BT-Drucksache 16/12848

Dauerhaften Schutz des Klosters Mor Gabriel sicherstellen

Vom 5. Mai 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/12848
16. Wahlperiode 05. 05. 2009

Antrag
der Abgeordneten Dr. Lukrezia Jochimsen, Dr. Petra Sitte, Cornelia Hirsch,
Bodo Ramelow, Volker Schneider (Saarbrücken) und der Fraktion DIE LINKE.

Dauerhaften Schutz des Klosters Mor Gabriel sicherstellen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Mor Gabriel, gelegen im Distrikt Midyat, Provinz Mardin der türkischen
Republik, ist eines der ältesten christlichen Klöster weltweit. Wahrscheinlich
397 nach Christus gegründet, stellt es heute als eines der letzten intakten christ-
lichen Klöster das geistliche und kulturelle Zentrum Syrisch-Orthodoxer in
Südostanatolien dar. Das Kloster kann auf eine 1 600 Jahre währende kontinu-
ierliche Ausübung der Liturgie und klösterlichen Lebens verweisen. Es ist ein
Ort für Exerzitien einheimischer Mönche, die dort auf ein Leben als Eremit
vorbereitet werden. Das Kloster Mor Gabriel spielt eine entscheidende Rolle
bei der Pflege der syrisch-aramäischen Kirchen- und Alltagssprache und sichert
institutionell das kulturelle Erbe der syrisch-orthodoxen Christinnen und
Christen. Schließlich ist das Kloster faktisch seit der Bischofsweihe des Abtes
von Mor Gabriel Sitz des Bischofs Mor Timotheos Samuel Aktas. In dem
Kloster leben neben dem Bischof zurzeit zwei Mönche, ca. dreizehn Nonnen,
die Familien dreier Lehrkräfte und weitere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Darüber hinaus werden ca. 40 Kinder und Jugendliche, die auch im Kloster
wohnen, in der syrischen, arabischen und englischen Sprache sowie in Kirchen-
geschichte unterrichtet.

Eine Verschlechterung jeglicher Rahmenbedingungen für die Existenz des
Klosters würde zugleich den Fortbestand der Kultur syrisch-orthodoxer
Christinnen und Christen insgesamt akut gefährden. Zahlenmäßig erlitt diese
christliche Minderheit in der Türkei im vergangenen Jahrhundert erhebliche
Verluste: Fühlten sich Anfang des 20. Jahrhundert noch 200 000 Menschen des
syrisch-orthodoxen Glaubens verpflichtet, sind es heute nur noch ca. 13 000
Menschen in der Türkei, von denen bis zu 3 000 Menschen in der Region um
Mor Gabriel und die restlichen, ca. 10 000, in Istanbul beheimatet sind.

Die Republik Türkei hat sich im Vertrag von Lausanne vom 24. Juli 1923 dazu
verpflichtet, dass „türkische Staatsbürger, die nicht-muslimischen Minderheiten
angehören“, die „gleichen bürgerlichen und politischen Rechte genießen wie
Muslime“ (Artikel 39 Absatz 1 des Vertrages). Die türkischen Verfassungen
folgten seither dieser Verpflichtung. Praktisch sieht die Türkei die Minderheit

der Syrisch-Orthodoxen in ihrem Land nicht als Minderheit im Sinne des
Lausanner Vertrages an. Deshalb verfügt die syrisch-orthodoxe Kirche in der
Türkei über keine Anerkennung als Rechtspersönlichkeit. Sie besitzt nicht das
Recht, religiöse Stiftungen und Schulen zu unterhalten und darf ihre Gebäude
nicht zu Ausbildungszwecken nutzen. Auch wenn das Kloster Mor Gabriel
zivilrechtlich als Gemeindestiftung organisiert ist, wird ihm das Recht ab-
gesprochen, als Ausbildungsstätte zu fungieren.

