BT-Drucksache 16/12946

Investitionen in die Stromübertragungsnetze in Deutschland

Vom 7. Mai 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/12946
16. Wahlperiode 07. 05. 2009

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Bärbel Höhn, Hans-Josef Fell, Kerstin Andreae, Cornelia
Behm, Winfried Hermann, Peter Hettlich, Bettina Herlitzius, Dr. Anton Hofreiter,
Undine Kurth (Quedlinburg), Sylvia Kotting-Uhl, Nicole Maisch und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Investitionen in die Stromübertragungsnetze in Deutschland

Stromübertragungsnetze sind elementare und unverzichtbare Bestandteile
moderner Volkswirtschaften. Ihre Zuverlässigkeit ist von fundamentaler
Bedeutung sowohl für Stromverbraucherinnen und -verbraucher als auch für
Betreiber zentraler und dezentraler Stromerzeugungsanlagen.

Ungeachtet dieser volkswirtschaftlich herausragenden Rolle der Stromübertra-
gungsnetze besteht in Deutschland jedoch ein Besorgnis erregendes Defizit an
Informationen über diese Netze.

Während im Hinblick auf die Regulierung der Finanzmärkte ein breiter Konsens
besteht für stärkere staatliche Aufsicht und für mehr Transparenz, gilt bezüglich
der Stromübertragungsnetze das Gegenteil: Anstandslos wird dort hingenom-
men, dass wesentliche Informationen, wie z. B. zu Verlauf und Höhe der Netz-
investitionen und zu den Kosten des Übertragungsnetzes, nicht verfügbar sind.

Dieses Informationsdefizit führt dazu, dass sich weder Politik noch Öffentlich-
keit ein Bild davon machen können, ob das aktuelle Niveau der Netzinvesti-
tionen hinreichend ist. Ohne Kenntnis der tatsächlichen Investitionszahlen aber
können netzbetreibende Stromversorger nicht in die Pflicht genommen werden.
Schlimmer noch: Sollte es zu einem schleichenden Investitionsverzicht kom-
men, so bliebe dies unerkannt – mit ggf. fatalen Folgen für die Versorgungs-
sicherheit.

Angesichts der aktuellen Drohungen des Branchenverbandes Bundesverband
der Energie- und Wasserwirtschaft – BDEW („Netzinvestitionen sind gefähr-
det“, Pressemitteilung vom 24. März 2009) und des Vorstandsvorsitzenden der
E.ON AG (keine zusätzlichen Investitionen ohne eine Anhebung der Netzren-
dite, FAZ-Interview vom 23. März 2009) ist es umso dringlicher, diese Infor-
mationslücke zu schließen. Andernfalls läuft die Politik Gefahr, sich zur Geisel
der vier großen Übertragungsnetzbetreiber zu machen – zu Lasten der Strom-
verbraucherinnen und -verbraucher.
Unzureichende behördliche Erhebungen/widersprüchliche Statistiken

Zuständig für die Erhebung und Überwachung der Investitionstätigkeit sind das
Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) und die Bundes-
netzagentur (BNetzA).

Das BMWi ist gemäß des § 51 des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) ver-
pflichtet, ein „Monitoring der Versorgungssicherheit im Bereich der leitungs-

Drucksache 16/12946 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

gebundenen Versorgung mit Elektrizität und Erdgas“ durchzuführen. Dazu
zählt insbesondere „die Qualität und der Umfang der Netzwartung“.

In dem aktuellen Bericht vom August 2008 findet sich jedoch keine einzige
Zahl im Hinblick auf tatsächliche, geplante oder erforderliche Wartungen oder
Investitionen.

Die BNetzA ist ihrerseits nach § 35 EnWG verpflichtet, jährlich einen Monito-
ringbericht u. a. über den Umfang in dem die Betreiber von Übertragungs-,
Fernleitungs- und Verteilernetzen ihren Aufgaben nach den §§ 11 bis 16a
EnWG nachkommen. § 11 Absatz 1 EnWG („Betrieb von Energieversorgungs-
netzen“) schreibt vor, dass „Betreiber von Energieversorgungsnetzen verpflich-
tet [sind], ein sicheres, zuverlässiges und leistungsfähiges Energieversorgungs-
netz diskriminierungsfrei zu betreiben, zu warten und bedarfsgerecht auszu-
bauen, soweit es wirtschaftlich zumutbar ist“.

