BT-Drucksache 16/11989

a) zu dem Antrag der Abgeordneten Markus Kurth, Brigitte Pothmer, Irmingard Schewe-Gerigk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN -16/10654- Programm für ein selbstbestimmtes Leben ohne Armut - Eine Neuformulierung des Dritten Armuts- und Reichtumsberichtes b) zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Katja Kipping, Klaus Ernst, Dr. Lothar Bisky, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. -16/11637- zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung -16/9915- Lebenslagen in Deutschland - Dritter Armuts- und Reichtumsbericht

Vom 16. Februar 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/11989
16. Wahlperiode 16. 02. 2009

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss)

a) zu dem Antrag der Abgeordneten Markus Kurth, Brigitte Pothmer,
Irmingard Schewe-Gerigk, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
– Drucksache 16/10654 –

Programm für ein selbstbestimmtes Leben ohne Armut –
Eine Neuformulierung des Dritten Armuts- und Reichtumsberichtes

b) zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Katja Kipping, Klaus Ernst,
Dr. Lothar Bisky, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE.
– Drucksache 16/11637 –

zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
– Drucksache 16/9915 –

Lebenslagen in Deutschland –
Dritter Armuts- und Reichtumsbericht

A. Problem

Zu Buchstabe a

Der Dritte Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung stellt nach Auf-
fassung der antragstellenden Fraktion in der Qualität seiner Daten und in seiner
Aussagekraft einen Rückschritt dar. Durch willkürliche Datenauswahl und die
Präsentation fragwürdiger Ergebnisse bringe die Bundesregierung das Instru-
ment des Armuts- und Reichtumsberichts in Misskredit. Zudem begegne die
Bundesregierung der zunehmenden Spaltung der Gesellschaft in Arm und
Reich sowie der Verfestigung von Armut mit Untätigkeit.

Zu Buchstabe b
Der Armuts- und Reichtumsbericht zeigt nach Angaben der Antragsteller, dass
die Armut in Deutschland deutlich zugenommen habe. Die soziale Spaltung
zwischen Arm und Reich nehme zu. Die Bundesregierung werde der Aufgabe,
die Armut zu bekämpfen, immer weniger gerecht. Wesentliche politische Ent-
scheidungen der letzten Jahre hätten die Spaltung verstärkt. Dazu gehörten die
Rentengesetzgebung und zahlreiche Steuerreformen.

Drucksache 16/11989 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

B. Lösung

Zu Buchstabe a

Der Deutsche Bundestag soll die Bundesregierung nach dem Willen der An-
tragsteller auffordern,

1. den dritten Armuts- und Reichtumsbericht zu überarbeiten und auf eine
aktuelle, solide Datenbasis zu stellen;

2. ein Programm für ein selbstbestimmtes Leben ohne Armut aufzulegen, mit
dem unter anderem die Regelleistungen für Sozialleistungen nach dem
Zweiten und Zwölften Buch Sozialgesetzbuch und dem Asylbewerber-
leistungsgesetz so angepasst werden sollen, dass sie dem sozialstaatlichen
Gebot der Deckung des soziokulturellen Existenzminimums für alle Men-
schen genügten. Die Regelleistung für Erwachsene müsse dafür auf mindes-
tens 420 Euro erhöht, der Anpassungsmechanismus an die Preisentwicklung
gekoppelt werden;

3. gemeinsam mit den Bundesländern ein Programm gegen die soziale Selek-
tion in Bildung, Gesundheit und Kultur sowie gezielte Konzepte für Armuts-
risikogruppen mit folgenden Inhalten aufzulegen, das unter anderem einen
Rechtsanspruch auf einen ganztägigen Betreuungsplatz vom ersten bis zum
dritten Lebensjahr für Kinder sowie ein neues Ganztagsschulprogramm vor-
sehen solle.

