissen der Landesgleichstellungsministerien gibt es in
Deutschland rund 330 Frauenhäuser mit insgesamt mehr als 6 400 Frauen-
hausplätzen. Hinzu kommen ca. 60 Zufluchtswohnungen mit insgesamt gut
330 Plätzen, sowie einige weitere Einrichtungen, über die den Bundesländern
keine Daten vorliegen. Deutschland verfügt damit gegenwärtig über rund 7 000
Plätze für von Gewalt betroffene Frauen und ihre Kinder. Vom Europarat in
Auftrag gegebene Erhebungen aus dem Jahr 2008 weisen für Deutschland hin-
sichtlich des Indikators „Plätze pro 10 000 Einwohner“ eine der besten Ver-
sorgungen mit Frauenhausplätzen in Europa auf. Der Europarat empfiehlt einen
Frauenhausplatz pro 7 500 Einwohnerinnen und Einwohnern bereitzustellen.
Wenn Deutschland zur Spitzengruppe gehören möchte, müssten rund 11 800
Plätze zur Verfügung gestellt werden.

Die Anzahl der zur Verfügung stehenden Plätze wird seitens der Bundesländer
als bedarfsgerecht bzw. weitgehend bedarfsgerecht eingeschätzt. Diese Ein-
schätzung basiert auf einer Betrachtung der durchschnittlichen Auslastung bzw.
der Belegungszahlen. Ob das Angebot ausreichend ist, kann nach Auffassung
der Frauenhauskoordinierung und der Zentralen Informationsstelle Autonomer
Frauenhäuser nicht zuverlässig festgestellt werden, da es bisher an geeigneten
Messinstrumenten zur Erhebung des tatsächlichen Bedarfs fehlt.

Um Frauen und ihren Kindern jederzeit und unabhängig von der Verfügbarkeit
eigenen Einkommens, aber auch unabhängig von Herkunft, Nationalität und
Aufenthaltsstatus in akuten Gewaltsituationen unbürokratisch einen Platz in
einem Frauenhaus anbieten zu können, benötigen die Frauenhäuser Planungs-
sicherheit durch eine ausreichende Finanzierung.

In der Anhörung des Familienausschusses zur Situation von Frauenhäusern und
den entsprechenden Stellungnahmen der Sachverständigen wurde deutlich,
dass die Finanzierung der Frauenhäuser in den einzelnen Bundesländern sehr
unterschiedlich geregelt ist. Einige Sachverständige waren der Meinung, dass
die Finanzierung bundesweit nicht mehr überall ausreichend gesichert sei. Ziel-
führender wäre ihrer Ansicht nach eher eine bundesweit einheitliche Regelung.

In den meisten Bundesländern bilden Tagessätze, die auf der Grundlage indivi-
dueller Leistungsansprüche der Bewohnerinnen nach dem Zweiten Buch So-
zialgesetzbuch (SGB II), dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) und
dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) an die Einrichtungen gezahlt
werden, die wichtigste Finanzierungsgrundlage der Zufluchtseinrichtungen.
Dabei bestehen zur Tagessatzhöhe unterschiedliche Vereinbarungen zwischen
Kommunen und Einrichtungen. Ergänzend oder alternativ dazu erhalten die
Einrichtungen in den meisten Bundesländern in unterschiedlicher Weise eine
direkte Förderung aus Landes- oder kommunalen Etats.

Insgesamt führen die unterschiedlichen Förderwege und Finanzierungsanteile
zu einem heterogenen Gesamtbild.

Schwierigkeiten treten in besonderer Weise bei tagessatzfinanzierten Frauen-
häusern auf. Hier stellt sich regelmäßig die Frage, wer das Ausfallrisiko für die
durch Tagessätze nicht gedeckten Kosten der Frauenhäuser trägt. Für be-
stimmte Personengruppen, z. B. Studentinnen, Migrantinnen oder Auszubil-
dende ist die Tagessatzfinanzierung besonders problematisch, wenn sie keinen
Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II, SGB XII oder AsylbLG haben.

