BT-Drucksache 16/1103

Bundeswehreinsatz im Inland und drohende Militarisierung der Innenpolitik zur Fußballweltmeisterschaft

Vom 31. März 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/1103
16. Wahlperiode 31. 03. 2006

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Kersten Naumann, Paul Schäfer (Köln), Katrin
Kunert und der Fraktion DIE LINKE.

Bundeswehreinsatz im Inland und drohende Militarisierung der Innenpolitik
zur Fußballweltmeisterschaft

Im Vorfeld der Fußballweltmeisterschaft hat der Bundesminister des Innern,
Dr. Wolfgang Schäuble, den Einsatz der Bundeswehr im Innern gefordert.
Auch nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Luftsicher-
heitsgesetz, das die engen verfassungsrechtlichen Grenzen für Einsätze der
Bundeswehr im Inland bestätigt hat, sind diese Forderungen nicht verstummt.
Weiterhin fordern der Bundesminister des Innern, aber auch Innenminister der
Länder, die Bundeswehr zu Aufgaben der Terrorbekämpfung und des Objekt-
schutzes einzusetzen, unter anderem auch zur Fußballweltmeisterschaft. Diese
ist dabei nur der unmittelbare Anlass für eine Grundgesetzänderung, die der
Bundesminister des Innern und mehrere Innenminister der Länder unabhängig
von der Weltmeisterschaft für notwendig erachten.

In ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE. (Bundes-
tagsdrucksache 16/143) weist die Bundesregierung an mehreren Stellen darauf
hin, der (verfassungs)rechtliche Regelungsbedarf bezüglich einer etwaigen
Ausweitung der Bundeswehrkompetenzen im Inland werde nach der Entschei-
dung des Bundesverfassungsgerichts geprüft. Tatsächlich wurden aber bereits
zuvor im Zusammenhang mit der Weltmeisterschaft Maßnahmen getroffen
bzw. angekündigt, die einen Militäreinsatz im Inland zum Ziel haben. So be-
richtete die Zeitung DIE WELT am 10. Februar 2006, Soldaten, die in der Nähe
von Spielorten stationiert sind, hätten für die Dauer der WM eine Urlaubssperre
erhalten. Der Bundesminister des Innern brachte die Idee in die Diskussion, die
verfassungsrechtlichen Vorgaben dadurch zu umgehen, dass Bundeswehrsol-
daten für die Dauer der Weltmeisterschaft zur Bundespolizei abkommandiert
werden sollten.

Auf scharfe Kritik stoßen die Forderungen nach einer Erweiterung der Kompe-
tenzen auch bei Bundeswehrangehörigen und der Polizei. So weisen sowohl die
Gewerkschaft der Polizei als auch der Deutsche Bundeswehrverband darauf
hin, dass nicht nur die Rechtslage, sondern auch die mangelnde Ausbildung
und Kapazität der Bundeswehr die Übernahme von Sicherungsaufgaben durch
diese ausschlössen.
Ohnehin ist bislang völlig ungeklärt, welche reale Grundlage es für den
behaupteten Bedarf an militärischer Absicherung der WM überhaupt gibt. In
Medien äußern sich Regierungspolitiker zwar immer wieder über angebliche
gravierende Sicherheitsrisiken und Terrorgefährdungen, konkrete Erkenntnisse
sind bislang aber nicht präsentiert worden. Dies wirft die Frage auf, welche
Absichten mit dem wiederholten Ruf nach Inlandseinsätzen der Bundeswehr
tatsächlich verbunden sind.

Drucksache 16/1103 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. a) Wie viele Bundeswehrsoldaten sollen im Rahmen der technischen Amts-
hilfe während der Fußballweltmeisterschaft eingesetzt werden?

b) Welche Unterstützungsleistungen sind durch welche Stellen angefordert
worden?

c) Welchen davon wird die Bundeswehr nachkommen (bitte einzeln auf-
listen)?

d) Welchen wird die Bundeswehr nicht nachkommen, und warum nicht
(bitte einzeln auflisten)?

e) Welche Kosten entstehen dabei, und wie werden diese aufgeteilt?

2. Ist die Bundesregierung der Ansicht, die Bundeswehr müsse anlässlich der
Fußballweltmeisterschaft auch für andere Aufgaben als technische Amts-
hilfe eingesetzt werden, und wenn ja,

a) wie begründet sie diese Ansicht?

b) Welche Aufgaben will sie der Bundeswehr zukommen lassen?

c) An welchen Orten und bei welchen Gelegenheiten erwägt oder beabsich-
tigt die Bundesregierung, das Militär einzusetzen?

d) Wie viele Soldaten, welche Dienstgradgruppen und Einheiten sollen für
diese Aufgaben verwendet werden?

e) Welche Bewaffnung ist dabei vorgesehen?

f) Auf welcher Rechtsgrundlage soll das geschehen?

