BT-Drucksache 16/116

Ausspähung von Journalisten durch den Bundesnachrichtendienst

Vom 29. November 2005


Deutscher Bundestag Drucksache 16/116
16. Wahlperiode 29. 11. 2005

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Petra Pau, Jan Korte, Ulla Jelpke und der Fraktion DIE LINKE.

Ausspähung von Journalisten durch den Bundesnachrichtendienst

Im Sommer 1993 veröffentlichte der Journalist Erich Schmidt-Eenboom sein
Buch „Schnüffler ohne Nase. Der BND – die unheimliche Macht im Staate“, in
dem er sich auf Quellen innerhalb des Dienstes berufen hatte.

Das Buch offenbarte der Führung des Bundesnachrichtendienstes (BND), dass
es innerhalb des Dienstes ein „Leck“ geben muss, dass Mitarbeiter des Dienstes
offensichtlich Geheimnisverrat begangen hatten.

Unter dem Vorwand, dieses „Leck“ zu schließen, wurde der Journalist und
Buchautor Erich Schmidt-Eenboom und auch das von ihm geleitete Forschungs-
institut für Friedenspolitik in Weilheim von 1993 bis März 1996 – auch mit dem
Einsatz technischer Mittel – ausgespäht. Das Altpapier des Instituts wurde vom
BND bis in das Jahr 2003 ausgewertet. Erich Schmidt-Eenboom wurde auch auf
mindestens zwei Reisen vom BND beschattet. Eine dieser Reisen führte ihn
nach Bonn zum Plutonium-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundes-
tages.

Im Rahmen dieser Operation des BND, die offenbar unter dem Namen „Empo-
rio“ (laut Lexikon bedeutet der Begriff „emporio“: „Handelszentrum“, „Kauf-
haus“) lief (Süddeutsche Zeitung, 24. November 2005), wurde eine ganze Reihe
weiterer Journalisten über längere Zeiträume bis in den privaten Bereich hinein
ausgeforscht. Offenbar hat der BND bei dieser Operation „Emporio“ auch Ab-
geordnete mit ins Visier genommen.

Mittlerweile räumt der Präsident des BND, Dr. August Hanning, ein, dass die
Tätigkeit des BND „unverhältnismäßig und deshalb rechtswidrig“ gewesen sei
(Süddeutsche Zeitung, 24. November 2005).

Wir fragen die Bundesregierung:

1. War die Ausforschung von Erich Schmidt-Eenboom Teil einer größeren Ope-
ration („Operation Emporio“), die sich insgesamt gegen die Weitergabe von
oder gegen den Handel mit vertraulichen BND-Dokumenten richtete, und
wenn ja, wann wurde diese Operation von wem und mit welchem Ziel veran-
lasst?
2. Welcher Schaden ist dem BND nach Kenntnis der Bundesregierung durch
das Buch „Schnüffler ohne Nase“ entstanden, und wie wurde die Arbeit des
BND durch das Buch beeinträchtigt?

3. Wie wurden die Auswirkungen der Veröffentlichung des Buches auf die
Arbeit des BND von der Führung des BND bewertet?

Drucksache 16/116 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

4. Wie wurden die Auswirkungen der Veröffentlichung des Buches auf die
Arbeit des BND vom damaligen Geheimdienstkoordinator des Bundes-
kanzleramtes bewertet?

5. Wurden vom Bundeskanzleramt rechtliche Schritte gegen den Autor des
Buches eingeleitet, und wenn ja, welche?

Wenn nein, warum hat man dies unterlassen?

6. Treffen Äußerungen von Erich Schmidt-Eenboom im Radiosender „radio-
eins“ vom 20. November 2005 zu, dass er damals lediglich eine 10-Punkte
umfassende Unterlassungserklärung vom BND erhalten habe, mit der ihm
untersagt werden sollte, bestimmte Aussagen aus seinem Buch zu wieder-
holen, und dass, nach dem der Rechtsanwalt von Erich Schmidt-Eenboom
den BND darauf hingewiesen hatte, dass die rechtlich zuständige Stelle für
eine derartige Unterlassungserklärung das Bundeskanzleramt sei, das Bun-
deskanzleramt ihm eine derartige Unterlassungserklärung nicht vorgelegt
habe?

7. Wurde der Geheimnisverrat von BND-Mitarbeitern im Zusammenhang mit
der Veröffentlichung des Buches zwischen Vertretern des Bundeskanzler-
amtes und der Führung des BND erörtert, und wenn ja, wann, und mit wel-
chem Ergebnis?

8. Welche Anstrengungen hatte der BND, gegebenenfalls in Abstimmung mit
dem Bundeskanzleramt, unternommen, um im eigenen Haus aufzuklären,
wie Dokumente auf welchem Wege entwendet werden konnten?

