BT-Drucksache 16/11445

zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Schneider (Saarbrücken), Klaus Ernst, Dr. Lothar Bisky, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. -16/6440- Die gesetzliche Rentenversicherung zur solidarischen Erwerbstätigenversicherung ausbauen

Vom 17. Dezember 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/11445
16. Wahlperiode 17. 12. 2008

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Schneider (Saarbrücken), Klaus Ernst,
Dr. Lothar Bisky, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE.
– Drucksache 16/6440 –

Die gesetzliche Rentenversicherung zur solidarischen
Erwerbstätigenversicherung ausbauen

A. Problem

Nach Auffassung der antragstellenden Fraktion besteht gerade für die jüngere
Generation die konkrete Bedrohung vor Altersarmut. Verschuldet sei das durch
die Reduzierung der Nettorenten im Rahmen der Rentenreformen der vor-
maligen rot-grünen Bundesregierung sowie durch die deutliche Absenkung der
Rentenansprüche als Folge reduzierter Beiträge von Beziehern des Arbeits-
losengeldes II – veranlasst durch die Koalition von CDU/CSU und SPD. Die
Orientierung auf die private Vorsorge und deren staatliche Förderung sei ein
riskanter und teurer Irrweg zum Wohle der privaten Versicherungsindustrie so-
wie der Wirtschaft und zum Nachteil der Versicherten.

B. Lösung

Der Deutsche Bundestag soll nach dem Willen der Antragsteller die Bundes-
regierung auffordern,

1. die gesetzliche Rentenversicherung zu einer solidarischen Erwerbstätigen-
versicherung weiterzuentwickeln, in der alle Erwerbseinkommen rentenver-
sicherungspflichtig sind, und so insbesondere dem Wandel in der Arbeits-
welt und dem wachsenden Schutzbedürfnis der Erwerbstätigen und der
Erwerbslosen Rechnung zu tragen,

2. die Lebensstandardsicherung als Sicherungsziel der gesetzlichen Rentenver-
sicherung wieder in den Mittelpunkt der Alterssicherungspolitik zu stellen
und die gesetzliche Begrenzung des Beitragssatzes ersatzlos zu streichen,

3. die Dämpfungsfaktoren in der Rente (Riesterfaktor, Nachhaltigkeitsfaktor,
Nachholfaktor) zu streichen,

4. das RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz (Rente ab 67) vollständig zurück-
zunehmen,

Drucksache 16/11445 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

5. Maßnahmen zu ergreifen, um den solidarischen Ausgleich in der gesetz-
lichen Rentenversicherung zu stärken,

6. die Angleichung des Rentenwerts Ost an den aktuellen Rentenwert (West)
zu realisieren.

Ablehnung des Antrags mit den Stimmen der Fraktionen CDU/CSU, SPD,
FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen der Fraktion
DIE LINKE.

C. Alternativen

Annahme des Antrags.

D. Kosten

Kosten wurden nicht ermittelt.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/11445

Beschlussempfehlung

Der Bundestag wolle beschließen,

den Antrag auf Drucksache 16/6440 abzulehnen.

Berlin, den 12. November 2008

Der Ausschuss für Arbeit und Soziales

Gerald Weiß (Groß-Gerau)
Vorsitzender

Anton Schaaf
Berichterstatter

Drucksache 16/11445 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Bericht des Abgeordneten Anton Schaaf

I. Überweisung und Voten der mitberatenden
Ausschüsse

1. Überweisung

Der Antrag auf Drucksache 16/6440 ist in der 116. Sitzung
des Deutschen Bundestages am 21. September 2007 an den
Ausschuss für Arbeit und Soziales zur federführenden Be-
ratung und an den Innenausschuss, den Haushaltsausschuss
sowie den Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz zur Mitberatung überwiesen worden.

2. Voten der mitberatenden Ausschüsse

Der Innenausschuss hat in seiner Sitzung am 23. Januar
2008 den Antrag auf Drucksache 16/6440 beraten und mit
den Stimmen der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen der Frak-
tion DIE LINKE. empfohlen, den Antrag abzulehnen.

