BT-Drucksache 16/1081

Rechtsextremistische Vorfälle in der Bundeswehr

Vom 27. März 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/1081
16. Wahlperiode 27. 03. 2006

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Sevim Dagdelen, Kersten Naumann, Petra Pau
und der Fraktion DIE LINKE.

Rechtsextremistische Vorfälle in der Bundeswehr

Im Bericht des Wehrbeauftragten für das Jahr 2005 (Bundestagsdrucksache
16/850) wurden 147 „Besondere Vorkommnisse“ mit Verdacht auf rechtsex-
tremistischen oder fremdenfeindlichen Hintergrund gemeldet. In den Jahren
2002 bis 2004 hatte es 111, 139 und 134 einschlägige Meldungen gegeben.

Aus den Meldungen geht allerdings nicht eindeutig hervor, inwieweit geschichts-
revisionistische und die Wehrmacht verherrlichende Äußerungen von Bundes-
wehrangehörigen erfasst werden. Die Bekämpfung des Rechtsextremismus
inner- wie außerhalb der Bundeswehr darf sich zudem nicht auf disziplinarisches
oder strafrechtliches Einschreiten gegen manifest gewordene rechtsextremisti-
sche Aktivitäten beschränken. Es ist vielmehr notwendig, sich mit den politischen
„Graubereichen“ deutschnationaler, völkischer und nationalkonservativer Spek-
tren zu beschäftigen. Solchen Graubereichen und Querverbindungen kommt für
die Herausbildung informeller Netzwerke und der Akzeptanzbildung rechts-
extremistischer Auffassungen eine wichtige Funktion zu.

Dass rechtsextremistische Netzwerke in einem Ausmaß existieren, das der
Bericht des Wehrbeauftragten gar nicht erfassen kann, zeigt sich daran, dass
Bundeswehrangehörige gerade höherer Dienstgrade nach ihrer Pensionierung
häufig in rechtsextremistischen Vereinigungen auftreten oder rechtsextremis-
tischen Zeitschriften Artikel liefern bzw. Interviews gewähren. Das gilt nicht
nur für „auffällig“ gewordene und vorzeitig pensionierte Generale wie den frü-
heren Kommandeur des Kommandos Spezialkräfte. In rechtsextremistischen
und nationalkonservativen Publikationen wie Soldat im Volk, der Deutschen
Militärzeitschrift, aber auch der Jungen Freiheit publizieren immer wieder ehe-
malige oder gar aktive Bundeswehrangehörige.

Besonders alarmierend sind vor diesem Hintergrund die Ergebnisse von Unter-
suchungen, die an der Universität der Bundeswehr zum politischen Selbstver-
ständnis von Offiziersstudenten durchgeführt wurden. Die Studie mit dem Titel
„Die politischen Orientierungen der Studenten an den Universitäten der Bun-
deswehr im Vergleich zu den Studenten an öffentlichen Hochschulen“, veröf-
fentlicht im Dezember 2001, kommt zum Ergebnis, dass sich 25 Prozent der
Studenten selbst als nationalkonservativ bezeichnen. Dabei vertreten sie „An-

sichten, die extremer sind als die der meisten anderen und stehen damit z. T.
bereits außerhalb der demokratischen Prinzipien“ (S. 29). „Besondere Ausprä-
gung erfahren nationalistisches und fremdendistanzierendes Gedankengut,
Merkmale, die als die zentralen Dimensionen gerade auch für Rechtsextremis-
mus gelten“ (S. 27/28).

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Seither sind nach Kenntnis der Fragesteller keine weiteren Untersuchungen zu
dieser Fragestellung veröffentlicht worden.

Um den Rechtsextremismus innerhalb der Bundeswehr zu bekämpfen, muss
man auch seine strukturellen Ursachen erkennen und bekämpfen. Die spezi-
fische Anziehungskraft, die hierarchische, auf Gewalt spezialisierte und zum
Töten ausgebildete Männergemeinschaften auf rechtsextremistisch eingestellte
Männer ausübt, muss genau so untersucht werden wie das Ausmaß, in dem der
Militärapparat rechtsextremistische Einstellungen noch zusätzlich befördert.
Beachtung ist insbesondere dem veränderten Aufgabenprofil der Bundeswehr
und den damit einhergehenden Veränderungen im Selbstbild und Selbstver-
ständnis von Soldatinnen und Soldaten zu schenken. Heute gilt nicht mehr der
„Frieden als Ernstfall“, sondern es ist der „Kämpfer-Typ“ gefragt.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Kategorien bzw. Deliktgruppen von besonderen Vorkommnissen mit
Verdacht auf rechtsextremistischen oder fremdenfeindlichen Hintergrund
werden von der Bundesregierung geführt bzw. dem Wehrbeauftragten über-
mittelt (bitte einzeln auflisten)?

