BT-Drucksache 16/11592

Hausrechtseinsätze der Bundeswehr

Vom 7. Januar 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/11592
16. Wahlperiode 07. 01. 2009

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Paul Schäfer (Köln), Sevim Dag˘delen, Heike Hänsel,
Inge Höger, Jan Korte, Petra Pau und der Fraktion DIE LINKE.

Hausrechtseinsätze der Bundeswehr

Zur Absicherung von Veranstaltungen lässt sich die Bundeswehr häufig das
Hausrecht für zivile Objekte bzw. öffentliche Räume übertragen. Der Einsatz
von 110 bewaffneten Soldaten bei der Münchner Sicherheitskonferenz hat im
vergangenen Jahr erhebliches Aufsehen verursacht.

Solche Einsatzgelegenheiten sind jedoch weitaus zahlreicher. Einer Auflistung
des Bundesministeriums der Verteidigung (BMVg) vom 29. Mai 2008 zufolge
gab es seit 2005 mindestens 824 derartige Einsätze.

Problematisch erscheint dies zumindest dann, wenn Objekte bzw. Räume
außerhalb militärischer Liegenschaften betroffen sind. Dennoch übernehmen
Soldaten aus Anlass von Konferenzen und Fachtagungen, an denen hohe Mili-
tärs aus dem In- und Ausland teilnehmen, häufig das Hausrecht in Hotels.
Hinzu kommen „Hausrechtseinsätze“ anlässlich von öffentlichen Gelöbnissen
oder anderen Militärveranstaltungen, aber auch anlässlich von Veranstaltungen
mit überwiegend nichtmilitärischem Charakter.

So wird der Hildesheimer Domplatz regelmäßig aus Anlass des katholischen
„Weltfriedenstages“ von der Bundeswehr in Beschlag genommen, dabei sind
jeweils acht Soldaten mit Handfeuerwaffen im Einsatz. Auch wenn die Bundes-
wehr lediglich einer von vielen Gästen ist, erhält sie ein Hausrecht, sei es am
„Tag der Niedersachsen“ 2005 in Wolfsburg (neun Bewaffnete) oder am
„Rheinland-Pfalz-Tag“ 2006 in Speyer (sechs bewaffnete Soldaten). Auch Ver-
anstaltungen wie „Open Ship“ und „Sail“ werden zur Hausrechtsübertragung
an Soldaten genutzt.

Diese Verwendungen dienen laut Bundesregierung dazu, „einen sicheren und
ungestörten Ablauf der Veranstaltung zu gewährleisten und das eingesetzte Per-
sonal und Material der Bundeswehr vor Übergriffen zu schützen und Schaden
von nicht bundeswehrangehörigen Gästen und sonstigen Anwesenden fern zu
halten“ (Schreiben des BMVg vom 29. Mai 2008).

Die Vermischung von Eigenschutz (im Sinne von Artikel 87a des Grund-
gesetzes – GG) und faktisch polizeilichen Aufgaben verkennt die verfassungs-
rechtliche Problematik. Der Schutz von Tagungshotels wie auch von Ausstel-

lungen ist zuallererst eine Aufgabe der Polizei. Die Ansicht der Bundesregie-
rung, es handele sich um unproblematische Verwendungen, weil die eingesetz-
ten Soldaten nicht mehr Rechte als jeder Hausherr hätten, führt in die Irre, da
weder private Hausrechtsinhaber noch Messeaussteller über Einheiten von
Pistolenträgern verfügen. Benötigen sie Schutz, ist die Polizei gefragt, in Frage
käme auch die Heranziehung eines privaten Wachschutzes, der zumindest poli-
tisch wie wirtschaftlich neutral wäre.

Drucksache 16/11592 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Die verfassungsrechtliche Problematik ist womöglich auch der Bundesregie-
rung bewusst. Im Februar 2008 versuchte der Vertreter des Bundesministeriums
der Verteidigung in der Sitzung des Innenausschusses, die Dimension herunter-
zuspielen: Es handele sich beim Hausrechtseinsatz zur Münchner Sicherheits-
konferenz um eine „Ausnahmesituation“, die keinesfalls den Regelfall dar-
stelle. Angesichts von 824 derartigen Einsätzen in knapp zweieinhalb Jahren ist
diese Aussage offenkundig falsch.

