BT-Drucksache 16/11587

Einsatz der Bundeswehr bei der Münchner Sicherheitskonferenz 2009 und Verwendung von Bundesmitteln

Vom 7. Januar 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/11587
16. Wahlperiode 07. 01. 2009

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Paul Schäfer (Köln), Heike Hänsel, Petra Pau
und der Fraktion DIE LINKE.

Einsatz der Bundeswehr bei der Münchner Sicherheitskonferenz 2009 und
Verwendung von Bundesmitteln

Die Münchner Sicherheitskonferenz, an der sich Politiker vornehmlich aus
Nato-Staaten über aktuelle und künftige Kriege bzw. Konfliktszenarien aus-
tauschen, ist seit Jahren Schauplatz eines de-facto-Inlandseinsatzes der Bundes-
wehr. Dessen Ausmaße werden immer größer: Waren im Jahre 1997 noch
115 Soldaten eingesetzt, waren es im vergangenen Jahr (2008) bereits 420 Bun-
deswehrsoldaten.

Besonders sensibel ist dabei der Einsatz von 110 bewaffneten Feldjägern, die
das Hausrecht im Tagungshotel „Bayerischer Hof“ ausüben. In der Öffentlich-
keit stieß diese schon seit Jahren praktizierte Maßnahme im vergangenen Jahr
auf besonders starke Kritik bei sämtlichen Oppositionsparteien und auch bei der
SPD. Der Einsatz überschreite „die Grenze, die das Grundgesetz zieht“, sagte
die innenpolitische Sprecherin der Fraktion der FDP, Gisela Piltz, und der
Innenexperte der Fraktion der SPD, Klaus Uwe Benneter, forderte, dem verfas-
sungswidrigen Einsatz müsse „Einhalt geboten werden“ (SPIEGEL ONLINE,
8. Februar 2008; Süddeutsche Zeitung, 7. Februar 2008). Diese Kritik wurde
auch in der Sitzung des Innenausschusses vom 20. Februar 2008 wiederholt.

Sinn des Feldjägereinsatzes ist in erster Linie, die Sicherheit des Tagungs-
hotels bzw. der Tagungsteilnehmerinnen und -teilnehmer zu gewährleisten. Ein
Vertreter des Bundesministeriums der Verteidigung (BMVg) argumentierte im
Innenausschuss des Deutschen Bundestages am 20. Februar 2008, der Bundes-
wehreinsatz sei „effektiver“, als die anwesenden hochrangigen Personen von
individuellen Personenschützern bewachen zu lassen. Das Effektivitätskrite-
rium vermag allerdings die verfassungsrechtlichen Regelungen nicht auszuhe-
beln. Objektschutz und Personenschutz sind, zumindest außerhalb militärischer
Liegenschaften und für Nichtmilitärs, eine typisch polizeiliche Aufgabe.
Nimmt die Bundeswehr sie wahr, handelt es sich um einen Einsatz, der jedoch
von den im Grundgesetz genannten Bestimmungen (Artikel 87a, Artikel 35)
nicht gedeckt ist. Zudem ist nicht ersichtlich, warum es für den Personenschutz
notwendig sein sollte, das Hausrecht übertragen zu bekommen.

Die Ausgestaltung des Hausrechtseinsatzes in München kollidiert auch mit
einfach- und untergesetzlichen Regelungen. Das „Gesetz über die Anwendung
unmittelbaren Zwanges […]“ greift nur bei Straftaten gegen Bundeswehrange-
hörige bzw. Angehörige befreundeter Militärs; die Übernahme des Hausrechts
findet sich dort gar nicht. Auch die Bestimmungen, die im Erlass „Arbeiten auf
wirtschaftlichem Gebiet im Ausbildungsinteresse der Truppe und im Interesse
der Öffentlichkeitsarbeit“ enthalten sind, vermögen den Hausrechtseinsatz

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nicht zu begründen, da dieser offenkundig weder einem Ausbildungszweck
dient noch zur Öffentlichkeitsarbeit der Truppe erforderlich ist.