Der Haushaltsausschuss hat in seiner Sitzung am
8. November 2007 den Antrag auf Drucksache 16/6440 be-
raten und mit den Stimmen der Fraktionen CDU/CSU, SPD,
FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen
der Fraktion DIE LINKE. empfohlen, den Antrag abzuleh-
nen.

Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Ver-
braucherschutz hat in seiner Sitzung am 13. Februar 2008
den Antrag auf Drucksache 16/6440 beraten und mit den
Stimmen der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen der Frak-
tion DIE LINKE. empfohlen, den Antrag abzulehnen.

II. Wesentlicher Inhalt der Vorlage

Nach Auffassung der antragstellenden Fraktion unterliegt
die Arbeitswelt seit vielen Jahren einem grundlegenden
Strukturwandel. Während sozialversicherungspflichtige Be-
schäftigungsverhältnisse seit Jahren abnähmen, hätten so-
zialversicherungsfreie Erwerbsformen sowie die Zahl von
Personen mit unterbrochenen Erwerbsverläufen zugenom-
men. Seit den 1990er-Jahren habe unter anderem die Zahl
der „Solo-Selbstständigen“, die ausschließlich vom Verkauf
ihrer eigenen Arbeitskraft lebten, dramatisch zugenommen.
Eine klare Unterscheidung zwischen abhängig Beschäftig-
ten und sozialversicherungsfreien Selbstständigen sei daher
kaum noch möglich. Eine Universalisierung würde hier Ab-
hilfe leisten. Außerdem habe sich die soziale Absicherung
vieler Selbstständiger massiv verschlechtert: Oftmals unter-
scheide sich die Einkommenssituation kaum von der abhän-
gig Beschäftigter. Gleichzeitig sei ein deutlicher Rückgang
der Sparfähigkeit von Selbstständigen zu verzeichnen, mit
der Folge, dass viele Selbstständige nicht über ausreichende
Kapitalrücklagen für ihre Altersvorsorge verfügten. Die
staatlich subventionierte private Altersvorsorge in Form der
Riester-Rente bleibe ihnen ebenfalls verwehrt. Die speziell
für Selbstständige konzipierte Rürup-Rente werde weit-
gehend nicht angenommen. Des Weiteren hätten tiefgrei-
fende Leistungseinschnitte in der gesetzlichen Rentenver-
sicherung dazu geführt, dass im Verbund mit dem grund-

legenden Strukturwandel der Arbeitswelt, Altersarmut für
viele Menschen in naher Zukunft zur Realität gehören
werde. Im Osten seien die Folgen noch gravierender als im
Westen, so dass es einen raschen Angleichungsprozess ge-
ben müsse. Mit der Einbeziehung aller Erwerbstätigen in
die gesetzliche Rentenversicherung werde die Solidarge-
meinschaft gestärkt und so auch für künftige Generationen
langfristig gesichert. Gleichzeitig werde durch die solidari-
sche Erwerbstätigenversicherung die finanzielle Situation
der gesetzlichen Rentenversicherung spürbar verbessert.
Zwar stünden den Mehreinnahmen kurz- und mittelfristig
auch Mehrausgaben gegenüber. Langfristige Einsparungen
ergäben sich aber aufgrund der besseren Absicherung aller
Erwerbstätigen vor allem bei der Grundsicherung im Alter.
Die gesetzliche Rentenversicherung werde so robuster ge-
genüber dem Strukturwandel in der Arbeitswelt und bleibe
im Übrigen bezahlbar. Der Deutsche Bundestag soll nach
dem Willen der Antragsteller die Bundesregierung auf-
fordern,

1. die gesetzliche Rentenversicherung zu einer solidari-
schen Erwerbstätigenversicherung weiterzuentwickeln,
in der alle Erwerbseinkommen rentenversicherungs-
pflichtig sind, und so insbesondere dem Wandel in der
Arbeitswelt und dem wachsenden Schutzbedürfnis der
Erwerbstätigen und der Erwerbslosen Rechnung zu tra-
gen;

