BT-Drucksache 16/11222

Handeln in Verantwortung - Für eine ambitionierte zweite Kyoto-Verpflichtungsperiode

Vom 3. Dezember 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/11222
16. Wahlperiode 03. 12. 2008

Antrag
der Abgeordneten Andreas Jung (Konstanz), Marie-Luise Dött, Katherina Reiche
(Potsdam), Michael Brand, Cajus Caesar, Dr. Maria Flachsbarth, Josef Göppel,
Christian Hirte, Jens Koeppen, Hartmut Koschyk, Ingbert Liebing, Dr. Georg
Nüßlein, Ulrich Petzold, Dr. Norbert Röttgen, Volker Kauder, Dr. Peter Ramsauer
und der Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Frank Schwabe, Marco Bülow, Dirk Becker, Dr. Axel
Berg, Petra Bierwirth, Gerd Bollmann, Martin Burkert, Ulrich Kelber, Ute Kumpf,
Lothar Mark, Dr. Matthias Miersch, Marko Mühlstein, Detlef Müller (Chemnitz),
Thomas Oppermann, Christoph Pries, Heinz Schmitt (Landau), Dr. Peter Struck
und der Fraktion der SPD

Handeln in Verantwortung – Für eine ambitionierte zweite
Kyoto-Verpflichtungsperiode

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Klimawandel schreitet voran. Der 4. Sachstandsbericht des Weltklimarates
Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) von 2007 hat endgültig be-
stätigt, dass mit erheblichen negativen Auswirkungen gerechnet werden muss,
falls keine ehrgeizigen Klimaschutzmaßnahmen getroffen werden. Nach neue-
ren wissenschaftlichen Erkenntnissen wurden Ausmaß und Geschwindigkeit
der klimabedingten Veränderungen in den Berichten des IPCC sogar unter-
schätzt. Neue Studien, die nicht im 4. Sachstandsbericht des Weltklimarates
berücksichtigt werden konnten, zeigen u. a. beschleunigte Masseverluste an
Gletschern und Eisschilden der Erde. Die CO2-Emissionen steigen stärker als
angenommen und der Meeresspiegel wird – nach neueren Schätzungen – schon
gegen Ende dieses Jahrhunderts um 0,8 Meter angestiegen sein. Das bedeutet,
dass der Klimawandel schneller voranschreitet als vom IPCC modelliert.

Die ökonomischen Schäden durch den Klimawandel drohen immens zu wer-
den. Die bisherigen wirtschaftlichen und sozialen Fortschritte der Entwick-
lungs- und Schwellenländer werden gefährdet, aber auch den Industrieländern
drohen durch Unwetter und Extremwetterlagen enorme volkswirtschaftliche
Kosten. Der Report von Sir Nicholas Stern und seine Berechnungen haben ver-

deutlicht, dass unterlassener Klimaschutz bis zu 20 Prozent des Bruttosozial-
produktes kosten könnte. Deswegen darf auch die aktuelle Finanzkrise nicht
dazu führen, dass beim Klimaschutz nachgelassen wird. Klimaschutz mit
modernen Technologien kann einen wichtigen Beitrag zu Erhalt und Schaffung
von Arbeitsplätzen in Deutschland leisten.

Drucksache 16/11222 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Um irreversible Schäden durch einen globalen Klimawandel zu vermeiden,
darf die globale Durchschnittstemperatur das vorindustrielle Niveau um nicht
mehr als 2 ˚C überschreiten. Dafür müssen die globalen Emissionen spätestens
2020 ihren Höhepunkt erreichen und bis 2050 gegenüber dem Stand von 1990
mindestens halbiert werden.

