BT-Drucksache 16/11823

Berücksichtigung des Gesundheitsschutzes bei Gewässergrenzwerten für Schadstoffe

Vom 30. Januar 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/11823
16. Wahlperiode 30. 01. 2009

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Nicole Maisch, Sylvia Kotting-Uhl, Dr. Harald Terpe,
Birgitt Bender, Cornelia Behm, Hans-Josef Fell, Bettina Herlitzius,
Winfried Hermann, Peter Hettlich, Ulrike Höfken, Bärbel Höhn,
Dr. Anton Hofreiter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Berücksichtigung des Gesundheitsschutzes bei Gewässergrenzwerten
für Schadstoffe

In den vergangenen Jahren wurden in der Bundesrepublik Deutschland in grö-
ßerem Umfang rechtlich verbindliche Grenzwerte (Qualitätsnormen) für zuläs-
sige Konzentrationen bestimmter Stoffe in Oberflächengewässern festgelegt.
Diese in Umsetzung der EU-Richtlinien 76/464/EWG und der Wasserrahmen-
richtlinie (WRRL) in Länderverordnungen enthaltenen Grenzwerte haben eine
größere rechtliche Verbindlichkeit als davor beschlossene deutsche „Richtwerte“
wie z. B. die so genannten Zielvorgaben der Länderarbeitsgemeinschaft Wasser
(„LAWA-Zielvorgaben“). Sie sind eine wesentliche Grundlage für die zukünf-
tige Bewirtschaftung der Gewässer.

Wegen der unterschiedlichen Empfindlichkeit gegenüber einzelnen Stoffen bei
Gewässerlebewesen einerseits und dem Menschen andererseits kann es bei der
Herleitung von Grenzwerten im Ergebnis zu extremen Unterschieden kommen,
je nachdem, welches „Schutzgut“ betrachtet wird. Es ist zu befürchten, dass bei
der Grenzwertfestlegung für Gewässer die gesundheitlichen Belange des Men-
schen unzureichend beachtet werden.

Die Zuständigkeit für die Grenzwertfestlegung liegt bisher bei den Bundes-
ländern. Die EU hat in einer Tochterrichtlinie zur WRRL für die so genannten
prioritären Stoffe Gewässergrenzwerte beschlossen.

Diese Tochterrichtlinie muss nach Inkrafttreten in nationales Recht umgesetzt
werden. Für das giftige Schwermetall Cadmium beispielsweise soll eine zuläs-
sige Konzentration im Wasser (wässrige Phase) festgelegt werden, die umge-
rechnet auf Schwebstoffe und Sedimente einer Konzentration von 20 bis 30 mg
pro kg Trockensubstanz entspricht. In der deutschen Klärschlammverordnung
ist dagegen für leichte Böden ein Grenzwert von 1 mg/kg festgelegt, weil bei
höheren Werten das auf solchen Böden wachsende Getreide leicht den entspre-
chenden lebensmittelrechtlichen Grenzwert überschreitet.
Darüber hinaus hat die Internationale Kommission zum Schutz des Rheins
(IKSR) bei ihrer letzten Vollversammlung im Juli 2008 neue Qualitätsziele für
einige Stoffe beschlossen. Die deutsche Delegation hat diesen zugestimmt. Da-
bei wurden für einzelne Stoffe jeweils dem Trinkwasserschutz dienende Quali-
tätsziele neben Qualitätsziele gestellt, die nur die Gewässerlebewesen schützen
sollen. So wurde z. B. für das Pestizid Bentazon für den Trinkwasserschutz der
schon früher geltende Wert von 0,1 µg/l bestätigt, während für den Schutz der

Drucksache 16/11823 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Gewässerlebewesen ein Wert von 73 µg/l beschlossen wurde. Damit ist zu be-
fürchten, dass nicht an allen Gewässern im Rheineinzugsgebiet die strengeren
Grenzwerte für den Trinkwasserschutz angewandt werden, sondern nur die
deutlich schwächeren Standards, die für den Schutz der Gewässerlebewesen
allein für ausreichend erachtet werden. Für einen vorsorgenden Trinkwasser-
schutz wäre aber für alle potenziellen Trinkwasserquellen und Gewässer ein
Grenzwert von 0,1 µg/l erforderlich. Die Zuordnung der einzelnen Grenzwerte
je nach Nutzungszweck des Mediums Wasser, das heißt der höhere Grenzwert
für Gewässerlebewesen, ist einer vorausschauenden Umweltvorsorge nicht an-
gemessen und auch schwer kontrollierbar.

Wir fragen die Bundesregierung:

I. Allgemeine Fragen

1. Teilt die Bundesregierung grundsätzlich die Auffassung, dass durch die
Festlegung von Grenzwerten für zulässige Stoffkonzentrationen in Ober-
flächengewässern sowohl die Gewässerlebewesen als auch der Mensch ge-
schützt werden müssen?

Wenn nein, warum nicht?

2. Ist die Bundesregierung grundsätzlich der Auffassung, dass alle Ober-
flächengewässer mittelfristig so zu bewirtschaften und Grenzwerte so fest-
zulegen sind, dass aus ihnen ohne aufwändige Aufbereitungsverfahren wie
z. B. mit Aktivkohle Trinkwasser gewonnen werden kann?

Wenn nein, warum nicht?

Wenn ja, werden die bisher festgelegten Grenzwerte diesem Ziel nach Auf-
fassung der Bundesregierung gerecht?

3. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass hierbei differenziert werden
muss zwischen Gewässern, die unmittelbar der Trinkwassergewinnung die-
nen und sonstigen Gewässern?

Wenn ja, wie soll bei einer so vorgenommenen Differenzierung eine Ufer-
filtration als Verfahren der Trinkwassergewinnung berücksichtigt werden?

4. Welchen Grenzwerten sollen Oberflächengewässer unterliegen, die in das
Grundwasser infiltrieren, und wie soll das im Einzelfall festgestellt werden?

5. Sollen, wenn nur der Unterlauf eines Flusses der Trinkwassergewinnung
dient, im gesamten Flusseinzugsgebiet die den Trinkwasserschutz berück-
sichtigenden Grenzwerte gelten?

Wenn nein, wie sollen die Grenzwerte im Unterlauf eingehalten werden,
wenn die Oberläufe und Zuflüsse deutlich weniger strenge Grenzwerte
haben?

6. Ist die Bundesregierung grundsätzlich der Auffassung, dass auch der Ge-
wässereintrag von weniger toxischen oder ökotoxischen Stoffen, die beson-
ders leicht in das Trinkwasser gelangen können, wie z. B. die Industrie-
chemikalie Ethylendiamintetraessigsäure EDTA (Einsatz u. a. in der Foto-
und Textilindustrie) oder Röntgenkontrastmittel, aus Vorsorgegründen und
gemäß dem Minimierungsgebot der deutschen Trinkwasserverordnung ver-
ringert werden sollten?

Wenn nein, warum nicht?

7. Sollen nach Auffassung der Bundesregierung auch für solche Stoffe Gewäs-
sergrenzwerte festgelegt werden?
Wenn nein, wie sollen entsprechende Ziele umgesetzt werden?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/11823

8. Ist die Bundesregierung grundsätzlich der Auffassung, dass Gewässer-
grenzwerte so festzulegen sind, dass bei den dort lebenden Fischen oder
anderen zum Verzehr durch den Menschen geeigneten Tieren die lebens-
mittelrechtlich festgelegten Grenzwerte nicht überschritten werden?

Wenn nein, warum nicht?

Wenn ja, werden die bisher festgelegten Grenzwerte diesem Ziel nach Auf-
fassung der Bundesregierung gerecht?

9. Ist die Bundesregierung grundsätzlich der Auffassung, dass Gewässer-
grenzwerte für Stoffe, die sich in Gewässersedimenten anreichern, so fest-
zulegen sind, dass die Verfrachtung von Gewässersedimenten bei großen
Hochwasserereignissen in den Auebereich des Gewässers keine nachtei-
ligen Folgen für die Erzeugung von Lebensmitteln auf diesen Flächen hat?

10. Ist sie der Auffassung, dass die Gewässergrenzwerte langfristig sicher-
stellen sollten, dass ausgebaggerte Sedimente, z. B. aus Hafenbecken, ohne
Einschränkungen aufgrund des Schadstoffgehalts entsorgt werden können?

Wenn nein, warum nicht?

Wenn ja, werden die bisher festgelegten Grenzwerte diesem Ziel gerecht?

II. Einzelfragen zu den Beschlüssen der Internationalen Kommission zum
Schutz des Rheins

11. Soll der strengere Wert für Bentazon nach Auffassung der Bundesregie-
rung im gesamten Einzugsgebiet des Rheins angewandt werden?

12. Wenn nein, in welchen Teileinzugsgebieten soll der 73 µg/l-Wert ange-
wandt werden?

Wie wird in diesen Gebieten dem Grundwasserschutz Rechnung getragen,
wenn es dort eine Infiltration von Oberflächenwasser in das Grundwasser
gibt?

13. Wird die Bundesregierung bei der bevorstehenden Festlegung eines Quali-
tätszieles für Polychlorierte Biphenyle (PCB) darauf hinwirken, dass bei
seiner Einhaltung auch keine Überschreitung von lebensmittelrechtlichen
Grenzwerten für dioxinähnliche PCB in Rheinfischen zu befürchten ist?

Wenn nein, warum nicht?

14. Sollen zukünftig nach Auffassung der Bundesregierung IKSR-Qualitäts-
ziele für Schadstoffe, die sich in Sedimenten anreichern, so festgelegt wer-
den, dass bei ihrer Einhaltung keinerlei Gefahr von den Sedimenten, weder
für Gewässerlebewesen noch indirekt für den Menschen (siehe Frage I.6.),
ausgehen kann?

III. Einzelfragen zur Umsetzung der EU-Richtlinie zu den Umweltqualitäts-
normen in der Wasserpolitik

15. Hält die Bundesregierung den Gesundheitsschutz bei den Gewässergrenz-
werten für prioritäre Stoffe für ausreichend berücksichtigt?

16. Wenn nein, will die Bundesregierung dafür eintreten, im Einzelfall stren-
gere nationale Grenzwerte festzulegen, die den Gesundheitsschutz ausrei-
chend berücksichtigen?

17. Hält die Bundesregierung vor dem Hintergrund einer möglichen, z. T. un-
vermeidbaren Verfrachtung von Sedimenten (z. B. Erosion von Acker-
böden) den Cadmium-Grenzwert der EU für ausreichend streng?

Drucksache 16/11823 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
18. Für welchen Gewässergrenzwert für Cadmium tritt die Bundesregierung
ein, um eine indirekte Gefährdung des Menschen zu vermeiden?

Berlin, den 30. Januar 2009

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.