2. die Lebensstandardsicherung als Sicherungsziel der ge-
setzlichen Rentenversicherung wieder in den Mittel-
punkt der Alterssicherungspolitik zu stellen und die ge-
setzliche Begrenzung des Beitragssatzes ersatzlos zu
streichen;

3. die Dämpfungsfaktoren in der Rente (Riester-Faktor,
Nachhaltigkeitsfaktor, Nachholfaktor) zu streichen;

4. das RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz (Rente ab 67)
vollständig zurückzunehmen;

5. Maßnahmen zu ergreifen, um den solidarischen Aus-
gleich in der gesetzlichen Rentenversicherung zu stär-
ken;

6. die Angleichung des Rentenwerts Ost an den aktuellen
Rentenwert (West) zu realisieren.

III. Öffentliche Anhörung von Sachverständigen
Der Ausschuss für Arbeit und Soziales hat die Beratung der
Vorlage 16/6440 in seiner 75. Sitzung am 23. Januar 2008
aufgenommen und eine öffentliche Anhörung beschlossen.
Diese fand in der 84. Sitzung am 5. Mai 2008 statt.

Die Teilnehmer der Anhörung haben schriftliche Stellung-
nahmen abgegeben, die in der Ausschussdrucksache
16(11)963 zusammengefasst sind.

Folgende Verbände, Institutionen und Einzelsachverstän-
dige haben an der Anhörung teilgenommen:

● Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
e. V. (BDA)

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/11445

● Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB)

● Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände

● Bund der Steuerzahler in Bayern e. V.

● Deutsche Rentenversicherung Bund (DRVB)

● Sozialverband VdK Deutschland e. V. (VdK)

● Sozialverband Deutschland (SoVD)

● Dr. Monika Queisser

● Prof. Dr. Uwe Fachinger

● Prof. Dr. Eckart Bomsdorf.

Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberver-
bände (BDA) äußert sich ablehnend zu dem Antrag. Im
Einzelnen bleibe unklar, was mit einer „Erwerbstätigenver-
sicherung“ gemeint sei. Dem zur Begründung angeführten
Schutzbedürfnis von Selbständigen lasse sich allerdings
auch durch eine Altersvorsorgeverpflichtung für die soge-
nannte Solo-Selbständigen Rechnung tragen. Damit könnte
auch besser berücksichtigt werden, dass die meisten Selbst-
ständigen bereits privat Verträge zu ihrer Alterssicherung
abgeschlossen hätten. Zu befürchten sei zudem, dass die zu-
sätzlichen Beitragseinnahmen in den ersten Jahrzehnten für
Leistungsausweitungen im Rentenbestand verwendet wür-
den und nicht dem Umstand Rechnung getragen werde, dass
den zusätzlichen Beiträgen auch spätere Leistungsansprü-
che gegenüberstünden. Ferner sei die in dem Antrag gefor-
derte Wiedereinführung der Sicherung des Lebensstandards
abzulehnen, da sie angesichts der demografischen Entwick-
lung nur durch drastische Beitragssatzsteigerungen bzw.
einen deutlich höheren Bundeszuschuss finanziert werden
könne. Gleiches gelte für die Abschaffung der Dämpfungs-
faktoren. Die Rente mit 67 sei im Hinblick auf die weiter
steigende Lebenserwartung alternativlos. Nur so könne das
gesetzliche Beitragssatz- und Rentenniveauziel eingehalten
werden. Ebenfalls abgelehnt werden müsse der geforderte
Ausbau des Solidarausgleichs, weil dadurch entweder die
Rendite der Versicherungsbeiträge weiter sinken würde
bzw. zusätzliche Lasten für die Steuerzahler geschaffen
würden. Als letzter Punkt sei die vorzeitige Angleichung
des aktuellen Rentenwerts (Ost) an das Westniveau abzuleh-
nen. Andernfalls müssten Beitragszahler im Westen für die
gleiche Rentenleistung höhere Beiträge zahlen als Beitrags-
zahler im Osten. Eine solche Ungleichbehandlung sei nicht
zu rechtfertigen.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) äußert sich zu-
stimmend zu dem Antrag. Zum einen halte man die Aus-
weitung des Versichertenkreises, etwa auf Selbstständige
oder Beamte, für dringend notwendig, um allen schutzbe-
dürftigen Erwerbstätigen eine angemessene Alterssicherung
gewähren zu können und um die Finanzierungsbasis der
Rentenversicherung trotz Strukturwandels auf dem Arbeits-
markt zu stabilisieren. Zum anderen müsse der Nachhaltig-
keits- und Ausgleichsfaktor wieder abgeschafft werden. An-
dernfalls entstünde eine große Lücke in der Altersabsiche-
rung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die diese
nur mit höherer Belastung schließen könnten. Ebenfalls
rückgängig gemacht werden müsse die Anhebung des ge-
setzlichen Renteneintrittsalters. Viele Arbeitnehmer würden
es aus gesundheitlichen Gründen das 67. Lebensjahr nicht
in Erwerbstätigkeit erreichen. Zudem werde auch der Druck
auf jüngere Arbeitnehmer und das Lohngefüge verschärft.