a) Wird geschichtsrevisionistische Propaganda zur Leugnung oder Rechtfer-
tigung der Verbrechen des Nazifaschismus als besonderes Vorkommnis
geführt, und wenn ja, wie viele Vorfälle dieser Art wurden seit 2002 in
der Bundeswehr registriert (bitte nach Jahren auflisten)?

b) Wird geschichtsrevisionistische Propaganda zur Leugnung oder Recht-
fertigung der Verbrechen der NS-Wehrmacht und anderer bewaffneter
Formationen des Dritten Reiches als besonderes Vorkommnis geführt,
und wenn ja, wie viele Vorfälle dieser Art wurden seit 2002 in der
Bundeswehr registriert (bitte nach Jahren auflisten)?

c) Wird die Bestreitung der deutschen Schuld am Beginn des Zweiten
Weltkrieges (so genannte Kriegsschuldlüge) als besonderes Vorkommnis
geführt, und wenn ja, wie viele Vorfälle dieser Art wurden seit 2002 in
der Bundeswehr registriert (bitte nach Jahren auflisten)?

d) Wird die Glorifizierung der Kriegführung der faschistischen Wehrmacht
und anderer bewaffneter Formationen des Dritten Reiches als besonderes
Vorkommnis geführt, und wenn ja, wie viele Vorfälle dieser Art wurden
seit 2002 in der Bundeswehr registriert (bitte nach Jahren auflisten)?

2. Nimmt die Bundesregierung eine Dunkelfeldanalyse über die Anzahl rechts-
extremistischer Straftaten von Bundeswehrangehörigen vor, wenn nein,
warum nicht, wenn ja, zu welchen Erkenntnissen gelangt sie hierbei?

a) Wird bei der Erfassung von Vorkommnissen in der Bundeswehr berück-
sichtigt, ob Meldungen über Misshandlung von Soldaten, Missbrauch der
Befehlsbefugnis, Mobbing, Sexualdelikten, Homophobie oder Körper-
verletzung eine rechtsextremistische Motivation zu Grunde liegt?

b) Kann die Bundesregierung ausschließen, dass aufgrund von Motivüber-
schneidungen die tatsächliche Anzahl rechtsextremistischer Übergriffe in
der Bundeswehr höher ist als an den Wehrbeauftragten übermittelt, und
wenn ja, warum?

3. Wie verteilen sich die rechtsextremistischen Vorkommnisse der Jahre 2002,
2003, 2004 und 2005 auf

a) die Teilstreitkräfte und Organisationsbereiche,
b) Männer und Frauen,

c) Grundwehrdienstleistende (W9),

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/1081

d) Freiwillig längerdienende Wehrdienstleistende,

e) Soldaten auf Zeit,

f) Berufssoldaten?

4. Welche dieser Vorkommnisse gab es im Bereich

a) der Division Spezielle Operationen,

b) der Division Luftbewegliche Operationen,

c) des Kommandos Spezialkräfte,

d) wie erklärt sich die Bundesregierung diese Verteilung und welche Kon-
sequenzen zieht sie hieraus?

5. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über den Anteil von Bun-
deswehrangehörigen, die rechtsextremistischen Auffassungen zustimmen,
aufgeteilt nach Dienstgradgruppen und Teilstreitkräften bzw. Organisations-
bereichen?

Falls die Bundesregierung hierzu keine Erkenntnisse hat, beabsichtigt sie,
solche zu gewinnen, und wenn nein, warum nicht?

6. Wie viele der in den Jahren 2002, 2003, 2004 und 2005 begangenen Straf-
taten mit rechtsextremistischem Hintergrund wurden von

a) ehemaligen,

b) aktiven

Angehörigen der Bundeswehr begangen (bitte nach Dienstgradgruppen und
Teilstreitkräften/Organisationsbereichen aufschlüsseln)?

c) Wie viele dieser Straftäter waren aktive oder ehemalige Angehörige der
Division Spezielle Operationen (DSO), der Division Luftbewegliche
Operationen (DLO) und des Kommandos Spezialkräfte (KSK)?

d) Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung ergriffen, wenn es sich
bei den Straftätern um derzeit aktive Angehörige der Bundeswehr han-
delt?

7. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über Absprachen und Stra-
tegien der rechtsextremistischen Szene hinsichtlich des Verhaltens von
Rechtsextremisten innerhalb der Bundeswehr?

a) Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über Versuche von Rechts-
extremisten, innerhalb der Bundeswehr Netzwerke aufzubauen?

b) Welche Bemühungen unternimmt die Bundesregierung, Erkenntnisse zu
den vorgenannten Themen zu gewinnen?

c) Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus diesen Erkenntnis-
sen?

