BT-Drucksache 16/12545

1. zu dem Antrag der Abgeordneten Antje Blumenthal, Hubert Hüppe, Thomas Bareiß, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Albert Rupprecht (Weiden), Renate Gradistanac, Angelika Graf (Rosenheim), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD -16/1775- Frauen und Mädchen mit Behinderungen wirksam vor Gewalt schützen und Hilfsangebote verbessern 2. zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung -16/6041 Nr. 1.7- Lage der Frauen mit Behinderungen in der Europäischen Union Entschließung des Europäischen Parlaments vom 26. April 2007 zur Lage der Frauen mit Behinderungen in der Europäischen Union (2006/2277(INI)) EuB-EP 1492

Vom 1. April 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/12545
16. Wahlperiode 01. 04. 2009

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
(13. Ausschuss)

a) zu dem Antrag der Abgeordneten Antje Blumenthal, Hubert Hüppe, Thomas
Bareiß, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Marlene Rupprecht (Tuchenbach), Renate
Gradistanac, Angelika Graf (Rosenheim), weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der SPD
– Drucksache 16/11775 –

Frauen und Mädchen mit Behinderungen wirksam vor Gewalt schützen
und Hilfsangebote verbessern

b) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
– Drucksache 16/6041 Nr. 1.7 –

Lage der Frauen mit Behinderungen in der Europäischen Union
Entschließung des Europäischen Parlaments vom 26. April 2007 zur Lage der
Frauen mit Behinderungen in der Europäischen Union (2006/2277(INI))
(EuB-EP 1492)

A. Problem

Die Entschließung des Europäischen Parlaments macht deutlich, dass Frauen
und Mädchen mit Behinderungen in vielen Bereichen sehr häufig Gewalt und
Benachteiligungen erleben müssen und Mehrfachdiskriminierungen ausgesetzt
sind. Mit seiner Entschließung will das Europäische Parlament die Öffentlich-
keit für dieses Problem sensibilisieren und fordert die Mitgliedstaaten auf, sich
für gleiche Lebensbedingungen für alle Menschen einzusetzen. Dieses An-
liegen greifen die Fraktionen der CDU/CSU und SPD in ihrem Antrag auf

Drucksache 16/11775 auf und legen einen Katalog mit Maßnahmen zur Verbes-
serung der Lebensbedingungen behinderter Frauen und Mädchen vor.

Drucksache 16/12545 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

B. Lösung

Annahme des Antrags auf Drucksache 16/11775 mit den Stimmen der
Fraktionen CDU/CSU, SPD und DIE LINKE. bei Stimmenthaltung der
Fraktionen FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

C. Alternativen

Ablehnung des Antrags.

D. Kosten

Wurden nicht erörtert.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/12545

Beschlussempfehlung

Der Bundestag wolle beschließen,

in Kenntnis der Unterrichtung auf Drucksache 16/6041 Nr. 1.7 den Antrag auf
Drucksache 16/11775 anzunehmen.

Berlin, den 25. März 2009

Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Kerstin Griese
Vorsitzende

Antje Blumenthal
Berichterstatterin

Marlene Rupprecht (Tuchenbach)
Berichterstatterin

Ina Lenke
Berichterstatterin

Diana Golze
Berichterstatterin

Irmingard Schewe-Gerigk
Berichterstatterin

chen mit Behinderungen gerecht werde,

Vor diesem Hintergrund fordert der Antrag, die Bundes-
regierung solle

● die geplante Studie zu Ausmaß und Umfang von Gewalt
gegen Frauen und Mädchen mit Behinderungen unter

● sich dafür einsetzen, dass ein ausreichendes Angebot an
barrierefreien Frauenberatungsstellen und Frauenhäu-
sern zur Verfügung stehe,

● sich auf allen Ebenen dafür einsetzen, dass von Gewalt
Drucksache 16/12545 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Bericht der Abgeordneten Antje Blumenthal, Marlene Rupprecht (Tuchenbach),
Ina Lenke, Diana Golze und Irmingard Schewe-Gerigk

I. Überweisung der Vorlagen

Der Antrag auf Drucksache 16/11775 wurde in der
205. Sitzung des Deutschen Bundestages am 12. Februar
2009 dem Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend zur federführenden Beratung sowie dem Rechtsaus-
schuss, dem Haushaltsausschuss, dem Ausschuss für Arbeit
und Soziales und dem Ausschuss für Gesundheit zur Mit-
beratung überwiesen.

Das EU-Dokument EuB-EP 1492 wurde gemäß § 93
GO-BT mit Sammelüberweisung (Drucksache 16/6041
Nr. 1.7) vom 10. Juli 2007 dem Ausschuss für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend zur federführenden Beratung
sowie dem Ausschuss für Arbeit und Soziales, dem Aus-
schuss für Gesundheit, dem Ausschuss für Menschenrechte
und humanitäre Hilfe und dem Ausschuss für Tourismus zur
Mitberatung überwiesen.

II. Wesentlicher Inhalt der Vorlagen

Das Europäische Parlament weist in seiner Entschließung
darauf hin, dass Frauen und Mädchen mit Behinderungen
im häuslichen Bereich und auch außerhalb häufig einer er-
höhten Gefahr ausgesetzt seien, Opfer von Gewalt und
Körperverletzung oder Missbrauch, Verwahrlosung, Ver-
nachlässigung, Misshandlung und Ausbeutung zu werden.
Nahezu 80 Prozent der Frauen mit Behinderungen würden
zu Opfern von psychischer und physischer Gewalt und
seien in höherem Maß als andere Frauen der Gefahr sexuel-
ler Gewalt ausgesetzt. Frauen mit Behinderungen seien oft
mehrfachen Diskriminierungen und verstärkt der Gefahr
von Armut und sozialer Ausgrenzung ausgesetzt. Dies ist
der Ausgangspunkt für einen umfangreichen Maßnahmen-
katalog, den das Europäische Parlament von den Mitglied-
staaten einfordert.