Auch die sonstigen Unterstützungsleistungen der Bundeswehr etwa im Bereich
der Öffentlichkeitsarbeit erscheinen problematisch, genauso wie die Förderung
durch das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung. Obwohl an der
Konferenz überwiegend Vertreter von Staaten teilnehmen, die völkerrechts-
widrige Angriffskriege wie im Irak oder in Jugoslawien führen bzw. geführt
haben, wird sie von der Bundesregierung mit mehreren Hunderttausend Euro
finanziert. Dieser Betrag steigt permanent: 1998 wurden noch 100 000 Euro
aus Mitteln des Presse- und Informationsamtes zugeschossen, 2007 waren es
bereits 341 000 Euro.

Die nächste Sicherheitskonferenz findet vom 6. bis 8. Februar 2009 wiederum
in München statt. Nach Angaben des Leiters werden „mindestens ein Dutzend
Staats- und Regierungschefs sowie Leiter wichtiger internationaler Organisatio-
nen erwartet. Zudem rechne er mit der Teilnahme von mehr als 30 Außen- und
Verteidigungsministern“ (dpa-Meldung vom 1. Dezember 2008).

Wir fragen die Bundesregierung:

I. Formen und Kosten der Unterstützung

1. Wie viele Bundeswehrsoldaten werden im Jahr 2009 insgesamt in Zusam-
menhang mit der Konferenz eingesetzt?

a) Von welchen Truppengattungen stammen diese?

b) Was sind die vorgesehenen Einsatzorte und -zeiten?

c) Was sind die Aufgaben der Soldaten?

d) Wann hat der Veranstalter der Sicherheitskonferenz die Unterstützungs-
anträge gestellt, und welche Dienststelle der Bundeswehr hat über diese
entschieden?

e) Auf welchen Rechtsgrundlagen (Gesetzen, Erlassen, Verordnungen) be-
ruht der Einsatz der Bundeswehr?

2. Welche Kosten sind für den Einsatz der Bundeswehr anlässlich der Konfe-
renz im Jahr 2008 angefallen (bitte nach Einzelrubriken aufgliedern), welche
Kosten werden für 2009 eingeplant, und worin bestehen die wesentlichen
Veränderungen?

3. Ist beabsichtigt, diese Kosten dem Veranstalter in Rechnung zu stellen, und
wenn nein, warum nicht, und wer hat diese Entscheidung getroffen?

4. Welche über den Bundeswehreinsatz hinausgehenden Förderungen sind für
die Konferenz aus Bundesmitteln vorgesehen, und aus welchen Ressort-
budgets werden diese bestritten?

a) Für welche Einzelposten werden die bereitgestellten Mittel veranschlagt
(bitte detailliert darlegen)?

b) Worin bestehen die wesentlichen Veränderungen zum Vorjahr, und wie
begründen sich diese?

5. Welche Unterstützung leistet die Bundeswehr im Bereich der Presse- und
Öffentlichkeitsarbeit?

a) Um welche Art der Unterstützung handelt es sich genau?

b) Wie viele Soldaten werden für die einzelnen Unterstützungsbereiche ver-
wendet?

c) Welche Kosten entfallen jeweils auf die einzelnen Arbeitsbereiche?

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6. Handelt es sich bei sämtlichen vorgesehen Militärverwendungen um die
Erfüllung von Unterstützungsersuchen des Konferenzveranstalters oder
liegen von weiteren Personen bzw. Organisationen Unterstützungsersuchen
vor, und wenn ja, welche genau?

7. Sind in Zusammenhang mit der Münchner Sicherheitskonferenz Amtshilfe-
anträge gestellt worden, und wenn ja, von wem an wen, was beinhalten sie,
und welche Entscheidungen sind hierüber getroffen worden?

8. Wird anlässlich der Konferenz ein militärischer Sicherheitsbereich ein-
gerichtet, und wenn ja, wo, für welchen Zeitraum, mit welcher Begründung
und für welchen Zweck?

9. Welche Dienststellen der Bundeswehr sind insgesamt mit Aufgaben in
Zusammenhang mit der Sicherheitskonferenz betraut oder in Bereitschaft
gehalten?

