BT-Drucksache 16/1269

Verschärfung der Einbürgerungsvoraussetzungen

Vom 20. April 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/1269
16. Wahlperiode 20. 04. 2006

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sevim Dagdelen, Ulla Jelpke, Kersten Naumann und der
Fraktion DIE LINKE.

Verschärfung der Einbürgerungsvoraussetzungen

Der Bundesminister des Innern, Dr. Wolfgang Schäuble, die Bundeskanzlerin,
Dr. Angela Merkel, und die unionsgeführten Bundesländer beabsichtigen, die
Einbürgerung mit Hilfe neuer gesetzlicher Regelungen auf Bundes- oder Län-
derebene zu erschweren. Die Debatte um die Einführung von verpflichtenden
Staatsbürgerkursen, Wissens- und Wertetests etc. ist von einem tiefen Miss-
trauen gegenüber Migrantinnen und Migranten geprägt, welches der Leiter des
Deutschen Menschenrechtsinstituts, Heiner Bielefeldt, als „besondere Skepsis“
gegenüber Menschen mit muslimischen Hintergrund bezeichnet. Nach seiner
Auffassung zeige sich an der Einbürgerungspolitik eines Staates „das Selbstver-
ständnis einer Gesellschaft: ihre Weltoffenheit, ihr Umgang mit kultureller Dif-
ferenz, das Ernstnehmen der eigenen Verfassungsprinzipien und die Bindung
an menschenrechtliche Normen“ (http://www.institut-fuer-menschenrechte.de/
webcom/show_shop.php/_c-488/_nr-49/i.html).

Eine Verschärfung des Staatsangehörigkeitsgesetzes in Bezug auf die Einbürge-
rung von Jugendlichen sieht ebenfalls der am 3. Januar 2006 vorgelegte Refe-
rentenentwurf des Bundesministeriums des Innern zur Umsetzung aufenthalts-
und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vor.

Es ist davon auszugehen, dass mit einer nochmaligen Erhöhung der Einbürge-
rungshürden sich der seit der Reform des Staatsangehörigkeitsgesetzes im Jahr
2000 abzeichnende Trend zu sinkenden Zahlen der Einbürgerungen beschleuni-
gen wird. Seit 2000 ist die Zahl von ca. 186 000 auf 127 000 Einbürgerungen
im Jahr 2004 gesunken.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Plant die Bundesregierung im Rahmen der ständigen Konferenz der Innen-
minister und -senatoren des Bundes und der Länder (IMK) vom 3. bis 5. Mai
2006 bzw. auf der Vorkonferenz der Staatssekretäre und Staatsräte vom
24. bis 25. April, die bundesweite Einführung

a) eines Sprachtests,
b) eines Staatsbürgerschaftskurses,

c) eines Eides auf die Verfassung,

d) eines Wissens- und Wertetests

als Voraussetzung einer Einbürgerung vorzuschlagen und auf eine einheit-
liche Beschlussfassung der Bundesländer hinzuwirken?

Drucksache 16/1269 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

2. Welche Änderungen in der Verwaltungsvorschrift zum Staatsangehörigkeits-
gesetz plant die Bundesregierung in dem Fall, dass sich die Bundesländer
auf der nächsten IMK nicht auf ein einheitliches Vorgehen bei der Einbürge-
rung einigen können?

Werden diese Änderungen

a) den Besuch eines Staatsbürgerschaftskurses,

b) die Ablegung eines Sprachtests,

c) die Ablegung eines Eides auf die Verfassung,

d) die Absolvierung einen Wissens- und Wertetests

als Voraussetzung einer Einbürgerung umfassen?

Wenn ja, bitte die jeweiligen Änderungen begründen.

3. Einbürgerungsbewerberinnen und -bewerber leben in der Regel acht Jahre
rechtmäßig in Deutschland, bevor sie einen Antrag stellen können. Aus wel-
chem Grund sieht die Bundesregierung es als notwendig an,

a) zusätzliche Voraussetzungen für eine Einbürgerung zu schaffen,

b) diese Menschen auf ihre innere Haltung zum Grundgesetz zu überprüfen,

c) diese Menschen auf ihr Wissen über Politik und Gesellschaft in einer Art
Quiz zu überprüfen, wie es der hessische Wissens- und Wertetest vor-
sieht?