Die kommunalen Spitzenverbände erkennen an, dass zu-
nehmend Kleinselbständige nicht ausreichend für ihre Ver-
sorgung im Alter vorsorgen könnten. Eine verbesserte
Altersvorsorge in diesem Sektor sei wünschenswert. Die
Altersvorsorge müsse so auskömmlich sein, dass im Alter
kein Sozialhilfebezug erforderlich sei.

Nach Einschätzung des Bundes der Steuerzahler in Bayern
e. V. würden die vorgeschlagenen Maßnahmen zu einem
Anstieg des Beitragssatzes zur gesetzlichen Rentenversiche-
rung (GRV) und damit zu einer übermäßigen Belastung der
Beitragszahler führen. Eine Ausweitung des Versicherten-
kreises auf bisher nicht versicherte Personen würde zunächst
zu Mehreinnahmen führen. Langfristig müssten die neu hin-
zugetretenen Personengruppen aber auch finanziert werden.
Da Selbständige und Beamte im Vergleich zu Arbeitnehmern
eine relativ längere Lebenserwartung hätten, sei mit deut-
lichen Mehrausgaben zu rechnen. Im Übrigen bestünde die
Gefahr, dass die Mehreinnahmen zuvor zu Leistungsaus-
weitungen anstatt zu Beitragssenkungen genutzt würden.
Beitragserhöhungen wären die Folge. Vor dem Hindergrund
der demographischen Entwicklung sei auch eine Streichung
des bisher festgelegten Beitragssatzziels und des Dämp-
fungsfaktors abzulehnen. Andernfalls könne der Beitragssatz
in den nächsten Jahrzehnten auf etwa 30 Prozent steigen, mit
unzumutbaren Folgen für die Beitragszahler. Ähnliches gelte
für eine Rücknahme des RV-Altersgrenzenanpassungsgeset-
zes. Seit den 1920er-Jahren sei das Renteneintrittsalter bei
65 Jahren unverändert geblieben, bei gleichzeitigem Anstieg
der Lebenserwartung und damit der Rentenbezugsdauer. Im
Gegensatz zum Antrag der Fraktion DIE LINKE. sei es sach-
gerecht, das Renteneintrittsalter zu dynamisieren und lang-
fristig auf mehr als 67 Jahre zu erhöhen.

