BT-Drucksache 16/11796

Durchführung von Abschiebungen nach Syrien

Vom 28. Januar 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/11796
16. Wahlperiode 28. 01. 2009

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Jörn Wunderlich und
der Fraktion DIE LINKE.

Durchführung von Abschiebungen nach Syrien

Die Bundesrepublik Deutschland hat mit der Arabischen Republik Syrien im
vergangenen Jahr ein Rückübernahmeabkommen geschlossen, das am 3. Januar
2009 in Kraft getreten ist. In dem Abkommen ist u. a. geregelt, dass Syrien
Menschen aufnehmen muss, die aus seinem Hoheitsgebiet illegal in die
Bundesrepublik Deutschland einreisen oder sich darin aufhalten. Betroffen sind
vor allem staatenlose Kurdinnen und Kurden, bei denen eine Abschiebung bis-
her nicht möglich war, weil Syrien eine Aufnahme bislang verweigert hat.

Nach Angaben von Anwältinnen und Anwälten beginnen die Ausländerbehör-
den nun Ausreiseaufforderungen verbunden mit Abschiebungsandrohungen
gegen diesen Personenkreis auszusprechen. Ausländerbehörden gehen bereits
dazu über, die zwangsweise Vorführung bei der Syrischen Botschaft oder einem
Konsulat anzudrohen, wenn die Betroffenen keine „Freiwilligkeitserklärung“
zur Ausstellung von Reisedokumenten unterzeichnen. Damit soll die Ausreise-
pflicht insbesondere gegen jene staatenlosen Kurden aus Syrien durchgesetzt
werden, bei denen die Ausländerbehörden bislang eine syrische Herkunft vehe-
ment bestritten hatten.

Dies ist aus menschenrechtlicher Sicht bedenklich, weil von Syrien wesent-
liche, völkerrechtlich bindende Menschenrechtsabkommen nicht unterzeichnet
worden sind. Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage
der Fraktion DIE LINKE. (Bundestagsdrucksache 16/10786) insofern einge-
räumt, dass ihre so genannte wertorientierte Außenpolitik keine entsprechenden
Ergebnisse erbracht hat. Die Bundesregierung stellt sogar fest, dass im Rück-
übernahmeabkommen der Status Quo nicht berührt wird und die „völkerrecht-
lichen Verpflichtungen beider Seiten unberührt“ bleiben – im Falle von Syrien
bestehen also gar keine derartigen Verpflichtungen. Es stellt sich daher im
Wesentlichen die Frage, inwieweit einer – nun tatsächlich möglichen – Ab-
schiebung dieser Personengruppe nicht rechtliche Hindernisse entgegenstehen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Gegen wie viele Personen aus Syrien (Staatsangehörige, Staatenlose bzw.

Personen mit ungeklärter Staatsangehörigkeit) wurde nach Kenntnis der
Bundesregierung nach dem 30. September 2008 eine Ausreiseaufforderung
ausgesprochen (bitte für Staatsangehörige, Staatenlose und Personen mit un-
geklärter Staatsangehörigkeit getrennt angeben)?

2. Wie viele Personen aus Syrien befinden sich insgesamt in der Bundesrepublik
Deutschland, gegen die eine Ausreiseaufforderung ergangen ist, wie viele
wurden 2009 bereits abgeschoben (bitte für Staatsangehörige, Staatenlose
und Personen mit ungeklärter Staatsangehörigkeit getrennt angeben)?

Drucksache 16/11796 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

3. Wie hoch ist die Zahl der Staatenlosen und der Personen mit ungeklärter
Staatsangehörigkeit in der Bundesrepublik Deutschland, wie ist im Allge-
meinen erfahrungsgemäß die ungefähre Verteilung dieser Personen auf
welche Herkunftsländer, und wie hoch schätzt die Bundesregierung die
Zahl der Staatenlosen bzw. der Personen mit ungeklärter Staatsangehörig-
keit in der Bundesrepublik Deutschland, die sich zuvor in Syrien aufgehal-
ten haben bzw. behaupten, aus Syrien zu kommen?

4. Wie hoch ist die Gesamtzahl der Asylsuchenden aus Syrien im Jahr 2008
bzw. für den Zeitraum 1999 bis 2008 gewesen (bitte nach Staatsange-
hörige, Staatenlose und Personen mit ungeklärter Staatsangehörigkeit
differenzieren)?

5. Von welcher Zahl Staatenloser bzw. Personen ungeklärter Staatsangehörig-
keit aus Syrien ist die Bundesregierung in den Verhandlungen über das
Rückübernahmeabkommen ausgegangen bzw. welche entsprechenden An-
gaben hat sie gegenüber der syrischen Seite gemacht?

Ist in den Verhandlungen über die mögliche Zahl der vom Abkommen be-
troffenen Menschen gesprochen worden, und wenn ja, von welchen Größen
sind beide Seiten (jeweils) ausgegangen?

6. Wie viele syrische Staatsangehörige, Staatenlose bzw. Personen mit unge-
klärter Staatsangehörigkeit syrischer Herkunft befanden sich zum 31. De-
zember 2008 mit einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 5 des Aufent-
haltsgesetzes (AufenthG), wie viele mit einer Duldung, und wie viele ohne
Aufenthaltsstatus in der Bundesrepublik Deutschland (bitte jeweils ge-
trennt angeben)?

