BT-Drucksache 16/11910

Umsetzung der Bologna-Beschlüsse kritisch begleiten

Vom 11. Februar 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/11910
16. Wahlperiode 11. 02. 2009

Antrag
der Abgeordneten Uwe Barth, Cornelia Pieper, Patrick Meinhardt, Jens
Ackermann, Dr. Karl Addicks, Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst, Ernst
Burgbacher, Patrick Döring, Ulrike Flach, Horst Friedrich (Bayreuth), Dr. Edmund
Peter Geisen, Hans-Michael Goldmann, Miriam Gruß, Joachim Günther (Plauen),
Dr. Christel Happach-Kasan, Heinz-Peter Haustein, Dr. Werner Hoyer, Hellmut
Königshaus, Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp, Heinz Lanfermann, Ina Lenke,
Horst Meierhofer, Jan Mücke, Burkhardt Müller-Sönksen, Dirk Niebel,
Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Dr. Hermann Otto Solms, Carl-Ludwig Thiele,
Florian Toncar, Dr. Volker Wissing, Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP

Umsetzung der Bologna-Beschlüsse kritisch begleiten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Obwohl der Bologna-Prozess noch lange nicht abgeschlossen ist, häuft sich die
Kritik an der Studiengangreform. Den Anstoß gaben vor allem die Disziplinen,
die sich mit dem für die Umsetzung der Reform nötigen Aufwand allein ge-
lassen fühlen und Schwierigkeiten sehen, die fachlichen Anforderungen in der
neuen Struktur angemessen zu organisieren. Die Negativwahrnehmung der
Bologna-Prozesse beschränkt sich aber mittlerweile nicht länger auf diesen
engen Kreis der unmittelbar Betroffenen. Zunehmend ist auch die breite Öffent-
lichkeit verunsichert.

Der Bologna-Prozess stellt die Juristenausbildung und die Medizinerausbildung
in Deutschland vor besondere Probleme. Es ist fraglich, ob der hohe Qualitäts-
standard der Ausbildung bei einer Umstellung der Studienabschlüsse gehalten
werden kann. Der Deutsche Juristen-Fakultätentag hat wiederholt von den Fol-
gen des Bologna-Prozesses für die Juristenausbildung gewarnt und die Auf-
fassung vertreten, der Bologna-Prozess sei bisher in allen Zielen gescheitert.
Wissenschaftliche Tiefe, thematische Vielfalt und Praxisorientierung müssen
auch künftig Maßstab für die Studienabschlüsse sein.

Es besteht die Gefahr, dass der Reformprozess auf dreiviertel des Weges ins
Stocken kommt und im Chaos versinkt. Bund und Länder tragen die Verant-
wortung dafür, dass der Bologna-Prozess nicht scheitert und die Lebensplanung
und Perspektive von Studierenden dadurch massiv in Mitleidenschaft gezogen

wird. Die Umsetzung der Reform und Konzeption von Studienangeboten ist
unzweifelhaft eine Aufgabe der Hochschulautonomie. Der Staat aber ist in der
Pflicht, dafür die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen.

Inzwischen sind 75 Prozent der Studiengänge an den deutschen Universitäten
und Fachhochschulen auf die Abschlüsse Bachelor und Master umgestellt. Bei
den verbliebenen 25 Prozent handelt es sich überwiegend um Staatsexamens-

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Studiengänge, die besonderen Bedingungen unterliegen (vgl. „Statistische Daten
zur Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen“, Wintersemester 2008/
2009; Hochschulrektorenkonferenz ).

Die Arbeitsmarktakzeptanz der ersten Bachelorabsolventen ist relativ gut, aller-
dings bestehen Informationsdefizite bei kleineren und mittleren Unternehmen
über die im Rahmen der Abschlüsse erlangten Kompetenzen. Außerdem muss
in einer Reihe von Fällen, insbesondere im öffentlichen Dienst, die angemes-
sene tarifliche Eingruppierung geklärt werden.

Die Studienreform hat zu einer Verkürzung der Studiendauer geführt. Doch die
Straffung der Studienangebote hat auch ihren Preis: Die Mobilität innerhalb der
Bachelorphase ist ohne Zeitverlust nur zwischen Standorten möglich, die ihre
Studienprogramme aufeinander abgestimmt haben. Die vielfach fälschlich
geweckte Erwartung, dass die allgemeine Kompatibilität der Studienstrukturen
auch zu einer generellen, von der individuellen Leistung unabhängigen An-
erkennung und Zulassung führen werde, ist wesentlich für die verbreitete
Bologna-Resignation mitverantwortlich.

Die formale Gleichstellung der Abschlüsse von Universitäten und Fachhoch-
schulen hat dazu beigetragen, die Durchlässigkeit im Bildungssystem zu fördern.
Stufung und Modularisierung der Studiengänge sollen Chancen für Weiter-
bildung und lebenslanges Lernen bieten, die bisher nicht einmal in Ansätzen aus-
geschöpft sind. Gerade in diesem Feld hat Deutschland viel Aufholarbeit zu leis-
ten, gerade wenn die Zielstellungen der Bundesregierung mit Blick auf die Wei-
terbildungsquote erreicht werden sollen. Der Verschränkung zwischen beruf-
licher Tätigkeit und Hochschul(weiter)bildung muss mehr Aufmerksamkeit
geschenkt werden.

Auf die Hochschulen kommen weitere Aufgaben zu. Um im Wettbewerb be-
stehen zu können und hohe Qualitätsstandards im Bereich der Lehre zu ge-
währleisten, sind die Hochschulen gezwungen, sich weiterzuentwickeln. Dabei
werden sie vor allem folgende Anforderungen zu erfüllen haben:

● Auswahlverfahren müssen entwickelt und durchführt werden, die den An-
forderungen der einzelnen Studiengänge gerecht werden. Gleichzeitig haben
Hochschulen Studienbewerber angemessen zu beraten, um dadurch einen
Beitrag zur Sicherung des Studienerfolgs zu leisten.