Obwohl für das SGB II eine klarstellende Regelung zur Kostenerstattung
getroffen wurde, nach der die bisherige Wohnortkommune der Kommune, in
der sich das Frauenhaus befindet, die anfallenden Kosten zu erstatten hat,
scheint es hier in der Praxis gelegentlich Schwierigkeiten zu geben. Erhalten
Frauenhäuser für aufgenommene Frauen keine Kostenerstattungen, müssen die
Frauen die Kosten selbst tragen. Da der überwiegende Teil der Frauen jedoch

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nicht in der Lage ist, den Aufenthalt selbst zu finanzieren, sondern auf Leistun-
gen zur Unterbringung und Betreuung nach SGB II, SGB XII AsylbLG oder
dem Achten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) angewiesen ist, verbleiben die
Kosten, für die eine Klärung der Kostenerstattung fehlschlägt, häufig am Ende
bei den Frauenhäusern selbst.

Die dadurch anfallenden Kosten müssen Frauenhäuser aus anderen Quellen
decken, etwa aus Spenden oder Mitgliedsbeiträgen. Von der Notwendigkeit der
Frauenhäuser, Eigenmittel in nicht unerheblichem Umfang zur Finanzierung
mit heranziehen zu müssen, sind die Frauenhäuser unterschiedlich betroffen.
Falls dies, wie aus der Frauenhauspraxis berichtet, in Einzelfällen eine Ver-
kürzung der Schutzgewährung oder sogar Abweisung von Frauen zur Folge
hat, ist es fraglich, ob ein gleichwertiger Zugang zu den Schutzeinrichtungen
für alle Frauen noch gewährleistet ist. Im Ergebnis besteht Handlungsbedarf.

Die regelmäßig anfallenden Sonderkosten beeinträchtigen die Frauenhäuser
zusätzlich in ihrer Arbeit. Dies hat auch die Anhörung bestätigt. Die über-
wiegende Anzahl der Frauenhäuser würde eine einheitliche Finanzierung
begrüßen. Die Anhörung hat aber ebenfalls deutlich gemacht, dass das Grund-
gesetz die Regelungshoheit für diese Materie zuerst den Ländern zuschreibt.

Die Anhörung hat auch Sonderkosten für die oft noch nicht vorhandene
barrierefreie Ausstattung der Frauenhäuser deutlich gemacht. Frauen mit Be-
hinderung können nur abhängig von der vorhandenen Ausstattung und den
räumlichen Rahmenbedingungen aufgenommen werden.

Darüber hinaus bestehen grundsätzliche Einschränkungen bezüglich der Auf-
nahme für psychisch kranke ebenso wie für alkohol- und drogenabhängige
Frauen.

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung deshalb auf,

● zu prüfen, ob eine bundesgesetzliche bzw. bundesweit einheitliche Finan-
zierung von Frauenhäusern rechtlich zulässig und möglich ist;

● in dem für 2010 anstehenden „Bericht zur Gleichstellung von Frauen und
Männern“, der aus dem Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD folgt,
einen Schwerpunkt bei der Darstellung der Situation der Frauenhäuser zu
setzen;

● im Rahmen der Umsetzung des Aktionsplans II zur Bekämpfung der Gewalt
gegen Frauen bei den Ländern für ein abgestimmtes Vorgehen bei der
Frauenhausfinanzierung zu werben, damit den von Gewalt betroffenen
Frauen und Kindern schnell und unbürokratisch geholfen werden kann und
den Frauenhäusern die notwendige Planungssicherheit ermöglicht wird. Die
Schutzeinrichtungen sollten allen betroffenen Frauen und Kindern gleicher-
maßen offen stehen;

● die Empfehlungen des CEDAW-Ausschusses zum 6. Staatenbericht der
Bundesregierung zu berücksichtigen, die für Deutschland eine sichere
Finanzierung von Frauenhäusern erwarten und einen freien Zugang zu
Frauenhäusern für alle Frauen und Kinder in allen Bundesländern – unab-
hängig vom Einkommen der Frauen;

● im Hinblick auf die gegenwärtig unterschiedlichen Finanzierungsregelungen
der Länder und Kommunen für Frauenhäuser im Dialog mit Bundesländern
und Einrichtungsträgern zu prüfen, wie Leitlinien zur Finanzierung von
Frauenhäusern formuliert werden können. Diese sollen sach- und fach-
gerechte Kriterien und Qualitätsstandards enthalten;