7. Welche Anhaltspunkte erachtet die Bundesregierung im Zusammenhang
mit dem Rückübernahmeabkommen als ausreichend, um einen früheren
Aufenthalt in Syrien zu belegen, und welche Anhaltspunkte sind im Übri-
gen in aufenthaltsrechtlichen Angelegenheiten zum Beleg eines früheren
Aufenthalts in Syrien ausreichend?

8. Geht die Bundesregierung insbesondere davon aus, dass auch unbeglau-
bigte Kopien von Reisedokumenten für Flüchtlinge, einer syrischen Auf-
enthaltserlaubnis oder einer Mukhtar-Bescheinigung als Beleg für einen
früheren Aufenthalt in Syrien akzeptiert werden, die in aufenthaltsrecht-
lichen Verfahren regelmäßig nicht ausreichen, um eine syrische Herkunft
zu belegen (bitte begründen)?

9. Welche Anhaltspunkte erachtet die Bundesregierung als ausreichend, um
eine syrische Staatsangehörigkeit zu belegen?

10. Welche Anhaltspunkte reichen nach Kenntnis der Bundesregierung für die
syrischen Behörden aus, um eine syrische Staatsangehörigkeit anzuerken-
nen?

11. Geht die Bundesregierung davon aus, dass den syrischen Behörden bereits
die Kopie eines ungültigen Passes, einer Fahrerlaubnis oder einer Geburts-
urkunde ausreichen, um die für eine Abschiebung benötigten Papiere aus-
zustellen?

12. Waren bzw. sind solche Kopien amtlicher Dokumente nach Kenntnis der
Bundesregierung ausreichend, um gegenüber den Behörden in der Bundes-
republik Deutschland die syrische Herkunft und/oder Staatsangehörigkeit
zu belegen, etwa um in den Genuss eines Aufenthaltstitels zu gelangen?

13. Inwiefern sieht die Bundesregierung aus rechtsstaatlicher Perspektive
einen Widerspruch, wenn Papiere einerseits als nicht ausreichend ange-
sehen werden, die Herkunft aus einem bestimmten Staat zu belegen, die

gleichen Papiere aber ausreichend sind, wenn es um eine Abschiebung in
diesen bestimmten Staat geht?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/11796

14. War es Ziel der Verhandlungen mit der syrischen Seite, dass nun auch Per-
sonen zur Ausstellung von Reisedokumenten vor der syrischen Botschaft
zwangsvorgeführt werden können, denen weiterhin unterstellt wird, ihre
Mukhtar-Bescheinigung sei gefälscht (exemplarisch der Fall H. D. bei der
Ausländerbehörde Kassel, Az 17-23 d 03 01/6661)?

15. Inwieweit geht die Bundesregierung davon aus, dass der beabsichtigten
Abschiebung tausender Staatenloser nach Syrien rechtliche Abschiebungs-
hindernisse entgegenstehen?

a) Inwieweit ist nach Kenntnis der Bundesregierung zu befürchten, dass
die nach Syrien abgeschobenen Staatenlosen faktisch rechtlos sind (bitte
begründen)?

b) Inwieweit ist nach Kenntnis der Bundesregierung zu befürchten, dass
die nach Syrien abgeschobenen Staatenlosen in Syrien wirtschaftlich
nicht überleben können (bitte begründen)?

c) Inwieweit ist nach Kenntnis der Bundesregierung zu befürchten, dass
die Kinder von Staatenlosen aus Syrien nach ihrer Abschiebung eben-
falls nicht eingebürgert werden, ebenfalls staatenlos sind und damit kei-
nen oder nur sehr eingeschränkten Zugang zu Bildung und Ausbildung
haben (bitte begründen)?

d) Inwieweit werden von der in Frage 15c genannten Befürchtung die in
der Bundesrepublik Deutschland geborenen Kinder von Staatenlosen
betroffen sein, die keinerlei amtliche syrische Dokumente zum Beleg
ihrer Identität vorweisen können (bitte begründen)?

e) Welche anderen Formen von Diskriminierung sind nach Ansicht der
Bundesregierung zu befürchten, die ein Abschiebungshindernis darstel-
len können (bitte begründen)?

f) Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus den in den
Fragen 15a bis 15e thematisierten möglichen Folgen von Abschiebungen
Staatenloser nach Syrien, und unter welchen Umständen werden diese als
mögliche Abschiebungshindernisse oder sogar Verfolgungsgründe ge-
wertet werden?

16. Gab es mittlerweile Gespräche mit der syrischen Seite über die Ratifizie-
rung und Anwendung der wesentlichen völkerrechtlichen Abkommen zum
Schutz von Kindern und zum Schutz von Staatenlosen, nachdem diese
Themen bei der Verhandlung über das Rückübernahmeabkommen nicht Ge-
genstand „weitergehende(r) Erörterung“ (Bundestagsdrucksache 16/10786,
Frage 22) war?

Wenn ja, in welcher Weise haben solche Gespräche stattgefunden, und
wenn nein, warum nicht?

17. Sollen Ratifikation und Umsetzung ganz wesentlicher völkerrechtlicher
Abkommen zum Menschenrechtsschutz nicht Gegenstand von Gesprächen
mit der syrischen Seite werden, und wenn nein, warum nicht?

18. In welcher Form verlief nach Kenntnis der Bundesregierung die Ratifizie-
rung des Rückübernahmeabkommens in Syrien (bitte nach beteiligten Be-
hörden und staatlichen Stellen aufschlüsseln)?

19. Wurde der Text oder Inhalt des Rückübernahmeabkommens durch die
syrische Seite in arabischer Sprache veröffentlicht, und wenn ja, wo und in
welcher Form?

Berlin, den 26. Januar 2009
Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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