BT-Drucksache 16/12688

Bundesausbildungsförderung an die Studienrealität anpassen und Strukturreform vorbereiten

Vom 22. April 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/12688
16. Wahlperiode 22. 04. 2009

Antrag
der Abgeordneten Cornelia Hirsch, Dr. Petra Sitte, Volker Schneider (Saarbrücken)
und der Fraktion DIE LINKE.

Bundesausbildungsförderung an die Studienrealität anpassen und Strukturreform
vorbereiten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Das Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) kommt seinem Ziel, finan-
ziell bedürftigen Studierenden eine verlässliche Studienfinanzierung zu sichern,
nur unzureichend nach. Es gibt einen grundsätzlichen Reformbedarf. Bis dahin
muss das bestehende System mindestens an den neuen Regelungsbedarf an-
gepasst werden, der durch geänderte Studienrealitäten nach Einführung der ge-
stuften Studienstruktur entstanden ist. Die 22. BAföG-Novelle wurde diesem
Reformdruck nicht gerecht.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

schnellstmöglich eine BAföG-Novelle auf den Weg zu bringen, die mindestens
die folgenden Regelungen beinhaltet:

1. Die Altersgrenze von 30 Jahren wird ersatzlos gestrichen.

2. Der Förderzeitraum bemisst sich an der durchschnittlichen Studiendauer an-
stelle der bisherigen Regelstudienzeit.

3. Es wird sichergestellt, dass im Masterstudium unabhängig vom Kriterium der
Konsekutivität ein Förderanspruch besteht. Dies gilt auch für Staatsexamens-
fächer.

4. Der Förderanspruch zwischen zwei Ausbildungsabschnitten wird auf min-
destens drei Monate ausgeweitet.

5. Eingetragene Lebenspartnerschaften sind im Sinne des BAföG mit der Ehe
gleichzustellen.

6. Wird ein Fachrichtungswechsel vollzogen, ohne im alten Studiengang
BAföG beantragt oder bezogen zu haben, muss der komplette Förderzeit-
raum gewährt werden. Das heißt der neue Studiengang wird als erstes Stu-
dium betrachtet und dementsprechend gefördert.
7. Die Verlängerung der Förderungshöchstdauer aufgrund von studienbeding-
tem Fremdsprachenerwerb wird auf alle Fremdsprachen ausgeweitet.

8. Der bisher geforderte Leistungsnachweis zur Verlängerung des Förder-
anspruchs im 4. Semester wird im Bachelor-Studium ersatzlos gestrichen.

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9. Die elternunabhängige Förderung wird durch die Verringerung der nach-
zuweisenden Zeit einer vorherigen Arbeitstätigkeit bzw. Ausbildung aus-
geweitet.

10. Auszubildenden in hochschulorganisatorisch eingerichteten Teilzeitstudien-
gängen wird eine Förderung nach BAföG zugänglich gemacht.

11. Das Auslands-BAföG wird auf ein gesamtes gefördertes Auslandsstudium
in den Bologna-Staaten ausgeweitet. Alle Auslandszuschläge werden wie-
der als Vollzuschuss gewährt.

12. Leistungen nach BAföG für Schülerinnen und Schüler gelten nicht als Ein-
kommen.

13. Vergütungen für Praktika fallen unter den Einkommensfreibetrag von
400 Euro für Auszubildende.

14. Transferzahlungen (Waisenrenten etc.) werden dem Zeitraum zugerechnet,
für den sie vorgesehen sind, und nicht dem Zeitraum, in dem sie ausgezahlt
werden.

15. Die bisherige Verschuldungsdeckelung wird bei einem Bachelor-Studium
um mindestens 3 000 Euro auf höchstens 7 000 Euro verringert.

16. Der Teilerlass der BAföG-Schulden bei Kindererziehung wird auch nach
dem 1. Januar 2010 gewährt.

17. Der BAföG-Beirat wird demokratisch besetzt und erhält erweiterte Kompe-
tenzen.

18. Die Anhebung der Bedarfssätze und Freibeträge wird an die Steigerung der
studentischen Lebenshaltungskosten und allgemeine Einkommensentwick-
lung gekoppelt.