Die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRVB) fordert
eine Ausweitung der gesetzlichen Rentenversicherungs-
pflicht auf alle bislang nicht obligatorisch gesicherten
Erwerbstätigen. Ohne eine entsprechende Anpassung des
Alterssicherungssystems wären insbesondere die von
Arbeitnehmern schwer abgrenzbaren „Solo-Selbständigen“
einem hohen Risiko der Altersarmut ausgesetzt. Eine
Einziehung bereits in anderen obligatorischen Systemen
gesicherten Personen sei hingegen mangels Schutzbedürf-
nisses nicht erforderlich. Fraglich erscheine, ob und in wel-
chem Maße der finanzielle Spielraum durch diese Maß-
nahme erweitert würde. Langfristig stünden den Mehrein-
nahmen auch entsprechende Mehrausgaben gegenüber. In
der Diskussion müssten daher die ausreichende Alterssiche-
rung der Betroffenen sowie die Vermeidung einer künftigen
Zunahme der Altersarmut stehen, nicht jedoch die Frage der
dadurch etwaig ausgelösten finanziellen Spielräume. Finan-
zielle Entlastung würden hingegen Beitragssatzziel, Dämp-
fungsfaktor und die Rente mit 67 bringen. Unter Berück-
sichtung des demographischen Wandels werde aufgrund der
Reformen eine Erhöhung des Beitragssatzes bis zum Jahr
2030 lediglich auf ca. 22 Prozent anstatt auf 24 Prozent er-
wartet. Eine Rücknahme der Reformen würde zu erheb-
lichen Beitragssatzsteigerungen führen und hätte negative
Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt zur Folge. Im Übrigen
richte sich die in der Begründung des Antrages zitierte Aus-
sage des Präsidenten der Deutschen Rentenversicherung
Bund in keiner Weise gegen die von der Bundesregierung
verfolgte Strategie des Umbaus der Alterssicherung zu einer
„Lebensstandardversicherung aus mehreren Säulen“. Der

Drucksache 16/11445 – 6 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

im Antrag geforderten Angleichung des aktuellen Renten-
werts Ost an den aktuellen Rentenwert weise man dagegen
finanzielle Mehrbelastungen in Höhe von etwa 6,2 Mrd.
Euro pro Jahr hin. Ein wesentlicher Umverteilungseffekt zu
Lasten westdeutscher Rentner und der jüngeren Versicher-
ten wäre die Folge. Eine von der Lohnentwicklung abge-
koppelte Anpassung sei generell nur im Rahmen einer Ver-
einheitlichung aller derzeit noch nach Ost und West diffe-
renzierten rentenrechtlichen Regelungen und Rechengrößen
vorstellbar. Zudem müsse das Ausgabevolumen der gesetz-
lichen Rentenversicherung trotz Angleichung im Wesentli-
chen dem jetzigen Niveau entsprechen.

Der Sozialverband VdK Deutschland e. V. (VdK) stellt
fest, Zweck der Rentenpolitik dürfe nicht die Erreichung
von politisch festgelegten Beitragssatzzielen, sondern
müsse die Gewährleistung einer angemessenen Sicherung
im Alter und bei Invalidität sein. Nach langjähriger Er-
werbstätigkeit müsse die gesetzliche Rente deutlich über
dem Grundsicherungsniveau liegen. Eine Anhebung des all-
gemeinen Rentenniveaus lasse sich durch die Abschaffung
der Dämpfungsfaktoren in der Rentenformel erreichen. Des
Weiteren sollten durch „Elemente des sozialen Ausgleichs“
für nicht selbst verschuldete Lücken in der Erwerbsbiogra-
phie und Zeiten niedriger Verdienste von langjährig Ver-
sicherten Ausgleich geschaffen werden. Auch müsse man
schrittweise alle Erwerbstätigen in die Solidargemeinschaft
einbeziehen, um so die gesetzliche Rentenversicherung zu
stärken und um Selbstständigen und Geringverdiener ohne
adäquate Absicherung vor Altersarmut zu bewahren. Un-
verzichtbar sei hingegen die Ergänzung der gesetzlichen
Rente durch die zweite und dritte Säule, da der Funktions-
verlust der Rentenversicherung als Lebensstandardsiche-
rung unumkehrbar sei. Dazu müssten die Anreize betrieb-
licher und privater Vorsorge weiter verbessert werden. Be-
triebliche und die private Vorsorge nach dem Vorbild der
Riesterförderung sollten in Anspar- und Auszahlungsphase
im angemessenen Umfang vor der Anrechnung auf die
Grundsicherung geschützt werden.

