BT-Drucksache 16/1083

Traditionsverbände, Kameradschaftsvereine und der Rechtsextremismus

Vom 27. März 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/1083
16. Wahlperiode 27. 03. 2006

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Sevim Dagdelen, Kersten Naumann, Petra Pau,
Paul Schäfer (Köln) und der Fraktion DIE LINKE.

Traditionsverbände, Kameradschaftsvereine und der Rechtsextremismus

Traditionsverbände von Wehrmachtsoldaten bemühen sich darum, ein positives
Bild von der Wehrmacht zu vermitteln. Sie stellen die „tapfere“, „aufopferungs-
volle“ Kriegsführung und Kampfmoral von Wehrmachtsoldaten als vorbildlich
dar und verneinen oder relativieren die Beteiligung der faschistischen Truppen
an Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschheit. Auch wenn das
Wehrmacht verherrlichende und revanchistische Anliegen solcher Verbände
häufig unterhalb der Schwelle strafrechtlich relevanter Äußerungen bleibt, so
ist es doch mit demokratischen Positionen, aber auch mit den Vorgaben des
Traditionserlasses unvereinbar.

Mehrere Traditionsverbände sind offizielle Partnerorganisationen des Verban-
des der Reservisten der Deutschen Bundeswehr (VdRDBw). Dazu gehören der
Kyffhäuserbund, der Kameradenkreis der Gebirgstruppe und der Bayerische
Soldatenbund 1874 e. V.

Über den Kyffhäuserbund heißt es im Handbuch deutscher Rechtsextremismus
(Hg. Jens Mecklenburg, Berlin 1996), er vertrete einen großdeutschen Nationa-
lismus. In der vom Kyffhäuserbund herausgegebenen Zeitschrift „Kyffhäuser“
spiegelt sich diese Haltung selbst in einem auf den ersten Blick unpolitischen
„Reisebericht“ wieder, in dem es über den früheren Ostwall heißt, es sei „bittere
Ironie der Geschichte, dass diese technisch hoch stehende und mit großem
Aufwand gebaute Anlage nahezu kampflos der Roten Armee in die Hände fiel“
(Ausgabe August 2005, S. 5). Der „Kyffhäuser“ propagiert die Auffassung, die
Umsiedlung der Deutschen nach 1945 könne „durch nichts gerechtfertigt wer-
den und schon gar nicht durch das Völkerrecht“ (Ausgabe April 2005, S. 4).
Auf die Hintergründe des Umsiedlungsbeschlusses und die Verbrechen der
faschistischen Truppen in Osteuropa wird dabei nicht eingegangen. In der
Ausgabe Januar 2006 (S. 31) wird zustimmend eine Äußerung des ehemaligen
„Reichskriegerführers“ Reinhard über dessen Haltung zum faschistischen
Raubkrieg zitiert: „Aber Deutschland war im Krieg um Tod und Leben und
jeder musste auf seinem Platze seine Schuldigkeit tun, so gut er konnte!“

Der Bayerische Soldatenbund 1874 e. V. und der Kameradenkreis der Gebirgs-
truppe vertreten eine noch mehr rechtslastige Haltung. Der Kameradenkreis der

Gebirgstruppe gehört zu den Initiatoren des jährlichen Pfingsttreffens ehemali-
ger Gebirgsjäger der Wehrmacht in Mittenwald. Die von diesen zu verantwor-
tenden Kriegsverbrechen werden vom Kameradenkreis aber entweder ignoriert
oder geleugnet (Stephan Stracke, Ralph Klein, Regina Mentner [Hg]: »Mörder
unterm Edelweiß«, Köln 2004). In der Zeitschrift „Die Gebirgstruppe“, heraus-
gegeben vom Kameradenkreis, finden sich revisionistische Äußerungen, wel-
che die Alleinschuld Deutschlands am Zweiten Weltkrieg in Frage stellen („Der

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Krieg, der viele Väter hatte“, in der Ausgabe Oktober 2004). In der Ausgabe
Februar 2002 wurde geleugnet, dass deutsche Einheiten im griechischen
Kephalonia Kriegsverbrechen begangen haben.

