BT-Drucksache 16/10926

Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland und der NATO an der militärischen Aufrüstung Georgiens

Vom 11. November 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/10926
16. Wahlperiode 11. 11. 2008

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Hakki Keskin, Monika Knoche, Heike Hänsel, Inge Höger,
Alexander Ulrich und der Fraktion DIE LINKE.

Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland und der NATO an der militärischen
Aufrüstung Georgiens

Georgien ist Mitglied der 1994 von der NATO ins Leben gerufenen „Partner-
schaft für den Frieden“. Die NATO und Georgien pflegen seitdem einen inten-
siven sicherheitspolitischen Dialog und eine enge praktische Zusammenarbeit.
Georgien beteiligt sich nach Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine
Anfrage der Fraktion DIE LINKE. (Bundestagsdrucksache 16/6183) im
Rahmen eines „Individuellen Partnerschaftsprogramms“ an 27 von insgesamt
31 Kooperationsbereichen. Der „Individuelle Partnerschafts-Aktionsplan“ soll
der maßgeschneiderten Beratung und Unterstützung Georgiens insbesondere im
Bereich der Verteidigungspolitik dienen. Schwerpunkte bilden die Durchfüh-
rung von Verteidigungssektorreformen vor allem in den Aufgabenfeldern
Beschaffung, Ausbildung, Logistik und Vorbereitung auf „friedenserhaltende
Einsätze“ inklusive Interoperabilität von Spezialkräften. Parallel dazu hat die
Bundesregierung auf der bilateralen Ebene der deutsch-georgischen militäri-
schen Zusammenarbeit den Aufbau eines Unteroffizierkorps unterstützt, mehr-
fach Genehmigungen für den Export von Rüstungsgütern der Ausfuhrliste Teil
1A erteilt sowie seit 1996 ausgesondertes Material der Bundeswehr unentgelt-
lich an die georgischen Streitkräfte abgegeben. Die Rüstungsexportberichte der
Bundesregierung weisen gravierende Steigerungsraten deutscher Rüstungsliefe-
rungen für Georgien aus. Nachdem im Zeitraum von 1999 bis 2006 Rüstungs-
lieferungen im Wert von 4,6 Mio. Euro genehmigt wurden, erhielt Tiflis allein
im Jahr 2006 Rüstungsgüter im Wert von 3,5 Mio. Euro aus deutschen Bestän-
den. Berichte westlicher Medien dokumentieren, dass bei Georgiens Kriegsfüh-
rung gegen das abtrünnige Südossetien im August 2008 auch Offensivwaffen
aus deutscher Produktion gegen die südossetische Zivilbevölkerung zum Ein-
satz kamen. Das ARD-Politmagazin „Report Mainz“ strahlte am 18. August
2008 einen Beitrag aus, der zeigte, dass georgische Soldaten mit deutschen
Sturmgewehren vom Typ G36 der Firma Heckler & Koch ausgestattet waren.
Presseberichten zufolge (vgl. DER TAGESSPIEGEL vom 25. August 2008)
wurden ferner deutsche Lkw zu mobilen Raketenwerfern umfunktioniert, um
Streumunition vom Typ M-85 abzufeuern, die mit Hochleistungssprengstoff ge-
füllt ist.
Infolgedessen stellt sich die Frage nach dem Wissen und der Verantwortung der
Bundesregierung hinsichtlich des Transfers dieser Waffen nach Georgien res-
pektive deren Einsatz gegen die südossetische Zivilbevölkerung.

Drucksache 16/10926 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Rüstungslieferungen hat Georgien seit seiner Staatsgründung 1991
von Seiten der Bundesrepublik Deutschland erhalten, und welche weiteren
Lieferungen sind noch vorgesehen?

2. Liegen der Bundesregierung derzeit neue Voranfragen der georgischen Re-
gierung zu Rüstungsgütern vor, und wie gedenkt sich die Bundesregierung
zu eventuell eingegangenen und künftigen Anfragen dieser Art nach dem
jüngsten Krieg in Südossetien zu verhalten?

3. Existieren noch Lieferrückstände bei bereits genehmigten Rüstungsausfuh-
ren nach Georgien, und falls ja, wird die Bundesregierung deren Ausliefe-
rung trotz der kriegerischen Ereignisse im August 2008 und der weiterhin
angespannten Lage in Georgien und den abtrünnigen Provinzen zustim-
men?

