BT-Drucksache 16/1176

Bei gentechnisch veränderten Pflanzen nationales Recht auf Einfuhrverbote und Schutzmaßnahmen nutzen

Vom 5. April 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/1176
16. Wahlperiode 05. 04. 2006

Antrag
der Abgeordneten Ulrike Höfken, Cornelia Behm, Bärbel Höhn, Hans Josef Fell,
Winfried Hermann, Peter Hettlich, Dr. Anton Hofreiter, Sylvia Kotting-Uhl, Undine
Kurth (Quedlinburg), Dr. Reinhard Loske und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Bei gentechnisch veränderten Pflanzen nationales Recht auf Einfuhrverbote
und Schutzmaßnahmen nutzen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Schutz von Mensch und Umwelt ist – entsprechend dem Vorsorgeprinzip –
oberstes Ziel des deutschen Gentechnikrechts.

Weiterhin ist es Ziel des Gentechnikrechts, die Wahlfreiheit der Verbraucher und
Landwirte sowie die Koexistenz unterschiedlicher Landwirtschaftsformen zu
gewährleisten.

Sowohl das Vorsorgeprinzip als auch die Möglichkeit, dass die EU-Länder na-
tionale Maßnahmen zur Verhinderung des unbeabsichtigten Vorhandenseins von
gentechnisch veränderten Organismen ergreifen können, sind wichtige Inhalte
der EU-Freisetzungsrichtlinie 2001/18/EG.

Nach Artikel 23 der Richtlinie 2001/18/EG können Mitgliedsländer aufgrund
neuer oder zusätzlicher Informationen, die sie seit dem Tag der Zustimmung
erhalten haben, den Einsatz und/oder Verkauf dieses gentechnisch veränderten
Organismus in ihrem Hoheitsgebiet vorübergehend einschränken oder verbie-
ten. Nach § 20 des Gesetzes zur Regelung der Gentechnik (Gentechnikgesetz –
GenTG) kann die zuständige Bundesoberbehörde das Ruhen einer Genehmi-
gung anordnen, wenn aufgrund neuer oder zusätzlicher Informationen nach Er-
teilung einer EU-rechtlichen Inverkehrbringensgenehmigung ein berechtigter
Grund zu der Annahme für eine Gefährdung der menschlichen Gesundheit oder
Umwelt besteht.

Der Artikel 26a der Freisetzungsrichtlinie (2001/18/EG) erlaubt den EU-
Ländern, nationale Maßnahmen zur Verhinderung des unbeabsichtigten Vor-
handenseins von gentechnisch veränderten Organismen zu ergreifen. Auf der
Basis dieses Artikels der Freisetzungsrichtlinie fanden in der letzten Wahl-
periode wichtige Regelungen zum Schutz der gentechnikfreien Landwirtschaft
Eingang in das nationale Gentechnikrecht (Bundestagsdrucksachen 15/3088

und 15/3344), das im Februar 2005 in Kraft getreten ist.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. die erteilten Sortenzulassungen aus der gentechnisch veränderten Maislinie
MON810 mangels EU-rechtlicher Voraussetzungen zu widerrufen und keine
weiteren Sortenzulassungen aus MON810 zu erteilen;

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2. da sich seit der EU-rechtlichen Inverkehrbringensgenehmigung von
MON863 neue und zusätzliche Informationen im Hinblick auf die Gefähr-
dung von Menschen oder der Umwelt ergeben haben, ein Ruhen der Inver-
kehrbringensgenehmigung für MON863 entsprechend § 20 GenTG anzuord-
nen;

3. auf EU-Ebene im Rahmen der derzeitigen Überprüfung der EU-rechtlichen
Zulassung von Bt176 gegen eine erneute Zulassung von Bt176 zu stimmen;