III. Des Weiteren fordert der Deutsche Bundestag die Bundesregierung auf,

mit einer Strukturreform hin zu einem „Zwei-Körbe-Modell“ in der Studien-
finanzierung für eine bestimmt Studienzeit, die der durchschnittlichen Studien-
dauer entspricht, den Weg zu einer elternunabhängigen, bedarfsdeckenden und
repressionsfreien Studienfinanzierung für alle Studierenden bei individuellem
Bedarf zu öffnen. Der erste Korb soll hierbei aus einem für alle Studierenden
einheitlichen Sockelbetrag bestehen, in dem alle kindbezogenen Transferleis-
tungen und Freibeträge zusammengefasst werden und direkt an die Studieren-
den fließen. Der zweite Korb soll aus einem – in einem ersten Schritt elternab-
hängigen – Zuschussteil bestehen, der schrittweise hin zur Elternunabhängigkeit
ausgeweitet wird.

IV. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung ebenso auf,

Maßnahmen zu ergreifen um wieder ein umfassendes BAföG für Schülerinnen
und Schüler an Berufsfachschulen sowie Fach- und Fachoberschulklassen und
weiterführenden allgemeinbildenden Schulen ab Klasse 11 einzuführen, auch
dann, wenn sie bei den Eltern wohnen oder nicht notwendig auswärtig unterge-
bracht sind.

Berlin, den 21. April 2009

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/12688

Begründung

Die unter Abschnitt II genannten Forderungen sollen das BAföG – ungeachtet
seines grundsätzlichen Reformbedarfes – besser an die geänderten Studienreali-
täten anpassen. Zu den genannten Forderungen im Einzelnen:

Zu Punkt 1: Angesichts der Forderungen nach mehr Flexibilität, nach individu-
eller Gestaltung der Bildungsbiographie und nach lebenslangem Lernen ist die
Altersgrenze von 30 Jahren im BAföG anachronistisch. Zudem hat sie sich
durch die zweistufige Studienstruktur verschärft: Während Studierende früher
mit 33 Jahren einen vollständig geförderten Diplomstudiengang abschließen
konnten, endet die Förderung heute in diesem Fall bereits bei 31 Jahren mit dem
Bachelorabschluss. Ein daran anschließender Master wird in der Regel nicht
mehr gefördert.

Zu Punkt 2: Trotz vielfältiger Verbesserungsversuche zur Gestaltung eines offe-
nen Masterzugangs im BAföG besteht nach wie vor das Problem, dass in vielen
Fällen kein Rechtsanspruch auf eine BAföG-Förderung in einem nicht-konseku-
tiven Master besteht. Die Möglichkeit zur Aufnahme eines Masterstudiums wird
damit von der sozialen Herkunft abhängig gemacht. Dies kann nur durch eine
generelle BAföG-Förderung des Masters überwunden werden. Letztlich würde
dies auch mehr Transparenz und Verlässlichkeit für die Studierenden schaffen.

Zu Punkt 3: Der zu kurze Förderzeitraum zwischen zwei Ausbildungsabschnit-
ten führt zu Verunsicherungen seitens der Studierenden und erschwert eine
eventuelle Aufnahme eines Master-Studiums. Vielfach sind Studierende damit
konfrontiert, dass zwischen ihrem Bachelorabschluss und der Aufnahme eines
Masterstudiums ein zu langer Zeitraum liegt, der durch das BAföG nicht über-
brückt wird. Ihnen bleibt also nur die Möglichkeit, andere Transferleistungen in
Anspruch zu nehmen oder diese Phase ohne Studierendenstatus zu überbrücken.
Es entspräche auch einer Verwaltungsvereinfachung, wenn der Förderzeitraum
zwischen zwei Ausbildungsabschnitten im BAföG verlängert würde, statt an-
dere Transferleistungsträger einzubinden.

Zu Punkt 4: Die chronische Unterfinanzierung der Hochschulen führt auch dazu,
dass immer weniger Studierende ihr Studium in der Regelstudienzeit abschlie-
ßen können. Sie können aufgrund von überfüllten Seminaren nicht rechtzeitig
ihr Studium beenden, müssen lange auf eine Prüfungsanmeldung oder Termine
bei Prüfungsberechtigten warten oder erhalten zu spät einen Platz in Kursen für
die in der Studienordnung geforderten Zusatzqualifikationen, wie etwa Nach-
weise über Fremdsprachenkenntnisse. Diese Verzögerung im Studium darf nicht
den Studierenden angelastet werden. Das sinnvollere Instrument zur Bemessung
des Förderungszeitraumes wäre deshalb statt des Konstrukts der Regelstudien-
zeit die durchschnittliche Studiendauer.

Zu Punkt 5: Das BAföG diskriminiert eingetragene Lebenspartnerschaften ge-
genüber der Ehe, indem für sie beispielsweise Teilerlasse ausgeschlossen sind
sowie die Anrechnung des Einkommens nicht erfolgt und dementsprechend
auch keine Einkommensfreibeträge im BAföG berücksichtigt werden. Diese
Diskriminierung muss beendet werden.