Der Sozialverband Deutschland e. V. (SoVD) unterstützt
die geforderte Fortentwicklung der Rentenversicherung zu
einer Erwerbstätigenversicherung. Damit werde dem Wan-
del in der Arbeitswelt Rechnung getragen und das Armuts-
risiko reduziert. Bislang seien insbesondere die schätzungs-
weise 3 Millionen Selbstständigen ohne obligatorische
Alterssicherung unzureichend gesichert. Personen, die sich
ausschließlich privat für das Alter absicherten, seien mit
dem Anlagerisiko des Kapitalmarktes konfrontiert und hin-
sichtlich des Erwerbminderungsrisikos, der Hinterbliebe-
nenversorgung und der Rehabilitationsleistungen häufig
schlechter gestellt. In finanzieller Hinsicht würden der Ren-
tenversicherung durch die Erwerbstätigenversicherung
Mehreinnahmen zufließen, denen kurz- und mittelfristig
relativ geringe Mehrausgaben gegenüberstünden. Langfris-
tige Einsparungen ergäben sich zumindest bei der Grund-
sicherung im Alter. Ebenfalls antragsgemäß sei die Rente
mit 67 zu bewerten. Sie sei weder arbeitsmarkt- noch sozial-
politisch vertretbar. Zum einen werde sie einen Anstieg der
Langzeitarbeitslosigkeit zur Folge haben und das Risiko der
Vorruhestands bzw. Altersarmut erhöhen. Die absehbare
Angleichung des Rentenwertes Ost an den aktuellen Ren-
tenwert West werde ebenfalls begrüßt. Favorisiert werde der
ver.di-Vorschlag für einen dynamischen Angleichungszu-

schlag. Mit ihm könne eine absehbare Angleichung unter
Beibehaltung der rentenrechtlichen Höherbewertung der
Einkommen von Versicherten in den neuen Bundesländern
realisiert werden. Des Weiteren dürfe es Dämpfungsfakto-
ren nicht mehr geben und das Sicherungsziel müsse wieder
vorrangiger Maßstab der Rentenversicherungspolitik wer-
den.

Die Sachverständige Dr. Monika Queisser ist der Auf-
fassung, dass die Ausweitung der gesetzlichen Rentenversi-
cherung zur Erwerbstätigenversicherung den Versiche-
rungsschutz im Alter wesentlich verbessern würde. Denkbar
sei sogar eine Absicherung aller Personen durch die Renten-
versicherung, unabhängig davon, ob sie arbeiteten oder
nicht. Von einer Aufhebung der gesetzlichen Begrenzung
des Beitragssatzes werde abgeraten. Schließlich sei dadurch
ein Rahmen für die Einnahmepolitik gesetzt. Eine Aufhe-
bung mit dem ausschließlichen Ziel, die Rentenausgaben
für neue Leistungssteigerungen zu erhöhen, wäre gefähr-
lich. Gleiches gelte für den Nachhaltigkeitsfaktor, da dieser
trotz komplizierter Berechnung die langfristige Finanzie-
rung des Rentensystems sichere. Auch sollte die Erhöhung
des Rentenalters nicht zurückgenommen werden. Immer
mehr OECD-Länder erhöhten die Regelaltersgrenze auf 67
oder sogar 68 Jahre. Gleichzeitig müssten aber ältere Men-
schen mehr in den Arbeitsmarkt integriert werden. Ein wie
im Antrag geforderter verstärkter solidarischer Ausgleich
würde die heute sehr schwache Umverteilung erweitern.
Um die Finanzierung zu sichern, müssten jedoch mittlere
und höhere Einkommensschichten stärker privat vorsorgen.

