BT-Drucksache 16/1210

Import von Walen und Delfinen zu kommerziellen Zwecken in die Europäische Union und nach Deutschland

Vom 5. April 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/1210
16. Wahlperiode 05. 04. 2006

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Undine Kurth (Quedlinburg), Cornelia Behm, Ulrike Höfken,
Bärbel Höhn, Hans Josef Fell, Winfried Hermann, Peter Hettlich,
Dr. Anton Hofreiter, Sylvia Kotting-Uhl, Dr. Reinhard Loske, Renate Künast,
Fritz Kuhn und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Import von Walen und Delfinen zu kommerziellen Zwecken
in die Europäische Union und nach Deutschland

Die Firma „Nature Projekt GmbH“ plant für das Jahr 2006 den Bau eines
Delfinariums in Glowe auf Rügen, um Delfintherapie kommerziell anbieten zu
können. Fünf Große Tümmler sollen als „Therapietiere“ angeschafft werden
(DER SPIEGEL 4/2006; dpa-Meldung vom 25. Januar 2006).

Der Zustand zahlreicher Große-Tümmler-, und Weißwalpopulationen, insbeson-
dere jene, die vom Lebendfang für Delfinarien betroffen sind, ist bedenklich.
Ihre Erhaltung ist gefährdet. Ein Beispiel ist der Bestand der Großen Tümmler
im Schwarzen Meer, der in den vergangenen Jahrzehnten stark dezimiert wurde.
Im 20. Jahrhundert sollen dort mehr als vier Millionen Kleinwale (Große
Tümmler, der Gemeine Delfin sowie der Schweinswal) direkt getötet worden
sein. Zu zahlreichen anderen Bedrohungsfaktoren kommt seit der zweiten Hälfte
des 20. Jahrhunderts die direkte Entnahme lebender Kleinwale hinzu, die zu
einer weiteren starken Dezimierung der Population führt.

Der „Conservation Action Plan of the World’s Cetaceans 2002-2010“ der Welt-
naturschutzorganisation IUCN weist darauf hin, dass die fortwährenden Lebend-
entnahmen von Walen und Delfinen (Cetacea) eine Gefahr für die Erhaltung der
betroffenen Populationen darstellen. Explizit wird auf Fangaktivitäten in
kubanischen Gewässern verwiesen. Der freie Warenverkehr innerhalb der Euro-
päischen Union erleichtert den Austausch von Cetacea-Individuen zwischen
Anlagen in den unterschiedlichen EU-Mitgliedstaaten. Dies sowie die Neuer-
richtung von Delfinarien und die dadurch notwendige Versorgung der Anlagen
mit Cetacea-Individuen erhöhen den Druck auf weitere Einfuhren wild gefan-
gener Tiere.

Die internationale Staatengemeinschaft erkannte die fatalen Folgen der Lebend-
fänge auf die wild lebenden Populationen und folglich wurde für diesen Bestand
von der Vertragskonferenz zum Washingtoner Artenschutzabkommen (CITES)
2002 der internationale Handel für kommerzielle Zwecke verboten (Anhang I

und II), dies mit Unterstützung der deutschen Bundesregierung. Der Import aller
Cetacea in die Europäische Union für kommerzielle Zwecke (EU-Richtlinie
338/97, 09.12.1996) ist ebenfalls untersagt. Zusätzlich verbietet das „Überein-
kommen über die Erhaltung der europäischen wild lebenden Pflanzen und Tiere
und ihrer natürlichen Lebensräume“ vom 19. September 1979 („Berner Konven-
tion“) grundsätzlich jede Form absichtlichen Fangens und Haltens der streng
geschützten Großen Tümmler (Tursiops truncatus) (Artikel 6 Buchstabe a).

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Dennoch sehen diese Regelwerke Ausnahmegenehmigungen für den Import von
Cetacea für besondere Zwecke wie Forschung und Bildung sowie Bestands-
erneuerung vor.