10. Wie viele Bundespolizisten werden in diesem Jahr in Zusammenhang mit
der Konferenz eingesetzt (bitte aufgliedern nach Zahl der Bundespolizisten,
Verwendungszweck, genauem Einsatzort und Kosten, sowie die Ver-
gleichszahlen aus dem Jahr 2008 angeben)?

11. Inwiefern sind (welche) Planungs-, Lage-, Analyse- und sonstige Stäbe von
Sicherheitsbehörden in Zusammenhang mit der Konferenz mit Aufgaben
betraut worden oder tätig geworden?

12. Werden neben Militär- und Polizeieinheiten auch weitere, zivile Organisa-
tionen in Zusammenhang mit der Konferenz eingesetzt, und wenn ja, für
welche Aufgaben, auf wessen Verlangen oder Ersuchen, welche Kosten
entstehen hierbei und wer trägt diese?

13. Inwiefern werden in Zusammenhang mit der Konferenz Strukturen der
Zivil-Militärischen Zusammenarbeit beansprucht?

14. Welche Unterstützung leisten private Sponsoren für die Konferenz?

II. Hausrechtseinsatz der Bundeswehr

15. Wie viele Bundeswehrsoldaten werden in diesem Jahr zur Ausübung des
Hausrechts im Tagungshotel eingesetzt?

a) Von wem ging zu welchem Zeitpunkt die Initiative für die Übertragung
des Hausrechts an die Bundeswehr aus?

Falls die Bundeswehr von sich aus die Übertragung des Hausrechts er-
beten hat: Warum hat sie das getan?

b) Wann hat welche Dienststelle der Bundeswehr entschieden, das Haus-
recht zu übernehmen, und aus welchem Grund?

16. Welche mündlichen und/oder schriftlichen Absprachen existieren zwischen
Bundeswehr, Hotel, Konferenzveranstalter und ggf. weiteren Beteiligten
hinsichtlich der Übertragung des Hausrechts an die Bundeswehr, und wie
ist der Wortlaut dieser Absprachen (falls sich die Bundesregierung daran
gehindert sieht, den Wortlaut bekanntzugeben, bitte die Gründe hierfür an-
geben und die Absprachen resümieren)?

17. Über welche Bewaffnung verfügen die das Hausrecht wahrnehmenden
Soldaten (bitte Waffentypen nennen)?

18. Nimmt die Bundeswehr auch außerhalb des Tagungshotels Hausrechts-
aufgaben und/oder weitere exekutive, obrigkeitliche Kompetenzen wahr
(bitte ggf. detailliert ausführen und die entsprechenden Orte, Objekte bzw.
Räume nennen)?

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19. Auf welche Bereiche des Tagungshotels hat sich das Hausrecht im ver-
gangenen Jahr erstreckt (bitte ggf. Etagen und Raumnummern angeben)?

a) Bedeutet das, dass die Soldaten sich nur in diesen Bereichen aufgehalten
haben, oder haben sie weitere Räumlichkeiten bzw. Orte bestreift bzw.
bewacht, und wenn ja, welche?

b) Gab es anlässlich der Sicherheitskonferenz 2008 sicherheitsrelevante
Vorfälle im Hausrechtsbereich der Bundeswehr, und wenn ja, welche?

20. Inwiefern greift die Bundesregierung die im Vorjahr aufgekommene, auch
im Innenausschuss des Deutschen Bundestages in der Sitzung vom
20. Februar 2008 formulierte Kritik am Hausrechtseinsatz der Bundeswehr
auf?

21. Inwiefern ist es Aufgabe der Bundeswehr, Personenschutz für Bundes-
wehrangehörige und Nichtbundeswehrangehörige außerhalb militärischer
Liegenschaften zu gewährleisten?

22. Inwiefern unterscheidet sich der Hausrechtseinsatz der Bundeswehr von
dem, was gemeinhin unter Objektschutz und Personenschutz fällt, und
inwiefern stimmt die Bundesregierung der Aussage des Vertreters des
BMVg im Innenausschuss des Deutschen Bundestages am 20. Februar
2008 zu, Zweck des Feldjägereinsatzes sei es gewesen, Personenschutz zu
gewährleisten (es wäre „unpraktisch“ gewesen, individuelle Personen-
schützer einzusetzen)?