9. Wurden Mitarbeiter des BND in diesem Zusammenhang überprüft und ob-
serviert, und wenn ja, wie lange und mit welchen technischen Mitteln und
mit wie vielen Beamten?

10. Welche präventiven Maßnahmen wurden wann ergriffen, um die Sicherheit
der Daten und Akten in der Behörde zu erhöhen?

11. Trifft es zu, dass der jetzige BND-Präsident Dr. August Hanning im Jahr
1994 im Bundeskanzleramt als Gruppenleiter in der Abteilung Geheim-
dienste-Aufsicht fungierte (vgl. DIE WELT, 9. November 2005)?

Wenn nein, welche Funktion hatte er in diesem Zeitraum inne?

12. Wurden ausländische Journalisten in diesem Zusammenhang ausgeforscht,
und wenn ja, wie viele Journalisten wurden ausgeforscht (bitte nach
Ländern auflisten)?

13. Welche technischen Mittel wurden in welchem Umfang und in welchem
Zeitraum zur Ausspähung von Erich Schmidt-Eenboom und seinem
Forschungsinstitut für Friedenspolitik in Weilheim eingesetzt, und wie viele
Beamte und Mitarbeiter des BND waren daran mit welchem Zeitaufwand
beteiligt?

14. Wurde der Post- und Telekommunikationsverkehr von Erich Schmidt-
Eenboom und dem Forschungsinstitut für Friedenspolitik in Weilheim über-
wacht, und wenn ja, in welchem genauen Zeitraum und wie viele Personen
waren davon betroffen?

15. Wurde im Rahmen der Operation der Überwachung von Erich Schmidt-
Eenboom, dem Forschungsinstitut in Weilheim und weiterer Journalisten
mit anderen in- und ausländischen Diensten, Behörden und Ämter zusam-
mengearbeitet, und wenn ja, mit welchen Behörden, Diensten, Ämtern und
zu welchem genauen Zweck (bitte genau auflisten)?

16. Waren auch Abgeordnete aus Landtagen und dem Deutschen Bundestag

direkt und/oder indirekt von der Operation der Ausforschung von Erich
Schmidt-Eenbooms und dessen Forschungsinstituts für Friedenspolitik

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/116

sowie weiterer Journalisten betroffen, und wenn ja, wie viele Abgeordnete
(bitte aufschlüsseln nach Landtagen und Deutschen Bundestag) waren
dadurch betroffen?

17. Aus welchem Grunde und mit welchem konkreten Auftrag wurde die Reise
von Erich Schmidt-Eenboom zum Plutonium-Untersuchungsausschuss
nach Bonn von BND-Mitarbeitern ausgespäht (vgl. Interview im „rbb-Info-
radio“ am 22. November 2005)?

18. Wurden bei der Observation der Reise zum Plutonium-Untersuchungsaus-
schuss technische Mittel eingesetzt, und wenn ja, welche?

19. Welches waren die Ergebnisse dieser Ausspähung der Reise zum Pluto-
nium-Untersuchungsausschuss?

20. Wie viele Abgeordnete des Deutschen Bundestages (und ihre Mitarbeiter)
waren von dieser Observation direkt oder indirekt betroffen?

21. Wie erklärt die Bundesregierung die Tatsache, dass dem Präsidenten des
BND, Dr. August Hanning, vom Abteilungsleiter Sicherheit mitgeteilt wur-
de, dass die Aktenlage des BND bezüglich der Ausspähung und der Opera-
tion gegen Erich Schmidt-Eenboom, dem Forschungsinstitut für Friedens-
politik in Weilheim sowie der weiteren Ausforschung von Journalisten
„unvollständig“ ist (Pressemitteilung des BND vom 13. November 2005)?

22. In welchem Umfang fehlen beim BND Daten, Akten, Bild- und Filmmate-
rial und weitere Unterlagen bezüglich der betreffenden Operation und wie
erklärt die Bundesregierung dies?

23. Welche politischen und rechtlichen Konsequenzen zieht die Bundesregie-
rung aus diesen langjährigen Verstoß gegen rechtliche Bestimmungen vor
dem Hintergrund, dass selbst der BND-Präsident mittlerweile erklärt, dass
die Operation zur Ausforschung von Erich Schmidt-Eenboom, dem For-
schungsinstitut für Friedenspolitik in Weilheim und weiterer Journalisten
„unverhältnismäßig und deshalb rechtswidrig“ gewesen sei (Süddeutsche
Zeitung, 24. November 2005)?

Berlin, den 24. November 2005

Petra Pau
Jan Korte
Ulla Jelpke
Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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