BT-Drucksache 16/12615

Geothermie und CO2-Endlagerung

Vom 9. April 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/12615
16. Wahlperiode 09. 04. 2009

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Hans-Josef Fell, Bärbel Höhn, Sylvia Kotting-Uhl,
Cornelia Behm, Bettina Herlitzius, Winfried Hermann, Dr. Anton Hofreiter,
Ulrike Höfken, Undine Kurth (Quedlinburg), Nicole Maisch und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Geothermie und CO2-Endlagerung

Die Bundesregierung will die Abscheidung und unterirdische Lagerung von zu-
vor in Kraftwerken abgeschiedenem CO2 (CCS) mit rechtlichen Rahmenbedin-
gungen und Subventionen unterstützen. Da das CO2 unterirdisch endgelagert
werden soll, muss sichergestellt werden, dass das Gas keinen Weg an die Erd-
oberfläche findet. Sonst bestünde auf dem Weg zur Oberfläche die Gefahr der
Verunreinigung von Trinkwasser und oberhalb der Erdoberfläche die Gefahr,
dass Mensch und Tier ersticken. Außerdem würde es wieder klimawirksam in
die Atmosphäre gelangen. Als kritisch für den langfristig sicheren Einschluss
von CO2 werden Bohrungen betrachtet. Solche hat es in der Vergangenheit viel-
fach gegeben, wenn nach Erdöl- und Erdgas gesucht wurde.

Angesichts der übergeordneten Ziele des Klimaschutzes und der Versorgungs-
sicherheit ist der Ausbau der erneuerbaren Energien unbestritten von größter
Bedeutung. Eine wichtige Rolle soll dabei auch die Geothermie spielen, was
auch der kürzlich dem Parlament vorgelegte Geothermiebericht der Bundes-
regierung zeigte. Allerdings geht der Geothermiebericht mit keinem Wort
darauf ein, dass geothermische Bohrungen in Konkurrenz zur CO2-Endlage-
rung stehen könnten. Die jüngst verabschiedeten EU-Richtlinien geben sogar
einen Vorrang der Erneuerbaren Energien und damit auch der Geothermie
gegenüber der CO2-Endlagerung vor. Von einem solchen Vorrang ist allerdings
an keiner Stelle etwas im CCS-Gesetzentwurf der Bundesregierung zu lesen.
Ganz im Gegenteil gibt der Gesetzentwurf Anlass zur Befürchtung, dass die
CO2-Endlagersuche den Geothermie-Ausbau in Deutschland auf unabsehbare
Zeit stoppen könnte.

Vor diesem Hintergrund fragen wir die Bundesregierung:

1. Befürwortet die Bundesregierung bei der Stromerzeugung einen Vorrang er-
neuerbarer Energien vor der Verbrennung von Kohle?

2. Befürwortet die Bundesregierung eine Vorrangstellung der Vermeidung und

Verminderung von Kohlendioxidemissionen gegenüber der Ablagerung von
Kohlendioxid?

3. Wie beurteilt die Bundesregierung das Potenzial der Nutzung der tiefen
Geothermie zur Wärmeversorgung und Stromerzeugung vor dem Hinter-
grund des TAB-Berichts des Deutschen Bundestages von 2003, Bundestags-
drucksache 15/1835, wonach das technische Gesamtpotenzial zur geother-

Drucksache 16/12615 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

mischen Stromerzeugung beim 600-Fachen des deutschen Jahresstrombe-
darfs liegt, wobei 95 Prozent dieses Potenzials auf kristalline Gesteine,
4 Prozent auf Störungszonen und 1 Prozent auf Heißwasser-Aquiferen
beruhen, und wonach das zusätzliche Potenzial an thermischer Nutzung
das 1,5- bis 2,5-Fache des Strompotenzials beträgt (bitte unterscheiden hin-
sichtlich hydrothermaler und petrothermaler Potenziale)?

4. Welche Abschätzung hat die Bundesregierung bezüglich der Potenziale für
die CO2-Endlagerung in Deutschland (bitte unterscheiden zwischen theore-
tischen und gesicherten Potenzialen)?

5. In welchem Umfang soll einerseits die Untersuchung zur Kohlendioxid-
ablagerung und die anschließende Kohlendioxidablagerung, andererseits
die Weiterentwicklung der tiefen Geothermie nach derzeitigem Stand
(einschließlich Planungen und Entwürfe) durch staatliche Mittel auf euro-
päischer und nationaler Ebene gefördert werden, und wie beurteilt die Bun-
desregierung den Umfang der mittelbaren Förderung der Kohlendioxid-
ablagerung durch den Emissionshandel im Vergleich zur mittelbaren För-
derung der Geothermie durch die EEG-Vergütung?

6. Liegen der Bundesregierung Untersuchungen darüber vor, in welchem
Umfang die Geothermiepotenziale abnehmen würden, wenn die CO2-End-
lagerpotenziale vollumfänglich genutzt würden, und falls ja, wie lauten die
Abschätzungen?

