BT-Drucksache 16/10820

Internationalen Klimaschutz stärken - Missbrauch von CDM-Projekten verhindern

Vom 10. November 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/10820
16. Wahlperiode 10. 11. 2008

Antrag
der Abgeordneten Bärbel Höhn, Hans-Josef Fell, Cornelia Behm, Winfried
Hermann, Peter Hettlich, Bettina Herlitzius, Ulrike Höfken, Dr. Anton Hofreiter,
Sylvia Kotting-Uhl, Undine Kurth (Quedlinburg), Nicole Maisch und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Internationalen Klimaschutz stärken – Missbrauch von CDM-Projekten verhindern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Zur Erreichung der internationalen Klimaschutzziele

Im Kyoto-Protokoll ist internationalen Projekten zu einer klimaverträglichen
Entwicklung nach dem Clean Development Mechanism (CDM) eine wichtige
Rolle zugedacht. CDM-Projekte sollen zum einen die nachhaltige Entwicklung
des Gastlandes durch den beschleunigten Transfer von Klimaschutztechnolo-
gien begünstigen. Zum anderen sollen sie den durch das Kyoto-Protokoll ge-
bundenen Industrieländern die kosteneffiziente Erfüllung ihrer Klimaschutz-
verpflichtungen ermöglichen.

Die bisherige Bilanz der CDM-Projekte ist jedoch zwiespältig. Einerseits be-
legen über 1 000 registrierte und die Vielzahl geplanter CDM-Projekte, dass
der Gedanke der internationalen Projektzusammenarbeit im Klimaschutz breite
Akzeptanz gefunden hat. Dabei werden auch viele gute Projekte durchgeführt,
die den Zielen des CDM entsprechen. Andererseits häufen sich die Anzeichen
für einen erheblichen Missbrauch von CDM-Projekten und der Förderung von
Projekten, die keine oder gar negative Auswirkungen auf den Klimaschutz
haben. Diese Missstände müssen im Rahmen der laufenden Verhandlungen um
ein Kyoto-Nachfolgeprotokoll dringend abgestellt werden, um die Erreichung
der internationalen Klimaschutzziele nicht zu gefährden.

Ein gravierendes Problem vieler CDM-Projekte besteht im Fehlen der erforder-
lichen Zusätzlichkeit der Klimaschutzmaßnahmen. Eine durch den World Wide
Fund for Nature (WWF) in Auftrag gegebene Studie des Öko-Instituts hat
ergeben, dass gegenwärtig bei rund 40 Prozent der CDM-Projekte die Zusätz-
lichkeit der Maßnahmen unwahrscheinlich oder fragwürdig ist. Und nach einer
Studie der amerikanischen Umweltschutzgruppe International Rivers waren so-
gar drei Viertel der untersuchten CDM-Projekte im Zeitpunkt ihrer Anerken-

nung als CDM-Projekt bereits abgeschlossen, was darauf hinweist, dass diese
Projekte wahrscheinlich auch ohne den CDM durchgeführt worden wären. Das
hat ernste Auswirkungen auf die Klimabilanz der CDM-Projekte: Da CDM-Pro-
jekte auf der einen Seite höhere Emissionen in den Industrieländern zulassen,
sind sie nur dann positiv für den Klimaschutz, wenn diesen Mehremissionen auf
der anderen Seite tatsächliche Emissionseinsparungen in den Gastländern ge-
genüberstehen, die ohne die CDM-Projekte nicht erfolgt wären. Werden statt-

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dessen Maßnahmen, die ohnehin durchgeführt worden wären, über CDM-Pro-
jekte gefördert, kann der CDM im Ergebnis zu mehr Klimabelastung führen,
weil den Mehremissionen in den Industrieländern keine zusätzlichen Emissions-
einsparungen gegenüberstehen. Deshalb müssen in den Verhandlungen um das
Kyoto-Nachfolgeprotokoll strengere Regeln für die Zusätzlichkeit von CDM-
Projekten und die Voraussetzungen für eine effektive Kontrolle ihrer Einhaltung
geschaffen werden. Zu diesem Zweck muss insbesondere die Unabhängigkeit
der Projektvalidierer und des CDM-Exekutivrats erhöht und die öffentliche
Kontrolle und Mitsprache im Verfahren der Anerkennung von CDM-Projekten
gestärkt werden.

Ein weiteres Problem ist die teilweise fehlende ökologische und soziale Nach-
haltigkeit der CDM-Projekte. Zwar sind Atomprojekte aus gutem Grund von
der Anerkennung als CDM-Projekte ausgeschlossen. Kohlekraftwerke können
aber seit letztem Jahr als CDM-Projekte anerkannt werden, wenn sie bestimmte
vom CDM-Exekutivrat formulierte Effizienzvorgaben erfüllen. Die durch neue
Kohlekraftwerke in China oder Indien generierten Emissionszertifikate können
dann genutzt werden, um zum Beispiel den Bau neuer Kohlekraftwerke in
Deutschland zu ermöglichen. Diese Förderung einer der klimaschädlichsten
Formen der Energieerzeugung führt die Klimaschutzziele des Kyoto-Protokolls
und des CDM ad absurdum. Deshalb muss auch der Bau von Kohlekraftwerken
aus dem Kreis der anerkennungsfähigen CDM-Projekte gestrichen werden.
Staudammprojekte dürfen nur anerkannt werden, wenn sie den Kriterien der
World Comission on Dams entsprechen.