Zu Punkt 6: Wer in einem früheren Studium kein BAföG beantragt hat, aber in
einem neuen Studiengang einen Antrag stellt, bekommt die Semester des ersten
Studiums vom Förderzeitraum abgezogen. Diese Praxis ist ungerechtfertigt. Es
sollte den Studierenden selbst überlassen bleiben zu klären, für welche Semester
sie Leistungen nach BAföG in Anspruch nehmen wollen.

Zu Punkt 7: Wer in seinem Studium Russisch oder Spanisch neu lernt, bekommt
ein Semester seines Förderzeitraums verlängert. Wer jedoch Französisch, Latein
oder Englisch neu lernt, erhält keine Verlängerung. Bis auf die Ausnahmerege-

lung bei Englisch, das an allen Schulen, die zu einer Hochschulzugangsberech-

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tigung führen, in Deutschland unterrichtet wird, entbehrt diese Regelung jeder
Grundlage. Es wird immer mehr zur Normalität nicht Latein und statt Franzö-
sisch eine andere zweite Fremdsprache, etwa Spanisch oder Russisch in Schulen
zu erlernen. Wenn das Erlernen einer Fremdsprache während des Studiums neu
angefangen wird, sollte aufgrund der Gleichbehandlung aller Studierenden
regelmäßig eine Verlängerung des Förderzeitraums erfolgen. Dies ist im Sinne
einer gewünschten mehrsprachigen Kompetenz in einem zusammenwachsenden
Europa erwünscht.

Zu Punkt 8: In einem durchschnittlich zehnsemestrigen Diplomstudiengang
kann die Forderung nach Leistungsnachweisen im vierten Semester anstelle der
Vorprüfung erklärt werden; bei einem durchschnittlich sechssemestrigen Bache-
lor-Studium handelt es sich hierbei jedoch um eine überflüssige Maßnahme, die
Studierende und die BAföG-Ämter unnötig Zeit kosten und den repressiven
Charakter des BAföG unnötig verstärkt. Deshalb sollte die Leistungsnachweis-
erbringung im Bachelor-Studium entfallen.

Zu Punkt 9: Die Kultusministerkonferenz nennt als Voraussetzung für den Be-
such von Kollegs eine dreijährige Erwerbsarbeit oder eine abgeschlossene Be-
rufsausbildung. Die Ausweitung der elternunabhängigen BAföG-Förderung auf
die gleichen Kriterien würde zu einer weiteren Stärkung des Zweiten Bildungs-
wegs führen, da an Auszubildende an einem Kolleg generell ein elternunabhän-
giges BAföG gezahlt werden würde.

Zu Punkt 10: Das BAföG bietet bisher keine Antwort auf die zunehmend hete-
rogenere Studierendenschaft. Ein Beispiel hierfür sind fehlende Regelungen zur
Förderung im Teilzeitstudium. Solche Regelungen wären unter anderem für eine
bessere Vereinbarkeit von Kindererziehungszeiten und Studium entscheidend.

Zu Punkt 11: Um das Ziel zu erreichen, die Internationalisierung der Wissen-
schaft und die internationale Mobilität voranzutreiben sowie die Teilhabe an
globalen Wissensgesellschaften zu fördern, muss der Auslands-Zuschlag im
BAföG auf das gesamte Auslandsstudium zumindest in den Bologna-Staaten
ausgedehnt und in eine volle Zuschussförderung umgewandelt werden.

Zu Punkt 12: Wenn ein Mitglied einer Bedarfsgemeinschaft durch die Auf-
nahme einer schulischen Ausbildung eine BAföG-Förderung erhält, bedeutet
das für die Bedarfsgemeinschaft häufig massive finanzielle Einbußen, da das
BAföG als Einkommen angerechnet wird. Die Folge sind zahlreiche Fälle, in
denen auf eine Ausbildung verzichtet wird, da die Finanzierung der Bedarfs-
gemeinschaft dann nicht mehr gewährleistet ist. Deshalb sollen Leistungen nach
BAföG nicht länger als Einkommen angerechnet werden.

Zu Punkt 13: Mit der 22. BAföG-Novelle sind die Einkommensfreibeträge im
BAföG auf 400 Euro angehoben worden. Eine Vergütung, die im Rahmen eines
Praktikums gezahlt wird, wird aber nach wie vor angerechnet. Aufgrund der
durch Praktika zusätzlich anfallenden Kosten (Fahrtkosten, Unterkunftskosten
etc.) sollte für sie die gleiche Regelung Anwendung finden wie für Nebentätig-
keiten.