Faktisch werden den Soldaten polizeiliche Aufgaben übertragen, der öffentliche
Raum wird militarisiert. Die vergleichsweise engen Möglichkeiten, die das
Gesetz über die Anwendung unmittelbaren Zwanges und die Ausübung beson-
derer Befugnisse durch Soldaten der Bundeswehr und verbündeter Streitkräfte
sowie zivile Wachpersonen (UZwGBw) der Bundeswehr einräumt, „aus Grün-
den der militärischen Sicherheit zur Erfüllung dienstlicher Aufgaben der Bun-
deswehr“ einen militärischen Sicherheitsbereich einzurichten, werden genauso
unterlaufen wie die Absicht des Artikel 87a GG, Inlandseinsätze auf ein Mini-
mum zu beschränken.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Auf welcher Rechtsgrundlage basiert die Annahme der Bundesregierung,
es sei Aufgabe der Bundeswehr, „einen sicheren und ungestörten Ablauf“
zu gewährleisten, und inwiefern trifft das auch auf Veranstaltungen überwie-
gend nichtmilitärischen Charakters zu?

2. Wie beurteilt die Bundesregierung die rechtliche Problematik von „Haus-
rechtseinsätzen“ durch die Bundeswehr?

3. Inwiefern findet innerhalb der Bundeswehr eine Zulässigkeitsprüfung von
Hausrechtseinsätzen statt, und inwiefern wird hierbei zwischen dem Haus-
recht in Objekten des Bundes, Objekten in Privatbesitz und öffentlichem
Straßenland sowie dem Charakter der Veranstaltung unterschieden?

4. Wer trifft die Entscheidung darüber, ob die Bundeswehr die Übernahme des
Hausrechts beantragt oder ob sie einem solchen Antrag stattgibt, und nach
welchen Kriterien erfolgt eine solche Entscheidung?

5. Inwiefern wird sichergestellt, dass diejenigen Soldatinnen und Soldaten, die
mit der Wahrnehmung des Hausrechts konkret betraut werden, die Rechts-
grundlagen über das UZwGBw hinaus kennen, und welche Einzelmaßnah-
men werden hierzu ergriffen?

6. Wie beurteilt die Bundesregierung die Möglichkeit, dass bei einem Haus-
rechtseinsatz von bewaffneten, uniformierten Soldaten im öffentlichen
Raum, aber auch in privaten Objekten wie Hotels, ein verfassungswidriger
„Show-of-Force-Einsatz“ vorliegt?

7. Inwiefern erscheint es aus Sicht der Bundesregierung angemessen, zur Ab-
sicherung etwa eines Werbestandes an einer Ausstellung oder an einer Ver-
anstaltung überwiegend nichtmilitärischen Charakters eine Einheit bewaff-
neter Pistolenträger abzustellen?

8. Inwiefern spielt bei der Abwägung, ob Privatveranstaltungen militärischen
Schutz in Form einer Hausrechtsübernahme der Bundeswehr erhalten, die
Frage eine Rolle, ob die Bundeswehr zum Protagonisten einer innenpoliti-
schen Auseinandersetzung wird, wie dies etwa beim G8-Gipfel oder der
Münchner Sicherheitskonferenz deutlich wird?

9. Wie häufig und bei welchen Gelegenheiten hat die Bundeswehr die Bitten
Dritter, sie möge das Hausrecht übernehmen, abschlägig beschieden und

welche Gründe waren hierfür ausschlaggebend?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/11592

10. Inwiefern reagiert die Bundeswehr auf Ersuchen Dritter, das Hausrecht für
Privatveranstaltungen wahrzunehmen, mit der Aufforderung, sich an die
Polizei oder private Wachschutzunternehmen zu wenden?

11. Ist es nach dem Rechtsverständnis der Bundesregierung für die Übernahme
des Hausrechts zwingend notwendig, dass der Anlass einen klaren militäri-
schen Bezug aufweist bzw. Angehörige der Bundeswehr oder verbündeter
Streitkräfte sich beteiligen oder wäre es auch denkbar, dass für ausschließ-
lich zivile Veranstaltungen ein Hausrecht übernommen wird, und inwiefern
war dies in der Vergangenheit der Fall?