Der Deutsche Bundestag erwartet, dass auf der im Dezember dieses Jahres
stattfindenden 14. UN-Klimakonferenz in Poznan´ (Polen) die Weichen für ein
ehrgeiziges Post-2012-Klimaschutzabkommen gestellt werden. Auf der Ver-
tragsstaatenkonferenz der Klimarahmenkonvention 2007 auf Bali wurde ein
Aktionsplan verabschiedet, in dem der Verhandlungsrahmen für die neue
Kyoto-Periode abgesteckt wird. Unter anderem sollen quantifizierte Emissions-
begrenzungs- und Reduktionsverpflichtungen für Industrieländer vereinbart
werden, in der Erkenntnis, dass starke Einschnitte bei den globalen Emissionen
erforderlich sind. Grundlage dafür sind die Empfehlungen des IPCC. Für die
Industrieländer wird eine Reduktion von 25 bis 40 Prozent bis 2020 gegenüber
1990 als erforderlich angesehen. Für Entwicklungsländer müssen die Emissio-
nen bis 2020 deutlich vom Referenzpfad abweichen. Neben konkreten Reduk-
tionsverpflichtungen sieht der Bali-Aktionsplan vermehrte Anstrengungen im
Bereich der Anpassung, der Entwicklung und des Transfers von Technologien
sowie bei der Bereitstellung von Finanzmitteln und Investitionen für die Unter-
stützung von Minderungs- und Anpassungsmaßnahmen vor. Auch die Wichtig-
keit des globalen Walderhalts wurde betont und entsprechende Finanzierungs-
und Regulierungsmaßnahmen wurden in die Verhandlungen aufgenommen. In
Poznan´ müssen diese Punkte weiter konkretisiert werden. Der Anpassungs-
fonds sollte für das Post-2012-Regime eine wichtige Rolle spielen.

Um einen Verhandlungserfolg in Poznan´ zu ermöglichen, muss die Europäische
Union (EU) ihrer Vorreiterrolle beim Klimaschutz gerecht werden. Wenn die EU
nicht vorangeht und demonstriert, dass entwickelte Industriestaaten Treibhaus-
gase reduzieren können, ohne dass dadurch ihre Wirtschaft geschädigt wird,
dann werden andere Staaten nicht auf diesem Weg folgen. Mit dem am
23. Januar 2008 vorgelegten Klimapaket strebt die Europäische Kommission die
Umsetzung und Konkretisierung der Ratsbeschlüsse vom Frühling 2007 an, die
Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel unter der deutschen Ratspräsidentschaft
auf den Weg brachte. Darin formuliert der Europäische Rat das Ziel der EU, die
Treibhausgasemissionen bis 2020 gegenüber 1990 um 30 Prozent zu reduzieren,
sofern sich andere Industrieländer in einem internationalen Abkommen zu
vergleichbaren Emissionsreduzierungen und die wirtschaftlich weiter fort-
geschrittenen Entwicklungsländer zu einem angemessenen Beitrag verpflichten.
Der Europäische Rat hat ferner beschlossen, dass die EU bis zum Abschluss
einer globalen und umfassenden Vereinbarung für die Zeit nach 2012 und un-
beschadet ihrer internationalen Verhandlungsposition die Verpflichtung eingeht,
die Treibhausgasemissionen bis 2020 um mindestens 20 Prozent gegenüber
1990 zu reduzieren. Ziel ist es, das Legislativpaket „Klima und Energie“ noch in
diesem Jahr abzuschließen. Neben diesem Zeitplan ist entscheidend, dass im Le-
gislativpaket „Klima und Energie“ der EU ein klarer Automatismus verankert
werden muss, wie die EU ihr Klimaziel von 20 Prozent Emissionsreduktion bis
zum Jahr 2020 auf 30 Prozent erhöht, sobald ein internationales Abkommen zu-
stande kommt. Die zentralen Säulen des Emissionshandels dürfen nicht aufge-
weicht werden. Hierzu wird auf Bundestagsdrucksache 16/9334 verwiesen. Die
Bundesregierung muss all ihren Einfluss dafür einsetzen, dass die Europäische
Union auf dem nächsten Europäischen Gipfel am 11./12. Dezember 2008 ein
ambitioniertes Klimapaket verabschiedet.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/11222

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

● sich auf EU-Ebene dafür einzusetzen, dass die Europäische Union weiter ihrer
Vorreiterrolle beim Klimaschutz gerecht wird und mit der Verabschiedung
eines ehrgeizigen Klima- und Energiepakets im Dezember ein ermutigendes
Signal an die internationale Staatengemeinschaft auf der 14. UN-Klima-
konferenz in Poznan´ gibt;

● sich auf der Konferenz in Poznan´ dafür einzusetzen, dass die Weichen für
ein ambitioniertes Post-2012-Abkommen im Rahmen der UN gestellt wer-
den. Als Grundprinzipien des Abkommens müssen die gemeinsame, aber
differenzierte Verantwortung sowie das Abbremsen der Klimaerwärmung
und das Einhalten des sog. 2 ˚C-Ziels gelten;