Drucksache 16/12848 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
Das Kloster Mor Gabriel befindet sich aktuell in drei vor Gericht geführten
Auseinandersetzungen. Es muss davon ausgegangen werden, dass die gegneri-
schen Parteien jeweils eine Schließung des Klosters beabsichtigen bzw. das Ziel
verfolgen, das klösterliche Leben zukünftig unmöglich zu machen. In zwei Ver-
fahren klagt das Kloster gegen die Ergebnisse einer in jüngster Vergangenheit
durchgeführten Katastererfassung, mit der seine Besitzungen beschnitten wur-
den. Ortsvorsteher dreier angrenzender Gemeinden behaupten in den Verfahren,
das Kloster verletze ihre Dorfgrenzen und habe ca. 100 ha Land unrechtmäßig
besetzt. Beide Verfahren wurden erstinstanzlich vom Kloster verloren. Die Ent-
scheidungen sind bislang nicht rechtskräftig. In einem weiteren Verfahren klagt
das Schatzamt des Distriktes Midyat gegen das Kloster, das ebenfalls eine
Grundstücksangelegenheit zum Gegenstand hat. Insbesondere ist hier eine
durch das Kloster errichtete Mauer strittig. Nach Ansicht des Schatzamtes habe
sich das Kloster unrechtmäßig Staatswald angeeignet, der prinzipiell im Eigen-
tum der türkischen Staatskasse stünde. Aktuell werden die Streitigkeiten am
22. April 2009 mündlich weiter verhandelt werden.

Das durch das Schatzamt Midyat angestrengte immobilienrechtliche Verfahren
zog für den Verwalter des Klosters, Kyriakos Ergün, ein weiteres, strafrecht-
liches Verfahren nach sich. Der Fortgang dieses Verfahrens ist auf den 6. Mai
2009 terminiert. Geahndet werden soll nach dem Willen der Staatsanwaltschaft
das aufrührerische Verhalten des Klosterverwalters, welches in der angeblich
widerrechtlichen Errichtung der Klostermauer zum Ausdruck käme.

Seitens der Europäischen Union, verschiedener EU-Mitgliedstaaten und diver-
ser Nicht-Regierungsorganisationen waren und werden Prozessbeobachter ent-
sandt. Vertreterinnen und Vertreter des Bundestagsausschusses für Kultur und
Medien konnten sich am 27. Februar 2009 im Rahmen einer Delegationsreise
von der akuten Gefährdung des Klosters ein Bild machen. Die Abgeordneten
sind sich nach dem Besuch in der Prognose einig, dass ein Prozessende zu Un-
gunsten des Klosters weitreichende Einschnitte in die syrisch-othodoxe Kultur
bis hin zur akuten Existenzgefährdung nach sich ziehen würde. Bischof Mor
Timotheos Samuel Aktas erläuterte den Abgeordneten gegenüber, dass er sich
außerhalb des Klosters kaum mehr bewegen könne.

Der Schutz der Gläubigen und bedeutsamer Kulturgüter verpflichtet uns, die
Rettung des Klosters Mor Gabriel im Verständnis des internationalen Kultur-
guterhaltes anzumahnen und den Respekt vor Minderheiten und kleinen
Glaubensgemeinschaften in der Region einzufordern.

Der Deutsche Bundestag ist davon überzeugt, dass die Gewährleistung der
Religionsfreiheit für Christinnen und Christen in der Türkei im wohlverstande-
nen eigenen Interesse der Türkei liegt und dass die Republik Türkei ihre reli-
giöse Vielfalt sowie ihr reiches kulturelles Erbe schützen und bewahren muss.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

sich in Abstimmung mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Union gegen-
über der türkischen Regierung aktiv dafür einzusetzen, dass sie die Existenz-
grundlage und die Lebensperspektive des Klosters Mor Gabriel dauerhaft
garantiert und die syrisch-orthodoxe Minderheit in ihrem Land als solche im
Sinne des Vertrages von Lausanne vom 24. Juli 1923 anerkennt. Insbesondere
gilt es, die Sicherheit der Klosterbewohnerinnen und -bewohner und der
syrisch-orthodoxen Bevölkerung im Alltag zu gewährleisten.

Berlin, den 5. Mai 2009

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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