Ablehnung des Antrags auf Drucksache 16/10654 mit den Stimmen der
Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen der Fraktio-
nen DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Zu Buchstabe b

Der Deutsche Bundestag soll nach dem Willen der Antragsteller die Bundes-
regierung auffordern,

1. den Armuts- und Reichtumsbericht dahingehend zu überarbeiten, dass re-
präsentative, aussagekräftige und vergleichbare Daten verwendet werden.
Diese sollten unter anderem in den Mittelpunkt der politischen Debatten und
Schlussfolgerungen gestellt werden und in einen Aktionsplan zur Armuts-
bekämpfung einmünden;

2. unmittelbar wirksame Maßnahmen zur Armutsbekämpfung zu ergreifen.
Dazu gehöre es, einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn von
8,71 Euro pro Stunde einzuführen, die Eckregelsätze der Grundsicherungs-
systeme umgehend auf 435 Euro zu erhöhen und bedarfsgerechte Regelsätze
für Kinder zu entwickeln;

3. Maßnahmen zu ergreifen, die von Armut betroffenen oder bedrohten Men-
schen langfristig Lebensperspektiven jenseits der Armut eröffneten;

4. der zunehmenden Ungleichheit von Einkommen und Vermögen mit einer
sozial gerechten Steuerpolitik entgegenzuwirken.

Ablehnung des Entschließungsantrags auf Drucksache 16/11637 mit den
Stimmen der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN gegen die Stimmen der Fraktion DIE LINKE.

C. Alternativen

Annahme der Anträge.
D. Kosten

Kostenrechnungen wurden nicht angestellt.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/11989

Beschlussempfehlung

Der Bundestag wolle beschließen,

a) den Antrag auf Drucksache 16/10654 abzulehnen;

b) den Entschließungsantrag auf Drucksache 16/11637 abzulehnen.

Berlin, den 11. Februar 2009

Der Ausschuss für Arbeit und Soziales

Gerald Weiß (Groß-Gerau)
Vorsitzender

Rolf Stöckel
Berichterstatter

auf Drucksache 16/11637 in ihren Sitzungen am 11. Februar
des Berichts stelle.
2009 beraten und mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/
CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen der Fraktion DIE
LINKE. bei Stimmenthaltung der Fraktion BÜNDNIS 90/

Die Bundesregierung müsse nunmehr den Vierten Armuts-
und Reichtumsbericht qualifizieren, unmittelbar wirksame
Maßnahmen zur Armutsbekämpfung und zur Verbesserung
Drucksache 16/11989 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Bericht des Abgeordneten Rolf Stöckel

A. Allgemeiner Teil

I. Verfahren
1. Überweisungen

Zu Buchstabe a

Der Antrag auf Drucksache 16/10654 ist in der 199. Sit-
zung des Deutschen Bundestages am 21. Januar 2009 an
den Ausschuss für Arbeit und Soziales zur federführenden
Beratung und an den Haushaltsausschuss, den Ausschuss
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, den Ausschuss
für Gesundheit sowie den Ausschuss für Menschenrechte
und humanitäre Hilfe zur Mitberatung überwiesen worden.

Zu Buchstabe b

Der Entschließungsantrag auf Drucksache 16/11637 ist in
der 199. Sitzung des Deutschen Bundestages am 21. Januar
2009 an den Ausschuss für Arbeit und Soziales zur feder-
führenden Beratung und an den Finanzausschuss, den Aus-
schuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucher-
schutz, den Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend, den Ausschuss für Gesundheit, den Ausschuss für
Verkehr, Bau und Stadtentwicklung sowie den Ausschuss
für Menschenrechte und humanitäre Hilfe zur Mitberatung
überwiesen worden.

2. Voten der mitberatenden Ausschüsse

Zu Buchstabe a

Der Haushaltsausschuss, der Ausschuss für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend, der Ausschuss für Gesund-
heit sowie der Ausschuss für Menschenrechte und huma-
nitäre Hilfe haben den Antrag auf Drucksache 16/10654 in
ihren Sitzungen am 11. Februar 2009 beraten und mit den
Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP
gegen die Stimmen der Fraktionen DIE LINKE. und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Ablehnung des Antrags
empfohlen.

Zu Buchstabe b

Der Finanzausschuss, der Ausschuss für Familie, Senio-
ren, Frauen und Jugend, der Ausschuss für Gesundheit
sowie der Ausschuss für Menschenrechte und humani-
täre Hilfe haben den Entschließungsantrag auf Drucksache
16/11637 in ihren Sitzungen am 11. Februar 2009 beraten
und mit den Stimmen der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP
und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen der
Fraktion DIE LINKE. dem Deutschen Bundestag die Ab-
lehnung des Antrags empfohlen.

Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz und der Ausschuss für Verkehr, Bau
und Stadtentwicklung haben den Entschließungsantrag

II. Wesentlicher Inhalt der Vorlagen

Zu Buchstabe a

Nach Ansicht der Antragsteller stellt der Dritte Armuts- und
Reichtumsbericht der Bundesregierung einen Rückschritt in
Sachen Datenqualität und Aussagekraft dar. Durch eine
willkürliche Datenauswahl und gezielte Präsentation frag-
würdiger Ergebnisse habe die Bundesregierung das Instru-
ment des Armuts- und Reichtumsberichts in Misskredit ge-
bracht. Es werde eine neue Datenbasis zugrunde gelegt,
welche erstmals vom Statistischen Bundesamt erhoben wor-
den sei. In den vorherigen Berichten seien Daten der eben-
falls amtlichen Einkommens- und Verbrauchsstichprobe
verwandt worden. Gegenläufige Ergebnisse seien in der
Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung nicht kommuni-
ziert worden. Aufgrund einer veränderten und unzureichen-
den Datenbasis sei der Dritte Armuts- und Reichtumsbericht
mit den vorhergehenden beiden Berichten nicht vergleich-
bar. Es werde nicht nur die allgemeine Armutsentwicklung
geschönt, auch die Ergebnisse in Bezug auf bestimmte
Armutsrisikogruppen entsprächen nicht der Realität.

Die Bundesregierung eröffne in ihrem Dritten Armuts- und
Reichtumsbericht keine Wege zu einem selbstbestimmten
Leben ohne Armut. Eine Anpassung der Regelsätze werde
verweigert. Darunter litten rund 2,5 Millionen Kinder und
Jugendliche, deren Eltern Sozialleistungen bezögen. Die
Ausweitung des Niedriglohnsektors bleibe ungebremst. Nur
wenige Arbeitnehmer seien durch Mindestlohn vor Lohn-
dumping geschützt. Von einer Balance zwischen Fördern
und Fordern könne in der Mehrzahl der Jobcenter nicht ge-
sprochen werden.

Der Dritte Armuts- und Reichtumsbericht solle daher ins-
gesamt von der Bundesregierung überarbeitet und ein Pro-
gramm für ein selbstbestimmtes Leben ohne Armut auf-
gelegt werden. Darüber hinaus solle die Bundesregierung
gemeinsam mit den Bundesländern ein Programm gegen die
soziale Selektion in Bildung, Gesundheit und Kultur auf-
legen sowie gezielte Konzepte für Armutsrisikogruppen er-
stellen.

Zu Buchstabe b

Die Antragsteller sehen im Dritten Armuts- und Reichtums-
bericht dramatische Befunde zur Entwicklung der deutschen
Gesellschaft. Die allgemeine Armutsrisikoquote habe seit
1998 um 6 Prozentpunkte zugenommen, die Kinderarmut
sogar um 10 Prozentpunkte. Die Ungleichheit in der deut-
schen Gesellschaft habe sich verschärft. Diese Entwicklung
versuche die Bundesregierung zu beschönigen, indem sie
die wenig aussagekräftigen und nicht vergleichbaren Daten
der europäischen Datenbasis EU-SILC in den Mittelpunkt
DIE GRÜNEN dem Deutschen Bundestag die Ablehnung
des Antrags empfohlen.

der Situation der Betroffenen ergreifen. Schließlich müsse
die Bundesregierung der zunehmenden Ungleichheit der

Drucksache 16/11637 beraten und mit den Stimmen der
Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN gegen die Stimmen der Fraktion DIE LINKE.
dem Deutschen Bundestag die Ablehnung empfohlen.