Der Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD greift
diese Erwägungen auf und weist insbesondere auf das Über-
einkommen der Vereinten Nationen (VN) vom 13. Dezem-
ber 2006 über die Rechte der Menschen mit Behinderungen
sowie das Fakultativprotokoll zu diesem Übereinkommen
hin, die Deutschland beide ratifiziert habe. Das Überein-
kommen sei das erste universelle Rechtsdokument, in dem
bestehende Menschenrechte an die spezifische Lebenssitua-
tion behinderter Menschen angepasst würden. Erklärtes Ziel
der VN-Konvention sei es, die Chancengleichheit der Men-
schen mit Behinderungen zu gewährleisten, ihre umfas-
sende Teilhabe an der Gesellschaft zu fördern und ihre
Grundrechte zu garantieren. Mit der Ratifikation habe sich
Deutschland verpflichtet, die Konvention einzuhalten und
umzusetzen.

● besondere Erfordernisse für die Inanspruchnahme von
rechtlichen Schutzmöglichkeiten für Frauen und Mäd-
chen mit Behinderungen feststellen und darüber berich-
ten,

● bei der Entwicklung von entsprechenden Maßnahmen
die Altersverteilung der Betroffenen besonders in den
Blick nehmen und berücksichtigen,

● prüfen, ob von Deutschland die Bekämpfung von Ge-
walt gegen behinderte Frauen und Mädchen explizit als
Schwerpunkt für das kommende Arbeitsprogramm des
Programms Daphne angeregt werden könne,

● zielgruppenspezifisches Aufklärungs- und Informations-
material erarbeiten und zur Verfügung stellen,

● Menschen mit Behinderungen beiderlei Geschlechts – so-
weit möglich – im Rahmen von Sexualerziehung bzw.
Sexualaufklärung über mögliche Versuche von sexuellen
Übergriffen aufklären sowie die von Sexualgewalt Be-
troffenen über Wege und Möglichkeiten der Aufklärung
und Bewältigung bzw. Aufarbeitung informieren,

● die Öffentlichkeit durch geeignete Kampagnen, Projekte
oder andere Maßnahmen für das Thema „Gewalt gegen
Frauen und Mädchen mit Behinderungen“ sensibilisie-
ren,

● für Personen, die Menschen mit Behinderungen profes-
sionell betreuen, und für Sozialarbeiterinnen und -arbei-
ter sowie für Psychotherapeutinnen und Psychotherapeu-
ten einen Leitfaden zum Umgang mit sexuellen Über-
griffen gegen Menschen mit Behinderungen erstellen
und bekannt machen,

● Projekte und Modellversuche fördern, die zum Ziel
haben, das Betreuungspersonal von Einrichtungen, das
Pflegepersonal und die Ärzteschaft im Zusammenhang
mit der Therapie von Gewaltfolgen und Prävention von
Gewalt in Bezug auf betroffene Frauen und Mädchen
mit Behinderungen fortzubilden,

● prüfen, welche Präventionsmaßnahmen erforderlich
seien und entsprechende Maßnahmen ergreifen,

● prüfen, ob die Einführung von Frauenbeauftragten in
Einrichtungen erfolgen sollte und den Frauen und
Mädchen auch außerhalb der Einrichtung den Zugang zu
einer Vertrauensperson ermöglichen,

● dafür Sorge tragen, dass von Gewalt betroffene Men-
schen mit Behinderungen schnellen Zugang zu psycho-
logischer und psychotherapeutischer Hilfe erhielten,

● sich bei den Ländern dafür einsetzen, dass das Hilfe-
system verstärkt den Bedürfnissen von Frauen und Mäd-
Berücksichtigung der Gewalt- und Täterstruktur sowie
der Tatumstände schnellstmöglich in Auftrag geben,

betroffene Frauen und Mädchen mit Behinderungen
situationsgerecht versorgt und unterstützt würden.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/12545

III. Stellungnahmen der mitberatenden
Ausschüsse

a) Zu dem Antrag auf Drucksache 16/11775

Der Rechtssausschuss hat in seiner 132. Sitzung am
25. März 2009 mit den Stimmen der Fraktionen CDU/CSU,
SPD und DIE LINKE. bei Stimmenthaltung der Fraktionen
FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Annahme des
Antrags empfohlen.

Der Haushaltsausschuss hat in seiner 96. Sitzung am
25. März 2009 mit den Stimmen der Fraktionen CDU/CSU,
SPD und DIE LINKE. bei Stimmenthaltung der Fraktionen
FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Annahme des
Antrags empfohlen.

Der Ausschuss für Arbeit und Soziales hat in seiner
119. Sitzung am 25. März 2009 mit den Stimmen der Frak-
tionen CDU/CSU, SPD, DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN bei Stimmenthaltung der Fraktion der FDP
die Annahme des Antrags empfohlen.

Der Ausschuss für Gesundheit hat in seiner 114. Sitzung
am 25. März 2009 mit den Stimmen der Fraktionen CDU/
CSU, SPD, FDP und DIE LINKE. bei Stimmenthaltung der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Annahme des
Antrags empfohlen.

b) Zur Entschließung des Europäischen Parlaments
EuB-EP 1492

Der Ausschuss für Arbeit und Soziales hat in seiner Sit-
zung am 19. September 2007 die Kenntnisnahme der Vor-
lage empfohlen.

Der Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre
Hilfe hat in seiner Sitzung am 12. Dezember 2007 die
Kenntnisnahme der Vorlage empfohlen.