● sich dafür einzusetzen, dass in dem für Ende 2009 angestrebten umfassen-
den internationalen Abkommen konkrete Reduktionsverpflichtungen für die
Industrieländer vereinbart werden. Um den durchschnittlichen Temperatur-
anstieg um 2 ˚C zu begrenzen, müssen die Industrieländer – und damit auch
Deutschland – laut IPCC ihre Treibhausgasemissionen um 25 bis 40 Prozent
bis 2020 gegenüber 1990 reduzieren;

● sich dafür einzusetzen, dass auch Schwellen- und Entwicklungsländer einen
fairen Anteil der notwendigen weltweiten Emissionsminderungen über-
nehmen und nachvollziehbare und messbare Emissionsbegrenzungsziele für
diese Länder festgelegt werden. Entwicklungs- und Schwellenländer müs-
sen ihre Treibhausgasemissionen auf nachprüfbare Weise unter der prognos-
tizierten Entwicklung halten und Industriestaaten müssen sie dabei unter-
stützen;

● sich dafür einzusetzen, im Zuge einer gerechteren Gestaltung der Reduk-
tionsverpflichtungen weltweit zu einer langfristigen Angleichung der Pro-
Kopf-Emissionen zu kommen. Ausgehend von einem globalen Emissions-
budget würden die Pro-Kopf-Emissionsrechte aller Länder konvergieren
und ab einem festzulegenden Konvergenzjahr (z. B. 2050) übereinstimmen.
Ausgehend von der 2 ˚C-Obergrenze bedeutet dies, dass jeder Mensch nur
zwei Tonnen CO2 pro Jahr emittieren darf;

● die Anstrengungen zur Anpassung an den Klimawandel auch durch die Ein-
führung neuer innovativer Instrumente – insbesondere in den Entwicklungs-
ländern – voranzutreiben. Als Hauptverursacher des Klimawandels sind die
Industrieländer gehalten, die vom Klimawandel besonders betroffenen Staa-
ten und Regionen bei der Anpassung an den Klimawandel zu unterstützen.
Der auf Bali verabschiedete Anpassungsfonds muss schnell operationalisiert
und finanziell angemessen ausgestattet werden;

● sich für ein Post-2012-Abkommen einzusetzen, das deutliche Impulse für
Innovation und Technologiekooperation enthält. Die Zusammenarbeit mit
Schwellen- und Entwicklungsländern bei der Forschung und Entwicklung
sowie dem Transfer von Technologien zur Treibhausgasreduktion und zur
Anpassung muss verstärkt werden. Unterstützungen der Industriestaaten be-
züglich des Technologietransfers müssen mess- und verifizierbar sein;

● sich dafür einzusetzen, dass die Staatengemeinschaft bis spätestens Ende
2009 wirksame Maßnahmen gegen das Abholzen tropischer Urwälder ent-
wickelt. Das Abkommen muss Anreizsysteme und Finanzierungsmechanis-
men für die Vermeidung von Entwaldung enthalten;

● sich dafür einzusetzen, dass ein Post-2012-Abkommen ein Co-Benefit für
die Biodiversität enthält;

Drucksache 16/11222 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
● den Clean Development Mechanism (CDM) und Joint Implementation (JI)
aus Gründen des Klimaschutzes und der Nachhaltigkeit zu unterstützen.
Hierzu muss insbesondere die Additionalität aller Projekte sichergestellt
sein. Mitnahmeeffekte müssen vermieden werden. Erforderlich sind trans-
parente und objektive Kriterien für die Validierungen, eine Stärkung der
Unabhängigkeit der Validierer von den Projektentwicklern und Verfahrens-
regeln, die Effizienz und Legitimität des Mechanismus fördern. Flexible
Mechanismen sollten zudem über einen reinen Ausgleichsmechanismus
hinaus weiterentwickelt werden zu Mechanismen, die zu einer globalen
Emissionsreduktion beitragen;

● die Maßnahmen und die Finanzierung der Klimaschutzpolitik Deutschlands
kontinuierlich und sorgfältig zu bewerten. Die nationalen und internationa-
len Maßnahmen müssen eine hohe Effektivität und Effizienz aufweisen.

Berlin, den 3. Dezember 2008

Volker Kauder, Dr. Peter Ramsauer und Fraktion
Dr. Peter Struck und Fraktion

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