23. Inwiefern hält die Bundesregierung an ihrer Aussage, das Hausrecht
verleihe der Bundeswehr keine Rechte, die über diejenigen jedes Haus-
besitzers hinausgehen, fest, angesichts der Tatsache, dass der durchschnitt-
liche Hausbesitzer nicht über eine Hundertschaft mit Pistolen bewaffneter
Helfer verfügt?

24. Warum hat die Bundesregierung nicht darauf gedrungen, dass die Aufgabe,
das Hausrecht zu schützen, ggf. durch einen privaten Wachdienst oder die
Polizei zu übernehmen sei?

25. Inwiefern ist der Hausrechtseinsatz vom Erlass „Arbeiten auf wirtschaft-
lichem Gebiet im Ausbildungsinteresse der Truppe und im Interesse der
Öffentlichkeitsarbeit“ gedeckt, dessen Artikel 1 von Tätigkeiten spricht,
die „zu den besonderen Ausbildungsgebieten und Funktionen der Truppe
gehören“, und inwiefern trifft diese Einschränkung auf die Wahrnehmung
des Hausrechts in zivilen Objekten sowie Objekt- und Personenschutz zu?

26. Inwiefern entspricht der Hausrechtseinsatz den Spezifierungen in Artikel 5
des genannten Erlasses, der fordert, dass durch die angeforderte Tätigkeit
„die Ausbildung der Truppe durch praxisnahen Einsatz wesentlich ge-
fördert wird“ und der Ausbildungszweck nicht besser auf militärischen
Übungsplätzen erreicht werden könne?

27. Hat der Antragsteller die in Artikel 5 des genannten Erlasses geforderte
Unbedenklichkeitsbescheinigung der örtlich zuständigen Industrie- und
Handelskammer und/oder Handwerkskammer vorgelegt, aus der her-
vorgeht, dass die Tätigkeit der Truppe als de-facto-Wachschutzeinheit die
Betriebe der gewerblichen Wirtschaft nicht unzumutbar beeinträchtigt, und
wenn nein, warum hat die Bundeswehr dennoch der Bitte um Wahr-
nehmung des Hausrechts stattgegeben, anstatt den Antragsteller auf das
private Wachschutzgewerbe oder ggf. die Polizei zu verweisen?

28. Hat der Antragsteller in den Vorjahren eine solche Unbedenklichkeits-
bescheinigung vorgelegt (bitte für die Jahre ab 1997 anführen)?

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29. Inwiefern sieht die Bundesregierung den Einsatz von Feldjägern als Haus-
rechtsbewahrer von Artikel 6 des Erlasses gedeckt, der „die dienstliche
Unterstützung von Veranstaltungen Dritter mit Personal und Gerät der
Bundeswehr“ nur für zulässig erklärt, wenn „die Leistungen der Bundes-
wehr in Abstimmung mit dem zuständigen Presseoffizier in der Öffentlich-
keit angemessen dargestellt werden“?

a) Welche Grundlage hat die Bundesregierung, eine „angemessene“ Dar-
stellung des Hausrechtseinsatzes in der Öffentlichkeit anzunehmen, und
auf welche Medienberichte stützt sie sich dabei?

b) Was versteht die Bundesregierung unter „angemessen“?

30. Wie bewertet die Bundesregierung das Ausschlusskriterium in Artikel 7
des genannten Erlasses, der eine Unterstützung durch die Bundeswehr aus-
schließt, wenn

a) der Antragsteller „gesellschaftspolitisch umstritten ist“,

b) das beabsichtigte Vorhaben „dem Ansehen der Bundeswehr schadet“

vor dem Hintergrund, dass die Münchner Sicherheitskonferenz seit Jahren
stark umstritten ist, wie sich nicht zuletzt an den Großdemonstrationen
gegen die Konferenz zeigt, und vor dem Hintergrund, dass insbesondere
der Hausrechtseinsatz im vergangenen Jahr vielfältige Proteste auch sol-
cher Parteien hervorgerufen hat, die der Konferenz an sich wohlwollend
gegenüberstehen, den Hausrechtseinsatz aber als verfassungswidrig be-
zeichnen?

Berlin, den 5. Januar 2009

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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