4. dafür zu sorgen, dass die im Rahmen des Zulassungsverfahrens für gentech-
nisch veränderte Organismen der Europäischen Union von den antragstellen-
den Unternehmen durchgeführten Fütterungsstudien mit Tieren der Öffent-
lichkeit zugänglich gemacht werden, so dass eine Überprüfung der Studien-
ergebnisse durch unabhängige Experten möglich ist;

5. auf der Ebene der Europäischen Union die EU-Länder bei Verhandlungen
und Abstimmungen zu unterstützen, die aus berechtigten Gründen nationale
Einfuhrverbote auf der Basis des Artikels 23 der Richtlinie 2001/18/EG er-
lassen haben, und gegen Vorschläge der EU-Kommission zu stimmen, diese
Einfuhrverbote aufzuheben;

6. sich auf der Ebene der Europäischen Union für EU-weite rechtliche Rahmen-
regelungen zur Koexistenz einzusetzen sowie dafür, dass bis zum Erlass einer
solchen Regelung keine weiteren gentechnisch veränderten Pflanzen für den
Anbau zugelassen werden;

7. auf der Ebene der Europäischen Union gegen eine Zulassung von gentech-
nisch verändertem Raps für den Anbau zu stimmen und gegenüber der EU-
Kommission klarzustellen, dass für den Fall, dass eine EU-rechtliche Anbau-
genehmigung für gentechnisch veränderten Raps erteilt wird, ein Ruhen die-
ser Inverkehrbringensgenehmigung als notwendige nationale Koexistenz-
maßnahme eingeleitet wird;

8. sich auf der Ebene der Europäischen Union und bei internationalen Verhand-
lungen für ein weltweites Verbot der Freisetzungen und der kommerziellen
Nutzung von gentechnisch veränderten Pflanzen einzusetzen, die mittels der
so genannten Genetic Use Restriction Technology (GURT; so genannte Ter-
minator-Technologie) entwickelt wurden.

Berlin, den 5. April 2006

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

Begründung

Im Falle der für Deutschland zugelassenen Sorten aus dem gentechnisch verän-
derten Mais MON810 liegen juristische Bedenken vor, wonach für MON810
keine ordnungsgemäße EU-gentechnikrechtliche Zulassung als Saatgut vorliegt.
Diese Rechtsauffassung teilte auch das ehemalige Bundesministerium für Ver-
braucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft (inzwischen: Bundesministe-
rium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz). Darüber hinaus ist
die gentechnikrechtliche Inverkehrbringungsgenehmigung für MON810 noch
auf der Basis inzwischen veralteter EU-rechtlicher Vorschriften erteilt worden,
so dass die Bestimmungen der inzwischen in Kraft getretenen neuen Zulas-
sungs- und Kennzeichnungsverordnungen (VO (EG) Nr. 1829 und 1830/2003)

und der neuen Freisetzungsrichtlinie (2001/18/EG) nicht eingehalten werden.
Entgegen den Behauptungen der EU-Kommission entspricht auch der von

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Monsanto vorgelegte Monitoring-Plan nicht den derzeitigen EU-rechtlichen
Anforderungen.

Im Rahmen des Zulassungsverfahrens für gentechnisch veränderte Organismen
der Europäischen Union werden von den antragstellenden Unternehmen unter
anderem Fütterungsstudien mit Tieren durchgeführt, mit denen mögliche ge-
sundheitliche Auswirkungen von gentechnisch veränderten Organismen (so-
wohl für Menschen als auch Tiere) festgestellt werden sollen. In einigen Fällen
gibt es inzwischen berechtigte Zweifel daran, ob diese Fütterungsstudien den
notwendigen wissenschaftlichen Standards genügen, vor allem im Hinblick auf
die Art der statistischen Methoden, und ob bestimmte biologische Effekte über-
sehen wurden. Um eine unabhängige Überprüfung der Fütterungsstudien zu ge-
währleisten, sollten die im Rahmen des Zulassungsverfahrens durchgeführten
Fütterungsstudien öffentlich zugänglich sein.