Punkt 14: Studierende erhalten Transferzahlungen wie Waisenrente o. Ä. oft zu-
sammengefasst für einen längeren Zeitraum. Dies hat Auswirkungen auf die
BAföG-Zahlung, wenn diese Zahlung in den maßgeblichen Bewilligungszeit-
raum fällt, obwohl die Transferzahlung für einen davor liegenden Zeitraum be-
stimmt war. Dieses Prinzip ist nicht begründbar und soll geändert werden.

Zu Punkt 15: Die bisherige Verschuldungsdeckelung von 10 000 Euro im
BAföG ist durch die zweistufige Studienstruktur entwertet worden. Während
eine Studentin oder ein Student in einem zehnsemestrigen Studium mit BAföG-
Höchstsatz durch die Verschuldungsdeckelung 9 290 Euro spart, kommt eine

Studentin oder ein Student in einem sechssemestrigen Bachelorstudiengang nur

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auf eine Einsparung von 1 574 Euro. Dieser deutliche Unterschied rechtfertigt
eine Herabsenkung der Verschuldungsdeckelung im Bachelorstudium.

Zu Punkt 16: Mit der 22. BAföG-Novelle wurde der so genannte Kinder-
zuschlag im BAföG eingeführt, den Auszubildende, die während ihrer Aus-
bildung ein Kind bekommen, erhalten. Die Alternative, bei Kindererziehung auf
einen Teil der Rückzahlung der BAföG-Schulden nach der Ausbildung verzich-
ten zu können, soll Ende 2009 entfallen, obwohl viele Auszubildende die Rege-
lung als positiv einschätzen und auch weiterhin davon Gebrauch machen wollen.

Zu Punkt 17: Der BAföG-Beirat hat zu geringe Kompetenzen. Beispielsweise
muss er sich auf Empfehlungen beschränken. Hinzu kommt eine undemokra-
tische Zusammensetzung: die beteiligten Studierenden werden über jeweils
rotierend verantwortliche Landesregierungen bestimmt. So kann es zwar passie-
ren, dass eine Landesregierung den Vorschlag der Landesstudierendenvertre-
tung aufgreift, viel zu oft werden aber auch je nach parteipolitischem Kalkül
Studierende aus den jeweiligen Studierendenverbänden der Partei bestimmt. Da
das BAföG ein Bundesgesetz ist, das maßgeblich Studierende betrifft, wäre es
erstens sinnvoller, den studentischen Anteil im BAföG-Beirat zu erhöhen – und
zweitens sicherzustellen, dass der bundesweite studentische Dachverband „freier
zusammenschluss von studentInnenschaften“ (fzs) die studentischen Mitglieder
benennt.

Zu Punkt 18: Nach sechs Nullrunden wurden die Bedarfssätze und Freibeträge
ab Oktober 2008 endlich nach langem Ringen um 10 Prozent angehoben. In den
letzten Jahren hatte der Beirat jährlich eine rund zweiprozentige Erhöhung auf-
grund der steigenden Lebenshaltungskosten gefordert. Durch das bewusste Aus-
setzen von BAföG-Erhöhungen verlieren Studierende ihr Vertrauen in eine ver-
lässliche Studienfinanzierung. Deshalb sollen BAföG-Erhöhungen an die Stei-
gerung der Lebenshaltungskosten gekoppelt werden.

Die Forderung nach einer Strukturreform hin zu einem „Zwei-Körbe-Modell“
unter Abschnitt III nimmt die Auszubildenden als erwachsene Menschen ernst.
Durch die Änderungen hätten bedürftige Studierende über den Sockelbetrag und
den Zuschussbetrag eine bedarfsdeckende Studienfinanzierung zur Verfügung,
die aber – anders als das bisherige BAföG – ohne Darlehensanteil wäre. Die
Benachteiligung bedürftiger Studierender durch Schulden nach ihrer Ausbil-
dung wäre beendet. Zudem wäre ein erster Schritt hin zur Elternunabhängigkeit
getan, da alle individuell bedürftigen Studierenden den Sockelbetrag erhalten
würden.

Mit der unter Abschnitt IV aufgestellten Forderung nach einem umfassenden
BAföG für Schülerinnen und Schüler ab Klasse 11 kann der sozialen Ungleich-
heit im Bildungssystem entgegen gewirkt und mehr jungen Menschen der Weg
zum Abitur eröffnet werden.

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