● zusammen mit der Gleichstellungs- und Frauenministerkonferenz nach
Lösungen zu suchen, um auch für flankierende Leistungen der Frauenhäuser,
wie z. B. präventive und nachsorgende Arbeit, Förderung und Betreuung

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von Kindern, regionale und überregionale Vernetzung sowie Aufklärungs-
und Öffentlichkeitsarbeit eine zuverlässige Finanzierung zu finden;

● bei den Ländern dafür zu werben, dass die Finanzierung von Frauenhäusern
auf eine zuverlässige, auskömmliche und kontinuierliche Basis gestellt wird,
z. B. im Wege der institutionellen Förderung von Frauenhäusern; hierbei
sollte geprüft werden, welcher Förderweg, z. B. der in Schleswig-Holstein
oder Thüringen gewählte, als sinnvoller Weg für alle Bundesländer in Be-
tracht kommen könnte;

● die gesetzlichen Vorschriften des SGB II, SGB XII und AsylbLG im Hin-
blick auf die besonderen Belange der von Gewalt betroffenen Frauen zu
überprüfen, d. h. bezüglich des SGB XII und des AsylbLG auch hinsichtlich
einer Kostenerstattung bei Aufenthalt in einem Frauenhaus;

● zu prüfen, welche gesetzlichen Regelungen erforderlich sind, um denjenigen
von Gewalt betroffenen Frauen, die grundsätzlich keinen Anspruch auf
Leistungen nach dem SGB II, SGB XII oder AsylbLG haben, einen barriere-
freien bzw. niedrigschwelligen Zugang zu Schutzeinrichtungen zu ermög-
lichen und hierbei die besonderen Probleme gewaltbetroffener Frauen in
Ausbildung, Studium sowie mit Migrationshintergrund zu berücksichtigen;

● zu prüfen, inwiefern durch klarstellende Regelungen in den entsprechenden
Leistungsgesetzen die bestehenden Finanzierungsprobleme für gewalt-
betroffene Frauen mit Migrationshintergrund beseitigt werden können, um
allen Betroffenen unabhängig von ihrem ursprünglichen Einreisegrund und
Aufenthaltsstatus die Nutzung von Zufluchtstätten entsprechend ihrer Ge-
fährdungslage zu ermöglichen;

● zu prüfen, ob die geltende Rechtslage hinsichtlich der ausländerrechtlichen
Vorschriften ausreichend ist, um den von Gewalt betroffenen ausländischen
Frauen, die Schutz im Frauenhaus suchen, ausreichenden Zugang zu den
Schutzeinrichtungen zu ermöglichen oder ob in dieser Hinsicht eine Er-
weiterung notwendig ist;

● zu prüfen, welche Kostenerstattungsregelung erforderlich erscheint, um
bürokratische Hürden abzubauen, wie zum Beispiel die Übernahme der
Kosten bei mehrfachem Frauenhauswechsel, bei Kurzzeit- und Wochenend-
aufenthalten, bei längerer Aufenthaltsdauer und bei der Geburt eines Kindes
im Frauenhaus. Wenn ein Antrag auf Kostenübernahme nicht weiter verfolgt
wird, muss geprüft werden, wer anstelle des Frauenhauses das Ausfallrisiko
trägt. Es sollte nicht beim Frauenhaus verbleiben;

● bei den Ländern und Kommunen dafür zu werben, dass vertragliche Ver-
einbarungen mit dem Kostenträger keine Maßgaben enthalten, die Frauen-
häusern die Aufnahme „ortsfremder“ Frauen erschweren;

● sich dafür einzusetzen, dass die Anzahl an Frauenhausplätzen mit barriere-
freiem Zugang erhöht wird;

● gemeinsam mit den Ländern zu prüfen, welche Möglichkeiten bestehen bzw.
geschaffen werden sollten, um ein Schutzangebot für von Gewalt betroffene
Frauen vorzuhalten, die obdachlos, psychisch krank, alkohol- oder drogen-
abhängig sind;

● sich bei den Ländern dafür einzusetzen, dass ein zielgruppengerechtes
Schutzangebot auch für minderjährige Frauen vorgehalten wird.

Berlin, den 13. Mai 2009

Volker Kauder, Dr. Peter Ramsauer und Fraktion
Dr. Peter Struck und Fraktion

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