Der Ausschuss für Gesundheit und der Ausschuss für
Tourismus haben jeweils in ihren Sitzungen am 25. März
2009 die Kenntnisnahme der Vorlage empfohlen.

IV. Beratungsverlauf und Beratungsergebnis im
federführenden Ausschuss

1. Abstimmungsergebnis

Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
empfiehlt in Kenntnisnahme der Entschließung des Europä-
ischen Parlaments EuB-EP 1492 mit den Stimmen der Frak-
tionen CDU/CSU, SPD und DIE LINKE. bei Stimmenthal-
tung der Fraktionen FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
die Annahme des Antrags auf Drucksache 16/11775.

2. Inhalt der Ausschussberatungen

Der Antrag wurde in der 83. Sitzung des Ausschusses am
25. März 2009 beraten. Dabei betonte die Fraktion der
CDU/CSU, das Thema Frauen und Mädchen mit Behinde-
rungen müsse verstärkt in den Fokus der Öffentlichkeit
gerückt werden. Frauen und Mädchen mit Behinderungen
seien Mehrfachdiskriminierungen ausgesetzt und die Wahr-
scheinlichkeit, dass sie Opfer von physischer und psychi-
scher Gewalt würden, liege um ein Vielfaches höher als bei
anderen Gruppen. Herkömmliche Präventionsmaßnahmen

Aufgabe, Chancengleichheit und Grundrechte auch und be-
sonders für Menschen mit Behinderungen zu garantieren.
Dazu habe sich Deutschland auch durch die Ratifizierung
der VN-Konvention über die Rechte der Menschen mit Be-
hinderungen verpflichtet. Mit dem Aktionsplan II der Bun-
desregierung sei bereits ein großer Schritt zur Bekämpfung
von Gewalt gegen Frauen getan worden. Der nun vorlie-
gende Antrag konzentriere sich auf Frauen und Mädchen
mit Behinderungen. Da die Bundesregierung ihre Studie zu
Ausmaß und Umfang von Gewalt gegen diese Gruppe zwi-
schenzeitig bereits in Auftrag gegeben habe, wolle man nun
erreichen, dass dem Parlament ein Zwischenbericht hierzu
vorgelegt und nicht erst das Stadium des Endberichtes abge-
wartet werde. Die Bundesregierung solle prüfen, ob die Pro-
blematik der Gewalt gegen behinderte Frauen und Mädchen
als Schwerpunkt für das kommende Arbeitsprogramm des
Programms Daphne II auf EU-Ebene angeregt werden
könne. Der Schlüssel zur Bekämpfung von Gewalt sei die
Prävention. Deshalb müssten zielgruppenspezifisches Auf-
klärungs- und Informationsmaterial erstellt, die Sexualer-
ziehung bzw. Sexualaufklärung von Menschen mit Behin-
derungen verstärkt in den Fokus genommen und die Öffent-
lichkeit durch geeignete Kampagnen und Projekte für das
Thema sensibilisiert werden. Im Hinblick auf den Zugang
zu Beratung und Hilfsstellen müsse sichergestellt werden,
dass Betroffene Zugang zu psychologischer und psychothe-
rapeutischer Hilfe erhielten und dass für gewaltbetroffene
Frauen mit Behinderungen ein ausreichendes Angebot an
barrierefreien Frauenberatungsstellen und Frauenhäusern
bereitstehe. Dies sei zwar eine Aufgabe der Länder, den-
noch könne sich auch die Bundesregierung bei den Ländern
hierfür einsetzen. Wichtig seien auch Fortbildung und Wis-
sensvermittlung. Hier wolle der Antrag erreichen, dass ein
Leitfaden für Personen erstellt werde, die Menschen mit Be-
hinderungen professionell betreuten und dass auch Projekte
und Modellversuche zur Fortbildung des Betreuungsperso-
nals gefördert würden.

Die Fraktion der CDU/CSU betonte abschließend die Wich-
tigkeit der Aufgabe, Frauen und Mädchen mit Behinderun-
gen vor Gewalt zu schützen. Es gehe darum, ihren Hand-
lungsspielraum auf ihrem Weg zu mehr Selbstbestimmtheit
und Teilhabe zu verbessern. Aus Sicht der Koalitionsfrak-
tionen der CDU/CSU und SPD bestehe hier unabdingbarer
Handlungsbedarf.

Die Fraktion der FDP kritisierte, dass ein Antrag zum
Thema „Frauen und Mädchen mit Behinderungen“ erst jetzt
und zum Ende der Legislaturperiode vorgelegt werde,
obwohl die Entschließung des Europäischen Parlaments
bereits vom April 2007 datiere und das Übereinkommen der
Vereinten Nationen über die Rechte der Menschen mit
Behinderungen vom Dezember 2006. Außerdem habe der
Antrag nur wenig inhaltliche Substanz. Mit seinen Forde-
rungen nach Vorlage eines Zwischenberichts, der Sensibili-
sierung der Öffentlichkeit und den vielen Prüfaufträgen
komme ihm eher ein Appellcharakter zu.

Die Fraktion der SPD erwiderte, es gebe bereits seit einem
Jahrzehnt eine gute und intensive Behindertenpolitik. Ziel
des vorliegenden Antrags sei es, in diesem Rahmen
frauenspezifische Belange noch einmal gesondert ins Auge
könnten wegen der besonderen Situation nicht immer bzw.
nur unzureichend angewendet werden. Es sei jedoch die

zu fassen. Diese Gruppe habe bislang noch nicht genügend
Beachtung gefunden. Die Datenlage sei schwierig, weil

Drucksache 16/12545 – 6 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

noch keine repräsentativen Daten oder wissenschaftlichen
Untersuchungen zum Thema Gewalt gegen behinderte
Frauen und Mädchen vorlägen. Deshalb wolle man zu-
nächst mit Hilfe der Studie und der Prüfaufträge die Er-
kenntnislage verbessern. Erst dadurch würden die Grundla-
gen für eine fachgerechte Bearbeitung des Problemkreises
geschaffen.