Falls nein, bis wann beabsichtigt die Bundesregierung diese Abschätzung
dem Deutschen Bundestag vorzulegen?

7. Ging die Bundesregierung in ihrem aktuell dem Deutschen Bundestag vor-
gelegten Geothermiebericht (Ausschussdrucksache 16-16-584) davon aus,
dass das Thema CO2-Endlagerung irrelevant für den Ausbau der Geo-
thermie sei, oder waren den Ministerien, die sich mit dem Thema Geo-
thermie beschäftigen, die Aktivitäten der Ministerien, die sich mit der CO2-
Einlagerung beschäftigen, nicht bekannt?

Aus welchem (anderen) Grund geht die Bundesregierung in dem von ihr
aktuell vorgelegten Geothermiebericht mit keinem Wort auf das Thema
CO2-Endlagerung ein?

8. Welche Gesichtspunkte sprechen nach Auffassung der Bundesregierung
dafür oder dagegen, dass bestehende oder künftige (z. B. Geothermie-)
Bohrungen in einem für Untersuchungen zur Kohlendioxidablagerung
genehmigten Gebiet einerseits und in einem für die Ablagerung planfest-
gestellten Gebiet andererseits eine Beeinträchtigung der Kohlendioxid-
ablagerung darstellen können und deswegen verboten, eingeschränkt oder
mit zusätzlichen Auflagen (z. B. zur Abdichtung gegen entlang des Bohr-
lochs entweichendem Kohlendioxid) belastet werden müssen?

9. Sind sämtliche Bohrungen nach Erdgas und Erdöl der Bundesregierung
bzw. ihren zuständigen Behörden bekannt, und kann die Bundesregierung
ausschließen, dass es auf deutschem Staatsgebiet Bohrungen gegeben hat,
die ihr nicht bekannt sind?

10. Wie hoch ist die exakte Zahl der Bohrungen

a) nach Erdgas,

b) nach Erdöl und

c) nach geothermisch nutzbaren thermalen und petrothermalen Feldern

auf deutschem Staatsgebiet?

11. Ab wann gilt die rechtliche oder tatsächliche Sperrung eines Gebietes für
geothermische Bohrungen
a) ab Antragstellung der CCS-Untersuchungsgenehmigung,

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/12615

b) ab Erteilung der CCS-Untersuchungsgenehmigung,

c) ab Antrag zur Errichtung von Kohlendioxidspeichern oder

d) ab Planfeststellung von Kohlendioxidspeichern?

12. Für welchen Zeitraum wird ein Gebiet für geothermische Bohrungen ge-
sperrt

a) bis zur Ablehnung der Untersuchungsgenehmigung (Versagungsbe-
scheid),

b) bis das antragstellende Unternehmen seinen Antrag zurückzieht oder

c) öffentlich bekannt gibt, dass es nicht einlagern wird oder

d) nach einem Ablauf von einem bestimmten Zeitraum (falls ja, welcher)?

13. Plant die Bundesregierung eine Entschädigung der Grundstückseigner
oberhalb von (potenziellen) CCS-Lagerstätten, da die Grundstückseigner
die Grundstücke nicht mehr geothermisch durch Verkauf oder Verpachtung
oder Eigennutzung verwerten können?

14. Würde das CCS-Gesetz in der Form des Gesetzentwurfs es ermöglichen,
uneingeschränkt Untersuchungsgebiete für CCS zu reservieren und damit
geothermische Bohrungen auszuschließen, und falls nein, welche Formu-
lierungen des Gesetzes würden Reservierungen Einhalt gebieten?

15. Gewährleistet die Regelung des Gesetzentwurfs, wonach die Beeinträchti-
gung von Bodenschätzen ausgeschlossen werden soll, deren Schutz im öf-
fentlichen Interesse liegt, auch den Schutz der hydrothermalen sowie petro-
thermalen Geothermienutzung?

Wenn ja, wie und in welchem Umfang, insbesondere hinsichtlich petro-
thermaler Techniken, deren Nutzung nicht auf bestimmte „Lagerstätten“
beschränkt ist?

16. Falls die vorstehende Frage mit „nein“ beantwortet wird, betrachtet die
Bundesregierung petrothermale und geothermische Vorkommen als Bo-
denschätze, und worunter versteht die Bundesregierung konkret ein öffent-
liches Interesse in diesem Kontext?

17. Trifft es zu, dass wenn die Untersuchungsgenehmigung zur Kohlendioxid-
ablagerung erteilt ist, der Untersuchungsberechtigte das ausschließliche
Recht zur Untersuchung des ihm zugeteilten Feldes hat und während der
Gültigkeitsdauer der Untersuchungsgenehmigung anderweitige, die Eig-
nung als Kohlendioxidspeicher beeinträchtigende Nutzungen des Speicher-
komplexes unzulässig sind?