4. Hat die Bundesregierung Kenntnis über das Gutachten zur Vereinbarkeit des
Gesprächsleitfadens für die Einbürgerungsbehörden des Landes Baden-Würt-
temberg mit dem Völkerrecht von Prof. Dr. Rüdiger Wolfrum und Dr. Volker
Röben vom 2. März 2006?

Wenn ja, teilt die Bundesregierung die Rechtsauffassung der Studie, dass der
baden-württembergische Gesinnungstest bzw. die entsprechende Verwal-
tungsvorschrift gegen Artikel 1 Abs. 3 und Artikel 5 der Rassendiskriminie-
rungskonvention (CERD) verstoßen, und welche Schritte wird die Bundes-
regierung unternehmen, um den Missstand eines völkerrechtswidrigen Leit-
fadens des Landes Baden-Württemberg zu beseitigen?

5. Welche Haltung nimmt die Bundesregierung zum Vorstoß Hessens auf der
IMK ein, mit einem 100 Fragen umfassenden „Wissens- und Wertetest“
bundesweite Standards für die Einbürgerung zu schaffen, obwohl bisher
nicht ausreichend geklärt ist, ob der Test gegen das Grundgesetz bzw. ebenso
wie der Leitfaden in Baden-Württemberg gegen das Völkerrecht verstößt?

6. a) Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Direktors des Deutschen
Menschenrechtsinstituts Dr. Heiner Bielefeldt, dass der Staat die innere
Einstellung der Einbürgerungsbewerberinnen und -bewerber nicht durch
einen Test überprüfen darf, ohne in eine „inquisitorische Verdachtslogik
zu geraten, die weder mit der Würde der betroffenen Menschen noch mit
den Prinzipien des Rechtsstaats vereinbar sind“?

b) Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass Gesinnungstests wie in
Baden-Württemberg gegen Artikel 18 GG verstoßen, weil das bloße Haben
einer Meinung solange keine Gefahr für die freiheitlich demokratische
Ordnung ist, solange sie sich nicht in konkreten Handlungen äußert, die
gegen diese Ordnung gerichtet sind?

Wenn nein, bitte begründen.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/1269

7. a) Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Datenschutzbeauftragen
des Landes Baden-Württemberg, Peter Zimmermann, dass mehrere
Fragen des Leitfadens „datenschutzrechtlich unzulässig“ seien, da die
Gefahr bestehe, dass mit solchen Fragen unzulässig Daten über höchst
intime Vorstellungen der Bewerber erfasst werden?

b) Sieht die Bundesregierung hier Handlungsbedarf gegeben?

Wenn nein, bitte begründen.

8. Teilt die Bundesregierung die Auffassung von Menschenrechtsorganisa-
tionen wie Pro Asyl, die die Streichung der Einbürgerungserleichterung für
Jugendliche zwischen 16 und 23 Jahren ohne festes Einkommen – wie im
Referentenentwurf des Bundesministeriums des Innern vom 3. Januar 2006
vorgeschlagen – als integrationsfeindlich bezeichnen, weil damit Jugend-
liche zur Aufgabe des Studiums bzw. ihrer Ausbildung gezwungen würden,
um ihren Lebensunterhalt zu verdienen?

9. Wie viele Anträge auf Einbürgerung sind seit dem 1. Januar 2000 gestellt
und nach welchen Rechtsgründen bewilligt worden (bitte jeweils nach Jah-
ren, Rechtsgründen und Bundesländern getrennt auflisten)?

10. Wie viele Anträge auf Einbürgerung sind seit dem 1. Januar 2000 aus
welchen Rechtsgründen abgelehnt worden (bitte jeweils nach Jahren,
Rechtsgründen und Bundesländern getrennt auflisten)?