Neue Informationen im Hinblick auf die Gefährdung von Mensch und Umwelt
gibt es in besonderem Maße bei dem inzwischen zur Inverkehrbringung zuge-
lassenen gentechnisch veränderten Mais MON863. Auch Deutschland hatte im
Rahmen des EU-rechtlichen Verfahrens der Zulassung von MON863 zuge-
stimmt. Nachdem erst im Juni 2005 die im Rahmen des Zulassungsverfahrens
durchgeführten Fütterungsstudien per Gerichtsbeschluss der Umweltorganisa-
tion Greenpeace für eine Prüfung zur Verfügung gestellt wurden, liegen inzwi-
schen Stellungnahmen namhafter Experten vor, die unter anderem darauf hin-
weisen, dass die statistische Auswertung der Versuche den notwendigen Stan-
dards nicht genügen.

Inzwischen wurden unter anderem von Greenpeace aber auch von Mitgliedern
des Europäischen Parlaments weitere Anträge auf Zugang zu Akten gestellt.
Diese umfassen Einsicht in Fütterungsstudien zu EU-Anträgen zu den Produk-
ten GT 73, NK603, MON810, sowie zu den Hybridprodukten von MON863 und
Bt Mais 1507. In den meisten dieser Fälle wurden im Vergleich zu normalen
Pflanzen signifikante Effekte der gentechnisch veränderten Pflanzen im Tierver-
such festgestellt. Um zu überprüfen, ob diese Studien ordnungsgemäß durchge-
führt und ausgewertet wurden, ist der Zugang zu den Akten essentiell. Die Er-
gebnisse dieser Fütterungsstudien, die für eine Beurteilung der vorhersehbaren
Wirkungen, insbesondere schädliche Auswirkungen auf die menschliche Ge-
sundheit und die Umwelt, notwendig sind, fallen nach Auffassung des Gerichts
auch nicht unter die vertraulich zu behandelnden Betriebs- und Geschäftsge-
heimnisse im Gentechnikrecht im Sinne des § 17a Abs. 2 Nr. 6 GenTG (Ober-
verwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen 8. Senat, Beschluss vom
20. Juni 2005, Az.: 8 B 940/05).

Auf der Basis einer Schutzklausel in der inzwischen novellierten Freisetzungs-
richtlinie (Artikel 16 der Richtlinie 90/220/EG) hatte die damalige Gesundheits-
ministerin Andrea Fischer im Jahr 2000 erwirkt, dass die EU-rechtliche Geneh-
migung für den Anbau der gentechnisch veränderten Maislinie Bt176 in
Deutschland ruht. Weder im Hinblick auf den Schlichtungsentscheid der Welt-
handelsorganisation zu den nationalen Anbauverboten innerhalb der EU noch
die Novellierung der Freisetzungsrichtlinie – die ebenfalls eine Schutzklausel in
Artikel 23 der Richtlinie 2001/18/EG vorsieht – rechtfertigen, dass Deutschland
das nationale Anbauverbot für Bt176 nicht aufrechterhält.

Es bestehen weiterhin wissenschaftlich belegte Anhaltspunkte für negative Aus-
wirkungen der hohen Konzentration des Insektengiftes in Bt176-Mais auf
Nichtzielorganismen und den Boden. Weiterhin bestehen grundsätzlich Beden-
ken gegen den Einsatz von Bt176, da die EU-rechtliche Genehmigung auf in-
zwischen veralteten Rechtsgrundlagen (nach Richtlinie 90/220/EG) erteilt
wurde. So enthält Bt176 ein Gen, das eine Resistenz gegen das Antibiotikum

Ampicillin vermittelt. Antibiotikaresistenzgene sind in der Entwicklungsphase
von gentechnisch veränderten Pflanzen aus technischen Gründen eingesetzt

