BT-Drucksache 16/12953

Wehrmachtsverherrlichung durch offizielle Ausbildungshandbücher und Liedgut der Bundeswehr

Vom 7. Mai 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/12953
16. Wahlperiode 07. 05. 2009

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Sevim Dag˘delen, Dr. Hakki Keskin,
Kersten Naumann, Petra Pau und der Fraktion DIE LINKE.

Wehrmachtsverherrlichung durch offizielle Ausbildungshandbücher und Liedgut
der Bundeswehr

Das Magazin „kontraste“ hat in seiner Sendung vom 9. April und 30. April
2009 aufgedeckt, dass in der Bundeswehr wehrmachtsverherrlichende Ausbil-
dungshandbücher verwendet werden und Angehörige der Wehrmachts-Sonder-
einheit „Brandenburger“ für die Vorbereitung des Afghanistan-Einsatzes heran-
gezogen werden. Das Magazin berichtete ausführlich über die Bücher „Einsatz-
nah ausbilden“ und „Üben und Schießen“. In diesen von Ausbildern benutzten
Büchern befänden sich Hunderte Originaltexte aus der Wehrmacht, dazu ge-
dacht, Soldatinnen und Soldaten in Kampfstimmung zu versetzen.

Unter anderem befänden sich darin Landsergeschichten, in denen der „Geist
der Truppe“ beschworen werde – gemeint: der Geist der Wehrmacht. In jedem
Kapitel würden Rückgriffe auf Wehrmachts-Richtlinien oder Merkblätter ge-
macht.

Ein von „kontraste“ befragter, für die Ausbildung im Heer verantwortlicher Ge-
neral, äußerte in der Sendung, dass seiner Ansicht nach auch Verbände der
Bundeswehr die „militärischen Grundweisheiten“ der Wehrmacht „zu verinner-
lichen haben“.

Am 30. April 2009 informierte das Magazin, dass eine Publikation, die vom
Militärgeschichtlichen Forschungsamt (MGFA) herausgegeben werde, einen
Aufsatz eines Dietrich Witzel enthalte, Angehöriger der früheren Wehrmachts-
Spezialtruppe „Brandenburger“, die für ihre völkerrechtswidrigen Aktivitäten
und ihre Beteiligung an Verbrechen gegen die Menschheit berüchtigt ist. Hier-
über schreibe der Autor jedoch nicht, sein Thema ist offenbar vielmehr eine
„unpolitische“ Schilderung eines „Brandenburger“-Unternehmens in Afghanis-
tan.

Aus Sicht der Fraktion DIE LINKE. ist es schier unfassbar, dass die Bundes-
wehr derart offen Bezug auf die Wehrmacht nimmt. Dass Soldatinnen und Sol-
daten der Bundeswehr mit Bezug auf die Wehrmacht, die einen rassistischen
Raub- und Vernichtungskrieg geführt hat, auf Einsätze wie in Afghanistan vor-
bereitet werden, ist nach Ansicht der Fragesteller in höchstem Maße problema-

tisch. Um ein Versehen dürfte es sich hierbei kaum handeln. Der frühere Kom-
mandeur des Kommando Spezialkräfte (KSK), General a. D. Reinhard Günzel,
hat bereits vor Jahren darauf hingewiesen, dass sich die Angehörigen dieser
Kommandotruppe in einer ungebrochenen Traditionslinie zu den „Brandenbur-
gern“ sähen. Über rechtsextreme Vorfälle in der Bundeswehr braucht man sich
nicht zu wundern, wenn die Wehrmacht offiziell als „lehrtauglich“ befunden
wird.

Drucksache 16/12953 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele Handbücher „Üben und Schießen“, „Einsatznah ausbilden“, und
wie viele Exemplare des vom MGFA herausgegebenen, in der kontraste-
Sendung vom 30. April 2009 geschilderten Taschenbuches sind innerhalb
der Bundeswehr in Umlauf?

2. Wie viele Angehörige der Bundeswehr (bitte nach Funktion sowie Dienst-
rang darstellen) haben direkten Zugriff auf diese Bücher (bitte detailliert die
Zugriffsmöglichkeiten auf jedes dieser Bücher angeben)?

3. Wie vielen Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr sind im Laufe der
letzten zehn Jahre Inhalte aus diesen Büchern vermittelt worden (bitte nach
den einzelnen Buchtiteln unterscheiden)?

