BT-Drucksache 16/11483

Folter im spanischen Staat

Vom 16. Dezember 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/11483
16. Wahlperiode 16. 12. 2008

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Kersten Naumann und der Fraktion DIE LINKE.

Folter im spanischen Staat

Anfang November 2008 hat die Menschenrechtsorganisation Amnesty Interna-
tional (ai) die spanische Regierung dringend aufgefordert, die Empfehlungen
des UN-Menschenrechtskomitees zur Prävention von Folter und Misshandlun-
gen umzusetzen. In seinem fünften periodischen Bericht zur Prüfung der Reali-
sierung des „Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte“ im
spanischen Staat hatte das UN-Menschenrechtskomitee am 27. Oktober 2008
fortdauernde Foltervorwürfe gegen Sicherheitskräfte registriert. Es wurde kriti-
siert, dass bislang keine angemessenen Maßnahmen zur Folterprävention ge-
troffen wurden, zu denen sich die spanische Regierung durch die Unterzeich-
nung des freiwilligen UN-Abkommens gegen Folter und andere grausame, un-
menschliche oder entwürdigende Behandlungen oder Bestrafungen im Jahr
2006 verpflichtet hatte (http://www.amnesty.org/en/library/info/EUR41/020/
2008/en).

Die 44 in der Koordination für Folterprävention (Coordinadora para la Preven-
ción de la Tortura) im spanischen Staat zusammengeschlossenen Menschen-
rechtsorganisationen haben mehr als 5 000 Beschwerden über Folter und Miss-
handlungen in Gefängnissen, Polizeiwachen, Jugenderziehungsheimen und
Flüchtlingslagern sowie durch Sicherheitskräfte auf öffentlichen Plätzen wäh-
rend der letzten sieben Jahre gesammelt (http://www.libertysecurity.org/IMG/
pdf_Report-CPT-to-HRIC.pdf).

Der spanische Koordinator des Komitees zur Folterprävention beim Europarat
(CPT) nannte bei der Vorlage seines Jahresberichts für 2007 die Zahl von 610
dokumentierten Beschwerden über Misshandlungen (http://www.state.gov/g/
drl/rls/hrrpt/2007/100586.htm).

Die Methoden der Folter und Misshandlung sind so angelegt, dass sie keine
bleibenden Spuren hinterlassen und später nicht bewiesen werden können. Sie
umfassen nach Aussagen der baskischen Anti-Folter-Gruppe (Torturaren
Aurkako Taldea – TAT) Schläge, das Herbeiführen von Erstickungsanfällen
durch über den Kopf gezogene Plastiktüten oder Untertauchen in Badewannen,
physische Übungen bis zum körperlichen Zusammenbruch, Elektroschocks,
sexuelle Angriffe, Scheinhinrichtungen und Schlafentzug (http://www.stoptor-
tura.com/metodoZerrendaI.php).
TAT ist der Auffassung, „dass im spanischen Staat systematisch gefoltert wird“
(http://www.raulzelik.net/textarchiv/basken/Folter.htm). Demgegenüber hält
Amnesty International die Misshandlungen durch spanische Sicherheitskräfte
zwar nicht für Routine, betont aber gleichwohl aufgrund eigener Untersuchun-
gen, dass es sich dabei keineswegs nur um seltene Ausnahmefälle unter der
Verantwortung einer Handvoll fehlgeleiteter Polizeibeamter handelt. Amnesty

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beklagt dabei eine weitestgehende Straflosigkeit von Polizeibeamten in Fällen
von Folter und anderer Misshandlung (http://www.amnesty.org/en/library/
asset/EUR41/007/2007/en/dom-EUR410072007en.html).