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worden. Ihre Verwendung wird aber in der Europäischen Union schrittweise ein-
gestellt. So lief für das Inverkehrbringen von gentechnisch veränderten Organis-
men, die Ampicillin-Resistenzgene enthalten, diese Frist bereits am 31. Dezem-
ber 2004 ab. Weiterhin ist die Nutzung von Bt176 – entgegen den Vorgaben der
inzwischen novellierten Freisetzungsrichtlinie (2001/18/EG) – weder an ein
Monitoring noch an Auflagen wie Nutzungseinschränkungen in Schutzgebieten
oder ökologisch sensiblen Gebieten gebunden. Zudem läuft die EU-rechtliche
Genehmigung für Bt176 zum Ende des Jahres 2006 aus. Derzeit wird die Erneu-
erung der Zulassung von Bt176 von den zuständigen EU-Gremien geprüft. Die
oben genannten Gründe – vor allem die gentechnisch vermittelte Resistenz
gegen das Antibiotikum Ampicillin – sprechen deutlich gegen eine erneute Zu-
lassung von Bt176.

Es gibt ernst zu nehmende wissenschaftliche Hinweise darauf, dass gentech-
nisch veränderter Raps nicht koexistenzfähig ist. So wird in mehreren wissen-
schaftlichen Studien auf das sehr hohe Auskreuzungspotenzial von Raps hinge-
wiesen (vgl. u. a. Farm Scale Evaluations, Ramsay et al. 2003; Rieger et al.
2002). Zudem erhöht sich beim Anbau von Raps das Verbreitungspotenzial von
Transgenen von Jahr zu Jahr. Dadurch können sich über längere Zeiträume hohe
Anteile gentechnischer Veränderungen in der Ernte ergeben. Dieses Ergebnis
zeigte auch eine im Rahmen der Biologischen Sicherheitsforschung durch das
Bundesministerium für Bildung und Forschung finanzierte Modellrechnung zur
Ausbreitung von Rapstransgenen auf Landschaftsebene, die an der Universität
Kiel durchgeführt wurde. Ohne eine regionale Trennung zwischen gentechnisch
verändertem und konventionellem Raps würde selbst bei Einhaltung von Isola-
tionsabständen bis zu einer Schlagbreite konventionelles Saatgut systematisch
mit Beimengungen von Rapstransgenen verunreinigt (www.biosicherheit.de;
Forschungsverbund GenEERA – Generische Erfassungs- und Explorationsme-
thoden der Raps-Ausbreitung (Brassica napus L.), 2002–2004).

Gentechnisch veränderte Pflanzen, die auf der Basis der Genetic Use Restriction
Technology (GURT; so genannte Terminator-Technologie) entwickelt werden,
sind weltweit umstritten und unter anderem im Rahmen der Konvention über die
Biologische Vielfalt (CBD) geächtet. Diese Pflanzen sind gentechnisch so ver-
ändert, dass sie – in Kombination mit bestimmten Chemikalien – unfruchtbare
Körner bilden. Die Fertilität der Pollen wird von der GURT-Technologie nicht
eingeschränkt, so dass diese Pflanzen auskreuzungsfähig sind. Wissenschaftlich
gibt es eine Reihe von Fehlerquellen bei den Funktionsmechanismen der Pflan-
zen, so dass die ökologischen und gesundheitlichen Risiken durch GURT-Pflan-
zen nicht abschätzbar sind. Unter anderem besteht – vor allem, da die Pollen der
Pflanzen nicht steril sind – durch Auskreuzung die Gefahr, dass die Unfrucht-
barkeit auf andere Pflanzen übertragen werden kann. Zudem werden große so-
zioökonomische Risiken für Bauern in der ganzen Welt befürchtet – unter ande-
rem durch die Abhängigkeit von Saatgutkonzernen durch den erzwungen Nach-
kauf von Saatgut, durch die Ausbreitung von Terminatorgenen auf Nachbar-
felder oder durch das mutwillige Vertauschen von normalem mit sterilem
Saatgut. Zudem wird in einigen Kulturkreisen die absichtliche Herstellung der
Unfruchtbarkeit von Pflanzen als Verstoß gegen die Würde der Natur betrachtet.

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