● Die Anerkennung im Ausland erbrachter Studienleistungen muss zügig,
transparent und konstruktiv geregelt werden.

● Die Spielräume, welche die Strukturvorgaben der Kultusministerkonferenz
hinsichtlich der Dauer von Studiengängen ermöglichen, müssen besser
genutzt werden – Bachelorprogramme dürfen auch länger als drei Jahre
dauern, einjährige Masterprogramme sind möglich.

● Die Qualität der Lehre muss regelmäßig über die Akkreditierung hinaus
bewertet werden und die Ergebnisse sind zu veröffentlichen.

● Der berufliche Weg der Absolventen sollte im Rahmen von Verbleibsstudien
verfolgt und bei der Weiterentwicklung der Studienangebote berücksichtigt
werden.

● In Zusammenarbeit mit regionalen und überregionalen Arbeitgebern sollte
über das Qualifizierungsangebot der Hochschule informiert werden. Je nach
Hochschulprofil ist die Entwicklung gemeinsamer Studiengänge zu unter-
stützen.

● Durch verstärkte Programmabsprachen mit Partnerhochschulen ist ein Aus-
landsstudium ohne Zeitverlust auch in der Bachelorphase für möglichst viele

Studiengänge zu ermöglichen – dies wird sich auch zu einem erheblichen
Wettbewerbsfaktor entwickeln.

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● Eine konsequente Modularisierung, die Förderung von Transparenz und die
Flexibilisierung der Studienangebote sind auf allen Ebenen umzusetzen und
zu sichern.

● Die Hochschulen werden sich künftig verstärkt im Bereich der Weiter-
bildung engagieren müssen.

● Die Kompatibilität einzelner Studienleistungen erhöhen.

● Der Ausbau familienfördernder Infrastruktur an Hochschulen ist im Rahmen
der gegebenen Möglichkeiten zu unterstützen.

Die Arbeitgeberverbände haben die Studienreform mit Nachdruck gefordert.
Daher stehen sie besonders in der Verantwortung,

● ihr Engagement für die Arbeitsmarktakzeptanz der neuen Abschlüsse fort-
zusetzen. Dabei sind besonders die Industrie- und Handelskammern gefor-
dert, ihre Mitglieder zu informieren;

● eine angemessene tarifliche Eingruppierung für Berufsanfänger mit Hoch-
schulabschluss sicherzustellen. Wissenschaftliches Studium muss honoriert
werden;

● zur Studienfinanzierung durch die Vergabe von Stipendien und der Beteili-
gung beim Aufbau von Stipendiensystemen beizutragen;

● ihrerseits gerade im regionalen Umfeld noch mehr als bisher auf die Hoch-
schulen zuzugehen, um die Zusammenarbeit in allen Bereichen weiterzuent-
wickeln;

● sich als „stakeholder“ öffentlich und in der Organisation (Hochschulräte,
Förderkreise etc.) aktiv für die Hochschulen einzusetzen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

a) sich im Einvernehmen mit den Ländern für eine dem verstärkten Betreuungs-
und Verwaltungsaufwand angemessene Finanzierung der Hochschullehre
einzusetzen;

b) sich für eine angemessene Finanzierung insbesondere von Teilzeitangeboten
im Bachelorbereich und deren entsprechende Berücksichtigung beim
BAföG zu engagieren;

c) den Aufbau von Kredit-, Darlehens- und Stipendiensysteme für die Studie-
rende zu unterstützen;

d) gemeinsam mit den Ländern, dem Studentenwerk und den Hochschulen den
Ausbau und die Qualifizierung der Beratungsleistungen für Studierende vor-
anzutreiben;

e) im Einvernehmen mit den Ländern klare, dem Qualifikationsprofil ange-
messene Eingruppierungsregelungen für Bachelorabsolventen von Universi-
täten und Fachhochschulen im öffentlichen Dienst zu entwickeln;

f) sich gegenüber den Ländern für transparente und einheitliche Laufbahn-
regelungen für den Eintritt von Absolventen mit Bachelor und Master in den
Staatsdienst einzusetzen, um die Mobilität der Beschäftigten zu gewährleis-
ten;

g) dazu beitragen, dass der Akkreditierungsrat entsprechend seiner Bedeutung
gestärkt wird. Zu seinen wichtigsten Aufgaben gehören die Einführung der
Systemakkreditierung als Instrument der Hochschulautonomie, das Eintre-
ten für die deutschen Qualitätsinteressen auf der europäischen Ebene, insbe-

sondere bei der European Association for Quality Assurance in Higher Edu-

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cation (ENQUA) und der Schaffung eines zentralen Registers für Agenturen
sowie eine angemessene deutsche Repräsentanz im Washington Accord;

h) sich mit Blick auf die Förderung von Durchlässigkeit dafür einzusetzen,
dass die Bewerbungsberechtigung zwischen allen akkreditierten Bachelor-
studiengängen sichergestellt wird. Davon sollen das Recht und die Pflicht
der Hochschulen zur individuellen Eignungs- und Leistungsprüfung unbe-
rührt bleiben;

i) im Einvernehmen mit den Ländern dazu beitragen, dass vorhandene Infor-
mationssysteme weiter ausgebaut und verbessert werden, um der Gefahr von
Intransparenz vorzubeugen und der Akzeptanz des neuen Systems Vorschub
zu leisten.

Berlin, den 11. Februar 2009

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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