4. Welche Dienststellen waren an der Konzipierung, Erstellung und Endredak-
tion von

a) „Üben und Schießen“,

b) „Einsatznah ausbilden“,

c) dem Taschenbuch zu Afghanistan

beteiligt, und von wem ist die Herausgabe letztendlich bewilligt worden
(bitte einzeln nennen)?

5. Beabsichtigt die Bundeswehr, diese Bücher schnellstmöglich einzuziehen?

6. Welche weiteren Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus diesem Vor-
fall?

7. Wie viele Wehrmachts-/Landsergeschichten sind in den beiden Ausbil-
dungsbüchern enthalten (bitte für jedes Buch getrennt darstellen)?

8. Inwiefern sind Zeilen wie „Das Vertrauen zur Führung ist unangetastet. Daß
ständig kaum ausgeheilte Verwundete und Halbkranke zum ‚alten Haufen‘
drängen, ist … ein Beweis für den Geist der Truppe“ angesichts der Tat-
sache, dass diese Truppe größte Verbrechen gegen die Menschheit anrichtete
und das faschistische Hitlerregime an der Macht hielt, nach Ansicht der
Bundesregierung geeignet, Soldaten der Bundeswehr auf ihre Einsätze vor-
zubereiten?

9. Inwiefern ist der Bezug auf Naziautoren wie Friedrich Altrichter, die sich um
den „völkischen Geist“ der Wehrmachtssoldaten gesorgt haben, nach Auf-
fassung der Bundesregierung geeignet, zur Erziehung von Bundeswehr-
soldatinnen und -soldaten beizutragen?

10. Welchen konkreten Ausbildungszweck für die Bundeswehr hat der Rück-
griff auf den Ausbildungsplan einer Divisions-Kampfschule von 1943?

11. Inwiefern wird in den Handbüchern auch die Geschichte der SS als geeignet
für die Herausbildung der Einsatzbereitschaft von Bundeswehrsoldatinnen
und -soldaten dargestellt?

12. Inwiefern hat die Bundesregierung erwogen, in welchem Maße der Rück-
griff auf faschistische Wehrmachtspropaganda dazu geeignet ist, bei jungen
Soldatinnen und Soldaten eine Nähe zum Rechtsextremismus herzustellen
oder eine etwa schon vorhandene rechtsextreme Einstellung zu befestigen?

13. Inwiefern ist die Heranziehung eines Angehörigen der Division „Branden-
burg“, der ausweislich der kontraste-Sendung die faschistischen Verbrechen
nur als „Seiteneffekt“ der Kriegführung betrachtet, für die Vorbereitung von
Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten auf den Afghanistan-Einsatz zielfüh-
rend?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/12953

14. Ist die Bundesregierung bereit, der an das Ministerium der Verteidigung ge-
richteten Bitte der Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke um Überlassung der
beiden Handbücher zu entsprechen, und wenn nein, warum nicht?

15. Inwiefern ist das sogenannte Panzerlied („Für Deutschland zu sterben ist uns
höchste Ehr“), das selbst nach Auffassung des Ministerpräsidenten von Ba-
den-Württemberg „in keinem Liederbuch etwas verloren“ hat (SZ, 3. April
2009) in der Bundeswehr zugelassen, und inwiefern wird es dort gesungen?

16. Welche weiteren aus dem Faschismus übernommenen Kampf- und Hetz-
lieder sind in der Bundeswehr zugelassen bzw. werden dort gesungen, und
inwiefern dokumentiert sich dies in speziellen Liederbüchern?

17. Beabsichtigt die Bundesregierung eine Klarstellung, dass das Singen solcher
Lieder zu unterlassen ist (bitte ggf. die Titel einzeln benennen)?

18. Beabsichtigt die Bundesregierung angesichts der Tatsache, dass der Bundes-
minister der Verteidigung, Dr. Franz Josef Jung, aus dem Bund Deutscher
Pioniere e. V. mit der Begründung austrat, in diesem Bund seien auch SS-
Angehörige Mitglieder, eine Empfehlung an alle Vertreter des Ministeriums
der Verteidigung abzuleiten, aus Vereinen auszutreten, in denen auch SS-
Angehörige oder andere Angehörige von Verbänden, die Kriegsverbrechen
begangen haben, geehrt werden?

a) Wenn ja, an welche Vereine denkt die Bundesregierung dabei?

b) Wenn nein, warum nicht?

Berlin, den 6. Mai 2009

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.