Die Fraktion der SPD wies sodann noch einmal auf die Ent-
schließung des Europäischen Parlaments vom 26. April
2007 hin. Die dort aufgeführten Aspekte könnten als eine
Art Prüfkatalog zu der Frage aufgefasst werden, inwieweit
die rechtlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen
reformbedürftig seien und Handlungsbedarf erzeugten.
Zwar habe man mit dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch
(SGB IX) und dem Gleichstellungsgesetz für behinderte
Menschen in Deutschland bereits vieles auf den Weg ge-
bracht. Der Bundesgesetzgeber könne jedoch das Bewusst-
sein der Menschen und die Sensibilität für die Belange be-
hinderter Menschen nicht regeln. Es bleibe deshalb eine
fortdauernde Aufgabe, sich die Anregungen und Vorgaben
der EU zu vergegenwärtigen und die Realität daraufhin zu
überprüfen. Die tatsächlichen Barrieren lägen in den Köp-
fen der Menschen. Behinderte Frauen, behinderte Kinder
und auch die Kinder behinderter Eltern würden sehr oft al-
lein gelassen, da viele der gesetzlichen Veränderungen in
den letzten Jahren in der Realität noch nicht angekommen
seien. So bestehe beispielsweise eine bundesgesetzliche
Verpflichtung zur Frühförderung behinderter Kinder, der die
Praxis der Krankenkassen und der kommunalen Ebene je-
doch häufig nicht gerecht werde. Auch die Barrierefreiheit
öffentlicher und auch privater Gebäude mit hohem Publi-
kumsverkehr lasse noch oft zu wünschen übrig.

Die Fraktion DIE LINKE. erklärte, sie teile die Zielset-
zung, Frauen und Mädchen mit Behinderungen vor Gewalt
zu schützen und ihnen Hilfsangebote zur Seite zu stellen.
Trotz grundsätzlicher Zustimmung seien mit Blick auf den
vorliegenden Antrag jedoch einige Punkte auch kritisch zu
bemerken. So werde dort gefordert, eine geplante Studie
endlich in Auftrag zu geben. Diese Studie stehe bereits seit
dem Jahr 2007 im Haushaltsplan und sei für 2008 und 2009
fortgeschrieben worden. Der Antrag fordere insoweit also
lediglich die Umsetzung einer bereits beschlossenen Maß-
nahme. Die Fraktion DIE LINKE. sei jedoch gerne bereit,
die Koalitionsfraktionen darin zu unterstützen, einen An-
stoß zu geben, damit dies nun endlich geschehe. Darüber
hinaus fehle in dem Antrag die Forderung zum Aufbau
eines flächendeckenden Präventionsnetzes für Frauen und
Mädchen mit Behinderungen ebenso wie die Forderung
nach Bereitstellung und Finanzierung einer ausreichenden

Anzahl von Frauenhäusern, die auch für die Unterbringung
von Frauen mit Behinderungen ausgestattet seien und den
Frauen unabhängig von ihrer finanziellen Situation offen-
stehen müssten. Zu letzterem sei Deutschland in den ab-
schließenden Bemerkungen des zuständigen VN-Ausschus-
ses zum Sechsten Bericht der Bundesrepublik Deutschland
zum Übereinkommen der Vereinten Nationen zur Beseiti-
gung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW)
ausdrücklich aufgefordert worden.

Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hob hervor,
die Forderung, die Studie zu Ausmaß und Umfang von Ge-
walt gegen Frauen schnellstmöglich in Auftrag zu geben,
sei zwar auch aus ihrer Sicht unterstützenswert, als zentraler
Inhalt des vorliegenden Antrags jedoch nicht ausreichend.
Aus Sicht der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN be-
stehe darüber hinaus zunächst Klärungsbedarf im Hinblick
auf das Strafrecht. Zwar sei im Jahr 2003 der Strafrahmen
für Vergewaltigung und Vergewaltigung widerstandsunfähi-
ger Opfer weitgehend gleichgesetzt worden, dennoch neige
die Rechtsprechung häufig zu einem niedrigeren Strafmaß,
wenn eine Behinderung vorliege. Darüber hinaus sei auch
die Frage der Widerstandsunfähigkeit politisch noch nicht
abschließend geklärt und bleibe bislang den Gerichten über-
lassen. Der Bundesgerichtshof habe dazu in mehreren Ent-
scheidungen bekräftigt, eine Widerstandsunfähigkeit setze
voraus, dass der oder die Geschädigte aufgrund seines bzw.
ihres Zustands zum Zeitpunkt der Tat nicht in der Lage sei,
sexuelle Übergriffe des Täters abzuwehren. Dieser Zustand
sei beispielsweise bei Wachkoma oder epileptischen Anfäl-
len anzunehmen. Nach dieser Rechtsprechung sei deshalb
allein aus dem Umstand einer geistigen Behinderung eine
Widerstandsunfähigkeit nicht abzuleiten. Die Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN forderte deshalb eine rechts-
tatsächliche Untersuchung der Anwendungspraxis der
§§ 177 und 179 des Strafgesetzbuchs, um zu klären, inwie-
fern auch heute noch der sexuelle Missbrauch behinderter
Menschen strafmildernd beurteilt werde. Ein zweiter Punkt
betreffe die Prävention. Unter der ehemaligen rot-grünen
Bundesregierung habe es im Rahmen des § 44 SGB IX das
Projekt „SELBST – Selbstbewusstsein für behinderte Mäd-
chen und Frauen“ mit dem Ziel gegeben, Selbstbehaup-
tungs- und Selbstverteidigungskurse für behinderte Frauen
und Mädchen innerhalb und außerhalb des Behinderten-
sports zu konzipieren. Dies sei allerdings im September
2006 ausgelaufen und aus der Praxis sei zu hören, dass die
Übungspläne im Rehabilitationssport nicht zur Anwendung
kämen. Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
wünschte sich eine Fortführung der bewährten Ansatz-
punkte dieses Projekts.