3. Treffen Medienberichte zu (tagesschau.de 27. März 2006), denen zufolge
auch das Kommando Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr im Rahmen der
Weltmeisterschaft eingesetzt werden soll, und wenn ja,

a) wie viele Angehörige des KSK sollen zum Einsatz kommen oder in
Bereitschaft gehalten werden?

b) Zu welchen Aufgaben sollen die KSK-Soldaten eingesetzt oder in Bereit-
schaft gehalten werden?

c) Welche Bewaffnung sollen die KSK-Soldaten mit sich führen?

d) Welche Ausbildungsmodule befähigen die KSK-Soldaten zu den vor-
gesehenen Aufgaben?

e) Auf welcher Rechtsgrundlage soll der Einsatz durchgeführt werden?

4. Ist die Bundesregierung der Ansicht, Bundeswehrsoldaten verfügten über
die erforderliche Ausbildung und materielle Ausstattung, mit großen Men-
schenansammlungen, aus denen heraus Straftaten begangen werden (etwa
randalierende Hooligans), umzugehen, und wenn ja, wie begründet sie diese
Ansicht?

5. Wie beurteilt die Bundesregierung die Sicherheitslage zur Fußballweltmeis-
terschaft?

6. Welche konkreten Erkenntnisse über terroristische Gefährdungen, insbeson-
dere von öffentlichen Großveranstaltungen (public viewing) und Spielen,
liegen der Bundesregierung vor?

7. Welche Krisenszenarien zu welchen Gefährdungslagen sind von der Bun-

desregierung erstellt worden, und auf welcher Erkenntnisgrundlage?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/1103

8. a) Gibt es hinsichtlich der Fußballweltmeisterschaft Absprachen zwischen
deutschen Stellen und ausländischen Militärbehörden, und wenn ja,
welcher Art sind diese?

b) Ist der Einsatz ausländischer Militärvertreter im Rahmen der WM be-
absichtigt, wenn ja, zu welchen Zwecken, mit welchen Befugnissen und
auf welcher Rechtsgrundlage?

9. Wie bewertet die Bundesregierung die permanenten Forderungen des Bun-
desministers des Innern und mehrerer Innenminister der Länder, die Bun-
deswehr zu Sicherungsaufgaben während der Weltmeisterschaft einzuset-
zen?

10. Erwägt oder beabsichtigt die Bundesregierung, Bundeswehreinheiten wäh-
rend der Weltmeisterschaft an den deutschen Außengrenzen einzusetzen,
und wenn ja,

a) um welche Einheiten und Dienstgrade und wie viele Soldaten könnte es
sich dabei handeln?

b) Über welche Bewaffnung sollen diese verfügen?

c) Unter welchem Kommando könnte ein solcher Einsatz stehen?

d) Welche Grenzabschnitte kommen dafür in Frage?

e) Welcher Bedarf an dieser Maßnahme besteht nach Ansicht der Bundes-
regierung bzw. welcher Bedarf könnte bis zur Weltmeisterschaft ein-
treten?

11. Treffen Medienberichte (Frankfurter Rundschau, 30. März 2006) zu, denen
zufolge das Bundesministerium des Innern eine Prüfung vorgenommen
hat, ob während der Fußballweltmeisterschaft Bundeswehrsoldaten zum
Dienst an die Bundespolizei abkommandiert werden können, und wenn ja,

a) was sind die wesentlichen Schlussfolgerungen, die sich aus der Sicht
des Bundesministeriums des Innern aus dieser Prüfung ergeben?

b) Zu welchen Schlussfolgerungen ist das Bundesministerium des Innern
hinsichtlich der einfachgesetzlichen und verfassungsrechtlichen Bewer-
tung einer solchen Abkommandierung gekommen?

c) Zu welchen Schlussfolgerungen ist das Bundesministerium des Innern
dabei hinsichtlich der bei einer solchen Abkommandierung möglichen
Bewaffnung der Bundeswehrangehörigen gekommen?

d) Zu welchen Schlussfolgerungen ist das Bundesministerium des Innern
hinsichtlich der Frage gekommen, ob eine solche Abkommandierung
bei allen Dienstgraden und Einheiten möglich wäre?

e) Zu welchen Schlussfolgerungen ist das Bundesministerium des Innern
hinsichtlich der Frage gekommen, zu welchen Aufgaben Soldaten be-
rechtigt wären, die an die Bundespolizei abkommandiert werden?

f) Beabsichtigt oder erwägt die Bundesregierung, Gesetzesänderungen
oder Verfassungsänderungen vorzunehmen, um künftig eine Abkom-
mandierung von Bundeswehrsoldaten zur Bundespolizei zu ermög-
lichen, und wenn ja, warum und was will die Bundesregierung konkret
unternehmen?