In der Zeitschrift „Treue Kameraden“, herausgegeben vom Bayerischen Solda-
tenbund 1874 e. V., finden sich zustimmende Besprechungen rechtsextremisti-
scher Publikationen. So wird in der Ausgabe Juni 2005 (S. 41) das Buch „Frei-
spruch für die Deutsche Wehrmacht“ besprochen. Der Rezensent, der der
extremen Rechten zugerechnete Ex-Generalmajor Gerd Schultze-Rhonhof,
behauptet, dass es im Zweiten Weltkrieg „von deutscher Seite ursprünglich nur
um die Menschenrechte der deutschen Minderheit in Polen und um die Heim-
kehr der Danziger Bevölkerung in ihr Mutterland ging“. Der Krieg habe „sich
gegen Hitlers Willen“ ausgedehnt. Weiter behauptet der Autor, es sei „zweifels-
frei“ belegt, dass die Sowjetunion im Juni 1941 starke Verbände der Roten
Armee „zum Angriff und nicht zur Verteidigung“ habe aufmarschieren lassen.
Das besprochene Buch gibt der Grabert-Verlag heraus, in dem eine Vielzahl
rechtsextremistischer Publikationen, darunter auch Werke des Revisionisten
David Irving, verlegt wird.

Alle drei genannten Verbände arbeiten eng mit der Bundeswehr zusammen, wie
sich aus den Zeitschriften ergibt. Veranstaltungen in militärischen Liegenschaf-
ten der Bundeswehr, Artikel aktiver Bundeswehrangehöriger und Berichte über
die gemeinsame Durchführung von Veranstaltungen ziehen sich durch die
Verbandspresse.

Die Zusammenarbeit der Bundeswehr mit revisionistischen und revanchisti-
schen Verbänden muss Besorgnis erwecken, besonders vor dem Hintergrund
der rechtsextremistischen Vorkommnisse, die der Wehrbeauftragte des Deut-
schen Bundestages in seinen Jahresberichten meldet.

Das von der Bundeswehr gepflegte Geschichtsbild rückt dadurch selbst in den
Blickpunkt. Zu den wichtigsten Grundlagen gehört der Traditionserlass des
Bundesministeriums der Verteidigung. Offenkundig wird dieser von vielen Sol-
daten entweder nicht zur Kenntnis genommen oder nicht umgesetzt. Der Stabs-
abteilungsleiter beim Führungsstab der Luftwaffe äußerte sich bei einem Vor-
trag am 12. November 2005 dahingehend, alle „bestehenden Erlasse, auch die
für Fragen des Traditionsverständnisses, sind nicht nur verfügbar zu machen,
sondern auch zu vermitteln.“ Es gebe „Grund zur Annahme, dass sich vor allem
hinsichtlich der Umsetzung des Traditionserlasses die Vorgesetzten nicht im-
mer dieser Aufgabe in dem erforderlichem Umfang gestellt haben.“ Dies ist
umso besorgniserregender, als der frühere Generalinspekteur Bagger schon
1998 vor dem Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages einräumen
musste, dass der Traditionserlass bei einigen Einheiten nicht bekannt oder nicht
mehr auffindbar war (Bundestagsdrucksache 13/11005). Dass die Situation
auch sieben Jahre später offenbar nicht besser geworden ist, deutet auf ein Ver-
sagen des Bundesministeriums der Verteidigung hin.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Über welche Traditionsvereine und Reservistenkameradschaften unter Ein-
schluss der von ihnen herausgegebenen Publikationen liegen der Bundes-
regierung verfassungsschutzrelevante Erkenntnisse vor?

2. a) Welche Traditionsvereine und Reservistenkameradschaften sowie Publi-
kationen wurden auf verfassungsschutzrelevante Erkenntnisse überprüft?

b) Hat die Bundesregierung auch überprüft, ob diese Vereinigungen mit sol-
chen Organisationen und Institutionen (Vereinen, Verlagen und anderen)
zusammenarbeiten, über die verfassungsschutzrelevante Erkenntnisse

vorliegen, und wenn ja, zu welchen Erkenntnissen ist sie hierbei gekom-
men und welche Konsequenzen zieht sie hieraus?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/1083

3. Welche rechtsextremistisch durchsetzten und revanchistischen sowie ge-
schichtsrevisionistischen Traditionsvereine und Reservistenkameradschaf-
ten sind offizielle Partner des Verbandes der Reservisten der Deutschen
Bundeswehr (VdRDBw)?