Dementsprechend geht die BNetzA in ihren Monitoringberichten auf Netz-
investitionen ein. Jedoch sind die veröffentlichten Zahlen mit erheblicher Unsi-
cherheit behaftet:

Erstens ist die Definitionsbasis unklar, so dass die veröffentlichten Zahlen so-
wohl für sich genommen nicht robust sind als auch nicht miteinander ver-
glichen werden können – mit der Folge, dass keine Aussage zum Investitions-
trend getroffen werden kann.

Zweitens gibt es gewaltige Abweichungen zwischen den BNetzA- und den
BDEW-Zahlen:

Stromübertragungsnetz: Investitionszahlen

Unverständlich ist, warum die BNetzA im Falle der Übertragungsnetzbetreiber
die Investitionszahlen überhaupt erhebt. Denn mit den ihr vorliegenden
Netzentgeltanträgen hat sie bereits Zugriff auf die entsprechenden Zahlen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie hoch waren jeweils pro Jahr die Investitionen in die Stromübertra-
gungsnetze seit 1998?

Welche Definition liegt diesen Werten zugrunde?

2. Wie hoch waren jeweils pro Jahr die von den Übertragungsnetzbetreibern an
die BNetzA gemeldeten Anschaffungs- und Herstellungskosten für die
Stromübertragungsnetze seit 1998?

3. Welche Informationen hat die Bundesregierung darüber, ob die auf dem
Energiegipfel am 3. April 2006 zugesagten Investitionen der Energiewirt-

BNetzA BDEW Abweichung
BDEW zu BNetzA

2005 643 Mio. Euro1 354 Mio. Euro3 – 45 Prozent

2006 410 Mio. Euro2 548 Mio. Euro4 + 33 Prozent

Veränderung
zum Vorjahr

– 36 Prozent + 55 Prozent

2007 503 Mio. Euro5 (nicht verfügbar)

1 BNetzA-Monitoringbericht 2006, S. 55.
2 BDEW Markt und Daten 3/2007, S. 3.
3 BNetzA-Monitoringbericht 2007, S. 178.
4 BDEW Energieinfo (April 2008), S. 4.
5 BNetzA-Monitoringbericht 2008, S. 115.
schaft auch tatsächlich stattfinden?

Wie hoch sind die seither getätigten Investitionen?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/12946

4. Hat die Bundesregierung für die Zeit bis 2020 den Investitionsbedarf in die
Stromübertragungs- und Stromverteilnetze ermittelt?

Falls ja: Wie hoch ist dieser Investitionsbedarf jeweils?

Falls nein: Wie hoch schätzt sie den Investitionsbedarf?

5. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung im Hinblick auf den vom
BDEW behaupteten Investitionsbedarf von insgesamt 40 Mrd. Euro bis
zum Jahr 2020 in die deutschen Stromnetze?1

6. Wie viele Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter der BNetzA überwachen die Inves-
titionstätigkeit der Stromübertragungsnetzbetreiber?

7. Wie steht die Bundesregierung zu der Behauptung des Vorstandvorsitzen-
den der E.ON AG, dass die zugestandene Netzrendite ungenügend sei und
Investitionen insoweit nicht stattfinden könnten,2 obwohl die BNetzA im
vergangenen Jahr diesen Renditezins für Stromnetze von 7,91 Prozent auf
9,29 Prozent erhöht hat?

8. Welche Maßnahme hat die Bundesregierung ergriffen um zu überprüfen,
ob die Betreiber der Stromübertragungsnetze ihrer gesetzlichen Pflicht zum
Betrieb eines sicheren, zuverlässigen und leistungsfähigen Netzes nach-
kommen?