Die Fraktion der CDU/CSU erklärte, dass die sozialen
Sicherungssysteme in Deutschland funktionierten und vor
materieller Armut schützten. In den Anträgen werde jedoch
grundsätzlich der Bezug von Sozialleistungen mit Armut
gleichgestellt. Bezüglich der geforderten Anhebung der
Sätze nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch von
351 Euro auf 420 Euro sei das Lohnabstandsgebot zu be-
rücksichtigen. Es dürften keinesfalls Anreize beseitigt wer-
den, eine Beschäftigung aufzunehmen. Wer arbeite, müsse
mehr haben als der, der nicht arbeite. Die Anträge der
Opposition seien nicht geeignet, zielführend einen Sozial-
staat zu gestalten, und würden daher abgelehnt.

Die Fraktion der SPD wies darauf hin, dass die Armuts-
und Reichtumsberichterstattung ein wichtiges Instrument
sei und bleibe. Dieses werde weiterentwickelt; denn nur auf
der Grundlage belastbarer Daten und Diagnosen könnten
geeignete Maßnahmen entwickelt und Armut aussichtsreich
bekämpft werden. Die Verfestigung von Armut könne auch

elle Armuts- und Reichtumsbericht seiner Aufgabe nicht ge-
recht werde, da insbesondere die in der öffentlichen Kom-
munikation betonten EU-SILC-Daten nicht valide seien und
die Dramatik der sozialen Polarisierung beschönigten. Die
Strukturen der Reichtumsverteilung seien nicht substanziell
erfasst. Ebenfalls deutlich weiterzuentwickeln seien die
Ausführungen zur verdeckten Armut. Im vorherigen Bericht
habe es dazu eine gründlichere Analyse gegeben. Es sei zu-
dem zu kritisieren, dass die Regierung zur Reduzierung von
Armut und sozialer Ausgrenzung keine konkreten und ver-
bindlichen Ziele setze.

Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN stellte fest,
dass die im Bericht verwendeten EU-SILC-Daten qualifi-
ziert werden müssten. An den Daten sei unter anderem zu
kritisieren, dass selbstgenutztes Wohneigentum in der
Statistik nicht als Einkommen geführt werde. Auch die
erhebliche Reduktion der Zahl der von Wohnungslosigkeit
Betroffenen sei so nicht nachvollziehbar. Zu den Schluss-
folgerungen sei zu sagen, dass es zwar richtig sei, Erwerbs-
tätigkeit als Schlüssel für die Bekämpfung von Armut an-
zusehen. Sie reiche aber nicht aus, um vor Armut zu schüt-
zen.

Berlin, den 11. Februar 2009

Rolf Stöckel
Berichterstatter
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/11989

Einkommen und Vermögen durch eine sozial gerechte
Steuerpolitik entgegenwirken.

III. Beratung und Abstimmungsergebnisse
im federführenden Ausschuss

Zu Buchstabe a

Der Ausschuss für Arbeit und Soziales hat in seiner
116. Sitzung am 11. Februar 2009 den Antrag auf Druck-
sache 16/10654 beraten und mit den Stimmen der Fraktio-
nen der CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen der
Fraktionen DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
dem Deutschen Bundestag die Ablehnung empfohlen.

Zu Buchstabe b

Der Ausschuss für Arbeit und Soziales hat in seiner
116. Sitzung darüber hinaus den Entschließungsantrag auf

nicht allein durch Forderungen nach höheren sozialen Leis-
tungen gelöst werden. Man müsse vielmehr weiter daran
arbeiten, die ursächlichen Strukturen, die Mentalitäten und
die noch immer verbreitete Kultur der ausschließlichen Ver-
waltung von Armut und sozialer Ausgrenzung zu beseiti-
gen.

Die Fraktion der FDP führte an, dass der dritte Armuts-
und Reichtumsbericht mehr Fragen aufwerfe, als er beant-
worte. Das Kernproblem bestehe darin, dass entscheidende
Begrifflichkeiten nicht geklärt würden. Der Armuts- und
Reichtumsbericht sollte in Zukunft statt von der Bundes-
regierung von einem neutralen, externen Gremium wie dem
Sachverständigenrat erstellt werden. Dies würde die Dis-
kussion auf eine solide Basis stellen und dazu führen, dass
objektiv über Lösungen für die Probleme nachgedacht
werde.

Die Fraktion DIE LINKE. verwies darauf, dass der aktu-

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