4. Welches Verhältnis hat die Bundeswehr zum VdRDBw?

5. a) Welche Fördermittel erhält der VdRDBw aus öffentlicher Hand (bitte
Zeitraum seit 2002 angeben)?

b) Welche weiteren Vergünstigungen erhält der VdRDBw in Form von
kostenlosen Überlassungen, des Kaufs von Publikationen des VdRDBw
durch das Bundesministerium der Verteidigung oder anderen Formen
(bitte detaillierte Angaben für den Zeitraum seit 2002)?

6. Inwiefern profitieren die vom Verband der Reservisten der Deutschen Bun-
deswehr als „Partner“ aufgeführten Organisationen direkt oder indirekt von
diesen Förderungen, insbesondere

a) der Kyffhäuserbund,

b) der Bayerische Soldatenbund 1874 e. V.,

c) der Kameradenkreis der Gebirgstruppe?

7. Welche Kooperationsformen (Durchführung gemeinsamer Veranstaltungen,
Besuche von und Einladungen zu Veranstaltungen, thematische Zuarbeiten,
Überlassung von Räumen, Zutrittsgewährung zu militärischen Liegenschaf-
ten und andere Formen) sowie offizielle Kontakte gibt es zwischen der Bun-
deswehr, ihr unterstellten Dienststellen bzw. einzelnen Standortkommandos
und

a) dem Kyffhäuserbund,

b) dem Bayerischen Soldatenbund 1874 e. V.,

c) dem Kameradenkreis der Gebirgstruppe,

d) anderen Traditionsverbänden und Reservistenkameradschaften (bitte
einzeln aufführen),

und welcher Art ist die Zusammenarbeit (bitte detailliert für den Zeitraum
seit 2002 auflisten)?

8. Wer entscheidet darüber, ob Traditionsverbänden und Reservistenkamerad-
schaften Zugang zu militärischen Liegenschaften gewährt wird, und welche
Regelungen gibt es hierfür?

9. a) Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse vor, dass im Kyffhäuserbund,
im Bayerischen Soldatenbund 1874 e. V. und im Kameradenkreis der
Gebirgstruppe revanchistische und revisionistische Positionen vertreten
werden, und wenn ja, welche, und welche Konsequenzen zieht die Bun-
desregierung daraus für die Gestaltung der weiteren Zusammenarbeit
zwischen diesen Vereinigungen und der Bundeswehr?

b) Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Fragesteller, dass revan-
chistische und revisionistische Positionen keinerlei Förderung mit
öffentlichen Mitteln verdienen?

10. a) Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über den Stand des Auf-
lösungsprozesses des Ringes Deutscher Soldatenverbände (RDS) und
über etwaige Nachfolge- oder Ersatzaktivitäten?

b) Welche Zusammenarbeit gibt es noch zwischen dem RDS bzw. noch
aktiven Teilgliederungen, Ersatz- oder Nachfolgeorganisationen und der

Bundeswehr?

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11. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Verbreitung rechts-
extremistischer Zeitschriften unter Bundeswehrsoldaten und welche Kon-
sequenzen zieht sie hieraus?

12. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Verbreitung

a) der Deutschen Militärzeitschrift,

b) der Zeitschrift „Kameraden“,

c) der Zeitschrift „Treue Kameraden“,

d) der Zeitschrift „Der Kyffhäuser“,

e) der Zeitschrift „Die Gebirgstruppe“

unter Bundeswehrsoldaten?

f) Welche verfassungsschutzrelevanten Erkenntnisse hat die Bundesregie-
rung über die vorgenannten Zeitschriften?

g) Welche Ausgaben dieser Zeitschriften hat sie untersucht?

13. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über das Ausmaß und den
Erfolg, den militärische Traditionsverbände und Reservistenkameradschaf-
ten bei dem Versuch haben, Bundeswehroffiziere anzusprechen und in
ihrem Sinne zu beeinflussen, insbesondere sie zu Kooperationen (im Sinne
der Frage 7) zu bewegen, und inwieweit sind an solchen Versuchen auch
Rechtsextremisten beteiligt?

14. a) Welche Unterstützung erhält die Zeitschrift „loyal“ aus öffentlichen Mit-
teln und welche Auflage hat sie?

b) Hat die Bundesregierung verfassungsschutzrelevante Erkenntnisse über
die Zeitschrift „loyal“, und wenn ja, welche?

c) Welche Ausgaben der „loyal“ wurden untersucht?

d) Hat die Bundesregierung dabei auch untersucht, inwiefern die „loyal“
Anzeigenraum bereitstellt für rechtsextremistische Verlage und Publika-
tionen, und wenn nein, warum nicht?

15. Welche Bedeutung kommt nach Auffassung der Bundesregierung der Wehr-
macht für die Geschichtspolitik und Traditionspflege der Bundeswehr zu?

16. Welche Soldaten und Offiziere der Wehrmacht erachtet die Bundesregie-
rung als vorbildlich für die Bundeswehr?

17. Stimmen die gegenwärtigen Namensgebungen militärischer Liegenschaf-
ten, von Straßen und Plätzen innerhalb militärischer Liegenschaften sowie
von Schiffen, Flugzeugen, Fahrzeugen, Einheiten und Gliederungen der
Bundeswehr mit dieser Auffassung stets überein, und wenn nein, in wel-
chen Fällen nicht, und welche Konsequenzen will die Bundesregierung er-
greifen?

18. Welches Bild von

a) einzelnen Offizieren der Wehrmacht,

b) einfachen Soldaten der Wehrmacht,

c) der Wehrmacht als Ganzes,

d) dem Charakter des Zweiten Weltkrieges wird in den Traditionsräumen
der Bundeswehr vermittelt?

19. a) Zu welchem Zweck unterhält die Bundeswehr Traditionsräume mit
Wehrmachts-Devotionalien?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/1083

b) Wie stellt die Bundesregierung sicher, dass die Traditionsräume nicht so
gestaltet werden, dass sie Anziehungspunkte für Rechtsextremisten bil-
den, insbesondere durch das Zeigen von Hakenkreuzen und anderen,
auch von der Wehrmacht genutzten Symbolen?

c) Welche Möglichkeiten stehen der Bundesregierung zur Verfügung,
sicherzustellen, dass das in den Traditionsräumen vermittelte Bild von
der Wehrmacht den Vorgaben des Traditionserlasses entspricht, wie
nutzt sie diese Möglichkeiten, und welche Veränderungen sind beabsich-
tigt?

d) In welcher Weise werden die Traditionsräume genutzt, und wer ent-
scheidet über den Zugang zu ihnen?

e) Haben auch Zivilisten Zugang zu den Traditionsräumen, und wenn ja,
in welchem Umfang und wozu?

f) Wie viele Traditionsräume gibt es bei der Bundeswehr (bitte einzeln
nach Standorten auflisten)?

20. a) Wie erklärt sich die Bundesregierung, dass der Traditionserlass von
1982 bis heute nicht im notwendigen Maße innerhalb der Bundeswehr
vermittelt wird, wie es der in der Vorbemerkung zitierte Stabsabteilungs-
leiter beim Führungsstab der Luftwaffe ausgeführt hat?

b) Welche Vorbehalte in der Bundeswehr gegen den Traditionserlass und
das darin ausgedrückte Traditionsverständnis sind der Bundesregierung
bekannt, und welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung hieraus?

c) Welche Schritte unternimmt die Bundesregierung, um sicherzustellen,
dass ihre Haltung zur Wehrmacht und zum Traditionsverständnis bei
sämtlichen Soldaten bekannt ist und akzeptiert wird?

Berlin, den 22. März 2006

Ulla Jelpke
Sevim Dagdelen
Kersten Naumann
Petra Pau
Paul Schäfer (Köln)
Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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