Der Sachverständige Prof. Dr. Uwe Fachinger erklärte, die
Einbeziehung aller Erwerbstätigen in die gesetzliche Ren-
tenversicherung bewirke eine Anpassung des Systems der
sozialen Sicherung an den Wandel der Erwerbsstrukturen
sowie eine sozialrechtliche Gleichstellung der Erwerbstäti-
gen. Ein Wechsel von einer abhängigen zu einer selbststän-
digen Tätigkeit und umgekehrt wäre durch die obligatori-
sche Absicherung leichter vorzunehmen. „Patchwork-Er-
werbsbiographien“ und daraus resultierende „Patchwork-
Absicherungen“ in verschiedenen, häufig nicht aufeinander
abgestimmten Alterssicherungssystemen würden verhin-
dert. Ferner trüge die Versicherungspflicht dazu bei, dass
Erwerbstätige eher bereit seien, die mit der Aufnahme einer
Selbstständigkeit verbundenen materiellen Risiken einzu-
gehen. Zu beachten sei jedoch, dass Selbständige im Gegen-
satz zu abhängig Beschäftigten den vollen Beitragssatz zah-
len müssten. Eine Reduzierung der Vorsorgeaufwendungen
in der Startphase selbstständiger Tätigkeit könne daher sinn-
voll sein, um die Aufnahme solcher Erwerbstätigkeit nicht
zu behindern. Des Weiteren führe die Zunahme der Zahl
von Beitragszahlern zu einer kurzfristigen Erhöhung der
Einnahmen. Zudem würden gesellschaftliche Kosten in-
folge mangelnder Vorsorge reduziert werden. Erfolg werde
die Erwerbstätigenversicherung jedoch nur haben, wenn sie
von der Mehrzahl der Selbstständigen angenommen werde.
Verstärkte Kontrollen, aber auch positive Anreize würden
hierfür erforderlich sein. Ein wesentlicher Aspekt für die
Akzeptanz sei die Höhe der Leistung. Kontinuierliche Bei-
tragszahlung müsse ein „angemessenes Auskommen im
Alter“ ermöglichen und deutlich oberhalb der Leistungen
des Systems der bedarfsorientierten Grundsicherung liegen.

Sachverständiger Prof. Dr. Eckart Bomsdorf äußerte sich
nicht zu dieser Vorlage.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 7 – Drucksache 16/11445

IV. Beratung im federführenden Ausschuss
Der Ausschuss für Arbeit und Soziales hat in seiner
103. Sitzung am 12. November 2008 den Antrag auf Druck-
sache 16/6440 beraten und mit den Stimmen der Fraktionen
CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
gegen die Stimmen der Fraktion DIE LINKE. beschlossen,
dem Deutschen Bundestag die Ablehnung zu empfehlen.

Die Fraktion der CDU/CSU kritisierte, DIE LINKE. wolle
mit ihrem Antrag die Reformen der letzten Jahre im Alters-
versorgungssystem wieder rückgängig machen. Dabei
werde die Generationengerechtigkeit völlig außer Acht ge-
lassen. Der jungen Generation sollten riesige Lasten aufge-
bürgt werden, ohne dass sie eine Chance habe, für ihre Leis-
tung eine Gegenleistung zu bekommen. Dies würde zu einer
Legitimationskrise der gesetzlichen Rente führen. Im Übri-
gen habe der Riester-Sparvertrag hinsichtlich des Ver-
braucherschutzes strenge Vorschriften. Der größte Teil des
Geldes werde in Staatsanleihen angelegt, deren Wert gestie-
gen sei. Man werde den Antrag ablehnen.

Die Fraktion der SPD führte aus, dass die Einschätzung
der Notwendigkeit der Einbeziehung aller Erwerbstätigen in
die gesetzliche Rentenversicherung auch von ihr geteilt
werde. Die Ausführungen der Sachverständigen hätten die-
ses ebenfalls klar bestätigt. Gleichwohl sei der Antrag der
Fraktion DIE LINKE. abzulehnen: Sie wolle lediglich eine
maximale Umverteilung zu Lasten der Beitragszahler errei-
chen, die ein wenig besser verdient hätten. Dies entspreche
nicht dem Grundsatz der Leistungsgerechtigkeit. Auch
Menschen, die ihr Leben lang gearbeitet und viel verdient
hätten, müssten angemessene Leistungen erhalten. Zu be-
denken sei auch, dass die Kosten der aufgestellten Forde-
rungen im Antrag über 20 Jahre gerechnet rund 56 Mrd.
Euro betragen würden. Dies müsste entweder über Beitrags-
steigerungen in Höhe von ca. 6 Prozentpunkten oder durch
einen viel höheren Steuerzuschuss finanziert werden. Die
Rentenversicherungsbeiträge fielen dann ohne entspre-
chende Gegenleistung höher aus. Wenn man die Abschaf-
fung der Riester-Rente noch hinzurechne, würde die Bei-
tragssteigerung bei 10 Prozent liegen. Der Antrag der Frak-
tion DIE LINKE. sei nicht geeignet, zu einer Stabilisierung
der gesetzlichen Rentenversicherung beizutragen.

