BT-Drucksache 16/12799

Wirksamkeit und Vermarktung der HPV-Impfung in Deutschland

Vom 23. April 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/12799
16. Wahlperiode 23. 04. 2009

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Harald Terpe, Birgitt Bender, Elisabeth Scharfenberg,
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Irmingard Schewe-Gerigk und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Wirksamkeit und Vermarktung der HPV-Impfung in Deutschland

Ende 2006 erteilte die Europäische Arzneimittelbehörde eine Zulassung für
einen Impfstoff gegen Subtypen des Humanen Papilloma-Virus (HPV), die
Gebärmutterhalskrebs auslösen können. Im Sommer 2007 wurde ein zweiter
Impfstoff zugelassen. Bereits wenige Monate nach Zulassung des ersten Impf-
stoffes sprach die Ständige Impfkommission (STIKO) eine Empfehlung zur
generellen Impfung von Mädchen im Alter von 12 bis 17 Jahren aus.

Am 25. November 2008 veröffentlichten Wissenschaftlerinnen und Wissen-
schaftler verschiedener Fachrichtungen eine Erklärung, in der sie die öffentliche
Verbreitung von irreführenden Angaben zur Wirksamkeit der HPV-Impfung
kritisierten und eine umfassende Neubewertung der Impfung durch die STIKO
forderten. Der Gemeinsame Bundesausschuss schloss sich der Forderung nach
einer umfassenden Neubewertung an (Ärzte Zeitung vom 22. Dezember 2008).

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung darüber, wie stark die beiden
Impfstoffe das Gebärmutterhalskrebsrisiko insgesamt, also bezogen auf alle
karzinogenen HPV-Typen, senken?

2. Welche Auswirkungen auf die Prävalenz von Gebärmutterhalskrebs würde
eine Abnahme der Wahrnehmung von Früherkennungsuntersuchungen ha-
ben?

3. Auf welcher wissenschaftlichen Grundlage basiert nach Kenntnis der Bun-
desregierung die Aussage der STIKO über eine „lebenslange Impfaktivität“
der HPV-Impfung von 92,5 Prozent?

Woher stammen die Erkenntnisse über die Höhe und die Dauer dieser Wirk-
samkeit?

4. Welche evidenzbasierten Aussagen sind zur Dauer des Impfschutzes durch
die HPV-Impfung derzeit möglich?
5. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Ansicht einiger Wissenschaftlerin-
nen und Wissenschaftler, die in ihrer Erklärung vom 25. November 2008 die
STIKO aufforderten, zur Bewertung der Wirksamkeit der HPV-Impfung
auch bisher unveröffentlichte Studiendaten bei den Impfstoffherstellern an-
zufordern?

Drucksache 16/12799 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

6. a) Welche randomisierten kontrollierten Studien lagen dem Deutschen Ins-
titut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) bei der
Beurteilung der Wirksamkeit der HPV-Impfung im Rahmen des Health
Technology Assessment (HTA)-Berichts vor?

Waren darunter auch herstellerunabhängige Studien?

b) Welche externen Reviewerinnen und Reviewer haben diesen HTA-
Bericht begleitet?

Stehen oder standen diese Personen in Beziehung zu Impfstoffherstel-
lern?

7. Welche konzeptionellen Vorstellungen hat die Bundesregierung, wie die
vom DIMDI angemahnte Evaluation zur Wirksamkeit und Sicherheit der
Impfung aussehen soll?

8. Wie beurteilt die Bundesregierung die Aussage des o. g. HTA-Berichts,
nach der der bevölkerungsbezogene Nutzen der HPV-Impfung auch von
anderen Faktoren wie der Inanspruchnahme von Früherkennungsunter-
suchungen abhängt und daher nicht beurteilt werden kann?

9. Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, dass nach Angaben der
US-amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA auch bei Frauen, die bei Stu-
dienbeginn nicht mit den HPV-Typen 16 und 18 infiziert waren, die Gesamt-
inzidenz aller Krebsvorstufen durch die HPV-Impfung nur um 16,9 Prozent
gesenkt werden konnte (Deutsches Ärzteblatt vom 20. Februar 2009)?

Was ergibt sich daraus nach Ansicht der Bundesregierung für die Kosten-
Nutzen-Bewertung der Impfung?

