BT-Drucksache 16/12312

zu dem Antrag der Abgeordneten Hans-Josef Fell, Sylvia Kotting-Uhl, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN -16/11764- Vertragstreue Abschaltung alter Atomkraftwerke in Osteuropa

Vom 4. März 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/12312
16. Wahlperiode 04. 03. 2009

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Hans-Josef Fell, Sylvia Kotting-Uhl, Bärbel Höhn,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
– Drucksache 16/11764 –

Vertragstreue Abschaltung alter Atomkraftwerke in Osteuropa

A. Problem

Einige EU-Mitgliedstaaten wie Bulgarien, Slowakei und Litauen haben im Rah-
men ihrer Beitrittsverträge zur EU zugesagt, bestimmte alte Atomkraftwerke
nach einer Übergangszeit abzuschalten. Mit dem Antrag soll die Bundesregie-
rung insbesondere aufgefordert werden:

– Die EU-Kommission darin zu bestärken, Anträge für längere Laufzeiten für
die Atomreaktoren abzulehnen, deren Auslaufen Grundlage der Beitrittsver-
träge zur EU waren,

– auf die Regierungen der betreffenden Länder Einfluss zu nehmen, keine An-
träge zur Laufzeitverlängerung zu stellen,

– die Regierungen der betreffenden Länder darin zu unterstützen, Energiespar-
maßnahmen zu treffen und erneuerbaren Energien zum Durchbruch zu ver-
helfen,

– sich dafür einzusetzen, die Kapazitäten an Erdgasspeichern in Europa auszu-
bauen und eine europäische Biogasstrategie voranzutreiben.

B. Lösung

Ablehnung des Antrags mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und
SPD gegen die Stimmen der Fraktionen DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN bei Stimmenthaltung der Fraktion der FDP
C. Alternativen

Keine

D. Kosten

Wurden im Ausschuss nicht erörtert.

Drucksache 16/12312 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Beschlussempfehlung

Der Bundestag wolle beschließen,

den Antrag auf Drucksache 16/11764 abzulehnen.

Berlin, den 4. März 2009

Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

Petra Bierwirth
Vorsitzende

Christian Hirte
Berichterstatter

Christoph Pries
Berichterstatter

Angelika Brunkhorst
Berichterstatterin

Hans-Kurt Hill
Berichterstatter

Hans-Josef Fell
Berichterstatter

schaltung der Atomkraftwerke ausgesprochen. Der vorlie-
gende Antrag sei aufgrund der fraktionsübergreifenden
IV. Beratungsverlauf und Beratungsergebnisse
im federführenden Ausschuss

Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-

Übereinstimmung und aufgrund der eindeutigen Positionie-
rung der EU-Kommission unnötig. Er sei auch durch die
aktuellen Ereignisse überholt und erwecke den Eindruck, als
hätten die EU-Kommission und die Bundesregierung sich
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/12312

Bericht der Abgeordneten Christian Hirte, Christoph Pries, Angelika Brunkhorst,
Hans-Kurt Hill und Hans-Josef Fell

I. Überweisung

Der Antrag auf Drucksache 16/11764 wurde in der 205. Sit-
zung des Deutschen Bundestages am 12. Februar 2009 zur
federführenden Beratung an den Ausschuss für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit und zur Mitberatung an
den Auswärtigen Ausschuss, den Ausschuss für Wirtschaft
und Technologie und den Ausschuss für die Angelegenhei-
ten der Europäischen Union überwiesen.

II. Wesentlicher Inhalt der Vorlage

Einige EU-Mitgliedstaaten wie Bulgarien, Slowakei und
Litauen haben im Rahmen ihrer Beitrittsverträge zur EU zu-
gesagt, bestimmte alte Atomkraftwerke nach einer Über-
gangszeit abzuschalten. Mit dem Antrag soll die Bundes-
regierung insbesondere aufgefordert werden:

– Die EU-Kommission darin zu bestärken, Anträge für län-
gere Laufzeiten für die Atomreaktoren abzulehnen, deren
Auslaufen Grundlage der Beitrittsverträge zur EU waren,

– auf die Regierungen der betreffenden Länder Einfluss zu
nehmen, keine Anträge zur Laufzeitverlängerung zu stel-
len,

– die Regierungen der betreffenden Länder darin zu unter-
stützen, Energiesparmaßnahmen zu treffen und erneuer-
baren Energien zum Durchbruch zu verhelfen,

– sich dafür einzusetzen, die Kapazitäten an Erdgasspei-
chern in Europa auszubauen und eine europäische Bio-
gasstrategie voranzutreiben.

III. Stellungnahme der mitberatenden Ausschüsse

Der Auswärtige Ausschuss hat mit den Stimmen der Frak-
tionen der CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Frak-
tionen DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei
Stimmenthaltung der Fraktion der FDP empfohlen, den An-
trag auf Drucksache 16/11764 abzulehnen.

Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie hat mit
den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD gegen
die Stimmen der Fraktionen FDP, DIE LINKE. und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN empfohlen, den Antrag auf
Drucksache 16/11764 abzulehnen.

Der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union hat mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktionen FDP,
DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN empfohlen,
den Antrag auf Drucksache 16/11764 abzulehnen.

Die Fraktion der CDU/CSU erklärte, sie begrüße, veraltete
Atomkraftwerke in Osteuropa abzuschalten. Der Antrag ver-
schleiere aber, dass klare rechtliche Vorgaben bestünden,
dass die alten Atomkraftwerke abgeschaltet würden. Es be-
stünden keine Anhaltspunkte dafür, dass die EU gewillt sei,
neue Genehmigungen zu erteilen. Dies ändere sich auch
nicht durch das klare Bekenntnis der EU zur positiven Nut-
zung der Kernkraft. Für Frankreich sei ein Energiehaushalt
ohne Kernkraftwerke nicht vorstellbar. Der Vorschlag hin-
sichtlich der Biogasanlagen sei zurückzuweisen, da die Bei-
trittsländer eigenverantwortlich und autonom darüber ent-
scheiden müssten, wie sie ihren Energiemix und Energie-
haushalt bestimmen.

Die Fraktion der SPD hob hervor, der vorliegende Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ziele auf die ver-
tragstreue Abschaltung der Atomkraftwerke in Litauen, Bul-
garien und der Slowakei ab. Alle drei Länder hätten sich in
den Beitrittsverträgen zur EU verpflichtet, ihre alten sicher-
heitstechnisch nicht nachrüstbaren Atomkraftwerke russi-
scher Bauart nach festgelegten Übergangsfristen abzuschal-
ten. Sie erhielten dafür Finanzhilfen der EU. Bisher hätten
sich alle drei Länder an die vertraglichen Vorgaben gehalten.
Im Zuge der ausgebliebenen Gaslieferungen anlässlich des
Gasstreits zwischen der Ukraine und Russland hätten die
Slowakei und Bulgarien angekündigt, die Abschaltungen der
Atomkraftwerke Bohunice V2, Kosloduj-3 und Kosloduj-4
rückgängig zu machen. Die Slowakei habe am 23. Januar
2009 entschieden, auf die Wiederinbetriebnahme von
Bohunice V2 zu verzichten. Die EU-Kommission habe für
den Fall eines Wiederanfahrens des Reaktors mit der Einlei-
tung eines Vertragsverletzungsverfahrens gedroht. In Bulga-
rien habe das Parlament am 23. Januar 2009 ein Wieder-
anfahren von Kosloduj-3 und Kosloduj-4 mehrheitlich be-
fürwortet. Die bulgarische Regierung habe jedoch bisher
keinen entsprechenden Antrag bei der EU-Kommission ein-
gereicht. Die Äußerungen der EU-Kommission im Vorfeld
legten nahe, dass ein derartiger Antrag auch keine Aussicht
auf Erfolg gehabt hätte. Unabhängig davon lasse sich das
Problem der Wärmeenergieerzeugung durch Atomkraft
nicht lösen. Die Lage der Menschen in Bulgarien und der
Slowakei hinsichtlich ihrer gasbeheizten Wohnungen hätte
sich auch nicht gebessert, wenn die Atomkraftwerke wieder
angefahren worden wären. Auf europäischer und nationaler
Ebene gelte der Grundsatz, Verträge müssten eingehalten
werden. Die Fraktion der SPD bestehe auf der vertragsgemä-
ßen Abschaltung der osteuropäischen Reaktoren ebenso wie
auf der Einhaltung des Atomausstiegs in Deutschland. Alle
Fraktionen des Deutschen Bundestages hätten sich in der
ersten Beratung des Antrags für eine vertragsgetreue Ab-
sicherheit hat den Antrag auf Drucksache 16/11764 in seiner
85. Sitzung am 4. März 2009 beraten.

nicht ausreichend für eine vertragsgetreue Abschaltung der
Atomkraftwerke eingesetzt. Das sei nicht der Fall.

Drucksache 16/12312 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
barungen ignorieren. Völlig unverständlich sei, weshalb der
Gaskonflikt mit der Ukraine insbesondere dem ehemaligen
Bundesminister für Wirtschaft und Technologie und auch
einigen Kolleginnen und Kollegen Anlass gegeben habe, die
Laufzeitverlängerung deutscher Atomkraftwerke zu fordern.
Das eine habe mit dem anderen nichts zu tun. Die Fraktion
DIE LINKE. unterstütze den Antrag der Fraktion BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN. Wenn von anderen Ländern gefordert
werde, marode Meiler vom Netz zu nehmen, dann gelte das
auch für das eigene Land. RWE-Chef Jürgen Großmann, der
mit URATOM kooperiere, habe erklärt, den weltgrößten
Konzern zur Produktion von Atomkraftwerken und deren
Restaurierung ins Leben rufen zu wollen. Er habe behauptet,
Russland spiele in der ersten Liga, was den Stand der Tech-
nik der Atomkraftwerke anbelange. Offenbar seien die russi-
schen Atomkraftwerke sicherer als die deutschen. Die Frak-
tion DIE LINKE. befürworte eine Energiewende zu den
erneuerbaren Energien.

Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hob hervor, in
der EU herrsche die Auffassung vor, dass Risiken der Atom-

sowie eine bessere Anbindung an das Erdgasnetz der EU so-
wie der Biogasausbau müssten in Osteuropa angestrebt wer-
den. Es sei an der Zeit, dass die Bundesregierung Stellung
nehme und dem Ansinnen des Wiederanfahrens der Reakto-
ren entschieden entgegentrete. Mit dem vorliegenden Antrag
werde die Bundesregierung aufgefordert, auf EU-Ebene und
auf die Regierungen der betreffenden Länder Einfluss zu
nehmen, dass diese Schrottreaktoren nicht mehr in Betrieb
genommen werden und in Litauen der letzte Reaktor in die-
sem Jahr wie geplant abgeschaltet werde. Die Bundesregie-
rung solle ihre Aktivitäten in Osteuropa verstärken, um Kli-
maschutz und gleichzeitig Energieversorgungssicherheit zu
gewährleisten.

Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-
sicherheit beschloss mit den Stimmen der Fraktionen der
CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktionen
DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei Stimm-
enthaltung der Fraktion der FDP, dem Deutschen Bundestag
zu empfehlen, den Antrag auf Drucksache 16/11764 abzu-
lehnen.

Berlin, den 4. März 2009

Christian Hirte
Berichterstatter

Christoph Pries
Berichterstatter

Angelika Brunkhorst
Berichterstatterin

Hans-Kurt Hill
Berichterstatter

Hans-Josef Fell
Berichterstatter
Die Fraktion der FDP äußerte, sie könne dem Antrag in
großen Teilen Positives abgewinnen. Bulgarien und Rumä-
nien seien 2007 nur unter der Bedingung in die EU aufge-
nommen worden, dass diese ihre Atomkraftwerke stilllegen.
Auch eine energiepolitische Auseinandersetzung mit Russ-
land könne nicht dazu führen, diese Bedingungen aufzuwei-
chen. Sicherheitstechnische Standards seien auch hierzulan-
de wichtig und dürften nicht von Deutschland infrage
gestellt werden. Das Bestreben der neuen Beitrittsländer,
energiepolitisch unabhängig zu sein, könne nicht von der EU
gelöst werden. Biogaskraftwerke als energiepolitische Aus-
richtung könnten nicht vorgeschrieben werden. Die EU stehe
insgesamt nicht konträr zur Nutzung der Kernenergie.

Die Fraktion DIE LINKE. erklärte, sie verwundere nicht,
dass europäische Länder den Antrag stellten, alte Atomkraft-
werke wieder in Betrieb zu nehmen. Sogar die Fraktionen
der CDU/CSU und FDP befürworteten die Laufzeitverlänge-
rungen in Deutschland. Warum sollten andere nicht diesem
Beispiel folgen und bestehende Gesetze und Rechtsverein-

energie durch Abschaltung veralteter Reaktoren, die in ihrer
Konstruktion hoch gefährlich seien, zu verringern. Deswe-
gen sei in den Beitrittsverträgen vor allem mit Bulgarien,
Slowakei und Litauen die Abschaltung bestimmter Reakto-
ren festgeschrieben. Anlässlich der Erdgaskrise zum Jahres-
wechsel hätten die genannten Länder Forderungen erhoben,
Reaktoren, die bereits abgeschaltet seien, wieder in Betrieb
zu nehmen. Dies sei nicht nur unverantwortlich, sondern
auch juristisch unmöglich. Von Regierungsseite werde be-
hauptet, ein Weiterbetrieb sei unter bestimmten Bedingun-
gen möglich. Tatsächlich handele es sich aber nicht um einen
Weiterbetrieb, weil die Reaktoren abgeschaltet seien. Neben
der Vertragswidrigkeit der Forderung sei diese auch inhalt-
lich unsinnig, weil mit dem Betrieb von Schrottreaktoren die
Erdgaskrise nicht gelöst werde. Es gelte, andere Lösungen in
den Mittelpunkt zu stellen. Deutschland und die EU-Kom-
mission sollten viel stärker Energiesicherheit und gleich-
zeitig den Klimaschutz in den Blick nehmen. Eine höhere
Energieeffizienz, der Ausbau der erneuerbaren Energien

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