Die Fraktion der FDP wandte ein, dass der Antrag mit der
rentenpolitischen Realität wenig zu tun habe. Wenn man die
Altersvorsorge wieder ausschließlich auf die umlagefinan-
zierte gesetzliche Rente zurückführen wolle, sei dies der
falsche Weg. Die Entscheidung der damaligen rot-grünen
Regierung, mit der Riester-Rente ein kapitalgedecktes Ele-
ment in die Altersvorsorge einzuführen, sei nach wie vor
richtig. Dies entspreche auch der internationalen Entwick-

lung. Am Ende werde ein Mix aus Kapitaldeckung und Um-
lagefinanzierung entscheidend sein. Die Deckelung beim
Beitragssatz und die Dämpfungsfaktoren in der Rente aufzu-
geben, sei nicht die Lösung. Die Forderungen müssten von
den Beiträgen der jungen Generation bezahlt werden. Was
die Fraktion DIE LINKE. vorlege, sei kurzfristig gedacht und
stehe der Konsolidierung der Rentenfinanzen entgegen. Aus
diesen Gründen werde die Fraktion der FDP gegen den An-
trag stimmen.

Die Fraktion DIE LINKE. erläuterte, dass sie zur Privati-
sierung der Altersvorsorge eine andere Auffassung vertrete
als der Rest des Hauses. Allein zwischen 2002 und 2008
habe sich die Geldsumme in Renten- und Pensionsfonds auf
20 Bill. US-Dollar verdoppelt. Für so viel Geld gebe es
keine Anlagemöglichkeiten mehr in der Realwirtschaft. So-
mit seien die Renten- und Pensionsfonds sowohl eine trei-
bende Kraft bei der Finanzkrise als auch deren Opfer. So
hätten allein seit Juni 2007 die amerikanischen Renten- und
Pensionsfonds 2 Bill. US-Dollar verloren. Aber auch die
Allianz habe in diesem Jahr 2 Mrd. Euro Verluste zu bekla-
gen. Das habe konkrete Auswirkungen auf die Versicherten.
Insoweit sei das zentrale Anliegen der Fraktion DIE
LINKE., die gesetzliche Rentenversicherung zu stärken. Ein
zentrales Anliegen sei auch, die gesetzliche Rentenversiche-
rung zur Erwerbstätigenversicherung auszubauen. Das be-
wirke in erster Linie eine Streuung des Risikos und mache
die gesetzliche Rentenversicherung leistungsstärker. Arbeit-
nehmer müssten weniger einzahlen und würden am Ende
mehr erhalten. Hinsichtlich der Rente mit 67 sei anzumer-
ken, dass nur wenige Menschen mit 64 noch im Arbeits-
leben stünden. Solange 63-, 64-Jährige aber keine Arbeit
hätten, könne die Prüfungsklausel nur zu dem Ergebnis füh-
ren, dass man die Rente mit 67 als Konzept nicht umsetze.
Besorgniserregend sei im Übrigen die Art und Weise wie im
Moment über die Abgleichung des Rentenwerts Ost an den
Rentenwert West diskutiert werde.

Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN kritisierte, dass
mit diesem Antrag all das zurückgenommen werden solle,
was Rot-Grün beschlossen habe, um die Rente demogra-
phiefest und generationsgerecht zu machen. Richtig sei hin-
gegen, dass die Angleichung der Renten in Ost und West
schnell erfolgen müsse. Nur dürfe die Hochwertung nicht
bei gleichen Einkommen erfolgen. Die Fraktion DIE LINKE.
wolle die Angleichung und Hochwertung. Das koste viel
Geld und sei ungerecht gegenüber den Menschen im
Westen, die das gleiche Einkommen hätten. Das sei nicht
nachvollziehbar und hätte keine öffentliche Akzeptanz. Die
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN werde aus diesen
Gründen den Antrag ablehnen.

Berlin, den 12. November 2008

Anton Schaaf
Berichterstatter

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