Besonders fragwürdig ist auch die Nachhaltigkeit zahlreicher CDM-Projekte,
die in Zusammenhang mit der Vermeidung von halogenierten Fluorkohlen-
wasserstoffen (HFKW) und Distickstoffoxid (N2O) stehen. Weil diese Stoffe
besonders klimaschädlich sind, lassen sich durch ihre Vermeidung relativ
kostengünstig viele CDM-Zertifikate generieren. Auf diese Weise kann indirekt
ein Anreiz zur Ausweitung der Produktion der genannten Stoffe gegeben
werden, nur um sie anschließend wieder CDM-wirksam einsparen zu können.
Solche kontraproduktiven Anreize müssen in Zukunft durch klare Standards
vermieden werden.

Angesichts der bestehenden Probleme mit projektbasierten Mechanismen wird
verstärkt über die Möglichkeit von sektoralen oder politikbezogenen CDM-
Maßnahmen diskutiert. Statt in ihrer Zusätzlichkeit und Nachhaltigkeit schwer
zu kontrollierende Einzelprojekte würden dabei Emissionsreduktionen in einem
bestimmten Sektor, z. B. in der Energie- oder Abfallwirtschaft, bzw. die Förde-
rung bestimmter Politikinstrumente, z. B. eines Erneuerbare-Energien-Gesetzes
im Gastland, honoriert. Da auch diese Ansätze zahlreiche praktische Fragen auf-
werfen, sollte das Kyoto-Nachfolgeabkommen eine Pilotphase zur Erprobung
sektoraler und politikbezogener CDM-Ansätze vorsehen.

Neben hohen qualitativen Standards müssen für CDM-Projekte auch weiterhin
klare quantitative Grenzen gelten. Die Industrieländer stehen in der Pflicht, den
wesentlichen Teil ihrer Klimaschutzanstrengungen bei sich zuhause zu leisten.
Wenn eine langfristige Begrenzung der Klimaerwärmung auf 2 Grad Celsius
gelingen soll, müssen sie nach den Berechnungen des Weltklimarates ihre
Treibhausgasemissionen bis 2020 um mindestens 25 bis 40 Prozent gegenüber
dem Stand des Jahres 1990 senken. Der Clean Development Mechanism darf
deshalb nicht zur Einladung an die Industrieländer werden, sich von ihren eige-
nen Klimaschutzaufgaben freizukaufen. Außerdem ist eine Ausweitung des
Anteils an CDM-Projekten nicht vertretbar, solange die Zweifel an deren Nach-
haltigkeit und Zusätzlichkeit nicht durch neue Regeln und Kontrollmaßnahmen
ausgeräumt sind. Ein Moratorium für CDM-Projekte würde hingegen über das

Ziel hinausschießen. Dadurch würde nicht nur ein potentiell nützliches Instru-
ment des internationalen Klimaschutzes vorschnell diskreditert. Ohne den

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CDM könnte es auch erheblich schwieriger werden, international die not-
wendige Unterstützung für ein ambitioniertes Kyoto-Nachfolgeabkommen zu
gewinnen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

sich im Rahmen der Verhandlungen zu einem Kyoto-Nachfolgeabkommen da-
für einzusetzen, dass

– die Integrität, Glaubwürdigkeit und Nachhaltigkeit der CDM-Projekte er-
höht wird und die Zusätzlichkeit der Projekte durch klare Kriterien, wirk-
same Kontrollen und abschreckende Sanktionen sichergestellt wird,

– klimaschädliche Kohlekraftwerke nicht länger als CDM-Projekte anerkannt
werden dürfen, Atomprojekte ausgeschlossen bleiben und für Staudamm-
projekte die ökologischen und sozialen Kriterien der World Commission on
Dams eingehalten werden müssen,

– Projekte zur Reduzierung von HFKW-23 und N2O keine Anreize zur Fort-
setzung oder Ausweitung dieser klimaschädlichen Stoffe und zum Verzicht
auf Alternativen bieten dürfen und dass solche Vorhaben andernfalls nicht
mehr als CDM-Projekt anerkannt werden,

– die Transparenz des Verfahrens erhöht und die Beteiligung von betroffenen
Bürgerinnen und Bürgern, Nichtregierungsorganisationen und der gesamten
Öffentlichkeit gefördert und intensiviert wird,

– die Unabhängigkeit der Projektvalidierer und des CDM-Exekutivrats ge-
stärkt wird, insbesondere dadurch, dass die Validierer künftig nicht mehr
von den Projektentwicklern ausgewählt werden und ihre Bezahlung nicht
direkt durch die Projektentwickler sondern über den Exekutivrat erfolgt,

– in Ergänzung zu den bestehenden projektbasierten CDM-Maßnahmen auch
sektorale und politikbezogene CDM-Ansätze in einer Pilotphase geprüft
werden,

– die Anerkennung von CDM-Projekten nicht ausgeweitet wird, solange die
gravierenden Probleme hinsichtlich der Zusätzlichkeit und Nachhaltigkeit
nicht gelöst sind und dass der Großteil der notwendigen Emissionsminde-
rungen auch in Zukunft in den Industriestaaten selbst erbracht werden muss.

Berlin, den 10. November 2008

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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