BT-Drucksache 16/11020

Rechtsextrem und rassistisch motivierte Tötungsdelikte im Sommer 2008

Vom 24. November 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/11020
16. Wahlperiode 24. 11. 2008

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Petra Pau, Ulla Jelpke, Kersten Naumann
und der Fraktion DIE LINKE.

Rechtsextrem und rassistisch motivierte Tötungsdelikte im Sommer 2008

In den Sommermonaten 2008 kam es zu vier Tötungsdelikten bei denen die
rechtsextreme bzw. rassistische Gesinnung der Täter für die Tatmotivation von
Bedeutung war.

Am 22. Juli 2008 wurde der 55-jährige Bernd T. in Templin auf äußerst brutale
Art erschlagen. Die beiden Tatverdächtigen, Sven P. und Christian W., gehören
der lokalen rechtsextremen Szene an und sind in diesem Zusammenhang auch
vorbestraft (u. a. wegen Brandstiftung, gefährlicher Körperverletzung, Volks-
verhetzung; vgl. DER TAGESSPIEGEL vom 25. Juli 2008). Von Seiten der
Kommune wurde zunächst jeder politische Zusammenhang der Tat bestritten.
Das Opfer wird in den Presseberichten als arbeitslos und sozial randständig be-
schrieben, eine Gruppe die häufig Opfern von rechtsextremer Gewalt ist.

Am 6. August 2008 wird der Vietnamese Cha Dong N. in Berlin-Marzahn von
Timo W. auf offener Straße erstochen. Das Opfer war laut Zeitungsberichten als
Zigarettenhändler tätig, über die sich, nach Aussagen seiner Nachbarschaft,
Timo W. schon mehrfach aufgeregt hat. Der rassistische Hintergrund der Tat
liegt angesichts der Tatsache, dass sich der Täter schon mehrfach rassistisch
über „diese Fidschis“ geäußert hatte, nahe (vgl. BERLINER MORGENPOST
vom 7. August 2008 und www.mut-gegen-rechte-gewalt.de vom 20. August
2008).

Am 17. August 2008 wird in Magdeburg der Kunststudent Rick L. von dem
Neonazi Bastian O. totgetreten. Das Opfer soll Bastian O. in einer Diskothek zu-
vor als Nazi beschimpft haben. Bastian O. gilt als „Größe“ in der örtlichen
Neonaziszene und wurde u. a. wegen eines rassistisch motivierten Angriffs auf
einen aus Togo stammenden Studenten zu einem Jahr und acht Monaten Haft-
strafe ohne Bewährung verurteilt (vgl. DER SPIEGEL Nr. 36/2008, S. 40 f.).

In Bernburg wird am 24. August 2008 der 18-jährige Marcel W. mit zahlreichen
Messerstichen getötet. Der Tat verdächtigt wird David B., Angehöriger der
extrem rechten Szene der Region und mehrfach wegen Körperverletzung und
dem „Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen“ ver-
urteilt. Das Opfer sollte gegen seinen mutmaßlichen Mörder wegen Körper-

verletzung vor Gericht aussagen (vgl. DER SPIEGEL Nr. 36/2008, S. 40 f.).

Alle angeführten Fälle verdeutlichen die hohe Gewaltbereitschaft der extrem
rechten Szene, die nach Einschätzung des BKA-Präsidenten, Jörg Ziercke, „eine
neue Qualität“ erreicht habe (vgl. DER TAGESSPIEGEL vom 7. August 2008).
Die Taten fügen sich in eine lange Reihe von rassistisch und rechtsextrem moti-
vierten Tötungsdelikten ein. In der Öffentlichkeit wird, auch durch die häufige
Leugnung des politischen Hintergrunds der Tatmotivation, diese für inzwischen

Drucksache 16/11020 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
141 Menschen tödliche Gefahr durch die extreme Rechte immer noch unter-
schätzt.

In den von der Fraktion DIE LINKE. monatlich von der Bundesregierung
erfragten Zahlen zur politisch motivierten Kriminalität rechts (PMK-rechts)
tauchen die hier aufgeführten Tötungsdelikte in den Monaten Juli und August
nicht auf. Nach Aussage der Bundesregierung (bezogen auf den Fall in Templin,
vgl. Plenarprotokoll 16/178, S. 18930 f.) vor allem deshalb nicht, weil die Bun-
desländer für die Einordnung der Fälle maßgebend seien. Verwiesen wird hier
auf mögliche Nachmeldungen am Ende des Jahres.

Nach Ansicht der Fragesteller muss die Bundesregierung ein Interesse an einer
zeitnahen und realistischen Einschätzung des rechtsextremen Gewaltpotenzials
haben. Der Verweis auf mögliche Nachmeldungen zum Jahresende ist hier we-
nig dienlich.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie bewertet die Bundesregierung die Tat in Templin am 22. Juli 2008, sieht
sie hier den Anfangsverdacht einer rechtsextremen Motivation als gegeben
an, und mit welcher Begründung taucht dieses Tötungsdelikt nicht in den
Zahlen der PMK-rechts für den Monat Juli auf, obwohl laut „DER TAGES-
SPIEGEL“ vom 25. Juli 2008 die Staatsanwaltschaft Neuruppin ein politi-
sches Motiv für möglich hält?

2. Wie bewertet die Bundesregierung die Tat in Berlin-Marzahn vom 6. August
2008, sieht sie hier den Anfangsverdacht einer rassistischen Motivation als
gegeben an, und mit welcher Begründung taucht dieses Tötungsdelikt nicht
in den Zahlen der PMK-rechts für den Monat August auf?

3. Wie bewertet die Bundesregierung die Tat in Magdeburg am 17. August
2008, sieht sie hier den Anfangsverdacht einer rechtsextremen Motivation als
gegeben an, und mit welcher Begründung taucht dieses Tötungsdelikt nicht
in den Zahlen der PMK-rechts für den Monat August auf?

4. Wie bewertet die Bundesregierung die Tat in Bernburg am 24. August 2008,
sieht sie hier den Anfangsverdacht einer rechtsextremen Motivation als gege-
ben an, und mit welcher Begründung taucht dieses Tötungsdelikt nicht in den
Zahlen der PMK-rechts für den Monat August auf?

5. Von wie vielen Todesopfern rechtsextrem und oder rassistisch motivierter
Gewalt geht die Bundesregierung zwischen 1990 und heute aus?

6. Stimmt die Bundesregierung der Auffassung der Fragesteller zu, dass eine
zeitnahe statistische Auflistung von Verdachtsfällen rechtsextremer Tötungs-
delikte durch die Bundesländer und den Bund sinnvoll wäre, da so die auch
von der Bundesregierung angestrebte öffentliche Sensibilisierung weit besser
erfolgen könnte als durch mögliche Nachmeldungen Monate nach der Tat,
und wie begründet die Bundesregierung ihre Auffassung?

7. Wie bewertet die Bundesregierung die Einschätzung des Präsidenten des
BKA, Jörg Ziercke, dass es sich bei den Beispielen der zunehmenden Ge-
waltbereitschaft der rechtsextremen Szene in den letzten Monaten um „eine
neue Qualität“ handele, und welche zusätzlichen Maßnahmen will die Bun-
desregierung ergreifen, um den Schutz der Bürgerinnen und Bürger zu ge-
währleisten?

Berlin, den 21. November 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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