18. Wie wird rechtlich und in der Praxis der Ausschlussbereich abgegrenzt –
angesichts der Problematik, dass die umgebenden, die Dichtheit garantie-
renden Bereiche, voraussichtlich weit größer sind als der Bereich des
potenziellen Endlagers für CO2?

19. Hält die Bundesregierung ein Windhundverfahren für das geeignete Aus-
wahlkriterium, ob es an einem Standort eine geothermische Nutzung oder
potenzielle CO2-Endlager geben wird?

20. Mit welchen rechtlichen Rahmenbedingungen will die Bundesregierung
ein Windhundverfahren ausschließen, bei dem durch aktuelle Antragstel-
lung Untersuchungsberechtigter die zukünftige geothermische Nutzung
mittel- bis langfristig ausgeschlossen wird?

21. Welche gesetzliche Höchstfrist gibt es für die Untersuchungsgenehmigung
zur Kohlendioxidablagerung, und, sollte es keine Höchstfrist geben, wie
will die Bundesregierung ausschließen, dass die im Bergrecht für Erd-

wärme und andere Bodenschätze auf höchstens fünf Jahre (mit Verlänge-
rungsmöglichkeit) festgelegte Befristung überschritten wird?

Drucksache 16/12615 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
22. Trifft es zu, dass im Falle der Genehmigung überlappender Untersuchungs-
felder die Verlängerung der Geothermiefelder ausgeschlossen ist?

23. Soll mit der Übergangsvorschrift des § 39 Absatz 2, wonach Kohlendioxid-
ablagerungs-Unternehmern uneingeschränkt Zugriff auf Untersuchungs-
daten Dritter verschafft werden, die diese nach § 3 des Lagerstättengeset-
zes den zuständigen Geologischen Landesämtern zu übermitteln haben,
und falls ja, womit begründet die Bundesregierung die Privilegierung?

24. Was hält die Bundesregierung von einer allgemeinen Regelung, wonach
die Ergebnisse geophysikalischer Untersuchungen für einen beschränkten
Zeitraum als geistiges Eigentum gegen unbefugte Verwendung geschützt
sind und innerhalb dieses Zeitraums ein Anspruch Dritter auf beschränkten
Zugang sinnvoll ist, wenn sich der Dritte mit einem angemessenen Entgelt
an den angefallenen Untersuchungskosten beteiligt, sowie nach Ablauf des
Zeitraums der uneingeschränkte Zugang eröffnet wird, und diese Regelung
zu Gunsten und zu Lasten aller Nutzungen des Untergrundes und nicht als
einseitige Privilegierung der Kohlendioxidablagerung gilt?

25. Mit welchen konkreten gesetzlichen Formulierungen stellt die Bundes-
regierung sicher, dass die Geothermie nicht schon deshalb benachteiligt
wird, weil eine Beeinträchtigung der Kohlendioxidablagerung theoretisch
möglich ist, auch wenn dies praktisch weder bestätigt noch überhaupt an-
satzweise bewertet werden kann?

26. Hat die Bundesregierung geprüft, ob die im CCS-Gesetzentwurf aufgezeig-
ten Privilegierungen der Untersuchung zur Kohlendioxidablagerung ver-
einbar mit der neuen CCS-Richtlinie ist, die verankert, dass es sich bei
CCS um eine Brückentechnologie handelt, die nicht als Anreiz dienen
sollte, den Anteil konventionell befeuerter Kraftwerke zu steigern, und de-
ren Entwicklung nicht dazu führen sollte, die Bemühungen zur Förderung
von erneuerbaren Energien zu verringern (Erwägungsgrund 4 des aktuellen
Entwurfs vom 17. Dezember 2008)?

27. Kann die Bundesregierung ausschließen, dass antragsberechtigte Unter-
nehmen, die zugleich im Geothermiesektor tätig sind, über die Antragstel-
lung die geothermische Erschließung von Gebieten so lange blockieren, bis
sie eigene Aktivitäten soweit entwickelt haben, um einen Antrag zur geo-
thermischen Nutzung stellen zu können?

28. Gibt es bezüglich der vorab genannten Fragestellungen identische Ver-
fahrensweisen bezüglich Druckluftspeichern, und falls nein, bei welchen
Fragen käme die Bundesregierung zu abweichenden Antworten?

29. Werden Ergebnisse der Untersuchungen zur Kohlendioxidablagerung für
den Fall, dass keine CO2-Ablagerung erfolgt, für andere Aufsuchungen,
insbesondere für die Geothermie zur Verfügung stehen?

Wird die Bundesregierung dafür sorgen, dass dies jedenfalls bei mit öffent-
lichen Mitteln geförderten Untersuchungen der Fall sein wird?

30. Was hält die Bundesregierung von einem wissenschaftlichen Bohr-
programm, mittels dessen die Nutzbarkeit des Untergrundes ergebnisoffen
untersucht und auf dessen Basis zu entscheiden wäre, welche Gebiete für
welche Nutzungen zur Verfügung stehen sollen?

Berlin, den 9. April 2009

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.