Berlin, den 25. März 2009

Antje Blumenthal
Berichterstatterin

Marlene Rupprecht (Tuchenbach)
Berichterstatterin

Ina Lenke
Berichterstatterin

Diana Golze
Berichterstatterin

Irmingard Schewe-Gerigk
Berichterstatterin

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 7 – Drucksache 16/12545

EUROPÄISCHES PARLAMENT
SITZUNGSPERIODE 2007 – 2008
IN DER SITZUNG VOM

26. April 2007

DE

ANGENOMMENER TEXT

Drucksache 16/12545 – 8 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

P6_TA-PROV(2007)0160

Lage der Frauen mit Behinderungen in der Europäischen Union

Entschließung des Europäischen Parlaments vom 26. April 2007 zur Lage der Frauen mit
Behinderungen in der Europäischen Union (2006/2277(INI))

Das Europäische Parlament,

– unter Hinweis auf das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen,
das von der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 13. Dezember 2006 gebilligt
wurde,

– unter Hinweis auf das Manifest der behinderten Frauen in Europa, das vom Europäischen
Behindertenforum am 22. Februar 1997 verabschiedet wurde,

– unter Hinweis auf die Charta der Grundrechte der Europäischen Union1,

– unter Hinweis auf das Europäische Jahr der Chancengleichheit für alle 2007,

– gestützt auf Artikel 13 des Vertrags über die Europäische Union,

– unter Hinweis auf die Mitteilung der Kommission mit dem Titel „Chancengleichheit für
Menschen mit Behinderungen“: Ein Europäischer Aktionsplan (KOM(2003)0650),

– gestützt auf Artikel 45 seiner Geschäftsordnung,

– in Kenntnis des Berichts des Ausschusses für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der
Geschlechter (A6-0075/2007),

A. in der Erwägung, dass in dem Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von
Menschen mit Behinderungen eingeräumt wird, dass Frauen und Mädchen mit
Behinderungen im häuslichen Bereich und auch außerhalb häufig einer erhöhten Gefahr
ausgesetzt sind, Opfer von Gewalt, Körperverletzung oder Missbrauch, Verwahrlosung oder
Vernachlässigung, Misshandlung oder Ausbeutung zu werden,

B. in der Erwägung, dass laut dem Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte
von Menschen mit Behinderungen die Geschlechterperspektive in alle Bemühungen
einzubeziehen ist, mit denen es Menschen mit Behinderungen ermöglicht werden soll, ihre
Menschenrechte und Grundfreiheiten ohne Abstriche wahrzunehmen,

C. in der Erwägung, dass laut dem Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte
von Menschen mit Behinderungen alle Menschen mit Behinderungen im heiratsfähigen Alter
das Recht haben, zu heiraten und eine Familie zu gründen,

D. in der Erwägung, dass nahezu 80 % der Frauen mit Behinderungen zu Opfern von
psychischer und physischer Gewalt werden, dass sie in höherem Maß als andere Frauen der
Gefahr sexueller Gewalt ausgesetzt sind und dass Gewalt im Leben von Frauen mit
Behinderungen nicht nur häufig vorkommt, sondern mitunter auch selbst die Ursache für ihre
Behinderung ist,
1 ABl. C 364 vom 18.12.2000, S. 1.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9 – Drucksache 16/12545

E. in der Erwägung, dass es sich bei Menschen mit Behinderungen um eine sehr heterogene
Bevölkerungsgruppe handelt und dass bei den zu ihrer Unterstützung geplanten Maßnahmen
sowohl diese Heterogenität als auch die Tatsache berücksichtigt werden müssen, dass einige
Gruppen wie Frauen mit Behinderungen zusätzlichen Schwierigkeiten und
Mehrfachdiskriminierungen ausgesetzt sind,

F. in der Erwägung, dass es laut den von den Mitgliedstaaten durchgeführten Studien im
Wesentlichen die Mütter sind, die bei Ärzten, in Schulen oder Verwaltungen vorstellig
werden, um sich über die Behinderung ihres Kindes zu informieren, und nach Möglichkeiten
suchen, wie mit dieser Behinderung am besten umzugehen ist,

G. in der Erwägung, dass die Verantwortung für behinderte und abhängige Personen im
Allgemeinen bei den Frauen liegt, was in bestimmten Fällen dazu führt, dass sie aus dem
Arbeitsmarkt ausscheiden, wenn es keine angemessenen Pflegeeinrichtungen gibt,

H. in der Erwägung, dass von den europäischen Institutionen wie auch von den nationalen und
regionalen Behörden Maßnahmen gefördert werden müssen, um der Gleichheit der
Menschen konkrete Geltung und Wirkung zu verleihen, und dass das Europäische Jahr der
Chancengleichheit für alle eine Katalysatorfunktion haben sollte,

I. in der Erwägung, dass Frauen mit Behinderungen aufgrund des biologischen und sozialen
Geschlechts, der Rasse, der Beeinträchtigung und Behinderung gleich mehrfach diskriminiert
werden und verstärkt der Gefahr von Armut und sozialer Ausgrenzung ausgesetzt sind,

J. in der Erwägung, dass die Gleichbehandlung von Frauen mit Behinderungen und von
Müttern behinderter Kinder ein Grundrecht sowie eine ethische Verpflichtung ist,

1. fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, die Beseitigung der bestehenden
Hindernisse und Schranken, auch baulicher Hindernisse, zu gewährleisten, damit
Gleichberechtigung und Chancengleichheit für Frauen und Mädchen mit Behinderungen
hinsichtlich der Teilhabe am familiären, politischen, kulturellen, sozialen und beruflichen
Leben geschaffen werden, vor allem durch eine bessere Umsetzung der
Gemeinschaftsvorschriften zur Bekämpfung von Diskriminierung und zur Chancengleichheit
sowie durch eine stärkere Nutzung der Möglichkeiten, die die einschlägigen Programme der
Gemeinschaft und der ESF bieten;

2. fordert die Mitgliedstaaten auf, die Bedürfnisse behinderter Menschen und die besonderen
Bedürfnisse von Frauen bei allen Maßnahmen auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene
zu berücksichtigen, vor allem bei der Stadtplanung, der Bildungs-, Beschäftigungs- und
Wohnungspolitik, der Verkehrs- und der Gesundheitspolitik sowie bei den
Sozialdienstleistungen;

3. fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, die erforderlichen Maßnahmen zu
treffen und durchzuführen, um das Fortkommen der Frauen mit Behinderungen in den
Bereichen des sozialen, beruflichen, kulturellen und politischen Lebens zu fördern, in denen
sie in noch ungenügendem Maße vertreten sind;

4. fordert die Regierungen in den Mitgliedstaaten und Regionen auf, innovative Maßnahmen
und Dienstleistungen für behinderte Frauen zu unterstützen und mit angemessenen Mitteln
auszustatten, vor allem, was persönliche Betreuung, Mobilität, Gesundheit, Bildung und
Ausbildung, lebenslanges Lernen, Beschäftigung, ein Leben in Unabhängigkeit und soziale
Sicherheit betrifft;

Drucksache 16/12545 – 10 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

5. fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, wirksame Rechtsvorschriften und
Maßnahmen einzuführen, in deren Mittelpunkt Frauen und Kinder stehen, und so dafür zu
sorgen, dass Fälle von Ausbeutung, Gewalt und sexuellem Missbrauch von Menschen mit
Behinderungen – zu Hause oder anderswo – aufgedeckt, untersucht und gegebenenfalls
strafrechtlich verfolgt werden; regt an, dass dabei Frauen mit Behinderungen, die sie daran
hindern, ihre Interessen selbst zu vertreten, besonderes Augenmerk zu widmen ist, und
präventive Maßnahmen auszuarbeiten, sodass in Bezug auf das Recht von Frauen auf den
eigenen Körper und die eigene Sexualität in keiner Weise danach unterschieden wird, ob die
Frauen Behinderungen haben oder nicht;

6. ist erschüttert über die Tatsache, dass das Risiko für behinderte Frauen, Opfer von Gewalt zu
werden, dreimal so hoch ist wie für nicht behinderte Frauen, und fordert daher, dass das
Programm Daphne auch zur Bekämpfung dieser Art von Gewalt eingesetzt wird;

7. hebt hervor, dass es wichtig ist, der Abschottung von Menschen mit Behinderungen bereits
ab ihrer Kindheit tatkräftig entgegenzuwirken;

8. fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, Modellversuche und bewährte
Verfahren zu integrativen Einrichtungen vom Kindergarten über die Schule und Ausbildung
bis hin zum Erwerbsleben zu fördern;

9. betont, dass die Europäische Union alle denkbaren Maßnahmen ergreifen muss, darunter
auch legislative Maßnahmen, um das System der Unterstützung weniger bürokratisch zu
gestalten und die Mittel für Frauen und Mädchen mit Behinderungen aufzustocken;

10. fordert die Mitgliedstaaten auf, den Mangel an ausreichender medizinischer Versorgung für
behinderte Frauen zu beseitigen und dabei für medizinisches Fachpersonal und geeignete
Infrastrukturen zu sorgen;

11. fordert die Kommission auf, in Zusammenarbeit mit den zuständigen nationalen Behörden
die besonderen Probleme im Zusammenhang mit der Gesundheit und der medizinischen
Betreuung von Frauen mit Behinderungen zu untersuchen und sich dabei auf die Bereiche
Prävention und Information zu konzentrieren;

12. ist der Auffassung, dass es einen Zusammenhang zwischen der Tatsache, von einer
Behinderung betroffen zu sein, und geringem Bildungsniveau mit nachfolgenden
Auswirkungen auf die Erwerbsquoten gibt;

13. bringt seine Besorgnis darüber zum Ausdruck, dass Frauen mit Behinderungen über ein
geringeres Bildungsniveau verfügen, weshalb sie auch größere Schwierigkeiten haben,
Zugang zum Arbeitsmarkt zu bekommen, eine dauerhafte Arbeitsstelle zu finden und
beruflich aufzusteigen; betont, dass Menschen mit Behinderungen gleiche Möglichkeiten
zum Studium geboten werden müssen und dass sie Zugang zum Arbeitsmarkt haben müssen,
damit sie selbst ihren Lebensunterhalt bestreiten können; ist der Auffassung, dass Frauen und
Mädchen mit Behinderungen zudem dazu angeregt werden sollten, sich bei der Wahl der
Ausbildung und der Berufstätigkeit von ihren Fähigkeiten und Interessen und nicht von ihren
Einschränkungen leiten zu lassen;

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 11 – Drucksache 16/12545

14. fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, die Anwendung des Grundsatzes der
universellen Zugänglichkeit von Gebäuden, Gütern und Dienstleistungen zu fördern, damit
Frauen mit Behinderungen eine möglichst große Selbständigkeit genießen können;