9. Wie hoch waren jeweils die im Jahr 2006 und den Folgejahren genehmig-
ten Kosten für das gesamte Stromübertragungsnetz (Hauptkostenstellen
„Systemdienstleistungen“ und „Höchstspannungsnetz 380 und 220 Kilo-
volt“ gemäß § 13 der Stromnetzentgeltverordnung – StromNEV)?

Welcher Anteil davon entfiel auf die Kosten für Systemdienstleistungen
(Nebenkostenstellen „Regelenergie“ und „Systemführung“ gemäß § 13
StromNEV)?

10. Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung ergriffen angesichts der Fest-
stellung der Europäischen Kommission, dass im Falle der E.ON Netz
GmbH in der Vergangenheit von überhöhten Regelenergiekosten auszuge-
hen sei?

Wie hoch schätzt die Bundesregierung das Ausmaß der von der Europäi-
schen Kommission festgestellten Kostenüberhöhung?3

11. Welche Erklärung hat die Bundesregierung dafür, dass die BNetzA die für
das E.ON Netz genehmigte 30-prozentige Anhebung der Übertragungs-
netzentgelte vor allem mit den gestiegenen Regelenergiekosten begründet,
obwohl die Europäischen Kommission davon ausgeht, dass gerade die Re-
gelenergiekosten von E.ON Netz mit hoher Wahrscheinlichkeit überhöht
sind?

12. Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung ergriffen bzw. wird die Bun-
desregierung ergreifen, um den Regelenergiemarkt transparenter zu gestal-
ten und die hohen Hürden für Wettbewerber abzubauen, so dass auch an-
dere Akteure Regelenergie, z. B. auch im Rahmen von Lastmanagement,
anbieten können?

13. Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, einen grünen Regelener-
giemarkt zu schaffen?

1 BDEW Pressemeldung vom 24. März 2009: „Bis zum Jahr 2020 sind nach BDEW-Angaben rund
40 Milliarden (Mrd.) Euro Investitionen allein in die Stromnetze erforderlich.“
2 Interview mit E.ON-Chef Wulf Bernotat, FAZ vom 23. März 2009.
3 Entscheidung der Europäischen Kommission vom 26. November 2008, COMP/39.389, S. 13.

Drucksache 16/12946 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
14. Inwiefern wird sichergestellt, dass die Monatsbanderstellung des EEG-
Stromes (EEG = Erneuerbare-Energien-Gesetz) durch den ÜNB effizient
erfolgt? Falls eine Änderung des Ausgleichsmechanismus stattfindet, wie
wird dann sichergestellt, dass die Vermarktung des EEG-Strom so effizient
wie möglich erfolgt?

15. Wie hoch ist das Potenzial an Kostensenkung und Verringerung des Über-
tragungsnetz-Ausbaubedarfs durch Optimierungsmaßnahmen im Netz,
Freileitungsmonitoring und Heißleiterseile?

Werden solche Maßnahmen kostenmäßig von der BNetzA anerkannt?

Werden diese Maßnahmen in der dena-II-Studie in die Kostenbetrachtun-
gen integriert?

16. Gibt es eine Gegenüberstellung der volkswirtschaftlichen Kosten durch die
Verzögerung des Freileitungsneubau und den Mehrkosten für Erdverkabe-
lung?

17. Welche Änderungen werden in der Anreizregulierungsverordnung vorge-
nommen, um die Aufgabe der Regulierung nicht nur auf kurzfristige Sen-
kung der Netznutzungsentgelte zu lenken, sondern auch auf einen mittel-
und langfristig effizienten Umbau des Stromnetzes für die Integration von
erneuerbaren Energien hinzuwirken?

18. Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse oder Vermutungen vor, dass die
Höchstspannungsnetzbetreiber im Wälzungsmechanismus des EEG mehr
Einnahmen erzielen, als ihnen Kosten entstanden sind und damit unge-
rechtfertigte Gewinne machen, wodurch die Strompreise und die EEG-
Umlagekosten überhöht werden?

Berlin, den 7. Mai 2009

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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