8. Wie häufig haben in den Jahren 2002, 2003, 2004 und 2005 aktive und
ehemalige Angehörige der Bundeswehr Artikel in rechtsextremistischen
Zeitungen und Zeitschriften publiziert bzw. als Interviewpartner für solche
Zeitschriften zur Verfügung gestanden (bitte aufschlüsseln nach Zeitschrif-
ten, Dienstgradgruppen, Teilstreitkräften/Organisationsbereichen und Zuge-
hörigkeit zu DSO/DLO/KSK, bei ausgeschiedenen Angehörigen der Bun-
deswehr die jeweils letzte Zugehörigkeit berücksichtigen)?

9. Welche Zeitschriften wurden dazu untersucht?

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10. Welche Konsequenzen ergreift die Bundesregierung, wenn ihr bekannt
wird, dass Bundeswehrangehörige in rechtsextremistischen Zeitschriften
publizieren oder ihnen Interviews geben?

11. Wie erklärt sich die Bundesregierung den Umstand, dass Soldaten, die in
ihrer Dienstzeit offenbar keine Veranlassung für disziplinarisches Ein-
schreiten gegeben haben, nach ihrer Pensionierung in rechtsextremistischen
Zeitschriften publizieren, und welche Konsequenzen zieht sie hieraus?

12. Wie bewertet die Bundesregierung die Anziehungskraft, die spezifisch mi-
litärische Strukturen, insbesondere das hierarchische Gewaltverhältnis und
die Ausbildung an der Waffe, auf Rechtsextremisten ausüben?

13. Welche Auswirkungen hat nach Einschätzung der Bundesregierung der
Umbau der Bundeswehr zur Interventionsarmee auf die Anziehungskraft
der Bundeswehr auf Rechtsextremisten, insbesondere unter Berücksichti-
gung des vom früheren Generalinspekteur Naumann geforderten „Kämp-
fertypen“?

14. Welche Untersuchungen und wissenschaftlich begründeten Einschätzungen
sind der Bundesregierung bekannt, denen zufolge die Umstellung des Auf-
gabenprofils der Bundeswehr auf den Schwerpunkt Auslandseinsätze und
die Orientierung am „Kämpfer“-Modell zu einer positiven Perzeption der
Rolle der Wehrmacht beigetragen haben?

a) Was sind die Grundaussagen dieser Untersuchungen?

b) Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung hieraus?

c) Inwiefern beschäftigt sich das Sozialwissenschaftliche Institut der Bun-
deswehr mit der genannten Problematik?

d) Inwiefern beschäftigen sich das Zentrum für Innere Führung und weitere
Einrichtungen der Bundeswehr mit der genannten Problematik?

15. Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Fragesteller, dass es besorg-
niserregend ist, dass 25 Prozent der Bundeswehr-Studenten sich selbst als
nationalkonservativ bezeichnen (laut der in der Vorbemerkung genannten
Studie), und wenn nein, warum nicht?

16. Wie erklärt sich die Bundesregierung, dass der Anteil von Rechtsextremis-
ten und Nationalkonservativen in der Bundeswehr im Vergleich zur Durch-
schnittsbevölkerung höher liegt, und welche Konsequenzen zieht sie
hieraus?

17. In welcher Weise beobachtet die Bundesregierung Vorkommnisse mit
deutschnationalem, nationalkonservativem oder völkischem Hintergrund in
der Bundeswehr?

a) Wie viele Meldungen über deutschnationale, nationalkonservative oder
völkische Tätigkeiten und Einstellungen von Bundeswehrangehörigen
sind in den vergangenen Jahren seit 2000 eingegangen?

b) In welcher Form werden sie veröffentlicht?

c) Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung daraus?

18. Weist die Bundesregierung Truppenkommandeure und weitere Vorgesetzte
von Wehrpflichtigen auf die Notwendigkeit hin, deutsch-völkische,
deutsch-nationale und nationalkonservative Aktivitäten und Einstellungen
von Soldatinnen und Soldaten zu erfassen, zu melden und ggf. disziplina-
risch oder strafrechtlich zu ahnden, und wenn nein, warum nicht?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/1081

19. Hat die Bundesregierung seit der Veröffentlichung der in der Vorbemer-
kung genannten Studie weitere Bemühungen ergriffen oder unterstützt, die
politischen Orientierungen von Offiziersstudenten zu untersuchen?

Wenn ja, welche?

Wenn nein, warum nicht?

20. Beabsichtigt die Bundesregierung, weitere Forschungen zu unterstützen,
um das verfassungsschutzrelevante Potential der nationalkonservativen
Positionen zu untersuchen?

Wenn nein, warum nicht?

Wenn ja,

a) Was will die Bundesregierung im Einzelnen unternehmen?

b) Welche Mittel sollen dafür bereitgestellt werden?

c) Wer soll die Untersuchungen durchführen?

Berlin, den 22. März 2006

Ulla Jelpke
Sevim Dagdelen
Kersten Naumann
Petra Pau
Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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