Delfine und Wale sind bei der Gefangennahme und dem Transport erheblichem
Stress ausgesetzt. Auch bei der Haltung existieren zahlreiche Probleme. Die
Einrichtung der Gehege und Becken ist an den Bewegungs-, Ruhe-, Schutz- und
Ernährungsbedürfnissen sowie an den sonstigen essenziellen Verhaltensweisen
der Tiere auszurichten.

Laut Artikel 3 der EU-Zoorichtlinie 1999/22/EG des Rates vom 29. März 1999
ist vorgesehen, dass die Bedingungen, unter denen Große Tümmler gehalten
werden, den biologischen und den Erhaltungsbedürfnissen dieser Art Rechnung
tragen müssen. Aus den Medienberichten ist nicht zu erfahren, wie das auf
Rügen geplante Delfinarium diesen Erhaltungsbedürfnissen gerecht werden
soll.

Wir fragen die Bundesregierung:

I. Import von Walen und Delfinen nach Deutschland und in die Europäische
Union

1. Welche Regelwerke zum Schutz (Import und Haltung) von Cetacea bestim-
men das Handeln der Bundesregierung auf nationaler, europäischer und in-
ternationaler Ebene?

2. Wie hoch sind die Verletzungs- und Mortalitätsraten bei der Gefangennahme
und dem Transport von Cetacea-Individuen in der Europäischen Union und
in Deutschland?

3. Existieren auf internationaler, europäischer und nationaler Ebene Anbieter,
die die Gefangennahme und den Verkauf von wild lebenden Cetacea-Indivi-
duen professionell betreiben, und wenn ja, welchen Auflagen unterliegen
diese Anbieter?

4. a) Wie sind Gefangennahme, Transport und die Unterbringung bei Trans-
portstopps von Cetacea-Individuen rechtlich geregelt?

b) Werden die Gefangennahme und der Transport von Cetacea-Individuen
kontrolliert, und wenn ja, wer führt auf internationaler, europäischer und
nationaler Ebene diese Kontrollen durch?

5. a) Für welche Cetacea-Arten (Benennung) und für wie viele Individuen, zu-
geordnet zu den Cetacea-Arten, wurden nach Kenntnis der Bundesregie-
rung seit 1990 Ausnahmegenehmigungen (EU-Verordnung Nr. 338/97,
EU-Richtlinien 92/43/EWG) für den Import in die Europäische Union er-
teilt?

b) Aus welcher Herkunft (Wildfang, Zucht) stammen diese Individuen?

c) Für welche Zwecke (Erwerbszwecke in der Öffentlichkeit, Forschung,
Bildung, Zucht, Bestandserneuerung, Wiedereinbürgerung von Arten)
wurden diese Cetacea-Individuen in die Europäische Union importiert?

6. a) Für welche Cetacea-Arten (Benennung) und für wie viele Individuen, zu-
geordnet zu den Cetacea-Arten wurden nach Kenntnis der Bundesregie-
rung seit 1990 Ausnahmegenehmigungen (EU-Verordnung Nr. 338/97,
EU-Richtlinien 92/43/EWG) für den Import nach Deutschland erteilt?

b) Aus welcher Herkunft (Wildfang, Zucht) stammen diese Individuen?

c) Für welche Zwecke (Erwerbszwecken in der Öffentlichkeit, Forschung,

Bildung, Zucht, Bestandserneuerung) wurden diese Cetacea-Individuen
nach Deutschland importiert?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/1210

7. Aus welchen Ländern sowie von welchen nichtstaatlichen und/oder staat-
lichen Exportunternehmen stammen die Importe von Cetacea-Individuen in
die Europäische Union und nach Deutschland?

8. Welche Informationen liegen der Bundesregierung über Exporteure, Impor-
teure, Importwege und Umfang von nichtlegal eingeführten Cetacea-Arten
in die Europäische Union und nach Deutschland vor?

9. a) Liegen der Bundesregierung Informationen vor, wie die Europäische
Union mit nichtlegal in die Europäische Union importierten Cetacea-
Individuen umgeht?

b) Wie geht die Bundesregierung mit nichtlegal nach Deutschland impor-
tierten Cetacea-Individuen um?

10. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus den Schließun-
gen von Delfinarien aus arten- und tierschutzrechtlichen Überlegungen in
anderen europäischen Ländern wie z. B. der Schweiz, Belgien und Groß-
britannien?

II. Wale und Delfine in privaten und öffentlichen Einrichtungen Deutschlands
und der Europäischen Union

11. Wie viele Cetacea-Arten (Benennung) und wie viele Individuen zugeordnet
zu den Cetacea-Arten werden in der Europäischen Union gegenwärtig in
Gefangenschaft und in welchen Einrichtungen zu welchen Zwecken (Er-
werbszwecken in der Öffentlichkeit, Forschung, Bildung, Zucht, Bestands-
erneuerung, Wiedereinbürgerung) gehalten?

12. Wie viele Cetacea-Arten (Benennung) und wie viele Individuen zugeordnet
zu den Cetacea-Arten werden gegenwärtig in Deutschland in Gefangen-
schaft und in welchen Einrichtungen zu welchen Zwecken (Erwerbszwe-
cken in der Öffentlichkeit, Forschung, Bildung, Zucht, Bestandserneue-
rung) gehalten?

13. Welchen Status nach dem Washingtoner Artenschutzabkommen (bedroht,
selten etc.) haben die in europäischen und deutschen Einrichtungen gebore-
nen und lebenden Cetacea-Arten?

14. Welche Daten liegen der Bundesregierung über die Nachzuchten (Trächtig-
keit, Fehlgeburten, Geburten) von Cetacea-Individuen in Einrichtungen in-
nerhalb der Europäischen Union und deren Gesundheitszustand, Alter und
Mortalität vor?

15. Welche Daten liegen der Bundesregierung über die Nachzuchten (Trächtig-
keit, Fehlgeburten, Geburten) von Cetacea-Individuen in deutschen Einrich-
tungen und deren Gesundheitszustand, Alter und Mortalität vor?

a) Hält die Bundesregierung die Ex-Situ-Reproduktion von Cetacea-Arten
(CBD, Artikel 9) unter Berücksichtigung der Erfahrungswerte in deut-
schen Einrichtungen seit den 1960er Jahren für geeignet, um eine Nach-
zucht über mehrere Generationen zu sichern?

b) Welche Daten liegen dieser Einschätzung zugrunde und sind diese öffent-
lich zugänglich?

III. Rechtsvorschriften für die Haltung von Walen und Delfinen

16. Wendet die Bundesregierung die EU-Zoorichtlinie 1999/22/EG des Rates
vom 29. März 1999 über die Haltung von Wildtieren in Zoos für die Haltung
von in Gefangenschaft, insbesondere in Delfinarien lebenden Cetacea-Indi-

viduen an, und wenn nein, warum nicht?

Drucksache 16/1210 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

17. a) Haben die Empfehlungen des deutschen Säugetiergutachtens von 1996
für die Haltung von in Gefangenschaft lebenden Cetacea-Individuen
noch Gültigkeit?

b) Werden die Empfehlungen des deutschen Säugetiergutachtens von 1996
den Bestimmungen des Artikels 3 der EU-Zoorichtlinie 1999/22/EG des
Rates vom 29. März 1999 über die Haltung von Wildtieren in Zoos ge-
recht, und wenn ja, wie wird das begründet?

c) Wenn nein, ist eine Änderung des Gutachtens geplant?