11. Wie viele Anträge auf Einbürgerung sind in Baden-Württemberg seit dem
1. Januar 2006 aufgrund der Beantwortung der Fragen des Gesprächsleit-
fadens (so genannter Muslimtest) abgelehnt worden?

12. Bei wie vielen Anträgen auf Ermessungseinbürgerung und der Einbürge-
rung von Ehegatten deutscher Staatsangehöriger wurde seit Inkrafttreten
des Zuwanderungsgesetzes aus Gründen des öffentlichen Interesses oder
zur Vermeidung einer besonderen Härte von der Voraussetzung der Siche-
rung des Lebensunterhalts abgesehen (§ 8 Abs. 2 StAG)?

13. In welchen Bundesländern werden Zeiten einer Aufenthaltserlaubnis zu
Studienzwecken nicht auf den gewöhnlichen Aufenthalt angerechnet, um
die Voraussetzung einer Anspruchseinbürgerung (§ 10 StAG) zu erfüllen?

14. In welchen Bundesländern ist bei der Beantragung einer Anspruchseinbür-
gerung bzw. einer Ermesseneinbürgerung eine soziale Absicherung u. a.
auch für das Alter für die vorausgesetzte Unterhaltsfähigkeit erforderlich?

15. Teilt die Bundesregierung die im 6. Bericht über die Lage der Auslände-
rinnen und Ausländer in Deutschland geäußerte Meinung der damaligen
Beauftragten der Bundesregierung, Marieluise Beck, dass die Praxis in
einigen Bundesländern, bei der Anspruchseinbürgerung einen Nachweis
der Alterssicherung zu verlangen, mit der gesetzlichen Regelung und der
Verwaltungsvorschrift zum Staatsangehörigkeitsgesetz nicht zu vereinba-
ren ist?

Wenn nein, warum nicht?

Wenn ja, wann beabsichtigt die Bundesregierung dies klarzustellen?

16. Wie viele Einbürgerungen wurden seit 1. Januar 2000 im Nachhinein wie-
der aberkannt (bitte jeweils getrennt nach Jahren, Bundesländern und
Grund der Aberkennung auflisten)?

17. Bei wie vielen Asylberechtigten und Flüchtlingen nach der Genfer Flücht-
lingskonvention wurde seit dem 1. Januar 2000 nach der Beantragung einer
Einbürgerung ein Verfahren zum Widerruf der Flüchtlingsanerkennung

eingeleitet?

Drucksache 16/1269 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
Bei wie vielen dieser Personen wurde die Flüchtlingsanerkennung wider-
rufen (bitte die Angaben nach Bundesländern und Herkunftsländern der
Personen getrennt angeben)?

18. Teilt die Bundesregierung die Forderung der ehemaligen Beauftragten für
Migration, Flüchtlinge und Integration, Marieluise Beck, von einem
einbürgerungsrechtlichen Widerruf der Flüchtlingsanerkennung abzusehen,
da entweder bei vielen Flüchtlingsgruppen die notwendige Ausbürgerung
im Herkunftsstaat auf kaum zu überwindende Hindernisse stößt bzw. eine
Mehrstaatigkeit aufgrund des automatischen Verlusts der Staatsangehörig-
keit im Falle einer Einbürgerung bei irakischen Staatsangehörigkeiten
überhaupt nicht drohen kann?

19. Bei wie vielen Einbürgerungen wurde aufgrund der erfolgreichen Teil-
nahme an einem Integrationskurs die Frist von acht auf sieben Jahre ver-
kürzt?

20. a) Teilt die Bundesrepublik Deutschland die Kritik vieler Einbürgerungs-
bewerberinnen und -bewerber, dass die Verfahrensdauer der Antrags-
bearbeitung unverhältnismäßig lange ist – die ehemalige Bundesbeauf-
tragte für Migration, Flüchtlinge und Integration spricht davon, dass
fünf Jahre keine Seltenheit darstellen?

b) Welche gesetzlichen Schritte plant die Bundesregierung, um die Verfah-
rensdauer in erheblichen Umfang zu reduzieren?

Berlin, den 20. April 2006

Sevim Dagdelen
Ulla Jelpke
Kersten Naumann
Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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