12. Wäre es nach dem Rechtsverständnis der Bundesregierung zulässig, etwa
auf die Bitte der Deutschen Bahn AG hin das Hausrecht in Bahnhöfen zu
übernehmen, und wenn ja, welche Voraussetzungen müssten hierfür vor-
liegen, und auf welche Rechtsgrundlage könnte sich ein solcher Einsatz
stützen?

13. Inwiefern berücksichtigt die Bundeswehr bei der Entscheidung, ob bei Ver-
anstaltungen mit überwiegend nichtmilitärischem Charakter Soldaten das
Hausrecht übernehmen, das im Erlass „Arbeiten auf wirtschaftlichem
Gebiet im Ausbildungsinteresse der Truppe und im Interesse der Öffent-
lichkeitsarbeit“ enthaltene Gebot zur wirtschaftlichen Neutralität?

14. Holt die Bundeswehr, bevor sie einen Antrag auf Übernahme des Haus-
rechts bei Veranstaltungen außerhalb von Bundeswehr-Liegenschaften be-
scheidet, regelmäßig eine Unbedenklichkeitsbescheinigung der Industrie-
und Handelskammern ein, um eine wirtschaftliche Benachteiligung bei-
spielsweise von Wachschutzunternehmen auszuschließen, und wenn nein,
warum nicht?

15. Warum hat der Vertreter des BMVg im Innenausschuss am 20. Februar
2008 ausgeführt, die Übernahme des Hausrechts durch die Bundeswehr sei
eine „Ausnahmesituation“, die keinesfalls den Regelfall abbilde, wenn es
tatsächlich mindestens 824 derartige Hausrechtsübernahmen zwischen
Januar 2005 und Mai 2008 gegeben hat?

16. Beabsichtigt die Bundesregierung, sicherzustellen, dass sie von militäri-
schen Dienststellen vollständig von Hausrechtsübernahmen unterrichtet
wird, um eine rechtliche und politische Überprüfung etwa durch den
Deutschen Bundestag überhaupt erst zu ermöglichen, und wenn nein,
warum nicht?

17. Beabsichtigt die Bundesregierung Änderungen beim Genehmigungsver-
fahren, und wenn nein, warum nicht, wenn ja, welcher Art?

18. Inwiefern wäre es nach Ansicht der Bundesregierung angemessen, die Über-
tragung des Hausrechts an die Bundeswehr auf solche Fälle zu begrenzen,
die auch die Einrichtung eines militärischen Sicherheitsbereichs im Sinne
von § 2 Absatz 2 UZwGBw erlauben würden?

19. In welchen der im Schreiben des BMVg vom 29. Mai 2008 angeführten
Fälle hat die Bundeswehr von sich aus die Übernahme des Hausrechts
erbeten, und in welchen Fällen hat sie auf Anfrage hin das Hausrecht über-
nommen?

20. Wie lauteten bei diesen Fällen die jeweiligen Begründungen (bitte für jeden
Fall einzeln angeben)?

21. Welche der im genannten Schreiben angegebenen Fälle waren Veranstal-
tungen

a) ausschließlich militärischen Charakters,
b) gemischten Charakters,

c) überwiegend zivilen Charakters?

Drucksache 16/11592 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
22. Wie oft hat die Bundeswehr seither solche Hausrechtseinsätze wahrgenom-
men?

a) Um welche Veranstaltungen handelte es sich dabei, und waren diese
ausschließlich militärischen/gemischten oder überwiegend zivilen Cha-
rakters?

b) Welche Räume bzw. Objekte waren genau betroffen?

c) Bei welchen dieser Veranstaltungen hat die Bundeswehr von sich aus
das Hausrecht beantragt, und bei welchen hat sie entsprechende Er-
suchen positiv beschieden?

23. Werden zur Übernahme des Hausrechts ausschließlich Feldjäger eingesetzt
oder auch andere Soldaten, und inwiefern sind hiervon auch Grundwehr-
dienstleistende bzw. freiwillig länger dienende Grundwehrdienstleistende
betroffen?

Berlin, den 5. Januar 2009

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.