12. a) Treffen Medienberichte (DIE WELT vom 10. Februar 2006) zu, denen
zufolge Bundeswehrsoldaten, die in der Umgebung der WM-Spielorte
stationiert sind, für die Dauer der Weltmeisterschaft eine Urlaubssperre
erhalten haben?

Drucksache 16/1103 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

b) Trifft es weiterhin zu, dass davon nicht oder nicht nur Angehörige von
Sanitäts- oder ABC-Abwehreinheiten betroffen sind, und wenn ja,
warum erhalten Soldaten Urlaubssperren, die nicht für technische
Amtshilfe benötigt werden?

c) Wie viele Soldaten, welche Einheiten und Dienstgradgruppen sind von
dieser Urlaubssperre betroffen?

d) Für welche Aufgaben sollen die betroffenen Soldaten zur Verfügung
stehen?

e) Sollen während der Weltmeisterschaft Soldaten in der Nähe von Spiel-
orten zentral oder dezentral zusammengefasst werden, und wenn ja,
welche Überlegungen werden dazu im Einzelnen angestellt, und mit
welcher Begründung?

13. Welche Einsatzszenarien existieren für einen bewaffneten Einsatz der
Bundeswehr im Inland, welche Einsatzszenarien will die Bundesregierung
erarbeiten lassen, und wie begründet sie dies?

14. Wie beurteilt die Bundesregierung die Fähigkeit der Bundeswehr zur Über-
nahme polizeilicher bzw. polizeiähnlicher Tätigkeiten, und auf welche
Erfahrungen stützt sie sich dabei?

a) Welche Kooperationen bestehen zwischen Bundes- und Landespolizei-
stellen und der Bundeswehr für Aufgaben der Aufstandsbekämpfung?

b) Welche Kooperationen bestehen für die Übernahme polizeilicher Auf-
gaben durch die Bundeswehr?

c) Wo finden entsprechende Lehrgänge, Ausbildungen, Schulungen usw.
statt, welche Einheiten der Polizei und der Bundeswehr nehmen daran
teil, und wer leitet sie?

d) Welchen Bedarf gibt es nach Ansicht der Bundesregierung hierfür?

e) Welche weiteren Kooperationen zwischen Polizei und Bundeswehr
strebt die Bundesregierung nach der Entscheidung des Bundesverfas-
sungsgerichts an, und wie will sie deren Verfassungskonformität sicher-
stellen?

f) Beabsichtigt die Bundesregierung, die bestehenden Kooperationen aus-
zubauen und zu intensivieren, und wenn ja, warum und in welcher Hin-
sicht?

15. Hält die Bundesregierung nach der Entscheidung des Bundesverfassungs-
gerichts zum Luftsicherheitsgesetz daran fest, eine Erweiterung der der-
zeitigen Einsatzmöglichkeiten der Bundeswehr im Inland zu prüfen, und
wenn ja,

a) strebt sie eine solche Erweiterung noch in diesem Jahr an?

b) An welche Einsätze ist dabei gedacht?

c) Welche Einheiten und Dienstgradgruppen sollen zum Einsatz kommen?

d) Über welche Bewaffnung sollen die Soldaten verfügen?

e) Welchen Zweck verfolgt die Bundesregierung damit?

f) Wie begründet die Bundesregierung den Bedarf an der Einsatzerweite-
rung?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/1103

g) Wie beurteilt sie den verfassungsrechtlichen und einfachgesetzlichen
Regelungsbedarf hierfür?

h) Welche Verfassungs- und Gesetzesänderungen erwägt sie einzuleiten
oder ist sie entschlossen einzuleiten?

i) Wie will sie dabei die vom Bundesverfassungsgericht bekräftigten Vor-
gaben des Grundgesetzes wahren?

Berlin, den 31. März 2006

Ulla Jelpke
Kersten Naumann
Paul Schäfer (Köln)
Katrin Kunert
Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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