4. In welchem Umfang findet im Bereich der Sicherheits- und Rüstungsfor-
schung eine Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland
und Georgien statt, und welche konkreten Ergebnisse oder Projekte wurden
hierbei realisiert oder sollen realisiert werden?

5. Mit welchen Kontrollmechanismen gewährleistet die Bundesregierung,
dass die von Deutschland gelieferten Rüstungsgüter von der georgischen
Seite nicht völkerrechtswidrig verwendet werden?

6. Wie viele Ausfuhrgenehmigungen nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz
hat die Bundesregierung seit der Unabhängigkeit Georgiens erteilt, und um
welche Rüstungsgüter handelt es sich dabei?

7. Wie viele nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz oder dem Außenwirt-
schaftsgesetz genehmigungspflichtige Fahrzeuge wurden an Georgien ge-
liefert, die als mobile Trägersysteme für Raketenabschussvorrichtungen ge-
eignet wären?

8. Wie erklärt sich die Bundesregierung die Ausstattung der georgischen
Streitkräfte mit deutschen Sturmgewehren des Typs G36 der Firma Heckel
& Koch, und kann sie definitiv ausschließen, dass die Sturmgewehre aus
Deutschland nach Georgien gelangt sind?

9. Erfolgte seit der Unabhängigkeit Georgiens eine Kooperation zwischen der
Bundeswehr und der georgischen Armee in folgenden Bereichen, und falls
ja, auf welcher vertraglichen Grundlage und inhaltlichen Vereinbarungen:

a) Ausbildungskooperation,

b) gemeinsame Militärübungen und Beteiligung beider Armeen an NATO-
Manövern,

c) Austausch von Militärberatern,

d) weitere Formen der Zusammenarbeit?

10. Welche Art von Hilfsgütern hat die Bundesregierung über den Seeweg mit
Hilfe der Fregatte „Lübeck“ an Georgien geliefert, und weshalb hat sie hier-
für kein ziviles Transportmittel gewählt?

11. In welchem finanziellen Umfang und in welchen Bereichen hat nach Kennt-
nis der Bundesregierung die NATO den Aufbau der georgischen Streitkräfte
seit der Staatsgründung 1991 unterstützt?

12. Mit welchen gelieferten Rüstungsgütern hat die NATO nach Kenntnis der
Bundesregierung die militärischen Kapazitäten Georgiens gestärkt, und
wurden hierbei insbesondere auch Waffensysteme bereitgestellt, die zur

offensiven Kriegsführung geeignet sind?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/10926

13. Liegen der Bundesregierung Angaben darüber vor, dass bei dem Vorgehen
der georgischen Armee gegen Südossetien Streumunition eingesetzt wurde,
und falls ja, seit wann verfügt sie über diese Erkenntnisse, und wie hat sie
hierauf reagiert?

14. Verfügt die Bundesregierung über Informationen, dass die russische Armee
Streumunition gegen die georgische Armee oder die georgische Zivilbevöl-
kerung eingesetzt hat, und falls ja, seit wann besitzt sie diese Kenntnisse,
und was hat sie daraufhin unternommen?

15. Wie beurteilt die Bundesregierung die Auswirkungen des Südossetien-
krieges auf die NATO-Beitrittsperspektive Georgiens, und welche aktuelle
Position vertritt die Bundesregierung hierzu?

16. Über welche aktuellen Erkenntnisse verfügt die Bundesregierung hinsicht-
lich der Verursachung der militärischen Konflikteskalation vom August
2008 in Südossetien?

17. Welche Auffassung vertritt die Bundesregierung hinsichtlich der von ande-
ren EU-Mitgliedern geforderten Ausweitung der EU-Beobachtermission
auf die beiden abtrünnigen Provinzen Abchasien und Südossetien, und wie
ist der aktuelle Verständigungsstand in der EU hierzu?

18. Plant die Bundesregierung darüber hinaus die Intensivierung des sicher-
heitspolitischen Dialogs mit Russland über die Begrenzung und den Abbau
der militärischen Rüstungspotenziale, und würde sie die Einbeziehung
Russlands in ein System kollektiver Sicherheit im Südkaukasus befürwor-
ten und sich gegenüber den NATO-Verbündeten diesbezüglich engagieren
(bitte erläutern)?

Berlin, den 10. November 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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