18. a) Werden im Genehmigungsverfahren für die Haltung von Cetacea-Indivi-
duen in europäischen und deutschen Delfinarien auch Fragen des Ver-
braucherschutzes (Verletzungen, Infektionsgefahren des Menschen) ge-
prüft, und wenn ja, welche Auflagen werden erteilt?

b) Wie viele auf einen direkten Kontakt mit Cetacea-Individuen zurückge-
hende Unfälle sind der Bundesregierung in der Europäischen Union und
in Deutschland bekannt?

c) Durch welche konkreten Maßnahmen wird in der Europäischen Union
und in Deutschland sichergestellt, dass Infektionskrankheiten oder ernst-
hafte Verletzungen (Hautabschürfungen, Bisse, Rippenbrüche) durch die
Therapietiere bei Therapiepatienten vermieden werden?

d) Wie wird die Einhaltung dieser Maßnahmen kontrolliert?

e) Wie wird sichergestellt, dass z. B. hygienische Vorschriften nach dem In-
fektionsschutzgesetz vom 20. Juli 2000 (etwa die Chlorierung des Was-
sers), mit einer artgerechten Haltung der haut- und augenempfindlichen
Cetacea-Arten in Einklang gebracht werden?

19. a) Ist der Bundesregierung bekannt, ob die Europäische Union eine Richt-
linie plant, die das Halten (Beckengröße, Wasserqualität) und Behandeln
(Therapieintervalle, Therapielänge, Therapieinhalte etc.) von Cetacea-
Individuen in Delfinarien nach dem Vorbild der USA („Animal Welfare
Act“ 1979, „swim-with-the-dolphin-programs“ 1995) regelt, und wenn
ja, wie ist der Stand der Erarbeitung?

b) Wenn nein, setzt sich die Bundesregierung für ein solches Regelwerk
ein?

IV. Geplantes Delfinarium in Glowe auf Rügen

20. Wurde beim Bundesamt für Naturschutz von der Firma „Nature Projekt
GmbH“ eine Ausnahmegenehmigung für den Import von Cetacea-Individu-
en beantragt, und um welche Anzahl von Tieren und Cetacea-Arten handelt
es sich hier?

21. a) Wurden dem Bundesamt für Naturschutz die Beschaffungspläne für die
Cetacea-Individuen vorgelegt?

b) Wenn ja, aus welcher Herkunft (Wildfang, Zucht) stammen diese Indivi-
duen?

c) Wenn ja, wer ist der Verkäufer/Exporteur dieser Cetacea-Individuen?

d) Wodurch schließt die Bundesregierung aus, dass diese Individuen bei der
Exportinstitution durch Wildfänge ersetzt werden?

22. Wurde beim Bundesamt für Naturschutz eine Vermarktungsgenehmigung
– nach EG-Verordnung Nr. 338/97 – für die Cetacea-Individuen, die als
Schau- und Therapietiere eingesetzt werden sollen, beantragt und ggf. ge-

nehmigt?

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23. a) Ist der Bundesregierung bekannt, wie der Betrieb des Delfinariums im
Falle von Delfin-Mortalitäten aufrechterhalten werden soll?

b) Wird in einem solchen Fall mit erheblichen betriebwirtschaftlichen Aus-
wirkungen automatisch eine neue Importgenehmigung erteilt?

24. a) Wird der Bau des Delfinariums in Glowe auf Rügen durch öffentliche
Mittel kofinanziert?

b) Wenn ja, liegen der Bundesregierung Informationen vor, ob die Finanzie-
rungszusagen gegeben wurden, bevor eine Einfuhrgenehmigung für die
Cetacea-Individuen erteilt wurde?

25. Liegen der Bundesregierung Informationen vor, in welcher Form Fragen
des Ersatzes von verendeten Cetacea-Individuen und des Verbraucherschut-
zes (Risikos von Verletzungen und Infektionen bei den Therapiepatienten)
in die Beurteilung der finanziellen Risikoabschätzung integriert wurden?

26. a) Trifft nach Auffassung der Bundesregierung die Befürchtung zu, dass in
der strukturschwachen Region im betreffenden Wahlkreis der Bundes-
kanzlerin, Dr. Angela Merkel, wirtschaftliche Interessen den Interessen
des Tier- und Naturschutzes übergeordnet werden (dpa vom 25. Januar
2006)?

b) Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass Fragen des Tier- und
Artenschutzes sowie des Verbraucherschutzes nicht wirtschaftlichen In-
teressen untergeordnet werden dürfen, sondern gleichrangig zu berück-
sichtigen sind?

Berlin, den 5. April 2006

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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