Seit langem kritisieren Menschenrechtsorganisationen eine gesetzliche Sonder-
bestimmung, die bei Terrorverdächtigen – in der Regel Basken oder Muslime –
eine bis zu 13 Tage dauernde Haft unter Kontaktsperre ermöglicht. Diese prisón
incomunicada sei eine „Folterungen Vorschub leistende Praxis“ (http://www.am-
nesty.de/umleitung/1998/deu03/025?lang=de%26mimetype%3dtext%2fhtml).
Bei den intensiven Verhören durch die Guardia Civil oder die Nationalpolizei
während dieser prisón incomunicada hat der Beschuldigte weder Anrecht auf ei-
nen Vertrauensanwalt noch auf die Untersuchung durch einen unabhängigen
Arzt. Der Coordinadora para la Prevención de la Tortura liegen 165 Folter-
vorwürfe während der prisón incomunicada in den Jahren 2004 bis 2007 vor
(http://www.libertysecurity.org/IMG/pdf_Report-CPT-to-HRIC.pdf). Bislang
weigert sich die spanische Regierung, der Empfehlung des UN-Menschenrechts-
komitees nachzukommen und die Zeit in der Kontaktsperre obligatorisch lücken-
los per Video dokumentieren zu lassen.

Die Mehrzahl der von Folter und Misshandlungen Betroffenen sind Aktive so-
zialer Bewegungen, Flüchtlinge sowie Migrantinnen und Migranten, Gefan-
gene und Verhaftete unter Kontaktsperre. Betroffen sind insbesondere Aktive
der baskischen Nationalbewegung, von denen sich rund 750 in Haft befinden.
Letztere leiden unter zusätzlichen Haftverschärfungen, da sie nicht heimatnah,
sondern oft hunderte oder tausende Kilometer entfernt etwa in der nordafrikani-
schen Enklave Ceuta oder auf den kanarischen Inseln inhaftiert werden. Für die
Angehörigen der Gefangenen sind Besuche nur unter großen zeitlichen und fi-
nanziellen Aufwand möglich.

Auf der Liste terroristischer Personen und Organisationen des EU-Ministerrates
werden neben der für zahlreiche Anschläge verantwortlichen bewaffneten baski-
schen Gruppierung ETA eine Reihe von baskischen Organisationen als terroris-
tisch aufgeführt, die im spanischen Staat als angebliche ETA-Frontorganisa-
tionen verboten sind, darunter die Partei Batasuna und die Gefangenenhilfsorga-
nisation Gestoras pro-amnistía. Zudem wird eine Reihe von Personen baskischer
Nationalität als ETA-Unterstützer namentlich genannt. Für eine Auflistung auf
der Terrorliste ist die Zustimmung der Bundesregierung im zuständigen Gre-
mium des Europarates erforderlich.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Inwieweit sind der Bundesregierung Berichte des UN-Menschenrechtskomi-
tees, des Komitees für Folterprävention beim Europarat sowie von Men-
schenrechtsorganisationen wie Amnesty International oder der Coordina-
dora para la Prevención de la Tortura über Folter und Misshandlungen durch
Sicherheitskräfte im spanischen Staat bekannt?

a) Wenn ja, inwieweit hält die Bundesregierung diese Berichte für glaub-
würdig?

b) Waren diese Berichte bereits Thema von Erörterungen bundesdeutscher
Behörden?

Wenn ja, zu welchem Anlass, und mit welchem Ergebnis?

2. Unterhält die Bundesregierung zur Einschätzung der Menschenrechtssitua-
tion im spanischen Staat Kontakte zu Nichtregierungsorganisationen (NRO)
aus dem Menschenrechtsbereich, und wenn ja, zu welchen?

3. Inwieweit hält die Bundesregierung die von Menschenrechtsorganisationen,

UN- und EU-Kommissionen beanstandete Praxis fortdauernder Folter und

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Misshandlungen durch Sicherheitskräfte im spanischen Staat mit der Euro-
päischen Menschenrechtskonvention (EMRK) für vereinbar?

4. Hat die Bundesregierung bereits auf bilateraler Ebene oder im Rahmen in-
ternationaler Organisationen wie der UNO oder EU Schritte unternommen,
um die spanische Regierung zur Umsetzung von Präventionsmaßnahmen
gegen Folter zu bewegen?

a) Wenn ja, welche?

b) Wenn nein, sind solche Schritte in der näheren Zukunft geplant?