15. weist darauf hin, dass die Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) in vielen
Fällen ein wichtiges Instrument zur Integration von behinderten Menschen sind, und fordert
die Kommission und die Mitgliedstaaten daher auf, mit geeigneten Maßnahmen die
geschlechtsspezifische digitale Kluft zu überwinden, damit Frauen mit Behinderungen
Zugang zu den IKT haben und unter den gleichen Bedingungen wie Männer davon
profitieren können;

16. ist der Auffassung, dass zur Verbesserung des Zugangs zum Arbeitsmarkt, zur Aktivierung
und zur Entwicklung von Menschen mit Behinderungen alle möglichen Fördermaßnahmen,
darunter auch steuerliche, genutzt werden müssen, um die Arbeitgeber zu ermutigen,
Menschen mit Behinderungen einzustellen und die Arbeitszeiten besser an die Bedürfnisse
von Eltern mit behinderten Kindern anzupassen;

17. legt der Kommission und den Mitgliedstaaten nahe, bei ihren Bemühungen um die Erhöhung
der Beschäftigungsquote bei Frauen mit Behinderungen den Diskriminierungen
entgegenzuwirken, die Arbeitgeber in Bezug auf die Einstellung von Frauen mit
Behinderungen anwenden;

18. fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, bei Behinderungsfragen ein Konzept
der „Flexibilität“ einzubeziehen und so die Tatsache anzuerkennen, dass jeder Mensch mit
Behinderungen unterschiedliche Bedürfnisse hat, so dass in einer auf Vielfalt basierenden
Bürgergesellschaft die Unterstützungsmaßnahmen auf den individuellen Einzelfall
abgestimmt werden können;

19. ist der Auffassung, dass die Maßnahmen, die eingeführt werden sollen, auf eine stärkere
Integration ausgerichtet sein müssen;

20. erinnert daran, dass es in den meisten Fällen die Frauen sind, die sich um behinderte
Personen kümmern, und dass daher Maßnahmen zur sozialen Sensibilisierung entwickelt
werden müssen, damit sich auch Männer dieser Aufgaben annehmen;

21. fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, darauf hinzuwirken, dass die
Verantwortung für die Pflege und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen bei der
Gesellschaft als Ganzer liegt und nicht allein bei den Familien der Menschen mit
Behinderungen, und bei der Konzipierung von Maßnahmen die besondere Opferbereitschaft
von Frauen, die Behinderte zu versorgen haben, und die Situation dieser Personen – häufig
der Angehörigen –, die Verantwortung für Menschen mit Behinderungen übernehmen, zu
berücksichtigen; hält es für wichtig zu betonen, dass diese Tätigkeit in erster Linie von
Frauen wahrgenommen wird und dass Frauen deshalb sowohl als bezahlte
Betreuungspersonen wie auch als Angehörige in besonderem Maß von Kürzungen der
öffentlichen Fürsorgegelder betroffen sind;

22. fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, die Arbeit der Familien und
Organisationen, die Behinderte und ihre Familien betreuen, mit den erforderlichen
Maßnahmen zu unterstützen;

Drucksache 16/12545 – 12 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

23. hält es für notwendig, dass Maßnahmen zur Unterstützung ergriffen werden, so dass sowohl
Menschen mit Behinderungen und ihre Angehörigen als auch Menschen ohne
Behinderungen und ihre Angehörigen ein normales Leben unter gleichen Voraussetzungen
führen können, sowie Maßnahmen zur Unterstützung der Personen – häufig Angehörige –,
die Behinderte in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht zu versorgen haben, was von ihnen
oftmals einen uneingeschränkten Einsatz mit der Folge des Isoliertseins erfordert und oftmals
Unterstützung auf vielen Ebenen erfordert; weist darauf hin, dass dies derzeit im
Allgemeinen Frauen - sowohl mit als auch ohne Entgelt - sind; betrachtet es als
selbstverständlich, dass es sich hier nicht um hauptsächlich für ein Geschlecht bestimmte
Aufgaben handelt und dass der Meinung, sie seien Aufgabe von Frauen, tatkräftig
entgegengetreten werden muss;

24. schlägt vor, dass die Mitgliedstaaten die Auflagen der Kommunen für Behindertenparkplätze
harmonisieren und prüfen, ob die Beförderungstarife für Personen, die Behinderte begleiten,
nicht gesenkt werden sollten;

25. ist der Meinung, dass eines der Hauptziele, das sich die Europäische Union setzen muss, die
Verbesserung der Lebensqualität der Menschen mit Behinderungen und ihrer Familien sowie
ihre umfassende Integration in die Gesellschaft ist;

26. betont, dass die Darstellung und das Bild von Frauen mit Behinderungen in den
Massenmedien gestärkt werden müssen, damit ihr tägliches Leben der breiten Öffentlichkeit
besser bekannt wird und ihnen mehr Möglichkeiten gegeben werden, sich auszudrücken und
am sozialen und politischen Leben teilzuhaben;

27. hebt es als wichtig hervor, dass die Mitgliedstaaten das selbstverständliche Recht von Frauen
mit Behinderungen auf eigene Sexualität und auf die Gründung einer Familie anerkennen;

28. fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, durch die Einführung entsprechender
Rechtsvorschriften zu gewährleisten, dass behinderte Frauen und Männer ein unabhängiges
Leben führen können, indem anerkannt wird, dass dies ein Grundrecht ist, dem Geltung zu
verschaffen ist;

29. fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, die Voraussetzungen für die
Selbständigkeit und ein selbstbestimmtes Leben von Kindern, Jugendlichen und
Erwachsenen mit Behinderungen zu schaffen und dabei die Gleichstellung von Männer und
Frauen besonders wichtig zu nehmen;