10. a) Inwieweit unterstützt die Bundesregierung die Forderung des Gemein-
samen Bundesausschusses nach einer solchen Neubewertung?

b) Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über den Stand der
Neubewertung der HPV-Impfung, die die STIKO mit Schreiben vom
19. Dezember 2008 gegenüber dem Gemeinsamen Bundesausschuss in
Aussicht gestellt hat?

11. Beabsichtigt die Bundesregierung, die rechtliche Grundlage für den
Gemeinsamen Bundesausschuss zu schaffen, auch Impfungen einer
Kosten-Nutzen-Bewertung unterziehen zu können, wie dies auch von den
Patientenvertreterinnen und -vertretern im Gemeinsamen Bundesausschuss
gefordert wurde?

Wenn nicht, wieso nicht?

12. Unter welchen Voraussetzungen hielte es die Bundesregierung für zulässig,
dass der Gemeinsame Bundesausschuss im Rahmen der Wirtschaftlich-
keitsbewertung nach §§ 12 Absatz 1, 20d Absatz 1, 92 Absatz 1 des Fünften
Buches Sozialgesetzbuch die Kostenerstattung der gesetzlichen Kranken-
versicherung für die HPV-Impfung einschränkt oder gegebenenfalls aus-
schließt?

13. Auf welcher Erkenntnis- und Bewertungsgrundlage basiert nach Kenntnis
der Bundesregierung die Entscheidung Österreichs, die HPV-Impfung nicht
in das kostenlose nationale Impfprogramm aufzunehmen?

14. a) Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der Aussage
des o. g. HTA-Berichts, die Kosten-Effektivität der HPV-Impfung hinge
maßgeblich von der bisher noch unklaren Schutzdauer der Impfung ab
und könne daher nicht abschließend beurteilt werden?
b) Inwieweit befürwortet sie den vom DIMDI vorgeschlagenen Abschluss
einer Risk-Sharing-Vereinbarung mit den Impfstoffherstellern?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/12799

15. Welche Ergebnisse hat die vom Paul-Ehrlich-Institut und dem Bremer
Institut für Präventionsforschung und Sozialmedizin (BIPS) durchgeführte
statistische Auswertung der Meldedaten zu unerwünschten Nebenwirkun-
gen und Impfkomplikationen im Rahmen der HPV-Impfung in Deutschland
und den USA bislang ergeben?

16. Auf welche Erkenntnisse stützt sich die vom Paul-Ehrlich-Institut getroffene
Aussage, es gäbe keinen ursächlichen Zusammenhang zwischen der HPV-
Impfung und den jüngst in Spanien aufgetretenen Fällen von Komplika-
tionen im Rahmen einer Impfaktion in einer Schule in Valencia (Spanien)?

17. Gibt es in Deutschland herstellerunabhängige Forschung zu seltenen neu-
rologischen Nebenwirkungen und Impfkomplikationen im Zusammenhang
mit der HPV-Impfung sowie zur Epidemiologie bestimmter neurologischer
Erkrankungen wie multipler Sklerose bei jungen Frauen?
Wenn nicht, wieso nicht?

18. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung darüber, ob auch Frauen, die
nicht unter die von der STIKO benannten Zielgruppe (12- bis 17-jährige
Mädchen, die bislang noch nicht sexuell aktiv waren) fallen, HPV-Impfun-
gen angeboten werden?

19. a) Hält die Bundesregierung die Darstellung der Wirksamkeit der HPV-
Impfung in Fernsehwerbespots und anderen Marketingmaßnahmen, bei-
spielsweise durch ZERVITA oder das Deutsche Grüne Kreuz, für neutral
und sachlich, oder sieht sie die Gefahr einer Irreführung oder Verängs-
tigung von Frauen und Mädchen (MONITOR vom 19. Februar 2009)?

b) Inwieweit sieht sie in solchen Kampagnen eine Umgehung des Werbe-
verbotes nach dem Heilmittelwerbegesetz?

20. Ist der Bundesregierung bekannt, dass auch in Deutschland für die HPV-
Impfung mit der Behauptung geworben wird, bei Gebärmutterhalskrebs
handele es sich um die zweithäufigste Krebserkrankung bei Frauen, obwohl
diese Form in Deutschland nur an vierter Stelle der frauenspezifischen
Krebserkrankungen und an elfter Stelle aller Krebserkrankungen bei Frauen
steht (vgl. Robert Koch-Institut, Krebs in Deutschland, 6. Auflage, 2008)?

Wenn ja, wie bewertet sie dies, insbesondere hinsichtlich der Gefahr einer
Irreführung?

21. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Ergebnisse der Un-
tersuchung der niederländischen Kontrollstelle für das Gesundheitswesen
aus dem Oktober 2008 im Hinblick auf eventuelle illegale Marketingtechni-
ken der Impfstoffhersteller (Süddeutsche Zeitung vom 26. November 2008)
und sind diese Ergebnisse ihrer Ansicht nach auf Deutschland übertragbar?

22. a) Welche aktuellen Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Ergeb-
nisse des eingeleiteten Ermittlungsverfahrens der schwedischen Staats-
anwaltschaft hinsichtlich Bestechungsvorwürfen gegen Vertreter der
pharmazeutischen Industrie im Zusammenhang mit der Verleihung des
Nobelpreises an den deutschen Forscher Dr. Harald zur Hausen?

b) Bestehen Anhaltspunkte, dass mit der vermuteten Einflussnahme der
pharmazeutischen Industrie auf die Preisverleihung Marketingzwecke
verfolgt wurden?

23. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über Sponsoring von Patien-
tenorganisationen, ärztlichen Fachgesellschaften und anderen gemeinnüt-
zigen Institutionen, die für die HPV-Impfung werben, durch die Impfstoff-
hersteller (Süddeutsche Zeitung vom 26. November 2008)?
Wie bewertet sie diese finanzielle Unterstützung?

Drucksache 16/12799 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
24. Wie beurteilt die Bundesregierung so genannte Informationsworkshops
durch Impfstoffhersteller für Lehrerinnen und Lehrer, in denen für die HPV-
Impfung geworben wird, um diese in Schulen als Multiplikatoren einzuset-
zen?

25. a) Wie bewertet es die Bundesregierung, wenn sich die nach §§ 3, 20
Absatz 1 des Infektionsschutzgesetzes zur Information verpflichteten
Stellen bei der Erfüllung ihrer Aufgabe bezüglich der HPV-Impfung
finanzieller oder anderweitiger Unterstützung durch Impfstoffhersteller
bedienen?

Sieht sie dadurch die Gefahr von Interessenkonflikten?

b) Ist nach Ansicht der Bundesregierung die Transparenz und Offenlegung
einer solchen Zusammenarbeit mit Impfstoffherstellern ausreichend ge-
währleistet?

Wenn nicht, wo sieht sie Handlungsbedarf?

26. Wie bewertet die Bundesregierung die vom Berufsverband der Kinder- und
Jugendärzte (LV Nordrhein) in ihrer Stellungnahme zur Anhörung des Aus-
schusses für Arbeit, Gesundheit und Soziales des nordrhein-westfälischen
Landtags am 4. März 2009 geäußerte Ansicht, dass herstellerabhängige
Finanzierung und Beeinflussung von Impfkampagnen ihren Grund darin
hätten, dass der Staat sich nur in geringem Maße an solchen Kampagnen
beteilige?

27. Wie werden die von der Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung
und vom Robert Koch-Institut zur Verfügung gestellten Informationsmate-
rialien zur HPV-Impfung angenommen, und welche Rückmeldungen gibt
es zu Umfang, Inhalt und Qualität dieser Materialien?

28. a) Inwieweit gibt es im Bundesministerium für Gesundheit Beschäftigte,
die bei Impfstoffherstellern angestellt waren oder sind oder in sonstiger
Beziehung zu diesen stehen?

In welchen Abteilungen sind diese Beschäftigten tätig, und mit welchen
Aufgaben sind sie betraut?

b) Inwieweit gibt es im Paul-Ehrlich-Institut Beschäftigte, die bei Impf-
stoffherstellern angestellt waren oder sind oder in sonstiger Beziehung
zu diesen stehen?

In welchen Abteilungen sind diese Beschäftigten tätig, und mit welchen
Aufgaben sind sie betraut?

29. Zu welchen Preisen wird die HPV-Impfung in anderen EU-Ländern, die die
Impfung öffentlich empfohlen haben, angeboten?

30. Hat die Bundesregierung wegen der von den beiden Impfstoffherstellern
zum gleichen Preis angebotenen HPV-Impfstoffen Kontakt zum Bundes-
kartellamt aufgenommen (Antwort der Bundesregierung auf die Kleine
Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 28. Mai 2008,
Bundestagsdrucksache 16/9302)?

Wenn nicht, wieso nicht?

Berlin, den 23. April 2009

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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