5. Inwieweit sieht die Bundesregierung angesichts der Berichte über Folter und
Misshandlungen Gefangener durch Sicherheitskräfte im spanischen Staat
eine Gefahr für Personen, die aufgrund internationaler Haftbefehle aus der
Bundesrepublik Deutschland an die spanische Justiz ausgeliefert werden?

a) Wie viele Auslieferungsersuchen der spanischen Justiz aufgrund interna-
tionaler Haftbefehle wurden in den letzten zehn Jahren an die Bundes-
republik Deutschland gerichtet?

b) In wie vielen Fällen kamen deutsche Justizbehörden dem Auslieferungs-
ersuchen nach?

c) Inwieweit ist der Bundesregierung bekannt, ob ausgelieferte Personen im
spanischen Staat Folter oder sonstiger erniedrigender Behandlung von
Seiten der Sicherheitskräfte ausgesetzt waren?

d) Inwieweit bemüht sich die Bundesregierung, Kenntnis über das weitere
Schicksal von Personen zu erlangen, die von deutschen Justizbehörden
an die spanische Justiz ausgeliefert wurden?

e) Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus den Berichten
über regelmäßige Folter und Misshandlugen durch Sicherheitskräfte im
spanischen Staat für zukünftige Auslieferungsersuchen durch Justizbe-
hörden im spanischen Staat?

f) Welche Fälle sind der Bundesregierung aus den letzten zehn Jahren be-
kannt, in denen Inhaber einer Aufenthalts- bzw. Niederlassungserlaubnis,
die in der Bundesrepublik Deutschland als (politische) Flüchtlinge aner-
kannt, in Spanien aufgrund eines internationalen Haftbefehls in Ausliefe-
rungshaft genommen wurden?

6. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus den Berichten
über regelmäßige Folter und Misshandlungen durch Sicherheitskräfte im
spanischen Staat für die zukünftige Kooperation deutscher Ermittlungs- und
Justizbehörden im spanischen Staat im Rahmen der polizeilichen Amtshilfe
und Rechtshilfeersuchen seitens deutscher und spanischer Behörden?

7. Inwieweit sieht die Bundesregierung angesichts der Berichte über Folter und
Misshandlungen von Flüchtlingen durch Sicherheitskräfte im spanischen
Staat eine Gefahr für Flüchtlinge, die aufgrund der Dublin-II-Verordnung
aus der Bundesrepublik Deutschland in den spanischen Staat rücküberstellt
werden?

a) Inwieweit ist der Bundesregierung bekannt, ob aus der Bundesrepublik
Deutschland in den spanischen Staat abgeschobene Flüchtlinge dort
Folter oder sonstiger erniedrigender Behandlung von Seiten der Sicher-
heitskräfte ausgesetzt waren?

b) Inwieweit bemüht sich die Bundesregierung, Kenntnisse über das weitere
Schicksal von Flüchtlingen zu erlangen, die in den spanischen Staat über-
stellt wurden?

Drucksache 16/11483 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
c) Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus den genannten
Berichten über Folter und Misshandlungen von Flüchtlingen im Hinblick
auf die weitere Umsetzung der Dublin-II-Verordnung gegenüber dem
spanischen Staat?

8. Inwieweit berücksichtigt die Bundesregierung die Menschenrechtssituation
im spanischen Staat bei ihrer Zustimmung zur Auflistung von baskischen
Organisationen wie der Partei Batasuna oder der Gefangenenhilfsorganisa-
tion Gestoras pro-amnistía auf der EU-Liste terroristischer Organisationen?

a) Woher hat die Bundesregierung Kenntnisse über die Verbindung von auf
der EU-Terrorliste genannten baskischen Organisationen und Personen
mit der ETA oder terroristischen Aktivitäten?

b) Inwieweit kann die Bundesregierung ausschließen, dass diese Erkennt-
nisse auf Aussagen beruhen, die unter Folter erpresst wurden?

c) Inwieweit würde die Bundesregierung ihre Zustimmung zur Nennung
baskischer Organisationen und Personen auf der EU-Terrorliste zukünftig
verweigern, wenn die Informationen über eine Verbindung dieser Organi-
sationen oder Personen mit der ETA oder terroristischen Aktivitäten auf
unter Folter erpressten Aussagen beruhen?

Berlin, den 15. Dezember 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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