30. räumt ein, dass behinderte Frauen sogar diskriminiert werden, wenn sie Zugang zu bereits
bestehenden Dienstleistungen für ein unabhängiges Leben bzw. Gesundheitsdienstleistungen
in Anspruch nehmen wollen;

31. hebt hervor, welche Bedeutung der Bildung von Jungen und Mädchen beim Aufbau der
Gesellschaft der Zukunft zukommt, und betont, dass diese darauf ausgerichtet sein muss,
dass eine Behinderung kein Hindernis für die Teilhabe an der Gesellschaft mit den gleichen
Chancen und Rechten darstellt, um ein Klima der Zusammenarbeit, der Integration und der
Sensibilisierung für Behinderungen in der Schule zu schaffen, wobei letztere unverzichtbar
ist, wenn dies in die Tat umgesetzt werden soll;

32. hebt hervor, dass nichtstaatliche Organisationen, die sich der Arbeit mit behinderten Frauen
widmen, eine bedeutende Rolle spielen, und fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten
auf, diese zu unterstützen;

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 13 – Drucksache 16/12545

33. hält es für notwendig, dass zum Thema Behinderung aktuelle geschlechterspezifische Daten
erhoben und Studien mit geschlechtsspezifischen Indikatoren durchgeführt werden, aus
denen sich die tatsächliche Lage von Frauen und Mädchen mit Behinderungen ablesen lässt;

34. hält es für unbedingt notwendig, dass der reproduktiven Gesundheit von Frauen mit
Behinderungen gewährleistet wird und Aspekte wie Familienplanung, Gesundheitsdienste
und Informationen über die Mutterschaft nicht außer Acht gelassen werden, damit diese
Frauen in der Lage sind, gleichberechtigte, verantwortungsvolle und befriedigende
Beziehungen einzugehen;

35. ist der Auffassung, dass die Politik der Europäischen Union die Arbeitgeberorganisationen,
die Gewerkschaften und die nichtstaatlichen Organisationen verstärkt zur effizienteren
Gestaltung der Unterstützung für Menschen mit Behinderungen anregen muss;

36. fordert die Kommission auf, für behinderte Frauen in der Europäischen Union und den
beitrittswilligen Ländern ein Netz zu schaffen, innerhalb dessen der Austausch bewährter
Methoden, der Aufbau von Kapazitäten und Hilfe zur Selbsthilfe möglich sind;

37. unterstreicht die Notwendigkeit des freien Zugangs zu den neuen audiovisuellen Medien für
behinderte Frauen;

38. erinnert die Kommission daran, dass eine profunde Kenntnis der Materie und des "sozialen
Modells der Behinderung", das sich auf die gesellschaftlichen Hindernisse konzentriert, im
Gegensatz zu dem "medizinischen Modell der Behinderung", das nur die medizinischen
Aspekte der Behinderung betrachtet, die geeignete Grundlage für Lösungen, Dienste und
Unterstützung, für die Konzipierung von Maßnahmen, für die Bereitstellung von Mitteln und
zur Beurteilung der Auswirkung der Maßnahmen auf die Lage von Menschen mit
Behinderungen bietet;

39. erinnert die Mitgliedstaaten daran, dass ihr Beitrag maßgeblichen Anteil daran hat, dass sich
die Lage der Frauen und Mädchen mit Behinderungen bessert und Fortschritte zu
verzeichnen sind;

40. fordert die Mitgliedstaaten auf, zivilgesellschaftliche Initiativen zu fördern, die auf die
Unterstützung von Behinderten ausgerichtet sind;

41. weist darauf hin, dass den Sozialpartnern, den Unternehmen und der Zivilgesellschaft und
insbesondere den Organisationen von Frauen mit Behinderung und von Eltern behinderter
Kinder bei der Förderung und Verbesserung der Chancengleichheit und des Zugangs der
Menschen mit Behinderungen zur Beschäftigung und – unter Berücksichtigung ihrer
spezifischen Bedürfnisse – zum lebenslangen Lernen große Bedeutung zukommt;

42. würdigt die Arbeit von Elternverbänden, die in der Praxis meistens von Müttern behinderter
Kinder initiiert und geleistet wird, die sich über ihren Verband und über Internetseiten über
medizinische Fachzentren, schulische Regelungen und sozialversicherungsrelevante Fragen
informieren, anderen Eltern behilflich sind und öffentliche Einrichtungen sensibilisieren;

Drucksache 16/12545 – 14 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

43. fordert die Mitgliedstaaten auf, auf der Grundlage ihrer Länderberichte gegenüber der
Kommission und dem Parlament Rechenschaft über die Lage von Frauen und Mädchen mit
Behinderungen und über die Maßnahmen abzulegen, durch die sie das UN-Übereinkommen
zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau einhalten;

44. vertritt die Auffassung, dass Behinderungen als natürliche Erscheinungen des Alltagslebens
statt als abnormale Zusatzeigenschaft betrachtet werden sollten, weil es immer Bürger mit
Behinderungen geben wird und Behinderungen deshalb selbstverständlich ein integraler
Aspekt der Gesellschaft sein werden;

45. stellt fest, dass die Entwicklung und Nutzung von Technologie und Hilfsmitteln zur
Neutralisierung von behindernden Umgebungsfaktoren verstärkt werden sollten, wobei diese
Entwicklungstätigkeit davon ausgehen muss, dass stellenweise unterschiedliche Bedürfnisse
für Männer und Frauen gegeben sind;

46. fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, sich für gleiche Lebensbedingungen für
Mädchen, Jungen, Frauen und Männer mit Behinderungen einzusetzen;

47. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, den
Regierungen und dem Europarat und dem Generalsekretär der Vereinten Nationen zu
übermitteln.

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